Martin Wollziefer über Change-Projekte: Power-Point und Arbeitsverhinderungsfeuerwerk hält die Belegschaft nur von der Arbeit ab

Restrukturierungsprozesse und Change-Projekte sind die Pest. Denn wenn, dann beweisen sie vor allem eins: Dass die bisherigen Top-Manager gepennt haben. Auf Marktveränderungen sollten Unternehmen ohnehin laufend reagieren. Und Change-Prozesse sind nicht mal so eben und nebenbei zu haben, sondern sorgen fürs Vernachlässigen des Alltagsgeschäfts. Fürs Vernachlässigen der Kunden, fürs Vernachlässigen des Kerngeschäfts. Zwangsläufig. Gastbeitrag von Personalexperte Martin Wollziefer von SW Recht & Personal. 

 

Martin Wollziefer, Chef der Personalberatung SW Recht & Personal

Martin Wollziefer, Chef der Personalberatung SW Recht & Personal

 

Das Power-Point- und Arbeitsverhinderungsfeuerwerk namens Change

Es gibt Aufsichtsräte, Vorstände und hilflose Mittelmanager, denen man das Wort und jeglichen Gedanken an Change verbieten müsste. Und so manchem Change-Unternehmensberater oder Trainer wünscht man das Erlebnis als Angestellter in einem von ihnen betreuten Unternehmen zu arbeiten: Change-geplagte Kollegen, permanentes Power-Point- und Arbeitsverhinderungsfeuerwerk mit Meeting- und Abstimmungstheater, Unsicherheit wegen der künftigen Strukturen, nervöse Mittelmanager und nichtssagende Betriebsversammlungen.

 

Die Sehnsucht, nur vernünftig arbeiten zu dürfen

Damit nicht genug: Die Mitarbeiter sollen derweil ihren Job weiter machen, nett zu den Unternehmensberatern sein und fortwährend ordentliche Ergebnisse im Alltagsgeschäft abliefern. Ganz so als gebe es keinen Change, keinen Restrukturierungsprozess, sondern Ruhe zum vernünftigen Arbeiten. Das wonach sich, nebenbei bemerkt, die meisten schon seit vielen Jahren sehen.

 

Restrukturierungen – wenn eine die nächste jagt

Dabei kann diese Art Praktikum in solchem Umfeld durchaus mal ein oder zwei Jahre dauern. Denn so lange dauert diese Phase der Unsicherheit ja oft. Bis die nächste Restrukturierung kommt und wieder die nächste. Manchmal hört sie gar nicht mehr auf.

Gegen Veränderung ist nichts zu sagen. Natürlich nicht. Gablers Wirtschaftslexikon definiert Changemanagement als „laufende Anpassung von Unternehmensstrategien und -strukturen an veränderte Rahmenbedingungen.“ Und dies ist eine ständige Aufgabe und kein zeitlich befristetes Change-Projekt.

 

Change als Beleg des Versagens

Rufen aber Aufsichtsrat oder Vorstand Change-Projekte mit blumigen, oft für viel Geld von Agenturen kreierten Kunstnamen aus, dann ist dies recht oft das Eingeständnis des bisherigen Missmanagements. Zu allem Überfluss auch noch vielfach ohne harte Konsequenzen für die Missmanager.

 

Unter dem Mangel an guter Unternehmensführung hat dann bis zu diesem Zeitpunkt bereits das ganze Unternehmen gelitten. Umsatz ging verloren, Ertrag geschmälert, es mangelte an Innovationen oder es wurde schlicht gelogen und betrogen. Letzteres nennt man – der heute eher weichspülenden Denkart angepasst – leicht verniedlichend XY-Gate oder Z-Skandal statt Lug und Trug.

 

Compliance tut Not, weil Offenheit und Vertrauenskultur fehlt

Auf einmal müssen beispielsweise neue Kontrollmechanismen  – Compliance – her. Da ist dann nichts mehr mit der bisherigen Offenheit und Vertrauenskultur. Oder neue Strukturen sollen effizienter die Märkte bedienen können. Im Fünf-Jahres-Rhythmus schwanken die Unternehmen dann zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung oder Linien- und Produktverantwortung, Matrix und Co.

76 Jahre nach Konrad Zuse, rund 30 Jahre nach CIM und CAD wird spontan die Digitalisierung entdeckt und auch irgendein XY 4.0 – Projekt ausgerufen. Strategie-, Projekt-, Lenkungskreis- und viele weitere Sitzungen werden nun zum Hauptzweck des Büroalltags. https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Zuse

 

Zur Freude der Coaches und Heerscharen an Beratern

Dies ist für manche der Beteiligten ja auch ganz gut. Ein ganzes Heer an Coaches und Beratern sowie die Papierhersteller verdienen eine Menge Geld an solchen Projekten.

