Arbeitszeiterfassung, ja bitte. Wieso erwarten Unternehmen geschenkte Lebenszeit von Mitarbeitern, aber keine geschenkten Arbeitsstunden von ihren Anwälten oder Unternehmensberatern? Oder geschenkte Extras beim Autokauf?

Wenn dem Arbeitgeber und den Managern die Gesundheit ihrer Leute egal ist und sie ganz selbstverständlich annehmen, für was er eigentlich bezahlen müsste, weil es einen Preis hat: Die Lebenszeit anderer Menschen, um den eigenen Profit oder die eigenen Boni zu steigern. Denn von wem sonst würde man selbstverständlich erwarten, dass er bei einem Deal mehr gibt als vereinbart.

Oder verschenkt ein Autoproduzent seine Waren wie beispielsweise ein Schiebedach obendrauf ? Oder verschenkt eine WP-Gesellschaft ihre Beraterstunden an Unternehmen? Oder eine Wirtschaftskanzlei? Von denen würde es keiner erwarten – warum also von den abhängig Beschäftigten?

 

Viele Arbeitgeber – wohl die, die bisher die meisten geschenkten und unbezahlten Überstunden wie selbstverständlich annehmen – wiegeln erst mal ab: Dann fragen Mitarbeiter in Teamsitzungen ihre Vorgesetzten oder bei Belegschaftsversammlungen die Top-Manager, wie Sie es denn so halten wollen mit dem neuen Bundesarbeitsgerichts-Urteil, das die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten postuliert. Der Gesundheit der Mitarbeiter zuliebe.

 

Die Antwort des Top-Managements geht oft so: Wir wollen erst mal die Urteilsgründe der Richter abwarten. Das kann Monate dauern erfahrungsgemäß. Und dann? Ja dann warten wir danach ab, wie der Gesetzgeber reagiert. Undsoweiterundsoweiter, bis es nicht mehr anders geht.

Im Klartext heißt das aber nur eins: Ihre Gesundheit ist uns egal, wir kümmern uns darum nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bis dahin dürfen Sie uns ruhig weiter ihre Lebenszeit schenken – ohne Gegenleistung und ohne, dass man Dankbarkeit bei der nächsten Entlassungsrunde erwarten darf. 

 

71 Prozent finden die Erfassung ihrer Arbeitszeit wichtig

Die Beschäftigten dagegen sehen die Sache anders, zeigt eine Umfrage des Marktforschers Appinio für das Jobportal Indeed unter 1000 Teilnehmern. 71 Prozent finden die Erfassung ihrer Arbeitszeit wichtig – in der Hoffnung auf gerechtere Bezahlung und einfacheren Abbau der geleisteten Überstunden. Nur elf Prozent fürchten sich davor, weil sie anscheinend bisher weniger Stunden als die vereinbarte Arbeitszeit ableisten.

37 Prozent hoffen auf Bezahlung ihrer Überstunden

Die Umfrage im Detail: 47 Prozent hoffen darauf, durch die Arbeitszeiterfassung besser nachweisen zu können, wie viele Überstunden sie leisten. 23 Prozent glauben, dass sie dann besser ihre Überstunden abbauen zu können. 37 Prozent meinen, sie würden dann für die geschenkten Überstunden Lohn bekommen.

Jeder dritte Befragte sagte, es gebe in seiner Company kein Zeiterfassungssystem.

Die Unternehmen, die die Arbeitszeit erfassen, machen dies auf digitalen Wegen (27 Prozent), mit elektronischen Chip-Karten (17 Prozent) oder mit Stift und auf Papier (20 Prozent).

Lese-Tipp Quiet Quitter: Sie machen keine Geschenke mehr

Das Bundesarbeitsgericht will die Gesundheit aller Arbeitnehmer schützen – nicht nur von denen mit Betriebsrat. Selbst für die Leitenden Angestellten könnten 60-Stunden-Wochen vorbei sein

 

 

 

 

Copyright: @Claudia Tödtmann. Alle Rechte vorbehalten. 

Kontakt für Nutzungsrechte: claudia.toedtmann@wiwo.de

Alle inhaltlichen Rechte des Management-Blogs von Claudia Tödtmann liegen bei der Blog-Inhaberin. Jegliche Nutzung der Inhalte bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung.

Um den Lesefluss nicht zu behindern, wird in Management-Blog-Texten nur die männliche Form genannt, aber immer sind die weibliche und andere Formen gleichermaßen mit gemeint.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Alle Kommentare [3]

  1. Die „geschenkten Lebensstunden“ ist eine absolut grundlegende Erwartung jeder Strategieberatung: In jedem Vertrag steht – „mit dem Grundgehalt sind die Überstunden abgegolten“. Dafür ist natürlich der Grundgehalt recht hoch – die Erwartung ist aber auch, dass man sich voll und ganz mit dem Job identifiziert – das ist die einzige Möglichkeit in dem Beruf erfolgreich zu sein.

  2. In der Theorie komplett verständlich, in der Praxis vielen Berufen nur schwer umsetzbar.

    Ich arbeite in einem Krankenhaus als Pfleger.
    Wenn ich Feierabend hätte allerdings auch gleichzeitig ein Patient gerade kurz vor dem ersticken oder sterben allgemein ist, soll ich dann einfach Schluss machen und ihn sterben lassen?
    Freunde arbeiten im Verkauf, sollen die auch einfach Schluss machen obwohl gerade sehr viel Kunden im Laden sind?

    Ich habe auch eher das genaue Gegenteil erlebt, meine Arbeitgeber bestehen darauf das ich mir jedwene Überstunde aufschreibe und haben auch schon manchmal nachgefragt, wie b ich an diesem Tag nicht länger da war.

    Ich habe Freude an meiner Arbeit, habe ein gutes Team und keine Probleme Überstunden zu machen da diese später bisher immer abgebaut wurden.

    Ich finde den neuen Beschluss deswegen nicht wirklich gut da es für mich wirkt als wenn es bei Arbeit um Arbeit geht.
    Das man Freude an der Arbeit hat und man ein kollegiales miteinander pflegt wird außen vor gelassen.
    Es fehlt für mich einfach die Empathie und das menschliche.

  3. Tja, oute mich offiziell als zu den 11 % gehörend, die sich keine Zeiterfassung wünschen. Ob ich wirklich weniger als die tariflich vereinbarten Arbeitsstunden „ableiste“ kann ich tatsächlich nicht sagen, weil ich nicht zähle. Ich erfülle die mir gestellten Aufgaben und Ziele und aber nachvollziehbar im Umfang zwischen 150-200% im Vergleich zu meinen anderen Teammitgliedern! Müsste man nicht eher fragen, warum sich meine Kollegen und Kolleginnen mit ihren Minderleistungen bzw. Ihrer geringeren Produktivität künftig auch noch Überstundenfrei ersitzen können sollten?
    Und ich muss dann demnächst eine halbtägige Abwesenheit wegen eines Facharztbesuchs „nachsitzen“, auch wenn ich meine Arbeit auch sonst schaffen würde. Ich sehe keinen Sinn, für meine hohe Produktivität bestraft zu werden.
    Es gibt halt alle Varianten….