Autokartell: Wer sein Kartell verpfeift, braucht sich nicht outen via Ad-hoc-Mitteilung – aber der Aufsichtsrat muss zum Schweigen verdonnert werden. Sieben Fragen an die Heuking-Anwälte Rainer Velte und André Szesny

Unternehmen, die Kartellsünder sind und als Whistleblower das Kartell auffliegen lassen wollen, um selbst straffrei auszugehen, stecken gleich in mehreren Zwickmühlen: zwischen gegensätzlichen Pflichten zu Verschwiegenheit und Veröffentlichung einerseits. Und sie müssen obendrein ihrem eigenen Aufsichtsrat misstrauen. Denn der arbeitet ja hauptamtlich woanders – und das womöglich sogar bei einem Opfer dieses Kartells oder einem Mit-Kartellsünder.

 

BMW fühle sich von Daimler hintergangen und sei empört, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Denn Daimler habe schon 2014 bei der EU-Kommission „eine Art Selbstanzeige“ gemacht über mögliche, verbotene Kartellabsprachen zusammen mit vier anderen Autoherstellern – unter anderem eben auch BMW – , als Whistleblower von der Kronzeugenregelung der Kartellbehörden zu profitieren: Um die Chance zu haben, zum Dank für – rückhaltlos sämtliche – Informationen für die Ermittlungen ohne eine Millionenstrafe davon zu kommen. Auch VW soll später den Behörden eine ähnliche Offenbarung gemacht haben mit demselben Ziel. Die Bedingung laut eines Handouts des Bundeskartellamts ist in solchen Fällen: Dass die Kartell-Whistleblower darüber Stillschweigen bewahren – um die weiteren Ermittlungen der staatlichen Behörden nicht zu stören und auch, um die Mittäter nicht zu warnen.

Dumm nur, dass es – zumindest für börsennotierte Aktiengesellschaften – gleichzeitig die genau entgegen gesetzte Pflicht gibt, über Kursrelevantes sofort eine Ad-hoc-Mitteilung zu machen, um die Aktionäre zu schützen. Als die „Art Selbstanzeige“ von Daimler in die Presse kam, reagierte der Aktienkurs jedenfalls deutlich. Inzwischen prüft die Bafin. http://www.wiwo.de/unternehmen/auto/kartellverdacht-bafin-prueft-moegliche-verstoesse-von-autobauern/20155692.html

Vom Bundeskartellamt gab es auf Nachfrage der WiWo keine Auflösung. Nur diese: Auch von durchsuchten Unternehmen in anderen Fällen machten manche eine Ad-hoc-Mitteilung, manche nicht.

 

Daher hier nun sieben Fragen an den Wirtschaftsstrafrechtler André Szesny und den Kartellrechtler Rainer Velte zu dieser Zwickmühle. Beide Anwälte sind Partner der Top-Kanzlei Heuking Kühn.

 

Management-Blog: Kartellsünder, die sich selbst bei den Behörden als Kronzeuge anzeigen, stecken in der Zwickmühle: Als Whistleblower müssen sie schweigen, als börsennotierte Unternehmen müssen sie eine Ad hoc-Mitteilung über ihre Selbstanzeige herausgeben. Was raten Sie denen?

Velte: Ja, die Bonusregeln der deutschen und europäischen Kartellbehörden verlangen

Rainer Velte, Kartellrechtler bei Heuking

von Kronzeugen Stillschweigen – und das kollidiert womöglich mit deren Ad-hoc-Mitteilungspflicht. Das ist ein Dilemma für die Unternehmen. Wer sich als Kronzeuge beim Kartellamt oder der EU-Kommission offenbart, dem winken oft erhebliche Bußgeldabschläge – im Höchstfall wird ihm die Busse ganz erlassen. Verletzt das Unternehmen die Schweigepflicht der Bonusregeln, die die Kartellbehörden ihm dann auferlegen, riskiert er seinen Kronzeugenstatus und damit auch die Bußgeldrabatte oder – befreiung. Verstößt es aber gegen die Ad-hoc-Mitteilungspflicht, riskiert es dadurch hohe Geldbußen, schlimmstenfalls sogar Gefängnisstrafe für die Top-Manager wegen Marktmanipulation.

 

Ab wann muss eine börsennotierte Aktiengesellschaft denn bei einer Selbstanzeige bei Bundeskartellamt oder EU-Kommission die Aktionäre darüber per Ad-Hoc-Mitteilung informieren?

Szesny: Gegebenenfalls sofort, damit der Kapitalmarkt und die Aktionäre möglichst schnell und gleichmäßig informiert sind.  Zeigt sich ein Unternehmen wegen eines

André Szesny, Strafverteidiger bei Heuking

Kartellverstoßes an, kann das eine sofort, also ad hoc, zu veröffentlichende Insiderinformation sein. Das sind öffentlich nicht bekannte, präzise Informationen, die das Unternehmen betreffen und die, wenn sie bekannt werden, den Börsenkurs beeinflussen könnten.

 

Und wie soll sich ein börsennotiertes Unternehmen, das Kronzeuge sein will, verhalten? Schweigen oder melden per Ad-hoc-Mitteilung?

Szesny: Das ist wie zwischen Pest und Cholera wählen zu dürfen. Aber wer eine Pflicht nur erfüllen kann, wenn er dabei eine andere verletzt, darf wegen der Pflichtverletzung nicht bestraft werden. Juristen nennen das rechtfertigende Pflichtenkollision. Einzige Bedingung: die kollidierenden Pflichten müssen gleichwertig sein.Das liegt hier aber nicht auf der Hand: Ein Unterschied besteht schon darin, dass Ad-hoc-Mitteilungspflichten gesetzliche Pflichten sind…

Velte: … und dass die Schweigepflicht im Kronzeugenprogramm nicht gesetzlich geregelt ist. Sie beruht nur auf einer Verwaltungsvorschrift der Kartellbehörde, mit der Kartelle möglichst effektiv aufgedeckt werden sollen.  Praktisch und aus Sicht der Unternehmen wiegen Schweigepflicht und Ad-hoc-Mitteilungspflicht aber gleich schwer, denn in jedem Falle drohen Geldbußen oder gar Strafen – ob sie nun auf einem Gesetz beruhen oder nicht. Ich sehe deshalb als Kartellrechtler keinen qualitativen Unterschied.

 

Szesny: Das sehe ich auch aus kapitalmarktstrafrechtlicher Sicht so. Natürlich ist die schnelle Information des Kapitalmarkts und der Aktionäre wichtig, um Marktmissbrauch, vor allem Insiderhandel zu verhindern. Beides – die schnelle Aufklärung von Kartelldelikten wie auch die Verhinderung von Marktmissbrauch – sind wichtige Ziele im Rechtssystem.

 

Unternehmen, die ihre Mit-Kartellsünder verpfeifen, brauchen also keine Ad-hoc-Mitteilung machen?

Velte: Das ist im Einzelfall jedenfalls für eine gewisse Zeit denkbar. Diese Frage und diese Zwickmühle sind völlig neu. Im Gesetz steht dazu nichts. Auch kein Gericht hat dazu bis etwas gesagt. Oft lässt sich der Konflikt eines börsennotierten Unternehmens als Kronzeuge zwischen Stillschweigen und Ad-hoc-Mitteilungspflicht aber so lösen, dass es sich von den Kartellbehörden von der Schweigepflicht entbinden lässt. Der Parallelfall ist eine Durchsuchung eines Kartellverdächtigen: Das lässt die Bonusregelung des Bundeskartellamts für die Zeit nach einer Durchsuchung ausdrücklich zu. Aber erst danach,nicht eher.

