Arbeitszeiterfassung: Ja, sie ist Pflicht und zwar sofort

Das Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte im Sommer zur Arbeitszeiterfassung verkündet und die Begründung nun nachgeliefert. Immerhin geht es um die wichtigste Währung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter – Lebenszeit gegen Geld. Arbeitsrechtler Maiß sagt hier in zehn Punkten, was danach nun für Unternehmen und Mitarbeiter gilt:

 

  1. Müssen Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen?

Kurze und klare Antwort: Ja. Und zwar ab sofort, sagt Arbeitsrechtler Sebastian Maiß von Michels pmks.

 

(Foto: C.Tödtmann)

 

  1. Welche Zeiten müssen sie erfassen?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) geht weiter als der EuGH und fordert dass die Unternehmen die Dauer der Arbeitszeit aufzeichnen, und zwar:

  • Beginn
  • Ende und
  • Überstunden

 

Sebastian Maiß (Foto: C.Tödtmann)

Im Einzelnen:

  1. a. Beginn und Ende der Arbeitszeit

„In meiner Ausbildung zum Fachanwalt für Arbeitsrecht 2005 berichtete mir mein damaliger Ausbilder, dass bei ihm die Uhr ticke, sobald er morgens unter der Dusche an den Fall des Mandanten denkt.“ Das fand ich damals lustig. Aber jetzt irgendwie nicht mehr.“ Warum? „Er hat schon damals den Nagel auf den Kopf getroffen: Was ist eigentlich Arbeitszeit und was ist zu erfassen?“, fragt der Arbeitsrechtler aus Düsseldorf:  Morgens, wenn ich in die Dusche steige und an meine Arbeit denke die ersten fünf Minuten? Auf dem Weg zur Arbeit dann nochmals 15 Minuten? Oder erst dann, wenn ich im Auto mit meinem Mandanten spreche?“

Fragen über Fragen, die auch heute – auch nach dem BAG-Urteil – unbeantwortet  geblieben sind. Maiß rät deshalb, selbst klare Regeln zu treffen, die etwa Folgendes beinhalten können:

  • Festlegung eines Arbeitszeitrahmens: zum Beispiel die Zeit von 7.00 Uhr bis 20:00 Uhr, in der  gearbeitet werden darf. Zeiten davor und danach wären dann nicht mehr für den Arbeitgeber erbracht.
  • Festlegung des Zeitpunkts, ab wann die Arbeitszeit zu erfassen ist: Zum Beispiel
    – bei Betreten des Werksgeländes oder
    – des Arbeitsplatzes selbst

Die nächste Frage ist: Was ist mit den Unterbrechungen der Arbeitszeit, also den Zeiten, die nicht fremdbestimmt für den Arbeitgeber sondern selbstbestimmt sind wie der Small Talk in der Kaffeeküche.  Maiß Rat: Hier nicht zu kleinteilig zu werden und die Erfassung zunächst auf Beginn und Ende zu beschränken. Alles andere führt zu einem nicht vertretbaren Organisationsaufwand und wird auch nicht von den Mitarbeitern akzeptiert werden.

  1. b. Überstunden

Die Erfassung der Überstunden ist neu und stellt tatsächlich das größte Problem bei der Arbeitszeiterfassung und ein Umsetzungsproblem dar, sagt Maiß. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) fordert nur, dass die tägliche Arbeitszeit gemessen werden muss. Nicht jedoch die explizite Erfassung von Überstunden.

Nur: Was versteht das BAG unter Überstunden? Überstunden sind im deutschen Arbeitsrecht diejenigen Stunden, die über die Arbeitszeit im Arbeitsvertrag hinausgehen.

Mehrarbeit ist dagegen die Arbeitszeit, die über die Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz – also zehn Stunden pro Tag maximal – hinausgeht. Wenn man also den Begriff der Überstunde zugrunde legt, ist auch die Überschreitungen der täglich geschuldeten Arbeitszeit zu erfassen.

  1. c) To do

Für Arbeitgeber bedeutet dies konkret:

  • Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit.
  • Prüfung der arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen, was unter Überstunden zu verstehen ist.
  • Soweit möglich getrennte Aufzeichnung der täglichen geschuldeten Arbeitszeit – Beginn und Ende – sowie der Überstunden.
    Denn Überstunden müssen ja nicht unbedingt bezahlt werden, sondern entscheidend sind die arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen: Sie können beispielsweise auch pauschal abgegolten werden. Eine gemeinsame Erfassung aller Zeiten würde das Risiko mit sich bringen, dass alle erfassten Zeiten gleich zu behandeln sind.
  1. Wie ist Arbeitszeit zu erfassen?
  • Es ist keine bestimmte Form vorgeschrieben. Das BAG sagt ausdrücklich: Elektronische Zeiterfassung ist nicht erforderlich. Sie kann auch mit Stift und Papier oder sonstwie  erfolgen. Das BAG hat aber auch klargestellt: rein wirtschaftliche Überlegungen des Arbeitgebers sind nicht ausreichend für die Auswahl des Arbeitszeiterfassungssystems. „Zu teuer“ ist laut BAG kein Argument und auf der Linie des höchsten deutschen Arbeitsgerichts, dass „Arbeitgeber Geld zu haben haben.“
  • Die Arbeitszeiterfassung darf sich nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie der Überstunden nur zu erheben. Das bloße Speichern manuell eingegebener Daten genügt also nicht. Die Daten müssen erfasst und aufgezeichnet werden.
  • Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber Mitarbeitern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt.
  • Das BAG führt den Arbeitsschutz zu Felde, so dass Maiß einen einfachen Vergleich anstellt: Wenn Mitarbeiter verpflichtet sind, in der Produktionshalle Sicherheitsschuhe zu tragen, genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber diese Sicherheitsschuhe am Eingangsbereich zur Verfügung stellt. Er muss im Betrieb auch kontrollieren, ob die Mitarbeiter die Schuhe tragen und sie gegebenenfalls dazu anhalten, die Sicherheitsschuhe anzuziehen.Übertragen auf die Arbeitszeiterfassung bedeutet das: Der Arbeitgeber kann beispielsweise nicht nur Stift und Papier – oder auch ein elektronisches Zeiterfassungssystem – zur Verfügung stellen, sondern (i) er muss die Mitarbeiter anweisen, diese Zettel auch auszufüllen (oder das System zu bedienen), (ii) dies durch geeignete Maßnahmen kontrollieren und (iii) die Erfassung auch aufbewahren.
  1. Kann das Unternehmen die Erfassung auf die Mitarbeiter delegieren?

Die Antwort auf diese wichtige Frage lautet eindeutig „Ja“. Allerdings sind Arbeitgeber dann auch dazu verpflichtet, zu überwachen, ob diese Arbeitnehmer ihre Zeiten selbst aufschreiben.

  • Nicht elektronische Arbeitszeiterfassung: Bei einer nicht elektronische Arbeitszeiterfassung kann sich der Arbeitgeber die von den Arbeitnehmern selbst vorgenommene Zeiterfassungsbögen regelmäßig vorlegen lassen.Wann er kontrollieren muss, verrät das BAG den Arbeitgebern nicht. Maiß schätzt: Da es sich um ein verlässliches Zeiterfassungssystem handeln muss, wird es nicht genügen, wenn die Mitarbeiter ihre Zeiterfassungsbögen nur einmal im Monat vorlegen müssen. Denn Sinn und Zweck der Arbeitszeiterfassung ist es, Mitarbeiter vor Belastungen durch Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz zu schützen. Dafür ist es aber erforderlich, dass die Kontrolle zeitnah nach der Erfassung der Arbeitszeit erfolgt.
  • Elektronische Arbeitszeiterfassung: Die Einrichtung eines Self-Service zur Arbeitszeiterfassung ist möglich und geeignet, um den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter zu erreichen. Sie müssen dann angewiesen werden, in diesen elektronischen Systemen ihre Arbeitszeit unmittelbar nach der geleisteten Tätigkeit zu erfassen – und nicht erst am Ende des Monats.

Egal wie die Arbeitszeiterfassung erfolgt, müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetz kontrolliert – beispielsweise  technisch – und Verstößen nachgegangen wird. Anwalt Maiß: „Das ist schlichtweg klassische Compliance“.

  1. Gibt es Besonderheiten für die ortsungebundene Arbeitszeitmodelle?

Das Bundearbeitsgericht sagt ausdrücklich: Arbeitgeber haben einen Spielraum bei der Umsetzung. Es muss nicht ein Zeiterfassungssystem für alle sein, sondern ein anderes für Homeoffice-Arbeiter, Mobiler Arbeiter oder Außendienstmitarbeiter.
In Betracht kommen daher:

  • Self-Service Lösungen mit elektronischer Zeiterfassung
  • Aufzeichnungen per Hand, die Mitarbeiter dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen müssen
  • Mitteilung über Beginn und Ende der Arbeitszeit per E-Mail
  1. Müssen Führungskräfte ihre Arbeitszeit erfassen? Das BAG verrät es nicht

Das BAG ist die Antwort schuldig geblieben, ob auch Führungskräfte ihre Arbeitszeit erfassen müssen.

