Die verlorene Ehre der Aufsichtsräte

Staatsanwälte nehmen Aufsichtsräte zunehmend ins Visier – und auch Vorstände, die vom Unternehmen verklagt werden, zerren ihre Kontrolleure mit vor den Kadi.

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Das hat sich Daimler-Chef Dieter Zetsche kaum träumen lassen: Nicht nur, dass er eine Strafanzeige an den Hals gehängt bekommt. Sondern er steht auch noch am Pranger als Teil eines Gangstertrios – zusammen mit dem Daimler-Gesamtbetriebsratschef und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, Erich Klemm, sowie dem Chef der gleichnamigen Spedition, Michael Preymesser. Der Vorwurf der Stuttgarter Staatsanwaltschaft: Gemeinschaftliche illegale Arbeitnehmerüberlassung, also Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen. Zetsche, Klemm und Preymesser sollen reguläre Arbeitskräfte durch Leiharbeitnehmer ersetzt haben, um Kosten zu sparen. Die Anzeige erstattet hat kein Betroffener in diesem konkreten Fall, sondern jemand, der selbst zehn Jahre lang als Leiharbeiter dasselbe Schicksal teilte – allerdings bei Siemens.

 

„Der Kostendruck heiligt in vielen Unternehmen alle Mittel“

„Der Kostendruck heiligt in vielen Unternehmen alle Mittel“, sagt Franz-Josef Schillo, Strafrechtler bei Kanzlei Noerr Stiefenhofer. Umso mehr interessieren sich auch die Staatsanwälte für das, was hinter den Werkstoren und auf den Schreibtischen passiert. Zumal das Aufdecken von White-Collar-Kriminalität als Karrieresprungbrett für Staatsanwälte gilt.

 

Auch Aufsichtsräte landen jetzt zunehmend vor dem Kadi

Nicht nur Vorstände, sondern zunehmend landen auch die Aufsichtsräte vor dem Kadi. Sie riskieren Geldbußen, schlimmstenfalls sogar Haftstrafen und persönliche Schadenersatzforderungen, für die keine Managerhaftpflichtversicherung einspringt. Mit den netten Rotweinrunden von früher ist es heute vorbei. Schärfere Gesetze, der wachsende Zorn vieler Bürger auf die vermeintlich übermächtigen Konzernchefs, der Siegeszug der Compliance und karrierebewusste Staatsanwälte auf Trophäenjagd – sie alle lassen das persönliche Risiko von Konzernlenkern und ihrer Kontrolleure stetig steigen. “War die Unternehmensumwelt früher vom rheinischen Kapitalismus mit seinen Überkreuzbeteiligungen geprägt, so haben sich inzwischen die wechselseitigen Beteiligungen gelöst und eingerückt sind stattdessen die ausländischen Investoren, die ihre eigenen Vorstellungen haben über Corporate Governance“, vergleicht Compliance-Experte Jürgen Witte von der Kanzlei Hogan Lovells., der selbst früher Staatsanwalt war. http://www.hoganlovells.de/juergen-johannes-witte/

Im Falle Daimler drohen womöglich hohe Strafen und Nachzahlungen an die Sozialkassen. Müsste Daimler blechen, wäre das Unternehmen gezwungen, sich das Geld wiederzuholen bei Zetsche, Klemm und Preymesser. Würde das unterbleiben, so wäre der Aufsichtsrat verpflichtet, darauf zu pochen und Schadenersatzansprüche einzuklagen.

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Wenn Sozialkassen Millionen Euro nachfordern

In einem ähnlichen Fall bei Kaufland musste das Handelsunternehmen immerhin drei Millionen Euro an die Sozialversicherung nachzahlen und überwies der Staatskasse fünf Millionen Euro, damit das Verfahren eingestellt wurde. Auch Strafrechtler aus Großkanzleien berichten von Mittelständlern, die die grandiose Idee hatten, aus ihren Fuhrparks viele selbständige LKW-Fahrer zu machen, um selbst Kosten zu sparen. Solche Schüsse gehen immer öfter nach hinten los: Wenn sich herausstellt, dass die frischgebackenen Selbständigen dann jahrelang nur für den einen Auftraggeber unterwegs und tatsächlich Scheinselbständige sind. Das geht dann am Ende in die Millionen, wenn die Sozialkassen feststellen, dass ihnen eigentlich jahrelang Abgaben zugestanden hätten. Dann rechnen sie bis zu zehn Jahren rückwärts und präsentieren Millionenforderungen. Aufsichtsräte, die solche cleveren Unternehmensberater-Ideen als grandiose Sparmaßnahmen durchwinken, sollten zuerst beim Vorstand nachfragen.

