Was ist mit morgen? Wenn heute die jungen Ärzte verschlissen und vertrieben werden? Ein Gastbeitrag

Zwei ehemalige Chefärzte trauen sich, Tacheles zu reden

Drastisch schlechtere Arbeitsbedingungen der Ärzte in Kliniken plus mieser Zukunftsperspektiven machen zwei Insidern große Sorgen: Wenn die jungen Ärzte ihrem Job  aus Frust, Erschöpfung und Perspektivlosigkeit frustriert den Rücken kehren und in eine Unternehmensberatung, Pharmaindustrie oder ins Ausland flüchten, müssen es am Ende die Patienten hierzulande ausbaden.

Die beiden Ex-Chefärzte – der Psychiater Hermann Pelzer und Unfallchirurg Peter-Michael Hax aus Duisburg – trauen sich, es anzuprangern: Wie soll es bloß weiter  gehen mit dem ärztlichen Nachwuchs? Was passiert mit den Patienten, wenn die Ärzte stiften gehen, weil sie selbst nicht mehr können?

Als frühere Chefärzte sind die beiden Rheinländer im Ruhestand, aber immer noch  im Einsatz als Ärzte mit Teilzeitjobs – aus Leidenschaft und Berufung. Sie können jetzt den Finger in die Wunde legen, müssen selbst keine Hierarchie mehr fürchten. Beide sind gut vernetzt, sie wissen, wovon sie reden. Sie haben Kinder, Nichten und Neffen, die Mediziner und gerade in der Facharztausbildung in Kliniken sind – noch. Ein Gastbeitrag.

 

Herrmann Pelzer (l.) und Peter-Michael Hax (Foto: Privat)

 

Stunden schrubben ohne Ende…

In unseren ersten Berufsjahren wurde uns nichts geschenkt. Wir absolvierten eine harte, anstrengende Facharztausbildung im Krankenhaus. Es gab kein Arbeitszeitgesetz wie heute. Zehn Bereitschaftsdienste im Monat ohne Freizeitausgleich am nächsten Arbeitstag waren die Regel. Obendrein mindestens ein kompletter Wochenenddienst im Monat von Samstagmorgen bis Montagnachmittag – in einem durch.

 

… aber damals wenigstens nicht ohne Lohn

Das hat sich geändert heute, immerhin etwas. Gesetze und Tarifverträge ließen diese Dauereinsätze damals zu, aber diese zusätzliche Arbeit wurde wenigstens entlohnt. Unbezahlte Überstunden fielen zwar auch noch reichlich an, aber es gab dafür andere finanzielle Anreize: denn wir wurden damals beteiligt an der Privatliquidation der Chefärzte und verdienten Geld mit dem Schreiben von Gutachten. Es war zeitweise sehr hart, aber am Ende hat es die Leidenschaft für den Beruf eher noch gefördert. Doch vor allem; uns winkten bessere Zeiten. Eine gut dotierte Oberarztstelle mit familienfreundlicheren Rufbereitschaften statt den Anwesenheitsdiensten und die Perspektive einer Chefarztposition oder eine Niederlassung in eigener Facharztpraxis.

 

Unbezahlte Überstunden und nicht erfasste Arbeitszeit

Heute haben junge Krankenhausärzte zwar weniger Bereitschaftsdienste. Sie gehen – zumindest auf dem Papier – direkt nach einem Nachtdienst erst mal nach Hause. Doch Mehrarbeit wird ihnen tatsächlich weder bezahlt noch in Freizeit abgegolten – nur auf dem Papier. Will heißen: Die Realität geht anders. Nach einem Nachtdienst wird oft noch mehrere Stunden lang weiter gearbeitet. Nach einem normalen Arbeitstag sind  nicht aufgeschriebene, unbezahlte Überstunden die Regel. Die vorgeschriebene elektronische Arbeitszeiterfassung setzen viele Krankenhäusern noch immer nicht um.

Und wo es sie gibt, da wird sie oft ausgetrickst und täuscht eine regelgerechte Dokumentation nur vor.

 

Arbeitsverdichtung und Fluchtgedanken

Hinzu kommt die Arbeitsverdichtung, die Schlagzahl ist deutlich gestiegen: Die Betten sind heute durchgängig belegt, nur viel kürzer. Drei bis vier Tage bleibt ein Patient heute, früher waren es acht bis zehn Tage. Umso mehr Dokumentation ist fällig, viel mehr Aufnahmen und Entlassungen.

Obendrein machen sie immer mehr ambulante Behandlungen, die hohen Arbeitsaufwand in kurzer Zeit bedeuten. Dazu kommen in die Notfallambulanzen den Kliniken heute immer mehr Patienten, die gar keine echten Notfälle sind, vor allem Kinder. Die gingen früher zu niedergelassenen Arztpraxen.

Für die Ärzte bedeutet es Arbeiten wie im Hamsterrad, ohne Verschnaufpausen – wie eine Maschine. Ewig macht auch deren Gesundheit solchen übermäßigen Stress nicht mit. Kein Wunder, wenn viele von ihnen allein deshalb ans Aufgeben denken und über Job-Alternativen nachdenken

 

Profit statt Patientenwohl heißt die Dienstanweisung

Verschärft wird die Situation dadurch, dass das Diktat der Wirtschaftlichkeit regiert. In den Augen der Klinikbetreiber zählt nur noch, dass in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Erlöse erwirtschaftet werden. Die Ärzte sollen den Profit an erster Stelle setzen – oft statt dem Wohl des Patienten.

 

(Foto: C.Tödtman)

 

Und kein Licht am Ende des Tunnels: Oberarzt- oder Chefarztposten sind unattraktiver geworden, die Bezahlung gedeckelt, Extra-Honorare für Privatpatienten sind abgeschafft. Unbeförderter Assistenzarzt bis zur Rente – früher extrem selten – ist heute nichts ungewöhnliches.

Eine eigen Praxis zu eröffnen, ist keine Alternative mehr: Immer höhere bürokratische Hürden, unkalkulierbare wirtschaftliche Risiken, ausufernde kaufmännische Aufgaben statt Arbeit für und am Patienten und – vor allem gemessen an der langen Ausbildungszeit – geringer Lohn schrecken ab. Jedenfalls den, der eine ehrliche Haut ist und seine Patienten nicht für Unnützes ausnehmen will

 

Was tun die Arbeitsschutzbehörden? Tatenlos zusehen – und nur so tun als ob

Karl Josef Laumann, der Gesundheitsminister aus NRW, der so bodenständig daherkommt, nimmt für sich in Anspruch, dass er sich stark macht für den Schutz der  Angestellten der Krankenhäuser: Dass die Arbeitszeitvorschriften eingehalten werden.  Danach müssen die verantwortlichen Landesbehörden beim Überwachen des Arbeitsschutzes sicherstellen, dass im Laufe jedes Jahr eine Mindestzahl von Kliniken besichtigt wird.

Doch wer bei Laumann nachfragt und es genau wissen will, wie und ob denn nun die Arbeitsschutzbehörden die Kliniken überprüfen und Missstände beheben, erlebt sein blaues Wunder. Immerhin gilt es rasch zu handeln, ehe die teuer ausgebildeten und bitter gebrauchten Ärzte aufgeben, ihren Job quittieren – und Patienten in die Röhre gucken müssen.

 

Kontrollen? Erst in drei Jahren und dann nur ein kleines bisschen

Nicht so Laumanns Behörde, die hat viel Zeit und braucht ihren Job sowieso nicht ernst nehmen: Ihre Vorgabe ist, nur fünf Prozent aller Krankenhäuser – das sind 20 von 340 Klinken in NRW – überhaupt zu überprüfen. Damit nicht genug: Die Pflicht haben sie erst in knapp drei Jahren, nämlich ab 2026.

Wer das jetzt für einen schlechten Witz hält, bekommt noch mehr zu lachen: Weder ist transparent

  • nach welchen Kriterien die zu prüfenden Kliniken ausgewählt werden noch
  • ob die Kontrollen ohne Voranmeldung und überraschend stattfinden müssen (oder ob genug Zeit bleibt, fehlende Dokumentation aufzuholen oder Unterlagen passend zu machen. Frei nach dem Motto: Nachtigall, ick hör Dir trapsen? Scheint so.

Auf Anfrage antwortete die Bezirksregierung Düsseldorf vor wenigen Wochen mit: In ihrem Aufsichtsbezirk seien Dezember 2022 bis Mai 2023 zehn Kontrollen der ärztlichen Arbeitszeiten durchgeführt worden.

Ob angemeldet oder nicht? Unklar.

Gab es bei Verstößen Sanktionen? Unklar.

Wir meinen, häufigere und unangemeldete Kontrollen der ärztlichen Arbeitszeiten in Krankenhäusern sind sofort dringend nötig.

Neue Gesetze braucht es nicht, die schon lange bestehenden endlich umzusetzen, reicht völlig.

Krankenhausträgern müssten bei Verstößen empfindliche Geldbußen drohen, damit sie in ihren Häusern auf strikte Einhaltung der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen achten.

Ärzten wäre mit mehr beruflicher Zufriedenheit und Lebensqualität mehr gedient als mit höheren Vergütungen, die ihre Situation nur scheinbar verbessern. Mehr Lohn kompensiert nicht die immer höhere Arbeitsverdichtung und den immer stärkeren Zwang von Klinikleitungen und Investoren, mehr Geld reinzuholen.

 

Die Einfachlösung so mancher Politiker, Ärzte aus dem Ausland abzuwerben, ist unmoralisch. Denn die werden in ihrer Heimat genauso gebraucht. Abgesehen davon, dass Patienten darunter leiden, wenn sie – wie oft – Verständigungsprobleme mit ihren Ärzten haben – so oder so.

 

Das Fazit: Es geht um eine ganze Ärztegeneration und die qualifizierte medizinische Versorgung der Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten. Ärztemangel macht sich längst bemerkbar, und er wird weiter zunehmen.

 

 

 

 

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