 

Szesny: Außerdem können börsennotierte Aktiengesellschaften Ad-hoc-Mitteilungen aufschieben und erst später veröffentlichen. Das geht, wenn eine Ad-hoc-Mitteilung berechtigte Interessen des Unternehmens beeinträchtigen würde, …

 

… also finanzielle Verluste durch eine höhere Geldstrafe oder Geldbuße?

Velte: Genau. Im Kronzeugenantrag liegt die Chance, durch Selbstanzeige und Stillschweigen einen möglichst hohen Bußgeldnachlass zu erlangen. Hinzu kommt, dass der Kronzeuge auch zivilrechtlich nur beschränkt haftet – nämlich nur gegenüber seinen eigenen Kunden, nicht gegenüber allen anderen Kunden des Kartells, also auch der anderen Kartellsünder. Das ist ein berechtigtes Interesse des Unternehmens. Denn Kartellbußen und Schadenersatzforderungen erreichen schnell Millionenhöhen, und  die Vorstände haben die gesetzliche Pflicht, Schaden abzuwenden.

 

Szesny: Ein Zeitaufschub von den Kartellbehörden setzt zusätzlich voraus, dass der Markt nicht irregeführt wird und dass die Information während des Aufschubs geheim gehalten wird. Auch gegenüber den Mit-Kartellsündern. Das tun die Kronzeugen ja ohnehin, um den Bußgeldnachlass oder -erlass nicht zu gefährden. Börsennotierte Kronzeugen müssen also sorgfältig prüfen, ob sie die Ad-hoc-Mitteilung schieben können.

 

Was ist mit dem Aufsichtsrat: Daimler hat seinen Aufsichtsrat wohl informiert, VW aber nicht. VW-Aufsichtsrat Stephan Weil ärgerte sich in den TV-Nachrichten vor laufender Kamera darüber. Muss ein Vorstand womöglich gegenüber seinen eigenen Kontrolleuren, dem Aufsichtsrat, einen Kronzeugenantrag geheim halten? Immerhin können Aufsichtsräte in ihrem Hauptjob durchaus bei einem Mitbewerber im Vorstand sitzen – schlimmstenfalls sogar einem Mit-Kartellsünder oder Kunden, der sich geschädigt sieht.

Velte: Der Aufsichtsrat hat das Recht, vom Vorstand informiert zu werden, aber das ist in der Praxis problematisch. Jedenfalls muss der Vorstand sicherstellen, dass der Aufsichtsrat die Information geheim hält – auch gegenüber dem Unternehmen, bei dem er hauptberuflich tätig ist. Das kann tatsächlich ein Mitbewerber, ein Kunde, die Hausbank und schlimmstenfalls ein Mit-Kartellsünder sein.

 

Was ist mit den Mit-Kartellsündern: Können die nach einer Ad-Hoc-Mitteilung des – ersten – Whistleblowers überhaupt noch aufsatteln und auch selbst noch mit eigenen Kronzeugenanträgen hinterherkleckern? Um wenigstens Rabatte bei den Kartell-Strafen zu erreichen?

Velte: Ja, das können sie durchaus. Die Kronzeugenregelungen der Kartellbehörden wollen von kooperierenden Kartellanten wesentliche Aufklärungsbeiträge. Die sind auch dann noch möglich, wenn die Tatsache, dass der erste Sünder schon einen Kronzeugenantrag gestellt hat, schon öffentlich bekannt ist.

Ich habe sogar schon erlebt, dass Kartellbehörden von sich aus auf Mit-Kartellantsünder zugehen, sie über einen Kronzeugenantrag eines anderen informieren und sie ermuntern, ebenfalls einen Kronzeugenantrag zu stellen – zur Absicherung ihrer Ermittlungsergebnisse.

http://www.wiwo.de/unternehmen/auto/kartellverdacht-bafin-prueft-moegliche-verstoesse-von-autobauern/20155692.html

 

 

 

 

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