Viele Mittelständler gucken gebannt nach Luxemburg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Denn von dort droht ihnen eine massive Ausweitung der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten mittelgroßer Unternehmen. Doch nun gibt der Generalanwalt beim EuGH Entwarnung. Ob der Spuk vorbei ist, erläutert Arbeitsrechts-Partner Boris Dzida von Freshfields im Gastbeitrag.

Boris Dzida, Arbeitsrechtler und Partner bei Freshfields
Viele Mittelständler haben die Notfallpläne schon fertig in der Schublade, manche haben sogar schon gehandelt. Vorsichtshalber. Denn viele Unternehmen, die heute mitbestimmungsfrei sind oder nur der – harmlosen- Drittelmitbestimmung unterliegen, könnten sonst bald paritätisch mitbestimmt sein. Was sie befürchten: Schwerfällige große Aufsichtsräte mit mindestens zwölf Mitgliedern, von denen die Hälfte Arbeitnehmer beziehungsweise externe Gewerkschaftsfunktionäre sind. Ein Albtraum für viele mittelständische Unternehmer.
Generalanwalt beim EuGH: Kein Wahlrecht für Arbeitnehmer in ausländischen Konzernunternehmen
Doch nun können die Unternehmen vorsichtig aufatmen. Im Fall Erzberger gegen TUI AG, der die Ursache der Aufregung ist, gab der Generalanwalt beim EuGH am 4. Mai 2017 sein Votum ab. Danach steht es im Einklang mit dem Europarecht, dass Arbeitnehmer in ausländischen Konzernunternehmen bei deutschen Aufsichtsratswahlen kein Wahlrecht haben.
Der Grund: Das deutsche Mitbestimmungsrecht diskriminiert nicht nach Staatsangehörigkeit. Denn auch ausländische Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, dürfen bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat mitwählen. Dass Arbeitnehmer etwa in französischen oder italienischen Tochterunternehmen nicht mitwählen dürfen, ist dagegen europarechtlich erlaubt. Die Mitbestimmung sei ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Arbeits- und Sozialordnung, sagt der Generalanwalt. Das Europarecht erfordere es nicht, dies auf die ganze EU auszudehnen.
EuGH folgt normalerweise dem Generalanwalt – doch sicher ist es nicht, dass die Mittelständler nicht in andere Rechtsformen flüchten brauchen
Zwar steht die Entscheidung des EuGH noch aus und sie wird erst für den Spätsommer erwartet. Jedoch folgt der EuGH in den allermeisten Fällen den Schlussanträgen des Generalanwalts. Es ist also recht wahrscheinlich, dass alles beim Alten bleibt und es nicht zu einer Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung kommt. Allerdings ist es für eine vollständige Entwarnung noch zu früh. Immerhin hatte die EU-Kommission die deutsche Mitbestimmung noch Ende letzten Jahres für europarechtswidrig gehalten und erst im Januar 2017 eine Kehrtwende vollzogen.
Beobachter vermuteten damals massiven politischen Druck aus Berlin. Ganz so eindeutig ist die Rechtslage also offenbar nicht. Damit ist es auch nicht völlig ausgeschlossen, dass es doch noch zu einer Überraschung kommt, wenn der EuGH in einigen Monaten seine Entscheidung verkündet.
Gewerkschaften dürften froh sein, wenn viele deutsche Arbeitnehmer im Aufsichtsrat bleiben
Sollte die Revolution ausbleiben, dürften auch die Gewerkschaften zufrieden sein. Zwar liegt es auf den ersten Blick im Gewerkschaftsinteresse, wenn möglichst viele Unternehmen paritätisch mitbestimmt sind. Wenn Arbeitnehmer in ausländischen Konzernunternehmen aber mitwählen dürften, dann dürften sie wohl auch als Aufsichtsratsmitglied kandidieren. Das mögliche Ergebnis: weniger deutsche Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Sicherlich nicht im Interesse der Gewerkschaften.
Vor allem aber: Es ist gut möglich, dass der Gesetzgeber einschreiten würde, wenn das Europarecht zahllosen deutschen Mittelständlern die paritätische Mitbestimmung aufzwingen würde. Und eine Einschränkung der Mitbestimmung wäre das Letzte, was die Gewerkschaften wollen.
Sind mittelständische Unternehmen nochmal glimpflich davongekommen? Wahrscheinlich ja – aber erst im Spätsommer wird feststehen, ob der Spuk für Arbeitgeber und Gewerkschaften wirklich vorbei ist.
Dr. Boris Dzida
Rechtsanwalt
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP