Wenn deutsche Arbeitnehmervertreter den Aufsichtsrat räumen müssen für ihre EU-Kollegen. Gastbeitrag von Caspar Behme

Caspar Behme von der Kanzlei Brandhoff Obermüller Partner zieht zu Felde gegen die TUI und ihren Aufsichtsrat vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) für seinen Mandaten, den Start-up-Unternehmer Konrad Erzberger. Das Ziel: Deutsche Arbeitnehmer im Aufsichtsrat müssen – anteilig – ihre Plätze räumen zugunsten ihrer Kollegen aus anderen EU-Ländern. Gastbeitrag von Caspar Behme.

Caspar Behme, Anwalt bei Brandhoff Obermüller Partner

Auf der Arbeitnehmerbank des TUI-Aufsichtsrats sitzen zehn Arbeitnehmervertreter. Alle sind aus Deutschland. Gewählt wurden sie von den deutschen Arbeitnehmern der TUI, einer Aktiengesellschaft. Doch eigentlich dürften im Aufsichtsrat der TUI nur zwei deutsche Arbeitnehmervertreter sitzen. Ebenso viele Aufsichtsratsposten müssten Arbeitnehmer aus Großbritannien und Spanien erhalten, die vier übrigen Arbeitnehmer-Sitze müssten von Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten besetzt werden.

Denn die TUI beschäftigt in Europa rund 50.000 Arbeitnehmer, davon jeweils rund 10.000 Arbeitnehmer in Deutschland, Großbritannien und Spanien sowie 20.000 Arbeitnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten.

Es müsste also nur fair sein, wenn die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat der TUI diese Verteilung der Arbeitsplätze in Europa widerspiegeln würde.

 

Das deutsche Mitbestimmungsrecht sorgt dagegen für eine andere Konstellation: Nur Arbeitnehmer der Konzernmutter in Deutschland können derzeit in den Aufsichtsrat gewählt werden. Nur: Dadurch gerät die Machtbalance im Aufsichtsrat in eine Schieflage.

 

Denn: Bei Aufsichtsratssitzungen, in denen es zum Beispiel um das Schicksal der Niederlassungen in Spanien geht, dürfen die spanischen Arbeitnehmer bislang nicht mit dabei sein und mitreden, ihre Sachkenntnisse anbringen. Stattdessen werden sie fremdbestimmt von ihren deutschen Kollegen. Ihr Sachverstand bleibt bei der Arbeit des Aufsichtsrats außen vor – und zwar auch dann, wenn dort Fragen diskutiert werden, zu denen sie eigentlich am meisten beizutragen hätten.

 

Konrad Erzberger

Konrad Erzberger, ein Aktionär der TUI, Start Up-Entrepreneur und Manager der  Berliner FinTech-Bank Solaris, will diese Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer kippen: Denn die Interessen von Arbeitgebern und ausländischen Arbeitnehmern dürften oft dieselben sein, so seine Argumentation. Etwa wenn der Aufsichtsrat diskutiert, ob neue Arbeitsplätze eher im Inland oder eher im Ausland geschaffen werden sollen. Von Standortverlagerungen ganz zu schweigen. Erzberger hat deshalb geklagt, damit die Gerichte darüber entscheiden.

 

Heute müssen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat 90 Prozent ihrer Vergütung an die Hans-Böckler-Stiftung weitergeben. Das sind in der Summe über 40 Millionen Euro pro Jahr. Diese Summe würde dahin schmelzen, wenn die Mitbestimmung europäisiert würde: Ausländische Arbeitnehmervertreter würden ihre Vergütung wohl kaum abgeben wollen.

Wenn der Europäische Gerichtshof Ende des Jahres entscheidet und dem Kläger Erzberger recht gibt, muss zuerst das Kammergericht, das für die TUI zuständig ist, dieses Urteil umsetzen. Die Folge: Alle Arbeitnehmervertreter im TUI-Aufsichtsrat müssten ihren Hut nehmen und das Gremium verlassen.

Der deutsche Gesetzgeber würde zügig einen Gesetzesentwurf vorlegen, in dem die Mitbestimmung neu geordnet wird – und das dann unter Einbeziehung der ausländischen Arbeitnehmer. So wie es etwa auch in Dänemark oder Norwegen der Fall ist. Die Machtverhältnisse im Aufsichtsrat würden dann an die unternehmerische Realität angepasst.

Es könnte aber auch anders kommen: Der EuGH könnte sich auf die Seite der TUI und der deutschen Gewerkschaften schlagen. Die Benachteiligung der ausländischen Arbeitnehmer bliebe dann bestehen.

 

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Alle Kommentare [2]

  1. Der Beitrag unterschlägt, dass hier anders geredet wird als eigentlich gewollt wird. Es geht dem Initiator des Rechtsverfahrens, zunächst vor einem deutschen Gericht vorgetragen, und seinen Rechtsberatern dahinter gar nicht um eine Europäisierung der deutschen Mitbestimmung. Es geht ihnen um ihre Abschaffung. Im ursprünglichen Schriftsatz heißt es eindeutig, dass es Erzberger um die Entfernung der Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat geht. Dieser Widerspruch fiel in der Anhörung zum Verfahren am 24.01.2017 beim EuGH auf, der Prozessvertreter des Großherzogtums Luxemburg hat das explizit angesprochen.

