Exklusiv: Gallup-Analyse – Lieber arbeitslos und glücklich als mit Job und miesem Arbeitsumfeld

Mitarbeiter-Führung: Wenn Arbeitslose glücklicher sind als Menschen mit Arbeit, läuft etwas brachial schief in den Unternehmen

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„360-Grad-Mitarbeiterbefragungen in Unternehmen sind oft nur Makulatur“, sagt Sabine Hansen, Personalberaterin von Amrop Delta. Denn: Etliche Mitarbeiter füllen die Fragebögen von vornherein so aus, dass sie selbst bloß nicht auffallen und ihr Chef ihnen später nicht übel will. Denn, so erklärt Hansen: „In Unternehmenskulturen, wo offenes Ansprechen nur Gegendruck bringt, nutzt das Top-Management häufig die Kritik der Belegschaft an Mittelmanagern, um sie abzustrafen. Dann gibt´s einen Eintrag in die Personalakte wegen ihres Führungsverhaltens.“ Statt zu reflektieren, warum Mitarbeiter mit ihren Chefs unzufrieden sind, „kommt es zu Rückkopplungseffekten und für die Mitarbeiter geht der Ärger danach erst richtig los,“ so Hansen. Die Devise heißt also „Bloß unterm Radar bleiben“ getreu der US-Motto, „don´t fight the system“. Selbst wenn Mitarbeiter also Fehlentscheidungen erkennen, schweigen sie vorsichtshalber tot.

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61 Prozent der Mitarbeiter sind Wegducker

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Dass sich sogar große Teile der Belegschaften – konkret 61 Prozent – nur noch wegducken, weil sie in ihrem Job unzufrieden sind und sich von ihrem direkten Chef nicht respektiert sowie anerkannt fühlen, ist das Ergebnis einer weltweiten Umfrage des US-Marktforschers Gallup, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Geantwortet haben über 190 Unternehmen aus 49 Branchen und 34 Ländern mit insgesamt 1,4 Millionen Beschäftigten. Das Ergebnis ist für Unternehmen alarmierend: Die Leistungsbereiten, die mit Herz, Hand und Verstand dabei sind, für die ihr Arbeitsumfeld stimmt, stellen eine Minderheit von 15 Prozent dar. „Sie fühlen sich respektvoll behandelt, als Mensch gesehen, machen oder lernen etwas Interessantes, gucken bei ihrer Arbeit nicht nur nach der Uhr. Weitere 24 Prozent der Mitarbeiter haben jedoch innerlich gekündigt, weil sie sich von ihren Vorgesetzten mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen im Job ignoriert fühlen.

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Wenn mehr Mitarbeiter gehen, als das Unternehmen eigentlich wollte

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Wohin das führt, erlebte gerade der weltgrößte Versicherer, AIG. In Deutschland wollte er 60 seiner 600 Arbeitsplätze streichen und bot laut „Handelsblatt“ eine Sprinterprämie von 30.000 Euro aus für diejenigen, die sich schnell zum Weggang entscheiden konnten, im zweiten Monat sollten es noch 20.000 Euro sein und im dritten Monat 10.000 Euro. Doch dass schon im ersten Monat so viele Mitarbeiter auf den Deal „mit Kußhand“ eingingen, dass da schon die Quote übererfüllt war, damit hatte AIG nicht gerechnet. Aus Unternehmenskreisen hieß es, die Mitarbeiter hätten fluchtartig das Unternehmen verlassen. Einzelne Abteilungen sollen praktisch leer gewesen sein. Die Stimmung soll miserabel sein.

Auch beim Schulbuchverlag Cornelsen bot die Geschäftsführung laut dem „boersenblatt.net“ unterschrieben nicht nur 174 Angestellte freiwillig Aufhebungsverträge, sondern weitere 50 schieden freiwillig aus, wo die Berliner eigentlich nur mit 30 Leuten rechneten. Brancheninsider gehen davor aus, dass es wegen des „Klimas der Angst“ – wie  „Der Tagesspiegel“ am 22.Juli 2013 schrieb, noch weit mehr als 50 Flüchtende waren. http://www.boersenblatt.net/630447/

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124 Milliarden Schaden für deutsche Unternehmen

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Soft Facts wie die Stimmung im Betrieb haben harte Folgen für die Ergebnisse der Unternehmen. Wäre sie nicht im Argen, sondern Mitarbeiter glücklich mit ihren Vorgesetzten, sähe es laut Gallup so aus: Die Firmen hätten 37 Prozent weniger Fehltage, 48 Prozent weniger Arbeitsunfälle, 41 Prozent weniger Qualitätsmängel an ihren Produkten und 65 Prozent weniger Fluktuation“, rechnet Marco Nink, der Studienverantwortliche bei Gallup vor. Die Meta-Analyse zeigt auf, dass allein in Deutschland sich der Schaden jedes Jahr auf 124 Milliarden Euro summiert.

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Marco Nink von Gallup

Marco Nink von Gallup

Eine weitere Überraschung der Gallup-Ergebnisse ist, dass dieses Ergebnis unabhängig von der Unternehmensform gilt: Es trifft ebenso auf Familienunternehmen wie Konzerne zu.

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Menschen mit Job und miesem Arbeitsumfeld leiden mehr als Arbeitslose

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Dramatisch ist aber aber für alle Beteiligten eine weitere Erkenntnis der Analyse: Diese 24 Prozent der innerlichen Kündiger geht es subjektiv und objektiv schlechter als ihren Ex-Kollegen, die arbeitslos sind. „Die sind nämlich weniger wütend und gestresst, sorgenfreier, haben mehr Glücksgefühle und sind auch körperlich schmerzfreier als diese hohe Zahl vernachlässigter Mitarbeiter in den Betrieben“, so Nink. Es gebe einen Mentalitätswandel: Arbeit – anders als jahrzehntelang von der Wissenschaft angenommen – ist nicht mehr sinnstiftend für die Menschen und der Schlüssel zur Einbindung in die Gesellschaft.

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Arbeitslose sind glücklicher als Arbeitnehmer mit schlechten Chefs

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Ninks Fazit: Arbeitslose fühlen sich trotz Arbeitslosigkeit besser als Menschen mit einem schlechten Chef. Der ist nämlich ist mit seinem Führungsverhalten die Ursache, „denn direkte Vorgesetzte repräsentieren immer für die Mitarbeiter die Firma“, ergänzt Personalexpertin Heike Cohausz von P4 Career Consultants. Sein Verhalten ist entscheidend, ob er sich wohl fühl oder nicht. Ob er sich daher gerne und mehr als unbedingt nötig einsetzt – oder es lässt. Ob er freiwillig Überstunden macht, weil er weiß, es wird gesehen und ihm auch gedankt – wenigstens durch respektvollen Umgang. Oder ob es nach 17 Uhr nicht mehr ans Telefon geht wg. Dienstschluss – auch wenn ein wichtiger Kunde am Apparat ist. Weil der Chef ihn sowieso seit Wochen nicht mehr wahrgenommen, ja ignoriert hat und ihn nur anspricht, wenn er etwas an seiner Arbeit auszusetzen hat.

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“ Die Beziehung zum direkten Vorgesetzten ist Hauptmotivator in Unternehmen“, bringt es Management-Guru Reinhard Sprenger auf den Punkt. Und: „Mitarbeiter kommen zu Unternehmen, kündigen aber ihrem direkten Vorgesetzten.“

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Fehlendes Bewusstsein der Vorgesetzten

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Bleibt die Frage: Was machen die Chefs nun massenweise falsch? Zunächst ist ihnen meist nicht bewusst, dass sie selbst diese Verantwortung tragen – und kein anderer, in der Hierarchie höher angesiedelter. Dass und wie wenig sie ihre Mitarbeiter anerkennen, ist den meisten ebensowenig klar.

Sie erleben sich meist selbst in einer Sandwich-Position mit der Überzeugung, nicht viel Handlungsspielraum bekommen zu haben und geben die Fehler, die sie ganz oben erleben weiter an ihre Mitarbeiter, beschreibt Cohausz.