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Strafanzeigen gegen 17 Deutsche-Bahn-Aufsichtsräte

Nicht nur der Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube kassierte Ende März wegen des Debakels um den Stuttgarter Bahnhof S21 und die Kostenexplosion eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs, sondern insgesamt 17 Aufsichtsräte und die Deutsche-Bahn-Vorstände Grube und Volker Kefer. Wer die Anzeige erstattete? Der ehemalige Richter Dieter Reicherter, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, Eisenhart von Loeper und Ex-SPD-Bundestagsabgeordneter Peter Conradi. Dass der Boden für die Aufsichtsräte heißer wird, ahnten die Verfolgten offenbar schon länger: Ihre verschiedenen Haftungsszenarien ließen sich die Deutsche-Bahn-Kontrolleure schon vorher – vorsichtshalber – von der Top-Kanzlei SZA Schilling Zutt Anschütz in einem geheimen Gutachten darlegen.

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Ulrich Lehner bekam gleich zwei Strafanzeigen als Aufsichtsrat

Sie sind bei weitem nicht alleine: Henkel-Ex-Chef Ulrich Lehner geriet als Verwaltungsratspräsident des Schweizer Pharmakonzerns Novartis im März ins Visier der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Veruntreuung von Unternehmensvermögen. Konkret im Falle des Ex-Novartis-Präsidenten Daniel Vasella in der Schweiz, der ein Abschiedsgeschenk von 58,5 Millionen Euro als Abfindung bekommen sollte. Lehner hätte Vasella die Prämie gegönnt, doch er kassierte für seine Freigiebigkeit die Prügel in der Öffentlichkeit. Die Anzeige kam diesmal von einem Anlegeranwalt und richtete sich auch gegen vier weitere Novartis-Aufsichtsräte. Zwar verzichtete Vasella letztlich auf die Zahlung, nachdem die öffentliche Kritik allzu laut wurde – doch die Ermittlungen der Staatsanwälte gegen Lehner hielt das nicht auf.

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Ebenso wie im Fall Porsche: Auch dort geriet Ulrich Lehner zusammen mit Wolfgang Porsche, Hans Michel Piëch – dem Bruder von Ferdinand – und Oliver Porsche ins Visier der Staatsanwaltschaft. Sie hätten sich ebenso wie die Vorstände der Marktmanipulation verdächtig gemacht im Zusammenhang mit der gescheiterten Übernahme von VW, sie hätten falsche Informationen weitergegeben und damit gegen das Wertpapierhandelsgesetz verstoßen.

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Denn, so Strafverteidiger Jürgen Wessing: „Aufsichtsräte haben eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft. Sie müssen den Vorstand überwachen und je mehr Anhaltspunkte sie bekommen, dass etwas schief läuft, der Vorstand überfordert ist oder die Gesellschaft in eine Krise gerät, umso höher ist ihre Überwachungspflicht.“

Jürgen Wessing, Wirtschaftsstrafanwalt

Jürgen Wessing, Wirtschaftsstrafanwalt

Bei Nordzucker in Braunschweig – dem zweitgrößten europäischen Zuckerproduzenten – etwa genehmigte der Aufsichtsrat über fünf Jahre nicht nur jeweils 150 Euro Sitzungsgeld wie es die Satzung vorsah, sondern auch Geld für Termine wie Grundsteinlegungen und Vorstandsgespräche. Die kamen freilich in der Satzung nicht vor. Das Oberlandesgericht Braunschweig wertete dies als strafbare Untreue.

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Großzügigkeit gegenüber ziehenden Vorständen ist eine Schädigung des Unternehmens

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„Dabei ist vielen Aufsichtsräten nicht mal bewusst, dass sie sich bei ihrer Kontrolltätigkeit strafbar machen können“, urteilt Strafrechtler Schillo. Spätestens seit dem Mannesmann-Prozess wegen der überhöhten Abfindung an Klaus Esser ist klar: Wenn Aufsichtsräte einem ziehenden Vorstand mehr Geld geben, als das Unternehmen ihm schuldet, machen sie sich dadurch wegen Untreue strafbar. Damals entschieden die Richter, dass eine freiwillig gezahlte Abfindung für einen ausscheidenden CEO – die ein Dankeschön für geleistete Dienste sein soll und ohne Verpflichtung fließt – einen Schaden für das Unternehmen darstellt.

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Unzulässige Dankeschön-Prämien

Arbeitsrechtler Boris Dzida und Partner bei der Großkanzlei Freshfields erläutert: „Wer mehr Geld gibt, als er schuldet, verschenkt fremdes Geld.“ Er berichtet, dass solche Dankeschön-Prämien – ohne Nutzen in der Zukunft – noch heute im Unternehmensalltag oft vorkommen, obwohl sie ganz klar unzulässig sind. Nur wenn ein Nutzen in der Zukunft für das Unternehmen dabei herausspringt wie etwa die Verlängerung des Vorstandsvertrags, läge keine Untreue vor, so Dzida.Dzida,neu

Boris Dzida, Arbeitsrechtler und Partner bei Freshfields

Und selbst wenn ein Aufsichtsrat im Strafprozess nachweisen kann, dass er unschuldig ist, verliert er viel Geld, das ihm niemand ersetzt: Die Rechnungen der Star-Strafverteidiger gehen in die Millionen. So wie der Wettermoderator Jörg Kachelmann, der bei seinem spektakulären Prozess sogar eine Immobilie verkaufen musste, um den Strafverteidiger bezahlen zu können.

„Auch auf Einnahmen verzichten dürfen Aufsichtsräte ohne weiteres ebenso wenig“, erklärt der Kölner Anwalt Stefan Seitz. Arbeitsrechtler wie er werden zunehmend zu ständigen Beratern der Aufsichtsräte. Etwa im Fall des 1.FC Köln, dem Fußballclub, der in Finanzschwierigkeiten steckt und deshalb versucht, die Stadionmiete für die Kölner Sportstätten um ganze sechs Millionen Euro zu drücken. Würden die Aufsichtsräte dies abnicken, wären sie rechtlich im tiefroten Bereich.

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Aufsichtsräte haften auch für ihr Unterlassen

Arbeitsrechtler Stefan Seitz aus Köln

Arbeitsrechtler Stefan Seitz aus Köln

Doch Aufsichtsräte werden nicht nur für das verantwortlich gemacht, was sie tun, sondern ebenso für das, was sie unterlassen, denn sie haben sogenannte Garantenpflichten gegenüber der Gesellschaft und müssen bei Verstößen eingreifen. „Weggucken hilft da nicht, Aufsichtsräte trifft eine Vielzahl von Pflichten“, urteilt Burkhard Fassbach, Jurist und Abteilungsleiter Schadensfälle beim Spezialberatungsunternehmen Hendricks & Co. D&O Insurance Brokers .

Zum Beispiel bei Unternehmenskäufen, denn bei denen „ist meist die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich und der muss dabei sorgfältig vorgehen. Lässt er sich beispielsweise nicht die Due Diligence des Unternehmens, das übernommen werden soll, vorlegen und unternimmt keine rechtliche, finanzielle und steuerliche Prüfung auf Herz und Nieren, segnet es aber dennoch ab, kann er in Teufels Küche kommen“, weiß Freshfields-Partner Dzida. Zum Beispiel, wenn sich hinterher herausstellt, dass das gekaufte Unternehmen tatsächlich insolvenzreif ist, denn dann hat der Aufsichtsrat „seine Zustimmung nicht auf der Grundlage ausreichender Information erteilt und hätte die Vorlage der Due Diligence verlangen müssen. Ebenso wie er nach dem Kauf überwachen muss, ob der Vorstand die gekaufte Firma ordnungsgemäß integriert. Hat er sich nicht darum gekümmert und die Integration geht schief, ist er in der Haftung.

Vor allem eine gesetzliche Neuregelung hat dafür gesorgt, dass Aufsichtsräte ebenso wie Vorstände jetzt sehr lange auf einem Pulverfass sitzen – selbst wenn sie den Job längst quittiert haben: „Seit 2011 ist die Frist, sie für ihre Fehler zu verklagen, auf zehn Jahre verlängert worden – und das gilt auch nach ihrem Ausscheiden“, warnt Fassbach.

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Selbst von den eigenen Aufsichtsratskollegen droht Gefahr, berichtet Ute Jasper, Partnerin bei der Sozietät Heuking Kühn: So lässt der Opel-Betriebsratschef Rainer Einenkel – selbst auch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – gerade juristisch prüfen, ob das Gremium vor wenigen Wochen die Stilllegung des Bochumer Werks bis Ende 2014 beschließen durfte. Er hält es für eine teure Fehlentscheidung und glaubt, der Aufsichtsrat sei hierfür schadenersatzpflichtig.

Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen die Unternehmenskontrolleure sich nur ab und zu nett zusammen setzten, sich gegenseitig die Posten innerhalb der Deutschland AG wie Geschenke zuschusterten und ihnen kein Ungemach drohte. Eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus. Inzwischen sind die Pflichten so vielfältig, dass sich auch Aufsichtsräte fast in Managerrollen wiederfinden – und nicht mehr nur als Kluge-Fragen-Steller und Sparring-Partner. „Sieht der Aufsichsrat, dass ein Unternehmen nicht Compliance-gerecht aufgestellt ist, ist er schon in der Haftung“, warnt Arno Frings von der US-Kanzlei Orrick Herrington & Sutcliffe.

Arno Frings, Arbeitsrechtler bei Orrick Herrington & Sutcliffe

Arno Frings, Arbeitsrechtler bei Orrick Herrington & Sutcliffe

..Aufsichtsräte haben keine Wahl, wenn Vorstände Fehler machen.

Seit dem Arag-Urteil, der Rechtsgeschichte schrieb, haben Aufsichtsräte gelernt, dass sie keine Wahl haben, wenn Vorstände Fehler machen. Dann müssen sie nämlich Schadenersatzprozesse gegen sie führen. Im Arag-Fall hatte der Finanzvorstand mit gewagten Transaktionen Millionenbeträge in den Sand gesetzt und dabei seine Grenzen überschritten. Er wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 55 Millionen Mark verurteilt und zu 4,5 Jahren Gefängnis.

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Jeder gegen Jeden

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Als sich die Familienstämme nicht einig waren, ob man den Manager verklagt oder nicht, entschied am Ende das Gericht: Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, Schaden abzuwenden von dem Unternehmen – und dazu gehört auch ein Schadenersatzprozess gegen das eigene Führungsteam. Damit lieferten die Richter den Auftakt für eine nimmer enden wollende Schlammschlacht in den Unternehmensspitzen – an der Anwälte und Gutachter prachtvoll verdienen. Inzwischen geht es  ´Jeder gegen Jeden ´: Aufsichtsräte gegen Vorstand, Vorstand gegen Aufsichtsrat, Aufsichtsräte gegeneinander.

Für Aufsichtsräte tut sich jedoch jetzt eine Zwickmühle auf: „Entscheiden sie, Vorstände zur Verantwortung zu ziehen, müssen sie damit rechnen, sich damit selbst ins Knie zu schießen “, zeigt Fassbach auf. Und selbst auf der Anklagebank zu landen

Das ist in den Vereinigten Staaten, wo die Managerhaftpflichtversicherung herkommt, anders: Dort verklagen zwar Aktionäre und Kunden die Top-Manager. Doch Klagen intern, also innerhalb der Unternehmensspitze – dem Board – gibt es nicht, da sie in demselben Gremium sitzen und entscheiden.

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Headhunter: Schwierigere Kandidatensuche nach Aufsichtsräten

„Angesichts der Haftungsrisiken schreit heute auch nicht mehr jeder ´hurra´, wenn ihm ein Aufsichtsratsposten angeboten wird. Immer öfter lehnen die Kandidaten dankend ab“, erzählt Headhunterin Sabine Hansen, Partnerin bei Amrop Delta. Verständlich. Schließlich hätten die Aufsichtsräte weniger Überblick über ihr persönliches Risiko als die Vorstände an der Front. Insbesondere wenn es um so hohe Investitionsvolumen wie in der Solarindustrie geht. Hansens Kollegen in Großbritannien haben oft Probleme, die Kontrolleur-Positionen in den Boards noch besetzen zu können. Auf der Insel gelten schon seit 1992 die entsprechenden gesetzlichen Verschärfungen des Cadbury-Reports, der das Vorbild für den Cromme-Kodex war.

Headhunterin Sabine Hansen bei Amrop Delta

Headhunterin Sabine Hansen bei Amrop Delta

Zumal: In jedem dritten Schadensfall saust der Bumerang zurück auf den Aufsichtsrat, der nur seine Pflicht, den Vorstand auf Schadenersatz in Regress zu nehmen, erfüllen will und muss: Dann schießen die Vorstände, wenn sie selbst vor Gericht stehen, zurück und machen diesen Schachzug: Sie zwingen mithilfe einer so genannten Streitverkündung die Aufsichtsräte ebenfalls vors Gericht. Nach dem Motto, „Er hat´s doch gewusst“, berichtet D&O-Profi Fassbach. Wenn sie schon Millionenbeträge ersetzen sollen, wollen sie das wenigstens nicht alleine.