    Der Initiator steht damit klar im Widerspruch zur EU-Kommission. Die hat nämlich bei der EuGH Anhörung klargestellt, dass sie Arbeitnehmermitbestimmung als ein wichtiges politisches Ziel ausdrücklich anerkennt, weil es zum politischen Zielkanon der Europäischen Union gehört. Daraus leitet die EU-Kommission das Recht der EU-Mitgliedsstaaten ab, Mitbestimmungsrechte so zu verteidigen, wie sie im nationalen Kontext vorgesehen sind. Die Europäische Politik hat offenbar erkannt, dass hier nationale Gegner der Mitbestimmung in Deutschland ihr allein auf nationaler Ebene ergründbares Ziel über den Missbrauch europäischen Rechts juristisch durchzusetzen versuchen.

    Der Mitbestimmung in Deutschland liegt die normative Vorstellung zu Grunde, dass der Vorstand eines Unternehmens vom Aufsichtsrat auch mit gesellschaftspolitischer Perspektive kontrolliert wird. Das hat viel mit den Demokratie- und Transparenzwerten in der Sozialen Marktwirtschaft zu tun. Die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat großer Unternehmen ist dafür bewusst eigenständig aufgestellt. Gerade dadurch wird die Legitimität der Arbeitnehmervertreter sichergestellt. Dieser gesetzlich verankerte Grundsatz schlägt sich in den Wahlordnungen nieder. Und die kann der deutsche Gesetzgeber nicht einfach auf das Ausland ausdehnen – wie auch umgekehrt vermeintlich europäischere Regelungen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht einfach ins deutsche Recht eingepflanzt werden können. Dazu fehlt dem nationalen Gesetzgeber allein schon die formale Zuständigkeit, seine Rechtsordnung substanziell über die Grenzen des eigenen Territoriums hinaus zu verlängern.

    Die Gewerkschaften in Europa, die wie der DGB im ETUC zusammen geschlossen sind, fordern im Übrigen trotz sehr untershiedlicher Interessenvertretersysteme zuhause einhellig europäische Mindestandards, nicht nur für Unterrichtung und Anhörung, sonden auch für die Obligatorische Stimme der Arbeitnehmer in den Aufsichts- oder Verwaltungsräten von Unternehmen. Bislang blieb die Forderung von der Politik sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene unbeantwortet.

    Wer hier also, wie Erzberger, Behme und Co, ausschliesslich nationale Interessen verfolgt oder unterstützt, aber „europäisch“ daher kommt, und wer hier wie die Gewerkschaften europäisch handeln und vorausdenken will, diese Bewertung sei Ihren Lesern gerne selbst überlasen.

  2. Lieber Herr Kluge,

    der „Widerspruch“, auf den Sie hinweisen, besteht nur auf dem Papier. In einem aktienrechtlichen Statusverfahren kann Herr Erzberger nicht die Europäisierung der derzeitigen Mitbestimmungsregeln verlangen, sondern – für den Fall, dass sie europarechtswidrig sind – lediglich ihre vorübergehende Nicht-Anwendung. Niemand geht ernsthaft davon aus, dass die Aufsichtsräte großer Kapitalgesellschaften dauerhaft mitbestimmungsfrei bleiben werden — realistisch ist eher, dass der Gesetzgeber die Mitbestimmung reformieren und europafest machen wird. Glauben Sie wirklich, dass das nicht geht? Dass die funktionierende Praxis in Dänemark, Norwegen und teilweise Frankreich dem Territorialitätsprinzip widerspricht, also Souveränitätsrechte anderer Staaten verletzt? Ich denke nicht.

    Vielleicht wäre es hilfreich, dem Antragsteller nicht von vornherein unlautere Absichten zu unterstellen, sondern einmal darüber nachzudenken, ob eine europäisierte Mitbestimmung nicht vielmehr im Sinne des Gesamtunternehmens und damit auch der Arbeitnehmer wäre. Immerhin hat der DGB noch vor nicht allzu langer Zeit selbst die Forderung nach einer Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmer erhoben. Ist er damals nicht zu demselben Ergebnis gelangt wie Herr Erzberger: nämlich dass es die Legitimation der Mitbestimmung verbreitern und die Arbeit des Aufsichtsrats verbessern könnte? Oder war diese Forderung nicht ernst gemeint?

    Zum Schluss: Die Idee einer Harmonisierung der Mitbestimmung fände ich persönlich durchaus charmant. Versucht wurde das in der Vergangenheit, aber die Strukturrichtlinie ist, wie Sie wissen, gescheitert. Harmonisierung erfordert die Bereitschaft zum Kompromiss. Dabei wird man nicht erwarten können, dass das deutsche Modell der Parität in Gestalt einer Richtlinie in andere Rechtsordnungen exportiert wird. Wie sollte eine Harmonisierung also aussehen?

    Viele Grüße
    Caspar Behme