Es hat zwar ausgeführt, dass es grundsätzlich denkbar ist, dass bestimmte Personengruppen nicht aufzeichnen müssen. Dies sieht das Europäische Recht (Arbeitszeitrichtlinie) auf die das deutsche ArbZG zurückgeht, ausdrücklich vor. Das Bundesarbeitsgericht sieht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aber gerade nicht aus dem ArbZG sondern aus dem ArbSchG. Dessen Anwendungsbereich ist weiter und erfasst alle Arbeitnehmer (egal ob Leitende Angestellte oder nicht). In dem hier entschiedenen Fall kam auf diese Frage auch nicht an, da es allein um die Frage der Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats ging. Diese gilt nämlich aber nur für Arbeitnehmer, die nicht „echt“ Leitende Angestellte sein. In einfachen Worten:

Die Arbeitszeiterfassung gilt für:

  • Arbeitnehmer, Auszubildende, Außertarifliche-Angestellte (AT), geringfügig Beschäftigte

Die Arbeitszeiterfassung gilt nicht für:

  • Geschäftsführer, Vorstände

Das BAG verrät nicht, ob sie auch für Leitende Angestellte gilt. Jedenfalls sind sie nicht  schutzlos: Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dürfen diese auch nicht arbeiten, bis sie umfallen. Maiß: „Sie haben ja nicht anders als normale Mitarbeiter Superkräfte, nur weil sie regelmäßig mehr Geld verdienen.“ Die Fürsorgepflicht gebietet es auch, dass der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen darauf achtet, dass diese Mitarbeiter nicht überfordert werden.

  1. Bleibt Vertrauensarbeitszeit möglich? Ja, jedenfalls die seriöse

Eine häufige Frage an Maiß ist: Bleibt Vertrauensarbeitszeit möglich? Ja, wenn es um eine weite, möglichst flexibel durch den Mitarbeiter gestaltete Arbeitszeit geht. „Versteht man Vertrauensarbeitszeit hingegen im Sinne einer „sich wirtschaftlich selbst optimierenden Überstundenausbezahlungsvermeidungsstragie, ist sie tot. Mausetot.“

 

  1. Der Betriebsrat muss beteiligt werden

Er hat ein Mitbestimmungsrecht und kann eine Arbeitszeiterfassung einfordern – eben nur keine elektronische.

 

  1. Was droht bei Verstößen?

Hier müssen wir unterscheiden zwischen den Ansprüchen einzelner Mitarbeiter und einem durch eine Behörde ermittelten Verstoß:

  • Fragen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten nach Arbeitszeiterfassung, weil sie vom Urteil des BAG gehört und nun eine Erwartungshaltung haben: Theoretisch könnte ein Mitarbeiter einen Anspruch auf Arbeitszeiterfassung einklagen. Denn insoweit besteht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Gesundheitsschutz.Das Bundesarbeitsgericht hat bereits im Mai entschieden, dass der Arbeitnehmer seine Zeiten selbst aufzeichnen kann. Maiß: Arbeitgeber sollten nur aufpassen, dass sich Mitarbeiter nicht Überstunden aufschreiben, die sie tatsächlich nicht geleistet haben.
  • Die Arbeitsschutzbehörden werden nun möglicherweise aktiv werden und mit Fragebögen auf Arbeitgeber zugehen, wie die Arbeitszeiterfassung umgesetzt wird, erwartet Maiß.
  1. Checkliste – Das sollten Arbeitgeber tun, rät Maiß:
  • Schritt eins: Prüfung des Status Quo der Arbeitszeiterfassung unter Berücksichtigung der Vorgaben des BAGs
  • Schritt zwei: Prüfung und gegebenenfalls Aktualisierung der arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen im Hinblick auf den Umgang mit Überstunden
  • Schritt drei: Feedback an die operativen Führungskräfte und die Personalabteilung, weil das BAG-Urteil erneut durch die Presse gehen wird.
  • Schritt vier: Gegebenenfalls Anpassung der Prozesse
  • Schritt fünf: Gegebenenfalls Kommunikation an die Belegschaft zum aktuellen Stand der Überlegungen und die weiteren Schritte.

Management-Blog jetzt unter den Top-Ten im Blogger-Relevanzindex 2022 – es gibt was zu feiern! Wer die Top-100 Blogs sind – hier die ganze Liste | Management-Blog (wiwo.de)

 

 

Copyright: @Claudia Tödtmann. Alle Rechte vorbehalten. 

Kontakt für Nutzungsrechte: claudia.toedtmann@wiwo.de

Alle inhaltlichen Rechte des Management-Blogs von Claudia Tödtmann liegen bei der Blog-Inhaberin. Jegliche Nutzung der Inhalte bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung.

Um den Lesefluss nicht zu behindern, wird in Management-Blog-Texten nur die männliche Form genannt, aber immer sind die weibliche und andere Formen gleichermaßen mit gemeint. 

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*