Checkliste Arbeitsrecht: Was Unternehmen prüfen sollten, wenn sie Nachzahlungen für nicht genommenen Urlaub vermeiden wollen (Gastbeitrag)

Arbeitsrechtler Tim Eickmanns von Taylor Wessing rät Unternehmen, sich jetzt dringend um die Urlaubstage ihrer Mitarbeiter zu kümmern – und zwar individuell. Ein Gastbeitrag.

Wer´s lässt, den kann es am Ende teuer zu stehen kommen. Und zwar wenn ein ausscheidender Mitarbeiter plötzlich eine Rechnung aufmacht und für zehn Jahre rückwärts Urlaub ausbezahlt haben will, der er nicht genommenen hat. Denn der Europäische Gerichshof (EuGH) hat gerade geurteilt: Weist ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht konkret darauf hin, dass Urlaubstage am Jahresende verfallen können, verjährt deren Urlaubsanspruch nicht. Denn: Arbeitgeber, die ihre Hinweispflichten verletzen, dürfen nicht noch mit der Verjährung belohnt werden, urteilte der  EuGH (Urteil vom 22.09.2022, Aktenzeichen C-120/21).

 

Tim Eickmanns (Foto: Privat)

 

Acht Checkpunkte für Arbeitgeber 

– Checken: Schöpfen die Arbeitnehmer während des Kalenderjahres ihren gesetzlichen Mindesturlaub tatsächlich vollständig aus?

 

Checken: Hat die Personalabteilung ihre Hinweispflichten ordnungsgemäß erfüllt?  Dazu muss sie dem einzelnen Mitarbeiter rechtzeitig und individuell mitteilen, dass er noch ungenommene Urlaubstage hat und vor allem wie viele Tage das sind. Ein genereller Hinweis auf dem Lohnzettel  oder eine Mail an ein Team reicht nicht aus. Und man muss ihn bitten, die auch wirklich zu nehmen bis Jahresende.

 

Checken: Haben die Arbeitnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit, ihren Jahresurlaub zu nehmen – oder hat der Mitarbeiter wegen seines Arbeitspensums und infolge der Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre keine reale Chance dazu? Dann verfallen und verjähren die Urlaubsansprüche nicht.

Achtung: Der Arbeitgeber muss beweisen, dass das Arbeitspensum in der vereinbarten Arbeitszeit nicht verdichtet und nicht zu hoch war.

Denkbar wäre, dass ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwar ordnungsgemäß daran erinnert hat, den Urlaub zu nehmen, ihm aber gleichzeitig so viel Arbeit gab, dass der Arbeitnehmer faktisch gar keine Möglichkeit hatte, dieser Aufforderung nachzukommen.

Dann dürfte der Urlaubsanspruch angesichts der EuGH-Rechtsprechung trotz ordnungsgemäßer Unterrichtung durch die Firma nicht verfallen und verjähren. Der EuGH hatte bereits in seinem Urteil zum Urlaubsverfall in 2018 (C‑684/16) klargestellt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, soweit der Arbeitgeber beweisen kann, dass er „mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden Urlaub zu nehmen.“ Hieran dürfte es bei andauernder extremer Arbeitsverdichtung auch dann fehlen, wenn der Arbeitgeber seine Hinweisobliegenheiten erfüllt hatte.

 

(Foto: C.Tödtmann)

 

Checken: Falls ein Mitarbeiter bei seinem Ausscheiden aus der Company nicht genommene Urlaubstage aus zurückliegenden Jahren auflistet und Lohn verlangt, dürfen diese nicht länger als zehn Jahre zurück liegen. Das ist die allgemeine Verjährungsregel.

 

Checken: Geht ein Arbeitnehmer in Ruhestand, kann er ebenfalls Lohn für nicht genommene Urlaubstage fordern. Denn die Situation unterscheidet sich nicht von einem Jobwechsel in ein anderes Unternehmen. Warum das Arbeitsverhältnis endet, ist egal (EuGH Urteil vom 20.7.2016, Aktenzeichen C-341/15).

 

Checken: Was ist mit Arbeitnehmern, die ihren Urlaub nicht nehmen können wegen der Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre?

Denkbar ist, dass ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zwar ordnungsgemäß daran erinnert, den Urlaub zu nehmen, ihnen aber gleichzeitig so viel Arbeit gibt, dass sie faktisch gar keine Möglichkeit haben, der Aufforderung zum Urlaub nachzukommen.

Dann dürfte der Urlaubsanspruch unter Zugrundelegung des EuGH-Urteils trotz seiner formell, ordnungsgemäßen Unterrichtung nicht verfallen und wohl auch nicht verjähren. Hintergrund: Der EuGH hatte schon vor vier Jahren in seinem Urteil zum Urlaubsverfall (C‑684/16) gesagt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, soweit der Arbeitgeber beweisen kann, dass er „mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen“,  seinen Urlaub zu nehmen. Hieran dürfte es bei andauernder extremer Arbeitsverdichtung auch dann fehlen, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten erfüllt hat.

 

Checken: Verjährungshöchstfrist

Nach dem Verjährungsrecht beträgt die Verjährungshöchstfrist zehn Jahre.

 

Checken: Rentner

Wenn das  Arbeitsverhältnisses beendet wird, muss die Firma den Urlaub ausbezahlen, der wegen der Beendigung nicht mehr genommen werden konnte. Warum das Arbeitsverhältnis endet, spielt laut Gesetz keine Rolle. Daher entsteht der Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers auch dann, wenn er aufgrund seines Eintritts in die Regelaltersrente aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dies deckt sich auch mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urt. v. 20.7.2016 – Az.: C-341/15).

 

 

Lese-Tipps:

Arbeitgeber die jetzt nicht auf ihre Mitarbeiter zugehen, riskieren, dass sie noch für Jahre Urlaubsansprüche gewähren müssen. Nachträglich – Interview mit Arbeitsrechtler Ulrich Sittard von Freshfields | Management-Blog (wiwo.de)

 

Urlaub für Mitarbeiter: Bleiben Personalabteilungen passiv, kann´s für das Unternehmen teuer werden, warnt Arbeitsrechtler Thomas Ubber | Management-Blog (wiwo.de)

 

 

 

 

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