Das, was seit Mitte März mit Beginn der Coronakrise hierzulande als Home Office läuft, ist ja tatsächlich nur eine Notlösung. Oder wie es der Journalist Hajo Schumacher nennt: eine Fluchtburg. Jedenfalls gibt es in allzu vielen Fällen gar kein Office im Eigenheim oder der Etagenwohnung. Da gibt den Familienvater, der zugibt „Ich arbeite gerade auf dem Bett“, weil er kein eigenes Arbeitszimmer hat. Wozu auch, wenn er als Pendler sonst gegen acht Uhr früh das Haus verlässt und erst gegen 20.30 Uhr wieder bei der Familie eintrudelt.
Oder die Mitarbeiterin, die viermal am Tag mit ihrer Arbeitsecke innerhalb der Wohnung umziehen muss, weil sie die Familienwohnung eben mit Mann und Baby und Kleinkind teilt. Und alle sind auch daheim.
Konferieren im Bratendunst
Viel besser ist auch nicht die Marketingexpertin dran, die in der WG-Küche arbeiten und ständig über Zoom undsoweiter konferieren muss – wenn sich der Mitbewohner daneben sein Mittagessen brät und sie im Küchendunst sitzt.
Gesund ist das ganze Treiben sowieso nicht. Eine Physiotherapeutin in Düsseldorf berichtet, dass immer mehr Patienten mit Rückenschmerzen zu ihr kommen – wegen der Home-Office-Arbeit am Küchentisch auf ungeeigneten Stühlen.
Die ewigen Störungen und der Sprint für den Paketboten
Mal ganz zu schweigen von vielerlei Störungen und Ablenkungen vorn der Arbeit. Man ahnt es nicht, wie viele Paketboten so alles anklingeln – am liebsten, wenn man in einem wichtigen Telefongespräch ist, klar. Doch das ist echt gestört, wenn der Hund daraufhin laut bellend losschießt und man sich schier gemeinsam mit ihm überschlägt, um schnell zur Wohnungstür zu kommen. Da geht es um Sekunden, ehe der eilige Bote schon wieder weg ist und man riskiert, fürs Abholen der Sendung bei der Post am darauffolgenden Samstag eineinhalb Stunden zu verlieren.
Mühselige Arbeit und unbändige Sehnsucht nach dem Büro
Alles nicht so drollig, es wirkt unprofessionell und ist vor allem eins: unendlich mühsam. Vor allem, wenn man dann noch diese erschwerenden Umstände hinzu rechnet: Fehlendes Equipment wie funktionierende Drucker oder ein ordentliches Headset, ein großer PC/Bildschirm und vernünftige Tasten statt einem Mini–Laptop-Bildschirm. Und ein funktionierendes, stabiles Internet. Da wird die Sehnsucht nach dem Büro – wenn es nicht gerade ein Großraumbüro mit geringem Abstand und garantierter Ansteckungsgefahr ist – unbändig.
Und: Nicht zu vergessen das Sozialleben im Büro. Das ist online nicht zu ersetzen und vor allem nicht die zufälligen Begegnungen mit Kollegen anderer Abteilungen und Gespräche, die in Nützlichem für die Company enden. Oder einfach einem Kontakt, der irgendwann mal wichtig wird.
Kein Wunder, dass inzwischen viele die Fluchtburg Home Office mit seinem Arbeitseckchen auf dem Wohnzimmertisch statt einem großen eigenen Schreibtisch im Einzelbüro und Namensschild an der Tür nur zu gerne wieder verlassen würden.
Effizienzsteigerungen @home und Kostensenkungs-Dollar in den Augen
Und dann ist da noch das Lager der Arbeitgeber: Die einen haben gemerkt, dass ihre frühere Angst vor Macht- und Kontrollverlust der Freunde um gestiegen Arbeitseffizienz gewichen ist. Mehr noch: sie haben schon wieder Kostensenkungs-Dollar in den Augen und hoffen, aus der Fluchtburg einen Dauerzustand machen zu können, um Gewerberaummiete zu sparen.
Das kann ich mir nur mit Unwissen erklären, wo doch unter Experten immer schon ausgemachte Sache war: Richtige Home Offices sind meist teurer als normale Büros. Wenn Arbeitgeber die Miete eines Arbeitszimmers monatlich überweisen, ein komplettes Equipment hinstellen und für IT-Wartung undsoweiter sorgen müssen. Und vor allem bezahlen. Jede Fahrt ins Büro muss dann nämlich als Reise abgerechnet und dem Mitarbeiter einzeln erstattet werden.
