Kein Gericht hat die Frage bisher entschieden – was ein Skandal ist. Kein Gesetz regelt das ungelöste Problem, das so viele Angestellte und vor allem ihre Familien nervt, ihnen Lebenszeit raubt ohne Entschädigung und ihre Erholung andauernd unterbricht. Ebenso skandalös.
Dieses Mal klingt die – gefühlt einhundertste – Umfrage pünktlich vor Ferienbeginn zum Thema „E-Mails im Urlaub bearbeiten“ so: Jeder dritte Büroarbeiter ist über die Weihnachtsfeiertage für die Arbeit erreichbar, erfragte dieses Mal der Technologieanbieter Slack. Der Großteil von ihnen, 84 Prozent, sagt, dass er seine beruflichen Nachrichten sogar mindestens einmal täglich checkt.
Mails nur lesen? Nein, abarbeiten und neue Aufgaben erledigen steckt dahinter
Checken ist aber eine Untertreibung. Es bedeutet im Klartext: Erst mal überall ins Netz kommen können, womöglich Technikstress, dann E-Mails lesen und die Wichtigen beantworten oder sonstwie bearbeiten, neu Aufgaben erfüllen, vielleicht telefonieren, jedenfalls weiterer Zeitverlust. Vielleicht entspinnt sich ja auch ein Fragen-Antworten-Pingpong und es dauert eine Stunde oder mehr. Es müssen ja nicht mal die Chefs sein, die sich melden, es können Kunden sein, Kollegen, Geschäftspartner. Und es kann sehr gute Gründe geben, lieber Urlaub zu opfern, als später etwas ausbaden zu müssen, was viel mehr Ärger und Zeitaufwand verursacht. Zumal: Seit sich die Unternehmen Jahren Unternehmen Mitarbeiter, die denken und Handeln wie Unternehmer im Unternehmen – das gehört dann wohl dazu.

(Foto: Ulrich Tödtmann)
Wenn Chefs sogar Erreichbarkeit anordnen
Doch das ist nicht alles, die Slack-Umfrage ergab noch dies: 26 Prozent der Führungskräfte, die über die Feiertage erreichbar sind, verlangen diese Erreichbarkeit auch von den Angestellten: Jede vierte Führungskraft (25 Prozent) gibt den Mitarbeitern sogar vor, an welchen oder wie vielen Tagen sie erreichbar sein sollen.
Unterbrochener Urlaub ist kein Urlaub
Arbeitsrechtler Ulrich Sittard von der Großkanzlei Freshfields erklärte schon vor Jahren: Ein unterbrochener Urlaub ist eben gar kein Urlaub. Streng genommen müsste er ab dem Moment dieses Arbeitseinsatzes nochmal von vorne zu laufen beginnen. Das blanke Horrorszenario für Unternehmen wäre das, wenn es jemand den Grundsatz in die Praxis umsetzen würde.

Ulrich Sittard (Foto: C.Tödtmann)
Dass es in irgendeiner Firma so läuft, dass zumindest die gearbeitete Ferienzeit aufaddiert und an den Urlaub hinten dran gehängt wird oder ähnliches, habe ich noch nicht gehört. Technisch wäre es problemlos machbar, einfach auf den Server gucken. Das könnten übrigens auch Arbeitsschutz und Betriebsräte tun.
Warum es weder ein Urteil noch ein Gesetz gibt, das den Angestellten hilft
Eigentlich sollte das Problem doch lösbar sein. Dass die Unternehmen es nicht von alleine angehen, ist klar.
Ebenso klar ist, dass deshalb kein Mitarbeiter vor Gericht geht und im laufenden Arbeitsverhältnis seinen eigenen Arbeitgeber verklagt – um bei der nächsten Restrukturierungsrunde ganz oben auf der Liste der rauszuwerfenden Kandidaten zu stehen. Oder sonstwie kujoniert zu werden.
Sollte ein Mitarbeiter die Stunden aufgeschrieben und bei einem Kündigungsschutzprozess ausbezahlt haben wollen, auch so ein Urteil existiert wohl nicht.
Es ist wie mit vielen anderen ungelösten Fragen des ganz normalen Arbeitsalltags im Arbeitsrecht: Die Richter entscheiden sie nur, wenn sie gar nicht anders können, Aber meistens eben nicht. Urteile zu schreiben kostet Zeit – zwischen einer und neun Stunden, sagen Profis – und die Richter riskieren nur, dass das nächsthöhere Gericht sie wieder aufhebt. Urteile als Guidelines sind von deutschen Gerichten bei mehr als 90 Prozent verglichener Fälle nicht mehr zu erwarten. Und wenn, dann entscheiden sie den Einzelfall – womöglich ohne Orientierungswert für die vielen anderen Angestellten und Unternehmen in Deutschland. Schade.
Kunden erwarten Antworten und Arbeit, wichtige Projekte drängen
Slack hat auch übrigens auch noch Details erfragt, warum die Büromitarbeiter über Weihnachten und Neujahr erreichbar sind:
- 27 Prozent der Befragten sagen, dass sie aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage für die Arbeit erreichbar sind
- 54 Prozent sagen, dass es die Kunden erwarten und
- rund zwei Drittel (61 Prozent) haben wichtige Aufgaben oder Projekte zu bearbeiten, und
- 77 Prozent sind aus eigenem Antrieb erreichbar – Gründe siehe oben.
Jedoch gibt auch knapp jeder Zweite (48 Prozent) an, dass Arbeitgeber und Vorgesetzte die Erreichbarkeit erwarten.
Verschenkte Lebenszeit
Nur dass sie für die Lebenszeit einen Ausgleich geben sollten, das bedenken sie offenbar nicht. Denn anders als die Vorgesetzten – die nicht nur mehr Grundgehalt haben, sondern auch Boni und Prämien obendrauf – verschenken Angestellte mit Arbeitsstunden im Urlaub Lebenszeit – und Erholungszeit.
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