Weckruf für Manager: Wer in der Firma lieber wegsieht, riskiert sein eigenes Vermögen – Der Dieselskandal und die Schadensersatzforderung von VW an seine Ex-Topmanager Winterkorn und Stadler ist eine Blaupause. Interview mit Managerhaftungsprofi Michael Hendricks

VW verlangt von den Ex-Top-Managern Martin Winterkorn und Rupert Stadler wegen des Dieselskandals Schadenersatz aus ihrem Privatvermögen. Vorgeworfen wird den beiden, dass sie in dem Moment untätig blieben, als sie definitiv von den rechtswidrigen Machenschaften im Unternehmen erfuhren. Managerhaftungsexperte und Anwalt Michael Hendricks zeigt im Interview auf, warum dies ein Weckruf für alle Top-Manager, Vorstände und Geschäftsführer in Deutschland ist.

 

Michael Hendricks (Foto: PR)

 

Warum kommt die Ankündigung der Forderung von VW erst jetzt? Haben die Anwälte der Kanzlei Gleiss so lange Zeit gebraucht, weil sie so viel Material sichten mussten? Die Rede ist von irrwitzig viel Material und mehr als 1550 Interviews und Vernehmungen. Oder hat VW andere Gründe, erst jetzt Forderungen gegen die verantwortlichen Manager anzukündigen?

VW taktiert. Der Aufsichtsrat hat sich vermutlich deshalb sechs Jahre Zeit gelassen mit der Ankündigung der Inanspruchnahme der verantwortlichen Vorstände, weil der Konzern ansonsten selbst die vielen Verbraucherklagen befeuert hätte durch dieses Schuldeingeständnis.

 

Was passiert als nächstes?

Erfahrungsgemäß strebt der Aufsichtsrat einen Vergleich mit den D&O- Versicherern an und versucht, eine Klage zu umgehen: Um an schnelles Geld zu kommen und den Reputationsschaden nicht noch weiter zu vergrößern. Der VW-Aufsichtsrat, Martin Winterkorn und Rupert Stadler und die D&O-Versicherer werden sich an einen Tisch setzen und einen Vergleich aushandeln. So lief es schon bei Siemens, bei der Deutschen Bank und auch dem Flughafen BER. Von Winterkorn und Stadler wird dann eine Eigenbeteiligung gefordert werden, die sie aus ihrem Privatvermögen an VW zahlen müssen.

 

Wieviel wird VW von Martin Winterkorn und Rupert Stadler verlangen, wieviel werden die D&O-Versicherer zahlen müssen?

Das hängt von der Summe ab, die die D&O-Versicherer zahlen werden. Ich schätze, VW wird von den D&O-Versicherern 100 bis 200 Millionen Euro verlangen, auch wenn die Schäden eigentlich in die Milliarden gehen. Die Deckungssumme – die Höchstgrenze – im D&O-Vertrag beträgt laut Presseberichten nur 500 Millionen Euro. VW verlangt weniger, weil die Strafverfahren gegen Winterkorn und Stadler noch jahrelang laufen werden und – wenn das Gericht vorsätzliches Handeln der Topmanager annimmt – der Konzern dann am Ende ganz leer ausgehen könnte.

Beide Parteien, VW wie die D&O-Versicherer, zocken. Die Versicherer werden VW sozusagen ein Häppchen geben. Wenn das Gericht in einigen Jahren gewerbsmäßigen Bandenbetrug von Winterkorn und vorsätzliche Pflichtverletzungen von Stadler bejaht, dann sind die D&O-Versicherer fein raus: denn sie müssen nicht mehr die Höchstsumme zahlen.

Aber wenn das Gericht die Ex-Manager in einigen Jahren freisprechen würde, kann sich VW ärgern, weil der Konzern dann nicht die ganze Deckungssumme erhalten hat.

 

 

… und dann?

