Bundesarbeitsgericht: Leiharbeiter zählen beim Bestimmen der Grösse des Betriebsrats mit


Gastbeitrag von Arbeitsrechtler Tobias Brors von der Kanzlei Arqis

Leiharbeiter müssen – sofern sie dauernd im Betrieb beschäftigt sind – beim Bestimmen der Größe des Betriebsrats mitgezählt werden. Mit diesem Beschluss ändert das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige Rechtsprechung und nähert den Status von Leiharbeitnehmern zunehmend jenem der Stammbelegschaftsmitglieder an. Die Grundregel laut BAG: „In Betrieben mit  701 bis 1000 Arbeitnehmern besteht der Betriebsrat aus 13 Mitgliedern, in Betrieben mit 1001 bis 1500 Arbeitnehmern aus 15 Mitgliedern.“ (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. März 2013, Aktenzeichen 7 ABR 69/11).

Der Fall: 14 Arbeitnehmer eines Unternehmens aus dem Raum Nürnberg hatten die Betriebsratswahl angefochten – mit Erfolg. Ihr Unternehmen beschäftigte zum Zeitpunkt der angefochtenen Wahl 879 Stammarbeitnehmern plus 292 Leiharbeiter. Doch der Wahlvorstand hatte die Leiharbeiter nicht mitwählen und einen Betriebsrat mit 13 Mitgliedern wählen lassen. Hätte er die Leiharbeiter ebenfalls mitgerechnet als Belegschaft,  hätte dagegen ein Betriebsrat mit 15 Mitgliedern gewählt werden müssen.

 

Seit dem Fall Amazon ist das Thema Leiharbeit mit seinen tatsächlichen – oder vermeintlichen – Missständen auch der breiten Öffentlichkeit aufgefallen – und wird nun kontrovers diskutiert. Denn der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist in vielen Branchen üblicher Standard: Sie sind nicht mehr nur noch zum Abfedern von Arbeitsspitzen da, sondern Leiharbeitnehmer stellen eine Quasi-Stammbelegschaft dar.

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Die Rechtsprechung muss zahlreiche Fragen klären, die sich in der betrieblichen Praxis mit Leiharbeitern als Teil der Quasi-Stammbelegschaft stellen. Hierzu gehören:

Die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern beim Bestimmen

– der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder,

– der Arbeitnehmerzahl, ab der der Betriebsrat eine Freistellung beanspruchen kann,

– der Betriebsgröße, ab der das Kündigungsschutzgesetz im jeweiligen Betrieb anwendbar ist und

– der Unternehmensgröße, die erforderlich ist für ein Beteiligungsrecht des  Betriebsrats zum Verhandeln eines Interessenausgleichs bei Betriebsänderungen.

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Die Tendenz zeichnete sich schon vorher ab: Stammbelegschaft und Leiharbeiter wurden vom BAG zunehmend gleichbehandelt, etwa bei der Bestimmung der Unternehmensgröße für das Verhandeln eines Interessensausgleichs bei Betriebsänderungen. Die Folge: Ein Betriebsrat in Unternehmen mit weniger als 20 Stammbeschäftigten kann Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten haben.  Auch bei der Frage, ob das Kündigunsgschutzgesetz gilt, werden Stamm-Mitarbeiter sowie Leiharbeiter seit einem BAG-Urteil im Januar zusammen gerechnet.

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Stärkung der Betriebsräte, einerseits …

Diese Rechtsprechung führt zur Stärkung betriebsverfassungsrechtlicher Strukturen, da die Betriebsräte tendenziell größer werden. Unternehmen können sich auf steigende Kosten der betrieblichen Mitbestimmung einstellen.

Des Weiteren bekommen Betriebsräte in Unternehmen mit kleinerer Stammbelegschaft und vielen Leiharbeitskräften möglicherweise Mitwirkungsrechte, die früher nur Betriebsräten in größeren Betrieben vorbehalten waren.

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… aber andererseits auch eine Schwächung …

Bei genauerer Betrachtung könnte eine konsequente Fortschreibung dieser Rechtsprechung jedoch ein zweischneidiges Schwert für die Betriebsräte sein, das im Einzelfall auch zu einem Ausschluss von Mitwirkungsrechten führen kann.

Zum Beispiel: Bei der Frage, ob eine Betriebsänderung Nachteile für die Belegschaft – oder erhebliche Teile der Belegschaft – zur Folge hat, wird der Schwellenwert aus Paragraf 17 Kündigungsschutzgesetz zu Massenentlassungsanzeigen analog herangezogen. Interessenausgleichspflichtig sind hiernach nur Betriebsänderungen, die Nachteile für einen hinreichend großen Teil der Belegschaft bedeuten. Das Mitwirkungsrecht des Betriebsrates hängt somit davon ab, welcher Anteil der Mitarbeiter Nachteile etwa durch eine Restrukturierungsmaßnahme zu befürchten haben. Bei einer Vergrößerung der relevanten Belegschaftsstärke durch Einbeziehen der Leiharbeitnehmer wird der prozentuale Anteil der Arbeitnehmer verringert, die von der Betriebsänderung betroffenen sind. Die Frage – die noch auftreten wird – hat das BAG noch nicht beantwortet.

Wenn bei einem Unternehmen mit 60 Stammbelegschaftsmitgliedern und 40 dauernd beschäftigten Leiharbeitern eine Umstrukturierung stattfindet, infolge derer neun Stammbelegschaftsmitglieder Nachteile erleiden, ergäbe sich bei konsequenter Anwendung der entwickelten Grundsätze:

  • Bleiben die Leiharbeiter bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl außer Betracht, könnte der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber einen Interessenausgleich verhandeln.
  • Werden die Leiharbeiter bei der Bestimmung der Arbeitnehmeranzahl berücksichtigt, stünde dem Betriebsrat dieses Recht nicht mehr zu.

 

Das Fazit

Betriebe und Unternehmen, die viele Leiharbeiter einsetzen, bekommen künftig größere Betriebsräte.

Ungeklärt ist nun die Anschlussfrage, ob die neue Gleichstellung der Stammbelegschaft und der Leiharbeiter auch im Einzelfall zu einem Ausschluss der Betriebsratsbeteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten führen soll.

Tobias Brors, Arqis Rechtsanwälte

 

http://www.arqis.com/content2/cms/front_content.php?idcat=76&idart=453

 

Tobias Brors ist Fachanwalt ist Arbeitsrechtler bei der Kanzlei Arqis und war selbst mehrere Jahre freigestellter Betriebsrat bei einem Internet- und Telekommunikationsunternehmen.

 

 

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Alle Kommentare [10]

  1. Sehr interessanter Bericht! Bemerkenswert hier neben der im Vordergrund stehenden Stärkung der Rechte des Betriebsrates auch die potentielle Kehrseite der Medaille zu beleuchten.

  2. Tolles Bericht. Es bleibt offen, ob die Leiharbeiter in der Zukunft auf ihre neue Rechte tatsächlich bestehen werden…

  3. Sehr geehrter Herr Brors,

    ich habe eine Frage bezügich Ihre Berichts.
    Wer ist unter dem Begriff Leiharbeiter zu verstehen?
    Zählen auch Arbeinehmer die per Werkvertrag oder Dienstleistungsvertag im Betrieb arbeiten dazu, oder nur die Arbeitnehmer die per Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (AÜG) im Betrieb arbeiten.

    Für die Bestimmung der Größe des Betriebsrat bei uns eine nicht unrelevante Frage.
    Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort zu kommen lassen würden.

    Mit freundlichen Grüssen
    Hermann Weres (Betriebsrat)

  4. Sehr geehrter Herr Weres,

    haben Sie zunächst recht herzlichen Dank für Ihre Frage. Unter dem Begriff Leiharbeiter sind nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) nur solche Arbeitnehmer zu verstehen, die von ihrem Arbeitgeber als Verleiher an einen Dritten, den Entleiher, zur Arbeitsleistung überlassen werden.

    Von der Arbeitnehmerüberlassung streng zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages. In diesen Fällen wird der Werkunternehmer selbst für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der vorgesehenen Dienste oder Werke gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Im Gegensatz zu Leiharbeitnehmern unterliegen die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrages eingesetzten Arbeitnehmer den Weisungen des Werkunternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gerade nicht erfasst.
    Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien sind die Einbindung in die betriebliche Arbeitsorganisation und die Ausübung des arbeitsbezogenen Weisungsrechts.

    Widersprechen sich schriftliche Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, so kommt es für die Ermittlung des Vertragstyps maßgeblich auf die tatsächliche Durchführung an. Die zwingenden Schutzvorschriften des AÜG dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass ein vom tatsächlichen Geschehen abweichender Vertragstyp gewählt wird.

    Ich hoffe, dass ich Ihre Frage beantworten konnte.

    Mit freundlichen Grüßen

    Tobias Brors

  5. Dazu hätte ich eine Detailfrage im „Grenzbereich“:
    Unsere Firma hat mit Leiharbeitnehmern um 920 Beschäftigte, ohne knapp 800. Für die BetriebsratsGRÖßE sind die Unterschiede also unerheblich, auf jeden Fall der Bereich 700 bis 1000 mit 13 BR-Mitgliedern. Da es aber ohne Leiharbeitnehmer unter 9oo sind und mit denen 920, stellt sich mir die Frage, ob die Leiharbeitnehmer auch bei der Zahl der BR-Freistellungen eine Rolle spielt. Bisher gibt es 2 Freigestellte, wenn die Leiharbeiter da voll mitzählen, werden doch ab 901 Beschäftigten 3 BR-Mitglieder freigestellt?

  6. Guten Tag Herr Brors,
    auch im öffentlichen Dienst werden Leiharbeitnehmer beschäftigt. Nach dem BPersonalvertretungsrecht z.B. gehören sie zur Dienststelle.
    Wie sieht aber aus, wenn es um die Wahl der Gleichstellungsbeauftragten geht? Gehören sie dann nach § 4 BleiG auch als Beschäftigte zur Dienststelle? Bei uns gehen die Meinungen auseinander und es wurde entschieden, die Leiharbeitnehmerinnen nicht in das Wählerinnenverzeichnis aufzunehmen.

  7. Dazu hätte ich eine Detailfrage im “Grenzbereich”:
    Unsere Firma hat mit Leiharbeitnehmern um die 203 Mitarbeiter. Abzüglich der 10 Leitenden Angestellten, wäre dies 193. So wären wir unter der MA – Zahl von 200. Da das Betr.VG ab 200 Mitarbeiter einen freigestellten Betriebsrat vorsieht. Didie Leiharbeitnehmer auch bei der Zahl der BR-Freistellungen eine Rolle spielt. Bisher gibt es 0 Freigestellte, wenn die Leiharbeiter da voll mitzählen und wir unser Personal aufbauen möchten würden wir nach Abzug der leitenden Angestellten evt. auf über 200 MA kommenwerden. Doch ab 200Beschäftigten 1 BR-Mitglieder freigestellt?

  8. Hallo Hr. Brors,
    wie zählen Leiharbeiter bei der Bestimmung des Minderheitengeschlechts?
    Wir haben im Jahresschnitt 45 Leiharbeiter beschäftigt, wobei der Anteil männlich/weiblich städig schwankt. Oder zählen Leiharbeiter nur zur Bestimmung der Betriebsgröße und damit für die Größe des BR ?
    Vielen Dank für Ihre Antwort

  9. Hallo Herr Brors.
    Mich würde es ebenfalls interessieren, dass wenn die Leiharbeiter zu der Betriebsgröße zählen, sich das auch auf die Menge der freigestellten Betriebsräten bezieht?
    In unserem Fall sind wir 850 Mitarbeiter in Festanstellung, und 80 Leiharbeiter.
    Laut der neuen Rechtssprechung müssten wir ja dann 3 freigestellte Betriebsräte stellen.

    Mit freundlichen Gruß
    Joachim Regal