Warum Betriebsräte agiles Arbeiten manchmal torpedieren und Führungskräfte umgeschult werden, erzählt Freshfields-Arbeitsrechtler Ulrich Sittard im Interview

Ulrich Sittard, Arbeitsrechtler bei Freshfields, über die Folgen der Einführung von agilem Arbeiten in den Unternehmen. 

Ulrich Sittard (Foto: C.Tödtmann)

 

Herr Sittard, die ersten Unternehmen brauchen Ihren Rechtsrat, wenn Sie agiles Arbeiten einführen – wofür genau?

Agiles Arbeiten bedeutet ja, dass im Unternehmen interdisziplinärer Teams gebildet werden, die eigenverantwortlich und weisungsfrei arbeiten, um aus einer Vision ein konkretes Produkt – wie zum Beispiel eine App für Kunden oder auch eine neue Vertriebsstrategie – zu entwickeln. Die bekannteste agile Methode ist Scrum, wörtlich übersetzt heißt das so viel wie Gedränge, weil die agilen Teams eine Art Innovationsknäuel bilden.

Agiles Arbeiten ist oft Gruppenarbeit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes und dafür braucht das Unternehmen die Zustimmung des Betriebsrats. Führt der Arbeitgeber diese Arbeitsweise für große Teile des Unternehmens ein, muss er einen Interessenausgleich verhandeln und vielleicht sogar einen Sozialplan erstellen. Ich erlebe Betriebsräte, die versuchten, diese Teambildungen per einstweiliger Verfügung zu verhindern. Das aber weniger wegen der Arbeitsmethode…..

 

….. sondern?

Wegen Randerscheinungen wie dieser: Ein Betriebsrat aus der IT-Branche bemängelte, dass durch Scrum die Betriebsvereinbarung und den Anspruch auf einen Home-Office-Tag unterlaufen werde, weil sich die Mitarbeiter einmal täglich zum Daily Stand Up versammeln sollen. Home-office und agiles Arbeiten sind tatsächlich nicht immer gut vereinbar. Einige große Unternehmen haben deshalb die Home-Office-Arbeit abgeschafft, als sie agiles Arbeiten einführten. Die Idee ist: Innovationen durch Teamarbeit und das ist schwerer, wenn es nur noch Videokonferenzen und keine Teamtreffen mehr gibt. Agiles Arbeiten verlangt intensive Kommunikation und den ständigen Austausch. Allerdings sind Kompromisse möglich: In fast keinem Unternehmen arbeiten alle Mitarbeiter dauerhaft agil.

 

Wie verändert sich das Arbeitsleben durch agiles Arbeiten, gibt es kein Direktionsrecht des Arbeitgebers mehr? 

Doch, aber es wird hinsichtlich der Frage, was der Arbeitnehmer fachlich tun muss, nicht oder kaum ausgeübt. Beim agilen Arbeiten müssen die Teams eigenständig arbeiten. Die bereichs- und fachübergreifenden Teams  – zum Beispiel die Squads bei Scrum – entscheiden alleine, wie und wie schnell sie ihre zugewiesenen Aufgaben erledigen. Vorgesetzte führen die Team-Mitarbeiter nicht mehr wie der beste Sachbearbeiter. Zwanghafte Micromanager müssen sich also umstellen, wenn sie weiter Führungskräfte sein wollen. Sie sollen die tägliche Arbeit ihrer Mitarbeiter gar nicht mehr steuern   und trotzdem im Blick haben, welche Förderung – etwa eine Fortbildung – der einzelne Mitarbeiter braucht. Oder: Wenn jemand im agilen Team der einzige Marketing-Experte oder Vertriebler ist, der mal zurück muss in seine eigene Abteilung, um fachlichen Austausch zu haben.

 

Nicht gerade Fragen für einen Anwalt. Aber wenn zum Beispiel bei IBM oder der Deutschen Bahn hunderte von Führungskräften plötzlich nicht mehr führen sollen, ihnen das aber im Arbeitsvertrag vorher zugestanden wurde. Was passiert mit denen?

Unternehmen die in großem Stil agile Methoden einsetzen, brauchen künftig weniger Führungskräfte. Müssen Vorgesetzte nur noch die Entwicklung ihrer Leute mit ihren Stärken und Schwächen sicherstellen und steuern, aber kontrollieren nicht mehr die Details der täglichen Arbeiten, dann können die Abteilungsleiter- oder Gruppenleiter eine größere Zahl von Mitarbeitern führen. Erste Unternehmen schätzen, dass jede zweite Führungskraft in fünf Jahren überflüssig wird. Das bedeutet aber nicht notwendig Entlassungen – wir haben gerade für einen Mandanten in der Chemiebranche eine Umschulungskampagne zusammen mit dem Betriebsrat gestartet.

 

Können Mitarbeiter beim Agilen Arbeiten abgemahnt werden wie bisher? 

Bei Abmahnungen ändert sich wenig. Bei Fehlverhalten wie zu-spät-Kommen oder bei Konflikten im Betrieb bleibt es wie bisher, für sie drohen Abmahnungen. Doch bei Leistungsbeurteilungen, insbesondere wenn die Vergütung davon abhängt, müssen Personalabteilungen die Ziele neu justieren. Nicht mehr die individuellen Ziele sind entscheidend. In den ersten Unternehmen stellen ich ihre Vergütungssysteme so um, dass die variable Vergütung an das Erreichung der Teamziele gekoppelt wird. Dieser Umstellung muss auch der Betriebsrat erst mal zustimmen, sonst klappt´s nicht.

 

Es klingt so, als müssten die Teammitglieder so verantwortungsbewusst sein, dass Abmahnungen überflüssig werden?

Wenn individuelle Leistung doch bewertet werden muss, wie bei einer Abmahnung, muss sich der Vorgesetzte intensiv abstimmen mit einem  Mitglied des agilen Teams, das zuvor für solche Fragen als zuständig erklärt wird. Ohne das geht es nicht – auch wenn es widersprüchlich klingt.

 

Lese-Hinweis:

Fünf Irrtümer, mit denen die Idee von Agilität in Planlosigkeit oder Chaos endet – Gastbeitrag von Internet-Pionier Willms Buhse

Lesehinweis: „Allianz CIO Ralf Schneider wettet, dass die Topmanager einer jeden Organisation in fünf Jahren ein neues Rollenverständnis haben werden. Starre Hierarchien werden durch autonome, effektive und selbstorganisierte Teams ersetzt.“ in „CIO“

https://www.cio.de/a/management-by-command-und-control-ist-vorbei,3594298?tap=df8a0f6af9dd5ae70827a2299e7fa290&utm_source=CIO%20News&utm_medium=email&utm_campaign=newsletter&r=37172221173456353&lid=1221753&pm_ln=9

 

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