Und – ganz wichtig – der Heimarbeiter muss im Gegenzug seiner Firma vertraglich ein jederzeitiges Betretungsrecht seines Home Offices einräumen. Damit er und der Arbeitsschutz nach dem Rechten schauen kommen kann, ob die Arbeitssituation stimmt. Ganz so ergonomisch korrekt wie im Büro. Und dass der Mitarbeiter eben nicht auf dem Bett oder einer Ecke vom Wohnzimmertisch fristen muss. So wie in einer Fluchtburg.
Die Coronakrise dürfte aber so manchen Mitarbeiter – der vielleicht nicht unter Zoom-Kontrolle und ähnlichem steht -, dazu verleiten, Arbeitszeitbetrug zu begehen, erwartet Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott aus der Kanzlei FHM. Diejenigen, die justament in den acht Stunden, die sie als Arbeitszeit auf dem Stundenzettel eingetragen haben, bei einem zweistündigen Baumarktbesuch gesehen werden. Oder ganz Dreiste, die heimlich einem weiteren Broterwerb nach. Um ihr Kurzarbeitergeld aufzustocken. Ob diese Zahl denn signifikante gestiegen seit Mitte März? Noch nicht, sagt Fuhlrott. Aber das sei eher eine Frage der Zeit, denn bei seiner Mandantschaft ginge es um den Verdacht auf Arbeitszeitbetrug in jedem zehnten Fall – auch schon vor der Coronapandemie. Insoweit dürfe die Zahl zwangsläufig ansteigen, da ja auch die Zahl der Home-Office-Arbeiter plötzlich und sprunghaft hoch geschnellt ist.
Gruppendruck online
Das kann denen nicht passieren, deren Home-Office-Tag mit Morgen-Appell fürs ganze Team beginnt oder die teamweise online gehen und auch den ganzen Tag verbunden sind und im Daueraustausch bleiben. Bei der zweiten Gruppe entsteht übrigens sofort Rechtfertigungsdruck, wenn die Mittagspause statt 30 Minuten mal doppelt so lang ist, weil man etwas erledigen muss. Oder wenn man nicht permanent telefonisch erreichbar war.
Die freie Stunden-Wahl
Das sind aber nicht die klassischen Home Offices, denn bei denen darf sich der Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten eben selbst einteilen, so Fuhlrott. Im Klartext: Wenn er nicht gerade für Kunden erreichbar sein muss, braucht er auch nicht auf Abruf stets bereit sein – sondern darf selbst entscheiden, wann er arbeitet. Und wenn es nachts um drei Uhr ist. Solange es die Organisation nicht stört. Hauptsache er trägt´s wahrheitsgemäß auf seinem Stundenzettel ein.
Überwachung nur im Ausnahmefall
Doch zurück zu Fuhlrotts Beobachtungen: Wer seinen Arbeitgeber derartig prellt, riskiert die fristlose Kündigung. Vorher schalten anscheinend etliche Unternehmen Detektive ein, um ihre mutmasslich untreuen Angestellten zu überwachen – was aber nur im Ausnahmefall zulässig sei. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist ein Überwachungseinsatz nur dann erlaubt, wenn konkrete Verdachtsmomente für Arbeitszeitbetrug vorlägen. „Etwa wenn der Arbeitnehmer dauerhaft im Home Office kaum erreichbar ist, dafür keine Erklärung hat und insbesondere weitere Umstände wie eine stark verminderte Produktivität hinzu kommen“, so Fuhlrott. Dann sei der Detektiveinsatz samt heimlicher Überwachung des Arbeitnehmers zulässig – aber nur ausnahmsweise.
Heimliche Überwachungen als Schuss ins eigene Knie
Ohne solche konkreten Verdachtsmomente seien heimliche Überwachungen erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber dem Mitarbeiter. Die Folge: Selbst wenn der Detektiv in einem solchen Fall eine Pflichtverletzung bei einer anlasslos durchgeführten Überwachung dokumentiert, darf das Unternehmen dies nicht als Beweismittel später bei einem Arbeitsgerichtsprozess verwerten laut Bundesarbeitsgerichtsurteil (Aktenzeichen 2 AZR 597/16). Das bedeutet schlechte Karten in puncto Beweise. Und vor allem: Sie riskieren hohe Bußgelder der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden für solche Detektiv-Einsätze.