Sie fragen: die Papierhersteller? Ja. Es werden sicher immer noch Millionen von recht belanglosen Protokollen und Powerpoints aus solchen Prozessen ausgedruckt und archiviert. Auf Papier. Auch so ein Projekt, nebenbei bemerkt: Das papierlose Büro. Aber das ist ein anderes Kapitel. Fakt ist: Die Verwerfungen des Change-Alltages schildert u.a. der Buchauszug über den „Ganz normalen Change-Wahnsinn“ hier im Management-Blog vor kurzem schon sehr anschaulich.

https://blog.wiwo.de/management/2016/02/12/buchauszug-der-ganz-normale-change-wahnsinn/

 

Die riesigen Kosten von Change – der dann doch nur von der Arbeit abhält

Der gängige Vorwurf an Personaler ist, dass sie nicht so gerne rechnen. Wenn sie es dann aber doch mal tun, dann wird es heikel. Ein Unternehmen mit beispielsweise 50 Millionen Euro an Personalkosten kann ja schnell herausfinden, was es bedeutet , wenn Change die Belegschaft beschäftigt – und von der Arbeit abhält.
Wenn die gesamte Belegschaft sich nur fünf Minuten täglich Gedanken um die Zukunft, kommende Projekte, künftige Teamstrukturen, neue IT undsoweiter macht, dann ist rasch eine halbe Million Euro ausgegeben, ohne auch nur einen Berater bezahlt zu haben.

 

Warum bin nicht ich in der Projektgruppe Newworkandhappiness?

Dabei: Fünf Minuten sind zu wenig. Realisten wissen, dass an der Stelle eher 15 bis 30 Minuten jeden Tag darauf verschwendet werden, darüber nachzugrübeln, warum nun Lieschen Maier und nicht Karl Heinz Müller in Projektgruppe Newworkandhappiness eingebunden ist.

Bei 15 Minuten täglicher Beschäftigung mit dem aktuellen Changeprozess sind dann schon 1,5 Millionen ausgegeben.

Hinzu kommen dann die Zeiten, die die aktiv in den Change einbezogenen Beschäftigten und Vorstände in der Projektarbeit, dem Change-Seminar oder sonstwo abtauchen. Nehmen wir mal an, dass zehn Prozent der Belegschaft rund 15 Prozent der Zeit damit belegen, dann kostet dies nochmal circa eine Million.

 

Wie sich der Schaden aufaddiert

2,5 Millionen kostet also ein einjähriger Change-Prozess ein mittelständisches Unternehmen. Konservativ gerechnet, ohne Beraterkosten, ohne change-initiierte Fluktuation von Beschäftigten. Und die, die gehen, sind übrigens meist die Besseren.
Hinzu kommt – wenngleich nicht sichtbar: die aktiv zurück gehaltene Arbeitsleistung von einzelnen Beschäftigten.

Spätestens an dieser Stelle wird Personalern dann oft gesagt, dass sie nicht so viel rechnen sollen. Welch Ironie.

 

Zurück zum Anfang: Auslöser sind die Fehler der bisherigen Manager

Um kurzfristig schwerwiegende wirtschaftliche Einbrüche oder eine zunehmende Abkoppelung von den Märkten eines Unternehmens zu verhindern, muss so manche Kursänderung, Neuausrichtung der Strategie oder ähnliches zügig – vielleicht auch in einem schmerzhaften Prozess – angegangen werden.

Aber der Auslöser der Hau-Ruck-Aktion ist meist keine total überraschende Änderung der Märkte. Der Auslöser ist oft die Erkenntnis, dass Führungskräfte zuvor ihren Job nicht ordentlich gemacht haben. Es wurden offenkundig eben keine laufenden Anpassungen von Unternehmensstrategien und -strukturen an veränderte Rahmenbedingungen“ vorgenommen.
Das Fazit: Je besser die Führung eines Unternehmens, umso weniger aufreibende und theatralische Changeprozesse benötigt ein Unternehmen.

 

Auswahl kommt vor Change: Wer gute Chefs ernennt, brauche keinen Change

Am Anfang liegt das Übel: Bei der Auswahl der Unternehmenslenker und Führungskräfte.
Bonusorientierte und auf Zielerreichung getrimmte Angestellte mit Dienstwagenanspruch sind überflüssig. Ebenso wie entscheidungs- und umsetzungsschwachen Manager mit ständigem Blick auf die eigene Karriere und Absicherung der eigenen Abteilungen, Bereiche und Ressorts.
Nötig sind dagegen marktsensible, für jede Art von Entwicklungen offene Unternehmertypen und Entscheider, die nicht dem Irrglauben unterliegen, dass sie bei hohen Boni schon automatisch auch im Unternehmensinteresse tätig waren.

Menschen, die schon wissen, dass man sich an Recht und Gesetz halten muss und dafür keine Compliance-Abteilung brauchen.

 

Die Mode der x.0-Projekte

Die Ertragskraft der Wirtschaft würde durch klügere und ruhigere Lenkung viel stärker steigen als durch die Last-Minute-Rettungsaktionen in Powerpoint-Change-Prozessen – die oft desaströs wirken. Oder durch die – eher aus modischen Gründen – angeordneten x.0 – Projekte.

Permanenter Wandel findet bei guter Führung aber ohne extreme Belastung der Organisation statt.

Vorausgesetzt, man installiert die richtigen Top-Manager.

 

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