Quiet Quitter, das neue Feindbild amerikanischer Arbeitgeber: Sie machen keine Geschenke mehr. Dabei wäre die Lösung recht einfach

Das neue Feindbild der amerikanischen Unternehmen sind ihre eigenen Mitarbeiter: die Quiet Quitter. Die keinen Handschlag mehr tun, als sie müssen – sich aber nicht angreifbar machen. Der Experte Marco Nink erklärt, was dahinter steckt und hat Tipps für Unternehmen, wie sie mit dem Phänomen umgehen sollen.   

Wenn mein Auto qualmt, fahre ich rechts ran und will verhindern, dass der Wagen kaputt geht. Überbelastete Mitarbeiter lassen viele Vorgesetzte weiter laufen – bis es zu spät ist und sie einen Burnout oder einen Herzinfarkt bekommen.

(Foto: C.Tödtmann)

WirtschaftsWoche: Herr Nink, in den USA wird ein neuer Arbeitnehmer-Typus ausgemacht namens Quiet Quitter. Der macht Dienst nach Vorschrift und spult nur das Pflichtprogramm ab nach dem Motto: „Der brave Mann tut seine Pflicht, mehr tut er nicht“.  Mehr muss er ja auch gar nicht, er erhält Lohn gegen Arbeitszeit. Und wir sprechen nicht von Jobs für Leute mit typischerweise hoher ideologischer Überzeugung. Was also regt die Gemüter jetzt daran auf?

Marco Nink: Jeder wünscht sich eben von seinen Mitarbeitenden, dass sie handeln und denken wie ein Unternehmer. Durch die Corona-Pandemie haben nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Deutschen erkannt, dass der Job nicht alles ist. Die Leute beginnen zu reflektieren, dass der Arbeitsmarkt ihnen neue Chancen bietet. Zwar wünschen die Arbeitgeber ganz selbstverständlich, dass jeder Beschäftigte für ihn die Extra-Meile geht. Doch da treffen jetzt die verschobenen Prioritäten auf die jahrelange Arbeitsverdichtung mit Mails rund um die Uhr, Arbeitseinsätzen im Urlaub, viel zu viel Arbeitspensum.

Aus Angst vor Jobverlust haben sie jahrelang mitgemacht, was ihnen vielleicht schon lange zu viel war und jetzt beginnen sie zu rebellieren. Sie sehen Arbeit als Mittel zum Zweck und nicht als reinen Lebensinhalt an. Auch das Gesetz des Marktes ist zur Erklärung von Quiet Quitting heranzuziehen. Arbeitnehmer haben aufgrund des Arbeitskräftemangels eine gute Verhandlungsbasis, dass sie nicht mehr alles tun müssen, um ihre Arbeitsstelle zu behalten.

 

…und Sie unterscheiden Quiet Quitting von innerer Kündigung?

Es geht darum, das Arbeitspensum zu leisten, für das man bezahlt wird. Sie tun das, was in ihrer Stellenbeschreibung steht und halten die vereinbarte Arbeitszeit ein. Die Arbeitgeber bekommen das, was sie bestellt haben und zum vereinbarten Preis. Anders als bei der inneren Kündigung geht es nicht darum, dem Arbeitgeber zu schaden. Die machen eher blau, denen sind die Kunden egal und schreiben eine schlechte Bewertung bei Kununu oder anderen Arbeitgeberbewertungsportalen.

Mir sagte diese Tage eine Mitarbeiterin an der Hotline einer Bank um 18.05 Uhr, als sie selbst die Frage so schnell nicht beantworten konnte: „Ich mache grade schon Überstunden für Sie, mein Dienst ist um 18 Uhr zu Ende.“ Das sind Menschen, die für die Extra-Meile weder Wertschätzung, noch erhöhten Kündigungsschutz oder Rückkehrgarantien bekämen. Also warum sollten Sie?

