Wenn Sie Ärzte und Pfleger nicht verstehen – und die Sie auch nicht. Medizinrechtler Lutz Böttger über Verständigungsprobleme in Kliniken

Die Zahl ausländischer Ärzte in Deutschland hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdoppelt. Ende 2023 war sie so hoch wie noch nie und stieg auf ein Rekordniveau von fast 64.000 (insgesamt 420.000 Ärzte), berichten die Funke-Medien und bezogen sich auf die Bundesärztekammer. Die meisten Mediziner ohne deutschen Pass kämen aus EU-Ländern und dem Nahen Osten. Auch der Hauptgeschäftsführer der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Jürgen Hoffart, warnte im „Deutschlandfunk“ vor Problemen durch unzureichende Deutschkenntnisse. Es käme manchmal zu lebensgefährlichen Missverständnissen: Etwa wenn die Begriffe Brust- und Bauchschmerz verwechselt würden und daraufhin der Bauch untersucht werde – aber ein Herzinfarkt übersehen.

 

Fünf Fragen an Medizinrechtler Lutz Böttger zu Verständigungsproblemen zwischen Ärzten, Pflegern und Patienten 

 

Lutz Böttger (Foto: Privat)

 

Herr Böttger, jedes Jahr geschehen 34.000 Behandlungsfehler wegen mangelnder Deutschkenntnisse von Ärzten laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz.  Erleben Sie solche Problem auch von bei Ihren Mandanten? Erlitten die Schäden wegen Verständigungsproblemen mit ihren behandelnden Ärzten?

Böttger: Durchaus. Nach einer Schulteroperation konnte eine Patientin aus Niedersachsen ihren Arm nicht mehr benutzen und kaum bewegen. Mediziner nennen das eine schwere Instabilität der Schulter. An Sport ist nicht mehr zu denken, selbst die alltäglichen Tätigkeiten wie das Einräumen der Geschirrspülmasche oder auch nur das Haarewaschen – all so etwas ist ihr unmöglich geworden. Nicht mal ihr Auto konnte sie noch fahren, das Schalten war ihr unmöglich.

Vor ihrer Operation hatte sie zwar Arthrose in der Schulter. Mit den Schmerzen hätte sie im Prinzip leben können, doch die Operation sollte ihr Erleichterung verschaffen, sie von den Schmerzen befreien. Doch dieser Erfolg blieb aus, die Schmerzen waren nach der Operation stärker als je zuvor.

 

.. und inwiefern spielten Verständigungsprobleme eine Rolle?

Der Arzt, der die Patientin aufklärte, war nicht ihr Operateur. Die Aufgabe, die Patientin aufzuklären, war an ihn delegiert worden. Doch alles, was er ihr mitteilte, war, dass bei Operationen ein Infektionsrisiko bestehe. Vor allem hatte er – er konnte tatsächlich kaum Deutsch sprechen, ihm fehlte das nötige Vokabular  –  ihr nicht erklärt, dass es eine alternative Operationsmethode gab, nämlich einen minimalinvasiven Eingriff. Bei dieser Operationsmethode hätte die Gelenkkapsel gar nicht geöffnet werden müssen und genau dieses Öffnen der Gelenkkapsel führte bei der Patientin zur Instabilität des Gelenks. Die modernere, heute gängige und schonendere Methode wäre ein minimalinvasiver Eingriff gewesen. Darauf hätte der Arzt sie hinweisen müssen.

 

… mit welchen Folgen?

Insofern lag kein Behandlungsfehler, sondern ein Aufklärungsfehler vor. Hätte der Arzt ihr diese Alternative erläutert, hätte sich die Patientin für diese Methoden entschieden und sie hätte keine Schwerbehinderung davon getragen.

Die Patientin muss ständig Krankengymnastik machen. Ihren früheren Beruf kann sie ohne ihre rechte Hand bis heute nicht mehr ausüben, sie kann keine Akten mehr tragen. Ihr Arbeitgeber versetzte sie auf eine schlechter bezahlte Stelle und sie verdient mindestens 3.000 Euro im Jahr weniger.

 

Dass der Mediziner kein Deutsch sprechen konnte, stellte sich erst spät heraus?