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Falsche Beförderungspolitik als Ursache allen Übels

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Die typische Ursache dieses Dilemmas ist die Beförderungspolitik: Aus Fachkräften wird holterdipolter mal eben eine Führungskraft gemacht. Den Chefposten vertraut die Unternehmensleitung fast immer demjenigen an, der die beste Fachkraft ist -statt aufs Führungstalent zu schauen. „Dem fehlt dann oft das Bewusstsein, dass er das, was er brauchte, um Chef zu werden, nicht mehr braucht, sobald er Chef ist.“ Denn er soll jetzt nicht mehr seine früheren Aufgaben wahrnehmen, im Gegenteil, das ist kontraproduktiv“, schildert Reinhard Sprenger. „Seine neue Chef-Aufgabe ist, die Leistung anderer Menschen zu leiten, sie zu fordern und nur noch dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter glänzen.“

Doch diesen Paradigmenwechsel schafften die wenigsten Chefs intellektuell. Der Grund ist simpel: „Ihre Eitelkeit, die sie aus ihrer Fachkompetenz ziehen, steht Ihnen im Weg.“ Dann degradieren diese Chefs, die von ihren alten Aufgaben nicht lassen können, ihre Mitarbeiter zu Erfüllungsgehilfen und verschwenden damit Ressourcen, bilanziert Sprenger. Eigentlich könnten sie dann die Arbeit gleich alleine machen.

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Laut der Gallup-Analyse gilt diese Erkenntnis weltweit: Überall wollen die Mitarbeiter Feedback bekommen für ihre Arbeit und als Mensch gesehen werden. Egal in welchem Land.

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Mitarrbeitergespräche nur als Gelegenheit zum Vorwürfe-Machen

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Doch leider haben viele Führungskräfte die Haltung, dass das Gehalt am Monatsende genug Lohn ist. Zudem haben sie die Tendenz, zu erklären, was nicht gut läuft – statt zu betonen, was gut läuft. Messungen in Mitarbeitegesprächen belegen laut Marktforscher Gallup, dass nur acht Prozent der Gesprächszeit auf Positives entfallen, und 88 Prozent der Zeit auf das, was besser werden soll. Die Wirkung des eigentlich gut gemeinten Führungstools ist dann aber verheerend: Die Mitarbeiter sind froh, wenn´s vorbei ist – und die Chefs machen es auch nur, weil sie´s müssen.

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Warum klappt´s dennoch irgendwie?

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Schlussendlich ist das große Rätsel: Warum es dann trotzdem noch irgendwie funktioniert? Sprenger erklärt, dass „sich die Mitarbeiter zwar nicht mit ihrem Unternehmen identifizieren, aber sehr wohl mit ihrer Aufgabe.“ Sie differenzieren also und reagieren so: „Die Leute schimpfen furchtbar, aber übernehmen volle Verantwortung für ihre Aufgaben“, bilanziert der Management-Experte. Der Grund: Menschen verhalten sich so, weil sie „nicht in Unternehmen sondern in Nachbarschaften leben“.

Umfragen zum Thema Blaumachen beispielsweise zeigen, dass dies für viele nicht infrage kommt, weil sie nicht die Kollegen belasten wollen. Keiner will ein Schwein sein.

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Wer nette Kollegen hat, lebt länger

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Sogar wissenschaftliche Erkenntnise untermauern das: An der Universität Tel Aviv hat Sharon Toker über 20 Jahre lang untersucht, wie das Verhältnis von Angestellten zu ihren Vorgesetzten sowie Kollegen ist. An 820 Probanden, die im Schnitt 8,8 Stunden täglich arbeiteten. Nach seinen Erkenntnissen kann ein nettes Verhältnis zu Kollegen nachweislich zu einem längeren und gesünderen Leben führen. 53 Prozent der Arbeitnehmer dagegen, die in dieser Zeit starben, hatten kaum soziale Kontakte zu anderen Arbeitnehmern.

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Allerdings kann das Führungsverhalten die Geschäftskennzahlen verbessern. Schnell geht so ein Vorgang nicht: Es dauert, so Nink, fünf Jahre, bis in einer Firma allen Chefs klar ist, dass sie wissen, was gutes Führen bedeutet und wie sie´s machen müssen. Aber dazu ist erst mal deren Training, Coaching und regelmäßiges Feedback nötig.

 

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Alle Kommentare [2]

  1. Hallo,

    danke für diesen grandiosen Artikel! Ich hatte lange einen Job, mit welchem ich sehr unzufrieden war. Die Bezahlung war schlecht, der Arbeitgeber forderte ständig unbezahlte Überstunden und das Betriebsklima war auch eine Katastrophe. Nach einer Weile hat mich das psychisch so mitgebommen, dass ich mich richtig schlecht fühlt. Daraufhin habe ich den Arbeitsplatz gewechselt und mir ging es besser!

    LG