Spendenaufruf für Egon Greipl, der Ex-Beamte, der Schadenersatz für Scheinselbstständige an den Freistaat Bayern zahlen muss: „Wir bitten um ihre großzügige Mithilfe“

Dass Vorstände und Geschäftsführern bei der richtigen Einordnung von Auftragnehmern als Scheinselbständige – oder eben nicht – lieber keine Fehler riskieren sollten, um nicht persönlich schadenersatzpflichtig zu werden, ist wenig überraschend. Dass es aber einen Behördenleiter als Beamten treffen kann und er verurteilt wird, 450.000 Euro an Schadenersatz an den Freistaat Bayern als seinen eigenen Arbeitgeber zahlen muss, ist überraschend.

 

Egon Greipl, dem früheren obersten Denkmalschützer aus Bayern ergeht es genauso. Den Betrag muss er aus seinem Privatvermögen erstatten, weil er als Behördenleiter Veträge mit Scheinselbständigen unterschrieben hatte, für die am Ende doch Sozialabgaben nachgezahlt werden mussten (siehe unten).

Deshalb erschien in der Presse – im „Münchner Merkur“ kürzlich dieser Spendenaufruf zugunsten des bayerischen Generalkonservators, in dem Staatsminister und etliche andere höhere Beamte um Spenden auf das Sonderkonto Greipl baten.

Weil diese Summe „den wirtschaftlichen Ruin eines hoch engagierten, sicher nicht immer bequemen aber ausnahmslos der Sache verpflichteten Beamten bedeuten“ würde. Und dass sie das Vorgehen gegen Greipl „für unbillig halten“.

Zumal die bayerische Staatsaregierung ja zuvor die entsprechenden Planstellen abgebaut hatte. Aber die Arbeit wohl eben nicht entfallen war.

Übrigens ist Greipl seit 2013 gar nicht mehr im Amt, das Urteil trift ihn nun noch neun Jahre später.

In der Managerwelt kommt so etwas häufiger vor, Schadenersatzforderungen für Schäden durch Managementfehler. Mit mehreren Jahren Vwerspätung und oft zahlt auch ein D&O-Versicherer zumindest eine Vergleichssumme. Auch wenn es fast nie in der Presse nachzulesen ist, denn zu hoch sind die Interessen der Beteiligten an absoluter Verschwiegenheit.

Doch dass ein Beamter und zu so hohem Schadenersatz aus seinem Privatvermögen verdonnert wird, ist neu.

Und dass Verträge mit Auftragnehmern hohe Nachzahlungspflichten an Sozialabgaben und Steuern auslösen können, auch oft Jahre später, wurde zwar schon oft geschrieben. Aber ganz so ernst nehmen die Entscheider solche juristischen Fallen dann eben doch nicht – jedenfalls nicht bevor sie selbst reingetappt sind.

 

… das heikle Terrain der Beschäftigung von Scheinselbstständigen

 

Frei und trotzdem nicht frei

Wer Auftragsspitzen mit dem Einsatz von Freiberuflern abdeckt, fährt persönlich ein hohes Risiko. Beim nachträglichen Einordnen als Scheinselbstständige sind Behörden nicht zimperlich.

Text Claudia Tödtmann (zuerst erschienen in der gedruckten WirtschaftsWoche 2022)

Der Geschäftsführer des Berliner IT-Unternehmens fiel aus allen Wolken, als ihm der Brief von der Rentenversicherung vergangenen Dezember auf den Tisch flatterte. Knapp drei Millionen Euro sollte das Unternehmen an Sozialabgaben zahlen – für vier Jahre nachträglich. Die Summe war fällig für 188 IT-Freelancer, die – vermeintlich als Selbstständige – dem Unternehmen mit rund 1000 Festangestellten beim Abarbeiten ihrer Aufträge in vielen verschiedenen Projekten geholfen hatten.

