Fünf Irrtümer, mit denen die Idee von Agilität in Planlosigkeit oder Chaos endet – Gastbeitrag von Internet-Pionier Willms Buhse

Agilitäts-Mythen: Weshalb klassische Organisationen an der Transformation scheitern. Internet-Ikone und Chef des Beratungsunternehmens DoubleYuu Willms Buhse zeigt die typischen fünf Fehler auf.

 

Willms Buhse (Foto: DoubleYUU)

 

Das Versprechen: Agilität solle erfolgreicher machen

Vom heißen IT-Trend zum Unwort: Noch vor wenigen Jahren war Agilität das Buzzword schlechthin in Sachen moderner Arbeitsweise in Unternehmen – ob in der Finanz- oder Automobilwirtschaft. Quelle dieser neuen Strömung war die hippe und erfolgreiche Startup-Szene. Deren Entscheidungsgeschwindigkeit passte – vermeintlich – viel besser zu den Spielregen der digitalen Welt als die eingeschliffenen Strukturen, Arbeits- und Konsensfindungswege der etablierten Player. Agilität machte erfolgreicher und warf, kombiniert mit anderen Prinzipien, wie Vernetztheit, Offenheit und Partizipation, die Rangordnung in vielen Märkten über den Haufen. Ihr Versprechen lockte deshalb auch große Player: Eine neue Herangehensweise für mehr Flexibilität und Umsetzungskraft. Mehr Umsetzung, weniger Planung. Mehr Scrum, weniger Meetings. Das klang gut.

 

Das Synonym für Planlosigkeit – dabei hapert´s am Nicht-zu-Ende-Denken

Inzwischen ist Agilität in vielen Organisationen zum Unwort verkommen. Gelegentlich höre ich in meinen Workshops ein süffisantes „Da sind wir ja mal richtig schön agil gewesen“. Aber eben dann, wenn etwas nicht gelingt. Agilität ist inzwischen ein Synonym für Planlosigkeit, Chaos und gar Anarchie geworden. Nach meiner Erfahrung ist das Problem allerdings nicht die Methode, sondern deren halbgare Umsetzung. Ein tiefes Verständnis für Agilität als Denk- und Führungsmuster fehlt den meisten Unternehmen. Methodiken stehen für sich allein, werden nicht zu Ende gedacht oder sinnvoll in die Unternehmensstruktur eingebettet. Da kann man nur schlechte Erfahrungen sammeln.

Also lassen Sie uns etwas tun, das mir als Verfechter dieser Arbeitsweise sehr am Herzen liegt: Klären wir über die fünf weit verbreiteten Irrtümer  rund um agiles Arbeiten auf, jetzt und hier.

 

Erster Irrtum: Agilität eignet sich nur für überschaubare Teams

Keinesfalls. Zugegeben fällt es kleinen Teams oft leichter, agile Arbeitsweisen zu integrieren und durchzuhalten. Zum einen können weniger Beteiligte von der Methodik abweichen. Zum anderen denken kleinere Teams oft in kurzen Projektzyklen und jedem Teammitglied wird ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit abverlangt. Aber: In jeder Teamgröße erfordern agile Arbeitsweisen Disziplin und Selbstverantwortung, Methodentreue und ein Anerkennen der in der Methodik verankerten Rollen. Und ohne ein Grundverständnis von Agilität im oberen Management skaliert Agilität eh nicht. Ein Anfang bietet da beispielsweise die Flexibilisierung von Budget- und Planungsprozessen mit einer agilen Ziel- und Ergebnisplanung, wie Google sie praktiziert. Diese setzen wir in vielen Transformationsprojekten auch in klassischen Strukturen erfolgreich um.

 

Zweiter Irrtum: Agilität passt nicht zu unserer Unternehmensstruktur

Das muss nicht sein. Es genügt, die Begriffe Abteilung und Team eigenständig zu betrachten.

Die meisten Unternehmen sehen Abteilungen als Teams. Dabei sitzen dort nur Leute mit sehr ähnlichen Aufgaben und Fähigkeiten Tisch an Tisch. Erfolgreiche Projekte brauchen aber oft unterschiedlichste Fähigkeiten in einem Team. Also eben nicht nur Mitglieder aus einer, sondern aus mehreren Abteilungen. Der einzige Haken daran: Jede Abteilung hat ihre eigenen Interessen und Motive. Diese gilt es bei agilen Projekten zu umgehen durch cross-funktionale Teams, wie sie beispielsweise Daimler mit seiner Schwarmorganisation anstrebt. Dann erhält Agilität die Unternehmensstruktur und erlaubt zugleich übergreifendes Arbeiten mit einem gemeinsamen Ziel.