Werden sich diese drei Parteien einig, wird dieser Vergleich der Hauptversammlung von VW zur Abstimmung vorgelegt werden. Ich gehe davon aus, dass die Hauptversammlung diesen Vergleich genehmigt. Wiederum, um den Reputationsschaden von VW zu verringern und nicht noch weitere Prozesse loszutreten, die weitere zehn bis 15 Jahre dauern würden.

 

Also wieviel werden Martin Winterkorn und Rupert Stadler aus ihrem Privatvermögen an VW zahlen müssen, was schätzen Sie?

Bei dem Vergleich müssen auch die Topmanager Federn lassen und eine Eigenbeteiligung aus ihrem Privatvermögen zahlen – beziehungsweise auf Altersversorgungszusagen von VW verzichten.
In einem anderen Fall musste ein Finanzvorstand auf seine Altersbezüge von drei Millionen Euro gegenüber seinem Unternehmen verzichten – der gesamte Schaden betrug acht Millionen Euro.
Auch Winterkorn und Stadler werden wohl mehrere Millionen verlieren, indem sie ihre Versorgungsbezüge zurückgeben müssen und womöglich obendrein noch weitere Schadenersatzzahlungen an VW leisten müssen.

 

 

Müssen Martin Winterkorn und Rupert Stadler jetzt ihre Anwaltskosten – und wenn ja, wieviel – zurückzahlen an den D&O-Versicherer? 

Wenn VW, die beiden Ex-Manager Winterkorn und Stadler sich mit dem D&O-Versicherer schnell über eine Vergleichssumme einig werden, brauchen die Manager keine Kosten von Anwälten, die für die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche beauftragt wurden, erstatten.
Anderes gilt, wenn die beiden eines Tages vom Gericht wegen einer vorsätzlichen Straftat – dem Nichtaufklären und Stoppen der Schummelsoftware – verurteilt würden und kein Vergleich zuvor geschlossen wurde: Dann müssten die D&O-Versicherer wegen dieses vorsätzlichen Verhaltens nichts zahlen und könnten die bereits geleisteten Honorare für Anwälte der beiden von ihnen zurückfordern. Erfahrungsgemäß können diese Anwaltsrechnungen schnell ein, zwei, drei Millionen Euro und mehr ausmachen.

 

 

Welche Signalwirkung wird die Forderung von VW für andere Manager in anderen Branchen landauf landab haben? Der Pflichtverstoß, der den Topmanagern jetzt konkret vorgeworfen wird, ist ja dieses Mal ein Unterlassen – und zwar das schonungslose Nichtaufklären, als sie definitiv von dem Einsatz der betrügerischen Software erfuhren? Dieses Mal lautete der Vorwurf ja – anders als bei Siemens – gerade nicht Kontroll- oder Organisationsversagen.

Winterkorn und Stadler hätten sofort den Verkauf der Autos mit Schummelsoftware darin stoppen und alles aufklären müssen. Das haben sie nicht getan. Das genau wäre aber ihre Pflicht gewesen. Das bedeutet über diesen Fall hinaus: Manager müssen sich abgewöhnen, über Missstände im eigenen Haus nur wegzugucken. Das passiert überall und täglich, und genau das, worüber sie hinwegsehen, sind ihre eigenen Tretminen von morgen. Manager sollten im ureigensten Interesse tatsächlich auf Einhaltung der Gesetze in ihrer Firma achten. Denn wenn sie beim Wegschauen vom Gericht erwischt werden, müssen sie am Ende genau deshalb der Firma Schadensersatz aus eigener Tasche zahlen.

 

 

Im Klartext: Gerade ihr Weggucken macht sie persönlich schadensersatzpflichtig.

Genau. Ich frage: welcher Geschäftsführer, welcher Vorstand will schon seine Villa und seine Altersversorgung dafür opfern, dass das Unternehmen einen gesetzwidrigen Vorteil erlangt? Er selbst verliert dafür obendrein auch noch seinen Job. Ich fürchte, diese Folge, dieses Risiko macht sich derzeit kaum ein Manager klar, der heute noch wegsieht.