Auf diese Freelancer stießen die Prüfer der Sozialkassen bei ihren turnusmäßigen Checks aller Sozialabgaben vor Ort. Ein Jahr lang untersuchten sie danach die insgesamt 200 Fälle. Jeden einzelnen IT-Freelancer schrieben sie an, glichen seine Antworten mit denen der Firma ab und fragten genau nach. Das Resultat: Nur zwölf von ihnen akzeptierte die Behörden tatsächlich als Freiberufler, alle anderen stuften sie als Scheinselbstständige ein, erzählt Arbeitsrechtler Thomas Müller von der Kanzlei Lutz Abel.

Thomas Müller (Foto: PR/Lutz Abel)

Für die 188 IT-Profis kein schlechter Deal, sagt der Anwalt: Sie erhöhen ihre Rentenanwartschaften ohne selbst einen Cent einzuzahlen. Denn die Unternehmen müssen in diesen Fällen nicht nur den Arbeitgeber-, sondern auch den Arbeitnehmeranteil mitübernehmen, der normalerweise dem Mitarbeiter vom allmonatlich Bruttolohn abgezogen wird. Gefährlich wird es dagegen für die Geschäftsführer und Vorstände an der Unternehmensspitze, denn das Vorenthalten von Sozialabgaben ist ein Straftatbestand. Sie riskieren nicht nur persönlich eine hohe Geldstrafe, so Müller. Wer mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung aufgebrummt bekommt, ist vorbestraft und darf nicht mehr als Geschäftsführer arbeiten – auch nicht woanders.

Diese Vorschriften seien auch kein Papiertiger, gerade in den vergangenen zwei Jahren beobachtet er immer härteres Durchgreifen der Behörden. Mitarbeitern kann der Arbeitgeber ungestraft Löhne vorenthalten, aber nicht Sozialabgaben, vergleicht der Münchner. Unangenehme Konsequenz im Ernstfall auch für die erwischte Firma: Sie darf nicht mehr mit Aufträgen der öffentlichen Hand bedacht werden, erklärt Müller.

 

Philipp Byers (Foto: C. Tödtmann)

Dabei sind meist gerade die IT-Experten selbst, die keine Festanstellung wollen – die ihnen die Unternehmen oft gerne gäben. In Zeiten des Fachkräftemangels können Freelancer doppelt soviel Geld verlangen wie Stammpersonal. „Als Ressource sind sie unverzichtbar, ihre Beauftragung läuft stets direkt über die Fachabteilungen, die über deren Unterstützung heilfroh sind – und das an der Personalabteilung vorbei“, berichtet Arbeitsrechtler Philipp Byers von der Kanzlei Watson Farley & Williams. Interesse an Aufklärung der Fälle hätten die schon mal gleich nicht, ist seine Erfahrung.

 

Die Personalabteilung sind eigentlich die Zuständigen, um lieber gleich von der Clearingstelle der Rentenversicherung eine sogenannte Status-Feststellung machen zu lassen: Zur Sicherheit, ob die Freien tatsächlich frei oder doch Scheinselbständige seien. Insgesamt gilt: „Die Schwelle, um eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, ist niedriger geworden“, sagt Anwalt Lars Kuchenbecker von Menold Bezler.

 

Lars Kuchenbecker (Foto: PR/ Menold Bezler)

Die beiden Hauptkriterien für eine Einordnung als Scheinselbständige sind ihre Eingliederung in die Organisation sowie ihre Weisungsgebundenheit. Kuchenbecker: Schon bei einem sehr geringen Eingriff in die Weisungsfreiheit nähmen die Sozialversicherungsprüfer oft ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis an: Dann kann es reichen, wenn eine an sich selbstständig tätige Person regelmäßig Aufgaben in den Räumen des Auftraggebers übernimmt. Selbst wenn die Aufgabe gar nicht anders erfüllt werden könne, so der Arbeitsrechtler.