Ja, beim Verhandlungstermin im Gericht wurde allen klar, dass dieser Arzt aus dem arabischen Raum zwar Deutsch verstand, aber selbst kaum einen Satz verständlich sprechen konnte. Der Richter befragte den Mediziner und der versuchte, auszudrücken, was er der Frau gesagt hatte. Es stellte sich heraus, unstreitig, dass er über die gängige Alternativmethode nicht gesprochen hatte und das auch nicht konnte. Er drückte nur so etwas aus wie aus, `sie wissen ja, was gemacht werden soll und unterschreiben sie jetzt bitte`. Er konnte ihr nicht einmal das Formular vorlesen, dass sie unterschreiben musste.

 

Ist es normal, dass andere als der Operateur Patienten über die Operation aufklären?

Das ist eine übliche Arbeitsteilung. Der Chefarzt stellt die Diagnose, das Aufklärungsgespräch delegiert er an einen anderen Arzt. Mir war es ein Rätsel, wie dieser an die deutsche Approbation kam. Aber es ist eins von etlichen Beispielen, bei denen Ärzte auf Patienten losgelassen werden, die keinen ganzen Satz auf deutsch sprechen können.

 

Was war die Folge, juristisch gesehen?

Diese Aufklärung war unwirksam und der Eingriff, die Operation, rechtswidrig. Die Patientin erhielt von der Versicherung der Klinik letzten Endes 30.000 Euro Schmerzensgeld, der ganze Schaden betrug über 80.000 Euro. Dort hinein rechnet als erstes der sogenannte Haushaltsführungsschaden, Fahrtkosten zu Kliniken undsoweiter, Verdienstausfall, Zuzahlungen zu Behandlungen und Heilmitteln, Hinzu kommt dann aber noch der Zukunftsschaden, dessen Umfang in dem Moment noch ungewiss ist. Das sind zum Beispiel alle möglichen Schäden, die sich erst Jahre später zeigen oder Rentenschäden.

 

Außer bei Aufklärungsgesprächen dürfte es aber auch sonst im Klinik- oder Praxisalltag bei Sprachdefiziten zu Problemen kommen?

Ein ganz großes Problem ist, wenn Patienten äußern, dass sie Schmerzen oder Beschwerden haben und Ärzte oder Pfleger das nicht verstehen und auch nicht reagieren. Gerade die Pfleger sind eine wichtige Schnittstelle, wenn sie solche Äußerungen nicht den Ärzten weitergeben. Dann bleiben auch Notfälle unbemerkt. Oder wenn Pfleger durch Sprachprobleme Fehler machen bei Dosierungen von Medikamenten. Oder wenn sie die Anweisungen für Untersuchungen missverstehen. Dann kann ein CT statt einem MRT aus einem Patienten mit Nierenschaden dauerhaft einen Dialysepatienten machen. Oder dass Ärzte, weil die der Sprache nicht wirklich mächtig sind, Patientenakten nicht lesen und dann falsche, kontraindizierte Maßnahmen anordnen

 

Dann kann eine Situation allein wegen Sprachproblemen sehr kritisch werden?

Wenn in der Notaufnahme einer Klinik, wo typischerweise die jungen, unerfahrenen Ärzte die Dienste übernehmen müssen, Sprachproblem hinzukommen, jedenfalls. Wer den Patienten, der über Sehstörungen und Schwindel klagt, nicht versteht und deshalb die Alarmsignale nicht mitbekommt und einen Schlaganfall verkennt, verliert wertvolle Zeit. Dann trägt ein Patient womöglich einen schwerwiegenden Hirnschaden davon – was nicht hätte sein müssen.

 

Umgekehrt gefragt: Was sollten Ärzte tun, zu denen Patienten aus Ländern wie China kommen, die kein Englisch können und deren Anliegen sie nicht verstehen? Oder von denen er weiß, dass sie seine Anweisungen im Vorfeld einer Untersuchung gar nicht verstehen und befolgen können?

Also wenn es zum Beispiel um eine Magenspiegelung geht oder andere Untersuchungen, die ein paar Tage Zeit haben, sollte er einen Dolmetscher hinzuziehen. Dazu ist auch eine Klinik bei Aufklärungsgesprächen verpflichtet, es ist ihr Verantwortungsbereich.

Die sind zudem kein Notfall, in dem es schnell gehen  muss. Im Notfall – aber auch sonst – kann zum Beispiel auch eine Reinigungskraft des Krankenhauses, die der Sprache der Patienten mächtig ist, spontan helfen und übersetzen. Hauptsache der Arzt bekommt die notwendige Information und versteht sie auch.

 

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