 

 

Das dürfte anstrengend werden. Vor allem: Wie ist diese Anforderung an die Topmanager vor dem Hintergrund des geplanten Gesetzes zu Whistleblowern zu sehen? Bislang reagieren – wie Arbeitsrechtler berichten – Unternehmen auf Whistleblower immer gleich: sie feuern sie. Diese Strategie könnte für Topmanager jetzt blitzgefährlich werden, richtig?

Tritt zum Jahresende das Whistleblower-Gesetz in Kraft, ist es aus Sicht der Topmanager selbstmörderisch, die Hinweisgeber zu feuern, statt ihnen zu danken und sofort Verstöße rückhaltlos aufzuklären. Im Grunde wird ein Manager, der durch Whistleblower Gesetzesverstöße in seinem Unternehmen erfährt, künftig ein besonderes, hohes Eigeninteresse an Aufklärung und Beseitigung haben müssen.

 

 

Das dürfte die bisherige ablehnende, geringschätzende Haltung der Topmanager gegenüber Whistleblowern ändern.

Der Präzedenzfall, der zumindest die Compliance-Experten aufschreckte, war ein Urteil vom Bundesgerichtshof im Jahre 2009. Damals wurde ein Compliance-Beauftragter – also nicht mal ein gutverdienender Topmanager – vom Strafgericht verurteilt wegen Beihilfe durch Unterlassen. Der BGH sagte im Klartext: Wenn ein Compliance-Beauftragter wegschaut und eine Straftat von Unternehmensangehörigen nicht zur Anzeige bringt, dann erfüllt er selbst diesen Straftatbestand – und zwar als Beihilfe durch Unterlassen. Egal ob es um Untreue, Betrug, Korruption oder Verstöße gegen Arbeitsschutz geht. Das gilt selbstverständlich auch für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte. Dieser Verurteilung der Strafrichter folgte dann im nächsten Schritt die Pflicht, Schadenersatz zu leisten – aus seinem Privatvermögen, das lange nicht so hoch ist wie bei einem Dax-Vorstand.

 

 

Hat diese Schadenersatzforderung von VW an Martin Winterkorn und Rupert Stadler Einfluss auf die vielen anderen Prozesse rund um den Dieselskandal?

Ja, VW gibt in seiner Pressemitteilung zu, dass es fahrlässige Pflichtverletzungen von Winterkorn und Stadler gegeben habe. Immerhin hat VW damit deren Pflichtverletzung zugegeben, auf die sich jeder Verbraucherkläger-Anwalt berufen kann. Deren Chancen steigen damit.

 

 

Gemessen an dem riesigen Schaden des Dieselskandals kommen die verantwortlichen Topmanager persönlich also recht glimpflich davon?  

Genau, und Ich möchte wetten, dass alles genau so ablaufen wird. Dass so ein Vergleich zustande kommt und die Hauptversammlung das absegnet. Und dass die beiden Topmanager mit einer einstelligen Millionensumme davonkommen werden. So wie beim vielbeachteten Skandalflughafen BER, bei dem die Steuerzahler jetzt den größten Schaden tragen – aber da hat von den Medien fast keiner mehr hingeschaut.

 

 

Und die Beteiligten werden natürlich – soweit es geht – Stillschweigen vereinbaren. Bleibt die Frage: Hätte der VW-Aufsichtsrat auch anders entscheiden können und keine Schadenersatzforderung gegen Martin Winterkorn und Rupert Stadler stellen? 

 

Nein, denn dann würde sich der Aufsichtsrat selbst schadenersatzpflichtig machen. Ein Aufsichtsrat kann nur dann darauf verzichten, gegen die Vorstände Schadenersatzforderungen zu erheben, wenn der ganze Fall noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist und der Reputationsschaden noch höher wäre als die Forderung. Aber beides trifft auf VW nicht zu.

 

 

 

 

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