 

Weitere Indizien: Wer auf Telefonlisten der Firma steht oder eine Mailadresse wie alle Mitarbeiter hat, wird von Behörden als sozialversicherungspflichtig eingestuft. Im Fall des Berliner IT-Unternehmens sprach für die Scheinselbstständigkeit der 182 Leute, dass sie die Software samt IT-Support von der Firma erhielten. Bei den zwölf echten Freelancern kam es denn Behörden auf deren eigene Ausstattung an: wer besonders teure Profi-Laptops angeschafft hatte, eigene Visitenkarten und eigene Give-Aways und Werbematerial wie Kugelschreiber hatte, überzeugte als Selbstständiger, erzählt Anwalt Müller.

 

„Insgesamt nehmen Rentenversicherung und Sozialgerichte immer mehr Branchen als Ganzes ins Visier, um vermeintlich abhängige Beschäftigte zu finden“, fällt auch Christian Rolf, Arbeitsrechtler bei McDermott auf. Zuerst war es die Gesundheitsbranche wegen der Honorarärzte und den ausländischen Pflegekräften, jetzt liege der Fokus au  Geschäftsführern von Rechtsanwaltsgesellschaften, die als GmbH firmieren.

 

Verwirrend ist, dass die Kriterien und Indizien der Behörden nicht in Stein gemeißelt und berechenbar sind, es kommen durchaus mal ganz neue hinzu, erzählt Arbeitsrechtler Müller. Sein Fazit: „Im Ergebnis regiert unfassbare Rechtsunsicherheit.“

 

Jan Tibor Lelley (Foto: Buse Heberer)

Jan Tibor Lelley (Foto: Buse/PR)

Ganze Start-up-Genres können daran scheitern. Zum Beispiel: Die Verleiher von Ärzten an Kliniken oder Arztpraxen, berichtet Arbeitsrechtler Jan Tibor Lelley von Buse. Die vermittelten Mediziner sind nämlich nicht frei, sondern „eingebunden in die Organisations- und Weisungsstrukturen der Krankenhäuser was Arbeitszeit, Dienstzimmer, Bekleidung und Betriebsmittel wie medizinische Geräte sowie Qualitätssicherungs- und Kontrollmechanismen betrifft“, zählt Lelley auf. Daran ändere auch der Ärztemangel nichts. Allein dass ein Vertretungsarzt mit vorhandenen Personal zusammenarbeitet, ist ein Indiz gegen Freiberuflichkeit, urteilte das Landessozialgericht Berlin erst im Dezember 2020.

 

Die Konsequenzen? Zu Arbeitnehmern des jeweiligen Unternehmens macht die Einstufung als Scheinselbständige noch lange nicht. „Arbeitsgerichte und Sozialgerichte können denselben Fall entgegengesetzt beurteilen“, erklärt Müller. Trotzdem unterstellen Behörden Unternehmen bei Entdeckung immer Fahrlässigkeit und dem Geschäftsführer drohen auch persönliche Geldbußen, so Lelley.

 

Selbst ein Beamter muss einstehen für die Sozialabgaben

Nicht einmal Staatsdiener sind davor sicher. Ausgerechnet den früheren obersten Denkmalschützer Bayerns, Egon Greipl, verurteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erst vergangenen Dezember zur Erstattung von 735 000 Euro. Das ist die Summe, die der Freistaat selbst für die Scheinselbständigen an Sozialabgaben nachzahlen musste.

 

Der Regensburger hatte 90 Scheinwerkverträge als Behördenleiter unterschrieben, als das Stammpersonal für die Umsetzung eines Digitalisierungsprojekts nicht ausreichte. Den Betrag muss der Ex-Behördenleiter nun aus eigener Tasche als Schadenersatz zahlen, erläutert Anwalt Müller. Was die Richter ihm besonders ankreideten, war seine Sturheit: der Mann war von Justiziaren genau davor gewarnt worden.

 

 

 

 

 

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