Und dass es kein Pardon gibt, hat schon der Schmiergeld-Fall Siemens gezeigt. Da zahlten die Vorstände Heinrich von Pierer sowie Thomas Ganswindt je fünf Millionen Euro und Klaus Kleinfeld zwei Millionen Euro an ihr Ex-Unternehmen aus ihrer Privatschatulle. Alle drei ließen sich – ehe es zur Klageerhebung kam – lieber auf einen Vergleich mit Siemens ein. Das ist regelmäßig im Interesse aller Beteiligten: Die Versicherer wollen keine – öffentlichen – Urteile als Präzedenzfälle sehen, auf die sich andere Manager gegen die Assekuranzen berufen können. Unternehmen wie Führungskräfte hingegen wollen nicht öffentlich schmutzige Wäsche waschen und ihr Image besudeln lassen. Wäre es im Falle Siemens so weit gekommen, hätte zum Beispiel auch Aufsichtsrat Gerhard Cromme damit rechnen müssen, mit hinein gezogen zu werden.

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Die Subprimekrise und die Apobank

So wie bei der Apobank in Düsseldorf, bei der es um 66 Millionen Schadenersatzforderung an die Vorständen geht: Mehrere Top-Manager hatten Finanzgeschäfte zugelassen, bei denen Millionenschäden während der Subprime-Krise entstanden waren – eigentlich undenkbar bei einer Hausbank für Heilberufler. Die Top-Manager, die von der Apobank auf 66 Millionen Euro Schadensersatz verklagt werden, versuchen nun die Schuld auf drei Aufsichtsräte mitabzuwälzen. Im Schadensersatzprozess ziehen sie die Kontrolleure mit auf die Anklagebank, indem sie ihnen den Streit verkündeten, wie das Verfahrensmittel unter Juristen heißt.

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„Aufsichtsräte sind letztlich einem höheren Risiko ausgesetzt als Vorstände“, urteilt Gesellschaftsrechtler Witte von Hogan Lovells. Vor allem auch deshalb, weil die D&O-Deckungssumme des Unternehmens schon aufgebraucht sein kann durch die Verteidigung und Abwehr für die Vorstände – wenn dann am Ende auch noch der Aufsichtsrat dran kommt.

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Wenn die Summe der Managerhaftpflichtversicherung nicht ausreicht für mehrere Manager

Zum Vergleich: Beim Großprojekt Flughafen Berlin dürfte die Deckungssumme von 30 Millionen Euro für alle verantwortlichen kaum für die Anwaltskosten reichen, glauben Insider.

Die Beratergilde hat flugs auf das Dilemma der Aufsichtsräte und ihre Befangenheit in eigener Sache reagiert. Spezialberater Hendricks hat dieses Frühjahr für seine Manager-Klientel eine spezielle Police gegen dieses neue Risiko kreiert, die die Versicherungen akzeptieren. Dann schließt das Unternehmen zusätzlich zu seiner D&O-Versicherung eine separate Aufsichtsräte-Police ab. Die zusätzliche Versicherungsprämie schlägt mit weiteren rund 35 Prozent von der D&O-Prämie zu Buche. Der Deal: Dann hat jeder – Vorstand wie Aufsichtsrat – seine eigene Deckungssumme in identischer Höhe bei unterschiedlichen Versicherungsgesellschaften, so dass es keine Interessenskonflikte geben kann.

Und nicht nur die Versicherungsexperten. Auch Großkanzleien, die mit dem Strafrecht früher nicht gerne in Verbindung gebracht wurden, rüsten auf: Um ihren Mandanten auch dann weiterhelfen zu können, wenn sie strafrechtlich verfolgt werden und um diese Fälle nicht mehr – außer Haus – an spezialisierte Strafrechtler-Sozietäten geben zu müssen: Die Kanzlei Freshfields beispielsweise verkündete erst kürzlich, dass sie der Staatsanwaltschaft München mit Thomas Heck einen ausgewiesenen Strafrechtler abgeworben hat, der „die unternehmensstrafrechtlichen Aspekte der Compliance-, Haftungs- und Ermittlungsmandate der Sozietät betreut“.

http://www.freshfields.com/de/news/Freshfields_baut_Beratungspraxis_im_Wirtschaftsstrafrecht_aus/

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Aufsichtsräte auf Dienstreisen mit privatem Charakter – für die Opposition ein gefundenes Fressen

Gerichtsprozesse gegen Aufsichtsräte laufen in der Kommunalwirtschaft auf regionaler Ebene schon einige Jahre. „Verurteilungen und Bußgelder gegen Aufsichtsräte erfolgten beispielsweise, weil Aufsichtsräte sich einladen ließen zu Dienstreisen mit privatem Charakter oder weil sie aufwändige Feiern auf Kosten der Gesellschaft veranstaltet hatten“, berichtet Vergaberechtsanwältin Ute Jasper. Auch Projekte, die keinen eigenen Vorteil bringen, aber der Gesellschaft Verluste bescheren, setze die Staatsanwälte in Bewegung. Wenn etwa ein Aufsichtsrat zustimmt, dass die kommunale Tochtergesellschaft ein Museum, ein Fußballstadion oder eine Veranstaltungshalle baut, für die die Stadt selbst kein Geld hat, macht er sich strafbar. Jasper: „Jedenfalls dann, wenn absehbar ist, dass der Bau Verluste statt Rendite einbringt.“Jasper Dr  Ute Print rot(kleiner) (2)

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Manche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommen erst pünktlich vor Wahlterminen ans Licht der Öffentlichkeit

In der Kommunalwirtschaft geht es deshalb für Aufsichtsräte schon länger zur Sache, weil die Opposition stärker belauert und nur auf Fehler wartet: So ermittelt die Staatsanwaltschaft in Erfurt schon gut zwei Jahre gegen Gothas SPD-Oberbürgermeister Kurt Kreuch wegen des Verdachts der Untreue. Anlass ist der Aufhebungsvertrag mit dem Ex-Geschäftsführer der heutigen Kommunalen Beteiligungen Gotha GmbH und Kreuth als Aufsichtsrat des Unternehmens (früher Wibego) im Jahre 2007. In dem Vertrag soll laut Staatsanwaltschaft nicht nur eine Haftungsausschluss stehen, die dafür sorgen soll, dass der ausscheidende Geschäftsführer für Schäden aus seiner Amtszeit nicht mehr belangt wird. Zum anderen eine Abfindung von 500 000 Euro. Inzwischen schwelt der Fall daneben auch noch vorm Zivilgericht, das Landgericht Erfurt reichte ihn ans Oberlandesgericht Jena hoch. Die Kommunalen Beteiligungen Gotha sollen selbst den Vertrag angefochten haben. Und wer hatte die Ermittlungen in Gang gesetzt? Der CDU-Landrat Konrad Gießmann. Kann es da noch ein Zufall sein, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen erst zwei Jahre später, just einen Monat vor der Kommunalwahl in den Fokus der Öffentlichkeit kamen?

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Die Tricks der Aufsichtsräte

Um ihr Haftungsrisiko von vornherein zu minimieren, entwickeln manche Aufsichtsräte schon im Vorfeld innovative Methoden: „Dann gehen Risiken auf dem Weg zum Aufsichtsrat einfach verloren“, spottet ein Anwalt hinter vorgehaltener Hand. Er meint damit Vorlagen für Aufsichtsräte, in deren erster Fassung noch Risiken für das Unternehmen erwähnt waren, die – wie durch ein Wunder – in der finalen Fassung fehlen. Dann lassen die Kontrolleure kritische Dinge herausnehmen nach dem Motto: Wenn ich´s nicht gewusst und gar keinen Anhaltspunkt für Unregelmäßigkeiten habe, brauche ich auch nicht nachfragen und kontrollieren. Das Motto: Lieber doof als strafbar und schadenersatzpflichtig.

 

Strafanzeige gegen Dieter Zetsche: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/nach-ard-reportage-strafanzeige-gegen-daimler-chef/8210312.html

Strafanzeige gegen 17 Aufsichtsräte von S21:  http://de.wikinews.org/wiki/Stuttgart_21:_Aktionsb%C3%BCndnis_stellt_Strafanzeigen_gegen_Bahnvorst%C3%A4nde 

Strafanzeige gegen Ulrich Lehner wegen Novartis:  http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/millionenabfindung-bei-novartis-staatsanwaelte-ermitteln-wegen-deal-des-moeglichen-cromme-nachfolgers-1.1621840

Strafanzeigen gegen Porsche-Aufsichtsräte:  http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/vw-uebernahmeschlacht-porsche-und-piech-im-visier-der-staatsanwaltschaft/7770276.html

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