Arbeit macht Spaß, man verbringt einen Großteil seiner täglichen Zeit damit, man erfährt Bestätigung, sie strukturiert den Tag, man hat einen sozialen Umgang mit den Kollegen, die vielleicht Freunde sind, man hat das Gefühl, gebraucht zu werden, im besten Fall hat man Erfolgserlebnisse – vielleicht auch durch dankbare Kunden. Mit Glück arbeitet man in einem Unternehmen, das keine Wertschätzungswüste ist und bekommt Anerkennung und Dankbarkeit.

Dumm nur, dass die Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren gelernt haben, dass die Solidarität nur in eine Richtung geht. Dass sie selbst keine bekommen, sobald die Firmen Restrukturierungen und Entlassungen ausrufen oder sie outsourcen. Schon in der Kurzarbeit haben sich viele Beschäftigte als abgeworfener Ballast gefühlt, sie wurden unzufrieden und bekamen Abwanderungsgelüste.

 

Marco Nink (Foto: Privat)


Sind deutsche Arbeitgeber nicht ohnehin viel zu verwöhnt? Sie profitieren jedes Jahr von unbezahlten Überstunden in Milliardenhöhe – ein Geschenk der Menschen an die Brötchengeber, finden sie selbstverständlich. Von Arbeitsrechtslern hört man hinter vorgehaltener Hand, dass Mandanten die unbezahlten Überstunden sogar vorher einkalkulieren. Wie kommt es, dass Unternehmen von einem Dienstleistenden Dreingaben erwarten, aber nicht von ihrem Papierlieferanten? Beim Autokauf gibt’s auch kein Schiebedach vom Hersteller als Goodie obendrauf.

Die deutschen Arbeitnehmenden haben einen hohen Arbeitsethos, sie sind pflichtbewusst, haben Qualitätsstreben und Verlässlichkeit, das ist unsere Mentalität. Das macht die Unternehmen stark und wettbewerbsfähig. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass sich Beschäftigte so reinknien.

Darum wehren sich so viele Arbeitgeber gegen Zeiterfassung. Und behaupten mit schöner Regelmäßigkeit vor Gericht, die Überstunden habe der Chef nicht angeordnet – aber dass sie den Mitarbeitern von vorn herein zu viel Arbeit aufgeben und die daraus resultierende Arbeitsverdichtung mit zu den Burnout-Ursachen gehört, das übersehen sie geflissentlich.  

Viele Arbeitnehmer sind Macher, packen an, bedienen Kunden auch noch nach offiziellem Dienstschluss oder in der Pause und beantragen nicht erst Überstunden. In der Hoffnung, dass es ihnen irgendwie ausgeglichen wird. Das System sorgt dafür, dass diejenigen für ihren Einsatz leer ausgehen, wenn es hinterher heißt: Die Überstunden waren ja gar nicht beantragt und genehmigt. Dann braucht die Folgereaktion Dienst nach Vorschrift auch nicht mehr verwundern. Passiert das jemandem mehrmals, geht er in die innere Kündigung und rächt sich.

Die Unternehmen lebten immer mit dem Gefühl, die Ressource Arbeitnehmer sei unendlich und sie bräuchten deshalb keine besonderen Rücksichten nehmen. Wenn mein Auto qualmt, fahre ich rechts ran und will verhindern, dass der Wagen kaputt geht. Überbelastete Mitarbeiter lassen viele Vorgesetzte weiter laufen – bis es zu spät ist und sie einen Burnout oder einen Herzinfarkt bekommen.

 

(Foto: C.Tödtmann)

 

Ausgerechnet jetzt bieten Anwaltskanzleien Personalchefs und Arbeitgebern vermehrt Webinare an, wie sie Minderleister loswerden – in Zeiten des Arbeitnehmermangels.  Wie passt solcher Druck, den die Juristen den Personalern beibringen, zu dem Mangel? Die Verkäuferin, die wenigstens ihre Pflicht erfüllt, sollte doch in Zeiten von Facharbeitermangel ihr Unternehmen froh machen – solange sie keine finden, der nicht mal das für den Lohn tun will?

 

 

 

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