 

Dritter Irrtum: Agilität ist Chaos

Das ist der Irrglaube, den ich wohl am häufigsten höre. Und zugleich der unstrittigste. Agile Methoden lassen, richtig ausgeführt, keinen Spielraum für Chaos. Ganz im Gegenteil sind sie hocheffizient, klar und verbindlich und brauchen Disziplin und Selbstverantwortung. Damit das in der Praxis genauso aussieht, ist Methodentreue par excellence notwendig. Schaue ich bei den Unternehmen, die vorher über Chaos klagten, genauer hin, sehe ich aber oft nur eine halbherzige Umsetzung agiler Methoden. Mein Rat: Steigen Sie tief in Methoden ein und setzen Sie sie mindestens 30 Tage originalgetreu um. Am besten mit einem Berater oder Coach, der die Einhaltung der Spielregeln streng kontrolliert. Danach können Sie schauen, wo nachjustiert werden muss. Garantiert chaosfrei.

 

Vierter Irrtum: Agile Ergebnisse sind ist nicht planbar

Zum Teil ist das richtig. Agile Arbeitsweisen verlangen stets eine Hand am Lenkrad. Denn jede Entscheidung wird in kleinen Wiederholungen von Vorgängen getroffen. Das erlaubt, jederzeit umzusteuern – es verlangt aber auch die Bereitschaft dafür zu jeder Zeit. Doch auch gegen Unplanbarkeit hilft nur Methodentreue. Durch gute Priorisierungen der jeweiligen Produktverantwortlichen in solchen cross-funktionalen Teams, einem Anspruchsgruppen-Management und einer stabilen Vision gibt es weniger unangenehme Überraschungen.

 

Fünfter DIrrtum: Agilität ist nicht strategisch

Eine weitere Fehlannahme, die mir schon oft untergekommen ist. Wenn wir es mit dem Autofahren vergleichen, ist die komplexe Welt, in der wir leben, eine Nebelwand. Sie erschwert uns die Sicht beim Fahren und wir müssen kurzfristig reagieren und steuern. Aber: Auch bei Nebel fahren wir nicht ohne Plan los. Wir kennen unser Ziel und den groben Weg dahin.

Dasselbe gilt in der Arbeitswelt. Nun kann ein Manager natürlich mit einem 5-Jahres-Plan navigieren, der in wenigen Monaten hinfällig ist. Oder er denkt in kleinen Iterationen, in denen sein Unternehmen testet, lernt, justiert und verwirft. Wer von beiden wird wohl besser durch den Nebel der komplexen Welt steuern?

 

 

Was meint Agilität wirklich?

Zum Schluss möchte ich als Fan dieser Methode Ihnen natürlich nicht vorenthalten, was Agilität, richtig angewendet, für mich persönlich bedeutet – und was es vielleicht in Zukunft auch für Sie bedeuten kann: Agilität heißt in einer komplexen Welt früh und kontinuierlich produktiv nutzbare, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern. Agilität entstand als Reaktion auf langsame, bürokratische Organisationen, um veränderten Marktbedingungen zu begegnen. Also nur Mut: arbeiten Sie agil, aber machen Sie es richtig.

 

 

 

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Alle Kommentare [3]

  1. „Ein tiefes Verständnis für Agilität als Denk- und Führungsmuster fehlt den meisten Unternehmen.“ Das stimmt. Meine Erfahrung: In vielen Unternehmen fehlt es vor allem an einer guten Denk-Kultur, an der Fähigkeit, wichtige Fragen gemeinsam zu durchdenken und von unterschiedlichsten Perspektiven zu beleuchten. Agilität benötigt das, aber die agilen Methoden bringen selbst kein Handwerkzeug für gutes Denken mit, so wie es z.B. das Thinking Environment von Nancy Kline ist.

  2. „Ein tiefes Verständnis für Agilität als Denk- und Führungsmuster fehlt den meisten Unternehmen.“ Das stimmt. Meine Erfahrung: Vielen Unternehmen fehlt es an einer wirklichen Denk-Kultur, an der Fähigkeit, Fragen in aller Tiefe intensiv zu durchdenken und von den verschiedensten Perspektiven zu beleuchten. Agilität verlangt das, doch agile Methoden bringen dafür wenig Unterstützung mit. Thinking Environment von Nancy Kline ist da ein gutes Werkzeug als Ergänzung.

  3. Agilität ist, in meinem Verständnis, eine Haltung, die hilft durch den Nebel zu steuern. Es sind Werte, die das ganze Management teilen muss. Wer es wagt, sich von den Schlagwörtern und den Tools zu lösen, erhält die Chance mit agilen Ansätzen Organisationen leistungsfähiger zu machen und die Arbeit attraktiv zu gestalten. Das heisst für die Führung, loslassen können und für die Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen, ohne das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren.