In die Zange genommen
Vorstände
Der Druck auf Unternehmenslenker steigt. Aufsichtsräte kujonieren die Unternehmenslenker, um selbst keine Haftung zu riskieren.
(Langfassung des Print-Stücks in WiWo 7/2015)
Hartmut Mehdorn wurde kurz vor Weihnachten deutlich. So deutlich, wie Top-Manager sonst nie werden: „Inquisitorisch“ sei der Aufsichtsrat des Flughafens BER. Es regiere „Misstrauenskultur“, warf der 72-jährige Vorstand den Eigentümern des Skandalflughafens in einem zweiseitigen Brief vor. Alles berichtet von der „Bild am Sonntag“. Das Blatt zitierte Mehdorn weiter: „Ihren Hinweis auf einen guten Geist und gute Zusammenarbeit empfinden wir als Zynismus und völlige Unkenntnis des Unternehmens und seiner angespannten Lage”. Im „Tagesspiegel“ legte er nach: “Ein Aufsichtsrat muss Vertrauen in seine Geschäftsführung haben. Entweder er traut seiner Geschäftsleitung oder er sucht sich eine neue. Dazwischen gibt es nichts.“
„Wie ein Schuljunge“
Mehdorns Wunsch nach blindem Vertrauen wird nun nicht mehr erfüllt werden, das Verhältnis zwischen Management und Kontrolleuren – Mehdorn kündigte.
Auch der Ex-CDU-Politiker Roland Koch bekam die Macht der Aufsichtsräte mit voller Wucht zu spüren. Er musste im vergangenen Sommer als Vorstandschef beim Baukonzern Bilfinger zurücktreten, nachdem er „wie ein Schuljunge“ von Aufsichtsrat Udo Stark in die Zange genommen worden war. Der Anlass waren mehrere Gewinnwarnungen kurz nacheinander, die zeigten, dass Koch das Unternehmen offensichtlich nicht in Griff hatte.
Eingriffe ins Tagesgeschäft
Keine Frage, auch wenn die meisten Spitzenmanager wirklich nicht zu bemitleiden sind, der Job an der Spitze von Konzernen wird ungemütlicher. Insbesondere das Verhältnis zwischen Vorständen und Aufsichtsräten verkompliziert sich: Die einen fühlen sich von immer mehr Anfragen nach Zahlen und Fakten, von Eingriffen ins Tagesgeschäft oder juristischer Bevormundung in die Enge getrieben. Die anderen sehen nur, dass sich ihre Aufsichtspflichten verschärft haben – und glauben, entsprechend handeln zu müssen.
Mehr als jeder zweite Vorstand bekommt immer mehr Druck vom Aufsichtsrat
Ergebnis: Bei einer Panel-Befragung exklusiv für die WirtschaftsWoche von der Personalberatung Lab & Company, bei der rund 500 Manager Auskunft gaben, sagte mehr als jeder zweite, dass der Druck durch die Aufsichtsräte gestiegen ist.
Als wenn das nicht genug wäre, verkomplizieren noch weitere Einflüsse die tägliche Unternehmensführung.
Immer schärfere Beobachtung
Headhunter Klaus Aden, Geschäftsführer von Lab & Company skizziert das Dilemma der Vorstände so: „Sie stehen unter immer schärferer Beobachtung von Aufsichtsräten, Anteilseignern und der Öffentlichkeit. Fehler werden gnadenlos aufgedeckt und führen zu Konsequenzen. Gleichzeitig stehen sie unter starkem Performance- und Wettbewerbsdruck, müssen also mutig handeln.“
Komplett überlastete Vorstände
Und so spricht der Ex-Chef eines großen Reise-Unternehmens, der noch immer in Aufsichtsgremien sitzt, vielen Konzernlenkern aus der Seele, wer er sagt: „Die gestiegene Belastung spürt jeder im Job.“ Der höhere Druck rührt für die meisten aber weniger daher, dass sie sich komplett überlastet fühlen. „Mein größtes Problem war zuletzt, dass wir als Chefs möglichst schnell entscheiden sollen, aber schnelle Entscheidungen fast unmöglich sind“, sagt der Manager. Klar scheint: die zum Teil üppig gestiegenen Managergehälter der vergangenen Jahre sind zum Teil auch Leidensgeld für neue Scherereien.
Anwälte-Gutachten zur eigenen Absicherung – sogar unsinnige
Das liegt, wie nicht nur Mehdorn und Koch zeigen, vor allem am geänderten Rollenverständnis der Aufsichtsräte: die regieren immer stärker ins Tagesgeschäft hinein, nicht nur bei Unternehmen in Familienhand. Die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, ist für Aufsichtsräte in deutschen Aktiengesellschaften tabu, aber geschickt fragen, Zahlen-Vorgaben erstellen oder Genehmigungen für alle möglichen Entscheidungen einfordern, dürfen sie.
Oft sichern sich alle Beteiligten durch teure Gutachten von Anwälten, Wirtschaftsprüfern oder anderen Beratern ab. Damit sie im Zweifelsfall denen die Schuld weiterreichen können. “Manchmal werden sogar unsinnige Gutachten bestellt, nur um sich abzusichern. Und dann am besten gleich drei, damit es nicht pari-pari ausgehen kann“, spottet ein MDax-Vorstand, der anonym bleiben will.
Das war in den späten 90-er Jahren noch anders, vergleicht Headhunterin Sabine Hansen von Amrop-Delta Damals erlebte der Manager noch, wie Vorstands-Chefs selbst größere Entscheidungen wie Zukäufe quasi aus dem Bauch heraus fällen konnten, durch den Vorstand brachten und dann relativ einfach die Zustimmung des Aufsichtsrats bekamen.
Die Rückversicherungsmanie
Heute hingegen sei der Prozess extrem aufwendig und komplex geworden. „Da herrscht eine Rückversicherungsmanie, bei dem jeder Beteiligte ungern etwas riskiert und sich lieber dreifach als doppelt absichert,“ sagt der Manager, der ungenannt bleiben will. Bereits bevor eine Entscheidung überhaupt in den Vorstand komme, würden viel mehr Beteiligte aus allen möglichen Fachgebieten eingebunden.
Grund sei weniger der Zwang zur betrieblichen Mitbestimmung, sondern am Ende die gestiegene persönliche Haftung vor allem im Aufsichtsrat, wenn ein Mitglied bestimmte Gesichtspunkte nicht berücksichtigt habe. Das beginne bei noch verständlichen Dingen wie klassischen Corporate-Governance-Fragen, ob bei der Entscheidung irgendwelche persönlichen Vorteile oder gar Bestechungsgelder eine Rolle gespielt haben. „Jeder hält uns die schlanken Prozesse der Mittelständler vor, fordert schnelle und unternehmerische Entscheidungen – aber nur wenn er selbst kein Risiko damit eingeht“, so der Manager.
Chuzpe – und nie ans Hinwerfen denken
Meist sind Vorstände Typen, die Chuzpe haben, sich nicht mit Selbstzweifeln plagen und hart im Nehmen wie im Austeilen sind. Ängste? „Nie“ antwortete Ex-Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke mal in einem Interview. Jemals ans Hinwerfen denken? „Nein“.
Eher kampflustig wie Mehdorn, der seine Job schon mal so beschrieb: Es gehöre zur Rolle des Vorstandsvorsitzenden, Angriffsflächen zu bieten, damit einer die Pfeile auf sich zieht und die anderen ungestört arbeiten könnten.
Suizid nach Streit: Pierre Wauthier
Gelegentlich erwachse daraus auch persönliche Überforderung, sagt Personalprofi Klaus Aden von Lab & Company. So war es auch im Fall des Finanzvorstands der Zurich Versicherung, Pierre Wauthier im August vergangenen Jahres. Der Schweizer beging im Alter von 53 Jahren Selbstmord und warf seinem Chef, dem Verwaltungsratsvorsitzenden und Ex-Deutsche-Bank-Manager Josef Ackermann, in seinem Abschiedsbrief vor, er habe ihn unter „ungebührlichen Druck“ gesetzt und ein „unerträgliches Arbeitsklima“ geschaffen. Es hatte einen Streit zwischen beiden um eine Formulierung im Quartalsbericht gegeben, bei dem sich Ackermann durchgesetzt hatte und eine aggressivere Fassung kühl per Anweisung erzwang. Nach Wauthiers Freitod attackierte seine Familie Ackermann heftig, „wenn auch ohne Schuld“ einzugestehen trat der von seinem Verwaltungsratsposten zurück.
Die Rolle des Aufsichtsratschefs in Deutschland ist traditionell weniger stark als die des Verwaltungsrats in der Schweiz. Dennoch ist die Versuchung offenbar groß, die eigene Machtposition auszubauen. Strafverteidiger Jürgen Wessing sagt: „Aufsichtsräte haben eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber Unternehmen und Aktionären. Sie müssen den Vorstand überwachen und je mehr Anhaltspunkte sie haben, dass etwas schief läuft, der Vorstand überfordert ist oder die Gesellschaft in eine Krise gerät, umso höher ist ihre Überwachungspflicht.“

Jürgen Wessing, Strafverteidiger
Entsprechend gestiegen ist der Arbeitseinsatz der Kontrolleure. Ein Dax30-Aufsichtsrat ist heute für sein Mandat zweieinhalb Monate im Jahr im Einsatz, schätzt Hans-Ulrich Wilsing, Gesellschaftsrechtler bei der Sozietät Linklaters. So wie es es früher oft funktionierte, sich nur auf der Hinfahrt zu den Treffen vorzubereiten, geht es heute nicht mehr.
Renditevorgaben im Detail
Wer im Aufsichtsrat sitzt und Anteilseigner ist, geht umso mehr in die Tiefe. Beim Technologiekonzern SGL etwa mischt sich der Aufsichtsrat stark ein, seit die Quandt-Erbin Susanne Klatten darin sitzt. Sehr schnell reduzierte die BMW-Großaktionärin den Vorstand des Karbonherstellers von fünf auf drei Mitglieder, senkte die Vorstandsgehälter und legte eine neue Dienstwagen-Richtlinie fest. Im Firmen-Fuhrpark von SGL sind 7er BMWs, S-Klasse-Daimler und Audi A8 seitdem tabu.
Vor allem aber macht der SGL-Aufsichtsrat harte Vorgaben: Renditeziele gibt es nicht nur für den Gesamtkonzern, sondern auch für einzelne Produkte. Das eingesetzte Kapital soll sich um stolze 15 Prozent verzinsen, so die Forderung des Aufsichtsrats – und zwar gemessen am Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. SGL-Carbon Vorstand Jürgen Köhler bestätigt: „Heute muss ein Aufsichtsrat schon allein aus Haftungsgründen viel mehr Fragen an das Unternehmen stellen.“ Die Haftungsangst geht um in deutschen Unternehmen. Wegschauen kann sich niemand mehr leisten. Machen Vorstände teure Fehler, haben sie im Hinterkopf, dass sie persönlich zur Kasse gebeten werden. Jetzt kommt die Angst der Aufsichtsräte hinzu: Sehen sie tatenlos Fehlern der Vorstände zu, und verlangen keinen Schadenersatz vom eigenen Management, begehen sie eine Untreue, die strafbar ist.
20.000 verfolgte Manager – nach den Vorständen nun die Aufsichtsräte
Auf die Aufsichtsräte rollt nun die Welle zu, die die Vorstände längst erreicht hat. Vor den Gerichten sind rund 6000 Managerhaftungsverfahren anhängig, schätzt Michael Hendricks, Geschäftsführer der Spezialberatung für Managerhaftpflichtversicherungen (D & O) Hendricks & Co in Düsseldorf. Hinzu kommen die Fälle, die als Schadensfälle gemeldet sind, ohne am Gericht zu landen. Bei durchschnittlich zwei bis drei Beklagten je Fall bedeutet das: Rund 20 000 Manager sind derzeit Schadensersatzforderungen ausgesetzt, so Hendricks. Vier Fünftel der Forderungen kommen vom Ex-Unternehmen, der Rest beispielsweise von Gläubigern. (siehe WiWo 50/2013).
Die meisten Auseinandersetzungen finden hinter verschlossenen Türen statt, weder die Firma noch der Manager sind auf Image-Schäden scharf.
Schrempp bliebt verschont
Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen eine Aktiengesellschaft ihren Vorstand verschonen kann, so wie es noch bei Jürgen Schrempp von DaimlerChrysler lief. Der Vorstandschef hatte durch eine Äußerung vor der Presse, die Fusion mit Chrysler sei tatsächlich eine Übernahme gewesen, dem Konzern einen Schaden von 300 Millionen Dollar eingebrockt. Von dem die Managerhaftpflichtversicherer – ein Konsortium – nur 168 Millionen Dollar 2007 übernahmen.
Zur Kasse gebeten wurde Schrempp selbst nicht. Der Aufsichtsrat hatte bei zwei Kanzleien, die Frage von Schrempps Haftung per Rechtsgutachten klären lassen und entschied, keine Entschädigung von ihm zu fordern. Wer die Kanzleien waren, wird nicht preisgegeben. Auch auf der Tagesordnung der Hauptversammlung landete der Vergleich mit den D&O-Versicherern nicht.
Chefetage: Jeder gegen jeden
Inzwischen werden dagegen in den Chefetagen die Messer gewetzt. Der Trend: Niemand will auf einem Schaden mehr sitzen bleiben, der Übeltäter muss gefunden werden – und wenn es nur darum geht, auf dem Wege an die Versicherungssumme der Managerhaftpflichtversicherung zu kommen. Jüngstes Beispiel ist der Schienenkartellfall: Hersteller und Lieferanten von Eisenbahnschienen wie ThyssenKrupp, Moravia Steel, Voestalpine oder Stahlberg Roensch hatten viele Jahre lang illegale Absprachen getroffen. Sie hatten so die Preise künstlich hoch gehalten, wenn die Deutsche Bahn, Bau- oder Nahverkehrsunternehmen wie die Verkehrsbetriebe in Düsseldorf und Essen – Aufträge ausschrieben.
Zahnlücke, HB-Männchen oder Schnuffi
Man traf sich bis zu 20-mal im Jahr und agierte mit Tarnnamen wie Zahnlücke, HB-Männchen oder Schnuffi. Alles kam heraus, als Voestalpine alles beim Bundeskartellamt verpfiff, Millionenstrafen waren die Folge. 14 Beschuldigte inklusive Ex-Manager wurden von der Staatsanwaltschaft angeklagt.
Nachdem ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger eine interne Null-Toleranz-Richtlinie gegen Vergehen von Mitarbeitern erließ, verklagte der Stahlkonzern prompt seinen Ex-Manager Uwe Sehlbach vorm Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Der Spartenchef der Gft-Gleistechnik soll dem Konzern 191 Millionen Euro Schadenersatz leisten: für das Bußgeld ans Bundeskartellamt, das das Unternehmen zahlen musste.
Dass angestellte Manager nicht diese Millionensummen aufbringen können, ist den Unternehmen von vorneherein klar. Schließlich haben die meisten von ihnen nicht so viel Geld auf der hohen Kante, sondern nur ein paar Festgeldkonten oder Immobilien, sagt Arbeitsrechtsanwalt Christoph Abeln, der auf Manager spezialisiert ist. Die Unternehmen wollen auf dem Weg aber an die D&O-Versicherungssummen herankommen – die aber nur zahlen wollen, wenn auch die Täter nicht wenigstens einen Teil des Schadens aus eigener Kasse zahlen.
ThyssenKrupp ließen die Gerichte in den ersten beiden Instanzen abblitzen: Kartellbußen könne sich ein Unternehmen grundsätzlich nicht von Mitarbeitern erstatten lassen. Die Höchstgrenze für persönliche Kartellstrafen liegt bei einer Million Euro und die würde unterlaufen, wenn Firmen ihre Unternehmensbußen weiterreichen könnten. Doch der Konzern will noch entscheiden, ob er bis vors Bundesarbeitsgericht geht. Ohnehin legte der Konzern erst vor wenigen Tagen nach und forderte weitere 100 Millionen Euro von Sehlbach. Die nämlich musste das Unternehmen der Deutschen Bahn – als Opfer dieses Kartells – wegen der überbezahlten Schienen erstatten.
Die Deutsche Bahn hat als erstes Unternehmen eine eigene Abteilung eingerichtet, die nur dafür da ist, Schadenersatzforderungen gegen Kartellsünder durchzusetzen, deren Opfer sie wurde – egal ob beim Schienen- oder Zuckereinkauf für die Speisewagen.
Das Vorbild macht Schule. Weil die Lufthansa mit weiteren neun Airlines illegal die Preise für Frachtflüge abgesprochen hatte, verklagte die Deutsche Bahn für ihre Transporttochter Schenker die Kartell-Teilnehmer im Dezember aus 1,2 Milliarden Euro Schadenersatz. Doch jetzt schlossen sich weitere große Unternehmen wie BMW, Bosch und Continental an und sie verlangen gemeinsam zwei Milliarden Euro Schadenersatz plus 900 Millionen Euro Zinsen.
Eine Milliarde Bussgeld fürs Bundeskartellamt in 2014
Die Rekordsumme von mehr als einer Milliarde Euro an Bußgeldern kassierte das Bundeskartellamt – eine immer schlagkräftigere Behörde – allein im vergangenen Jahr von 67 Unternehmen und weiteren 80 Privatpersonen. Zum Vergleich: Um das Jahr 2000 herum waren diese Strafen ein Fünftel so hoch. Heute dürfen sie nach Gesetzesänderungen bis zu einem Zehntel des Jahresumsatzes betragen. Ob Zuckerhersteller, Bierbrauer, Wurst- oder Autoscheiben-Produzenten, Zement- oder Tapetenhersteller – quer durch die Industrie ist das Bonner Amt den Tätern auf den Fersen. Die Zahl der Verfahren steigt laufend. Seit es Kronzeugenregelungen mit Rabatten bei den Bußen und Strafbefreiung für Whistleblowing und tatkräftige Unterstützung fürs Amt gibt, wird es für die Kartellwächter auch immer einfacher, Kartellsünder zu erwischen.
26 der 30 Dax-Unternehmen wiesen „Kartellrisiken“ aus
Und die scheinen eher Massenphänomen als Einzelfall zu sein: Von den Dax30-Unternehmen kündigen immerhin 26 bereits „Kartellrisiken“ in ihrem Geschäftsbericht schon für 2012 an, ermittelte kürzlich die Großkanzlei Noerr.
„Die Anforderungen an die Kontrollpflichten von Vorständen sind deutlich gestiegen“ sagt, Kartellrechtsexpertin Daniela Seeliger von der Großkanzlei Linklaters. Die Devise ist aber immer weniger `alle ziehen an einem Strang´, sondern man schaue sich gegenseitig auf die Finger – ob der andere alles getan hat, was er tun musste.
Schließlich haftet der Vorstand insgesamt als Organ, nicht jeder nur für seinen Part – und deshalb habe auch jeder seine eigenen Berater.
Sobald in einem Konzern ein Verdacht von Preisabsprachen mit Wettbewerbern oder eine Kundenbeschwerde beim Bundeskartellamt aufschlägt, wird die Sache zur Vorstandssache gemacht. Mit der Folge, dass sich der Vorstand regelmäßig und viel mehr berichten lässt – allein schon wegen der hohen Strafen und dem Wandel, welcher Wert der Compliance beigemessen wird.
Wenn das Kartellamt kommt, ist das Tagesgeschäft lahmgelegt
Vor allem aber können sich Vorstände, wenn Durchsuchungen passieren und Kartellamtsuntersuchungen über Jahre laufen, nicht mehr um die Unternehmensstrategie kümmern: „Viel Managementzeit geht verloren, die Altlasten hemmen die Konzentration auf die Zukunft der Firma“, resümiert Seeliger. Sie erlebt Mandanten, die total gestresst und aufgelöst sind, deren Tagesgeschäft leidet. Die vielen Fragen wie „Was mache ich mit denen, die verwickelt waren in die Taten? Kann man sie entlassen oder verliert man zu viel Geschäft? Wer einen Kronzeugenantrag stellen will beim Kartellamt, um das Bußgeld zu senken, braucht sie noch für die Aufklärung. Wie sieht die firmeninterne Strategie aus, mit dem Fall umzugehen? Welcher Mitarbeiter wird interviewt, wie klärt man den Fall auf, mit wem redet man?
Ganz abgesehen davon, wenn das Weiterarbeiten unmöglich ist: Weil das Kartellamt eine Vielzahl von Akten – für die es kein Doppel gab – bei der Durchsuchung einfach abtransportiert hat. „Anträge auf Rückgabe oder wenigstens die Erlaubnis, Kopien anzufertigen, haben dann erst nach mehreren Wochen Erfolg“, sagt Seeliger.
Was ebenso blockiert: Die Sachverhalte müssen intensiv aufgearbeitet werden, das komplette und das beschlagnahmte Material gesichtet und ausgewertet werden, um es danach mit der Unternehmensleitung durchzusprechen. Alle Querverbindungen im Konzern gilt es zu checken. Hunderte E-Mails müssen auch in angrenzenden Bereichen gesichtet, viele Interviews mit Beteiligten oder potenziell Beteiligten geführt werden und danach die entsprechenden Berichte an Vorstand und Aufsichtsrat geschrieben werden.
Wenn der Vorstand direkt antreten muss beim Aufsichtsrat
Die Situation ist so brenzlig, dass die Aufsichtsräte sich am selben Tag einschalten. Sie lassen den Compliance-Vorstand antreten und sich von ihm informieren, um selbst keine Fehler zu machen. Sicherheitshalber nehmen sie sich heute selbst zusätzlich eine Anwaltskanzlei – eine andere als der Vorstand.
Die Folge: Die Unternehmen, die für unerlaubte Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen und ähnliche unzulässige Verabredungen auf dem Rücken der Kunden zur Kasse gebeten werden, wollen auf diesen Kosten aber nicht mehr sitzen bleiben und versuchen, sich von den verantwortlichen Managern das Geld wieder zu holen. Wie Falle Sehlbach.
Auch Staatsanwälte sind heute Managern auf den Fersen
Dabei können Manager von Glück reden, wenn es bei Schadenersatzforderungen bleibt. Wer heute den Wirtschaftsteil der Tageszeitung aufschlägt, findet fast täglich Meldungen, wen Staatsanwälte so alles verfolgen – und dass sie sich ganz klar zu ernst zu nehmenden Gegner für Top-Manager entwickelt haben. Nie hätte sich doch ein Deutsche-Bank-Vorstandschef Jürgen Fitschen träumen lassen, dass er eines Tages wegen Prozessbetrags vor dem Kadi landet. Oder Fraport-Chef Stephan Schulte, dass er von einem lärmgeplagten Flughafenanwohner wegen Körperverletzung angezeigt wird. Ganz zu schweigen von Thomas Middelhoff, der so lange in U-Haft verbringen musste.