Urlaub: Arbeiten statt Erholungsmodus? Für die meisten keine Frage

Es ist wunderbar, einen Chef zu haben, der einen in jedem Urlaub mit schöner Regelmäßigkeit mindestens zwei Tage lang arbeiten lässt – wo auch immer und unter welchen technischen Schwierigkeiten auch immer.

Die Familie mault, die technischen Probleme verlängern die Aktion obendrein und wenn man Wochen später – zart darum bittet, die Tage abfeiern zu dürfen, runzelt er mit der Stirn und fragt: „Wieso denn?“. Dann ist man als Arbeitnehmer, der in Vorlage gegangen ist und eigentlich überdurchschnittlichen Einsatz gezeigt hat, ruckzuck zum Dank auch noch in der Defensive.  „Ach so das. Ach, war das denn so lange?“ Die Botschaft ist klar: Maul halten, weiter arbeiten.

Denn klar ist auch: wer als Chef die selbst-genehmigten Urlaubstage seiner Mitarbeiter nicht in seine Planung aufnimmt, sondern ignoriert, kommt in Todder, wenn er irgendetwas von ihnen braucht und sie dann in Ferien sind. Also geht das Trommelfeuer los und wem als Angestellter sein Job lieb ist, der springt auch durch diesen Reifen wie ein dressierter Pudel. Klaglos – und fragt auch irgendwann nicht mehr, ob er die Urlaubstage nachholen darf.

Andere Chefs überschütten ihre Leute mit so viel Arbeit, dass sie sie vor den Ferien gar nicht fertig bekommen können. Auch diejenigen sind nicht nur „erreichbar“ oder an „der langen Handy-Leine“ in den Ferien, sondern müssen schlicht weiter arbeiten, um ihre Projekt fertig zu bekommen.

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Wer mit so einem Vorgesetzten und so einer Unternehmenskultur gesegnet ist, dem kommen – schwuppdiwupp – im Jahr gut und gerne sechs Urlaubstage mal so eben abhanden. Ausgleich? Null. Handlungsspielraum zur Gegenwehr? Faktisch auch Null. Siehe Gallup-Umfrage 2015 https://blog.wiwo.de/management/2015/03/11/gallup-studie-zu-mitarbeiter-engagement-die-meisten-schieben-nur-dienst-nach-vorschrift-hinter-ihrem-unternehmen-stehen-sie-nicht/ , siehe GPRA-Vertrauensindex Unternehmen 2015. https://blog.wiwo.de/management/2015/07/14/exklusiv-auswertung-gpra-vertrauensindex-wer-hat-angst-vor-dem-eigenen-unternehmen-die-grose-mehrheit/

 

Dezimierte Belegschaften

Denn: Seit den vielen Entlassungsrunden der Unternehmen in der vergangenen 15 Jahren verteilt sich die Arbeit auf immer weniger Schultern. Wer krank wird oder in Urlaub geht, dessen Arbeit kann eben von den Verbliebenen nicht mehr mal so eben mit erledigt werden, denn die sind selbst und auch schon so überlastet genug.

In dieselbe Richtung laufen die Erkenntnisse der immer gleichen Umfrage, die seit rund fünf Jahren pünktlich zur Sommer-Ferienzeit gestartet wird: Wie viele Leute sind via Handy für Ihren Chef auch im Urlaub permanent erreichbar? Oder für wichtige Kunden, Geschäftspartner oder Kollegen undsoweiter? Diesmal hat der Digitalverband Bitkom aufgeklärt:

72 Prozent der Beschäftigen, die Ferien machen, beantwortet dienstliche Anrufe, E-Mails oder SMS, WhatsApps oder iMessages.

 

„Die hohe Identifikation“ statt Angst vor der Arbeitslosigkeit?

Doch die Erklärung von Bitkom-Chef Bernhard Rohleder scheint dann doch sehr durch die rosarote Brille gesehen zu sein: „Für Notfälle auch in den Ferien erreichbar zu sein, zeigt die hohe Identifikation vieler Beschäftigten mit ihrem Unternehmen, ihrem Team oder ihren Aufgaben.“

Denn nicht nur ist es interessant, wie viele Notfälle es anscheinend mit großer Regelmäßigkeit es überall so gibt – und die sind auch vielleicht nur Notfälle, wenn es zu viel Arbeit für zu wenig Leute gibt – siehe oben. Sondern auch, wie viel Freiwilligkeit Rohleder den Arbeitnehmern unterstellt, wenn sie nicht nur selbst nicht in den Erholungsmodus kommen, sondern obendrein ständig Familienknatsch obendrein ernten. Und wie wenig sich herum gesprochen hat, wie hoch die Angst der Beschäftigten vor Jobverlust ist. Und das eher hier der Grund für die Bereitschaft der ständigen Erreichbarkeit zu finden sein könnte.

Dass manche Jobs gar keine Erreichbarkeit im Urlaub erforderlich machen, bleibt ebenso unbeachtet: Warum sollte ein Supermarktleiter seine Kassiererinnen anrufen? Oder ein Zahnarzt seine Helferin? Kein Wunder also, dass Bitkom verkündet:  „Gut jeder vierte Beschäftigte (28 Prozent) schaltet im Urlaub komplett ab. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Altersgruppen. So sind Frauen (32 Prozent) häufiger nicht erreichbar als Männer (24 Prozent).“

 

Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat: Befragt wurden 1.007 Bundesbürger ab 14 Jahren, darunter 545 Berufstätige. Die Umfrage ist repräsentativ.

https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Große-Mehrheit-der-Berufstätigen-ist-im-Urlaub-erreichbar.html

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Wie sieht es denn bei der Wiwo aus? Können alle Redakteur_innen Urlaub machen ohne „zwischendurch“ zu arbeiten?