Hinweisgeberschutzgesetz: Anonyme Hinweise müssen noch nicht verfolgt werden, Whistleblowern droht ihre Enttarnung wegen des Datenschutzgesetzes

Das neue Hinweisgeberschutzgesetz – Was Unternehmen jetzt tun müssen und was sie nicht befürchten brauchen, erklärt Compliance-Anwältin Karin Holloch.  

 

 

Karin Holloch (Foto: C.Tödtmann)



Mit einem Jahr Verspätung hat der Bundestag jetzt ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. So lange war die Umsetzungsfrist der zugrundeliegenden EU-Richtlinie schon abgelaufen. Mutige Hinweisgeber, die Skandale wie Cum-Ex, Pflegenotstand oder Medikamentenpanscherei ans Licht bringen, sollen damit vor Kündigung, Verleumdung und anderen Repressalien ihres Arbeitgebers geschützt werden.

Das könnte die Schäden in Unternehmen durch Wirtschaftskriminalität senken. Es ist eine Chance für Geschäftsführer und Vorstände, die bei Straftaten im Unternehmen wie unerlaubten Kartellabsprachen, Korruption oder Zollverstößen den Kopf hinhalten müssen. Recht hat Justizmininister Marco Buschmann, der sagt: Hinweisgeberschutz ist Unternehmensschutz. Voraussichtlich ab Mai 2023 müssen Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern handeln, Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern ab 17. Dezember 2023. Die Pflicht, anonyme Hinweise anzunehmen und zu verfolgen, besteht für alle Unternehmen erst ab Januar 2025.

 

Was Unternehmen tun müssen, um die neuen gesetzlichen Regeln zu erfüllen:

Unternehmen ab 50 Mitarbeitern müssen eine interne Meldestelle einrichten, die  Beschäftigte mit Hinweisen auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nutzen können. Kleine Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten können eine solche Meldestelle auch gemeinsam mit einer Anwaltskanzlei oder bei einem Verband betreiben. Die Mitarbeiterzahl bezieht sich auf die Zahl der Köpfe und nicht auf die Vollzeitstellen. Auch Leiharbeiter, die sechs Monate oder länger im Unternehmen sind, zählen auch dazu.



• Die Meldekanäle müssen mündliche wie schriftliche Hinweise ermöglichen. Wenn Hinweisgeber es wollen, müssen Unternehmen auch persönliche Treffen ermöglichen. Während des ganzen Meldeverfahrens muss das Unternehmen  Vertraulichkeit sowie der Schutz der Hinweisgeber und Einhaltung aller Datenschutzrechte gewährleisten.


Anonyme Meldungen müssen akzeptiert und aufgeklärt werden, jedenfalls ab 2025.

 

(Foto: C.Tödtmann)


• Die Verantwortlichen für die Meldestellen in den Unternehmen müssen ihren Job unabhängig (weisungsfrei) und mit der notwendigen Fachkunde ausüben. Unternehmen müssen dafür aber keine neue Vollzeitstelle schaffen.


Kosten: Es gibt etliche Anbieter von web-basierten Meldesystemen, deren Software die rechtlichen Anforderungen erfüllen. Kleinere Unternehmen können solche Systeme für unter 1.000,- Euro im Jahr haben.


Hinweisgeber können wählen zwischen der Meldung bei einer internen Stelle im Unternehmen oder bei einer externen Stelle wie dem Bundesamt für Justiz, dem Kartellamt oder der BaFin ein. Also liegt es im Interesse der Unternehmen, die Meldestellen attraktiv zu gestalten und Hinweise effektiv aufzuklären.

• Ob Konzerne eine zentrale Meldestelle einrichten können oder ob jede Tochtergesellschaft eine eigene Meldestelle haben muss, da sind EU-Kommission und Bundestag uneins: Womöglich ist die deutsche Regelung europarechtswidrig und Unternehmen mit einer zentralen Meldestelle bekommen Probleme.

• Unternehmen mit Tochtergesellschaften in mehreren europäischen Ländern müssen teils sehr unterschiedliche, nationale Hinweisgeberschutzgesetze erfüllen. Etwa  bei der Dokumentation der Hinweise: Deutsche müssen sie drei Jahre aufbewahren, Polen fünf Jahre. Oder in puncto Vertraulichkeit: In Deutschland darf die Meldestelle den Namen des Hinweisgebers der Geschäftsführung verraten, wenn es erforderlich ist – in Österreich dagegen nicht. Während in Deutschland der Schutz der Hinweisgeber abzuwägen ist gegen den Datenschutz der Betroffenen, geben Länder wie Schweden dem Whistleblowerschutz klar den Vorrang.

 

• Hinweise an die Meldestelle, die unter den Schutzbereich des Gesetzes fallen und stichhaltig sind, müssen vom Unternehmen nachverfolgt und aufgeklärt werden, zum Beispiel durch eine interne Untersuchung. Wie die auszusehen hat, darüber informiert das Gesetz die Unternehmen leider nicht.

• Meldestellen müssen Hinweisgebern eine Eingangsbestätigung nach spätestens sieben Tagen geben und danach spätestens drei Monate später eine Feedback-Meldung über geplante oder ergriffenen Folgemaßnahmen zur Aufklärung des Hinweises.


• Wenn der Hinweis insbesondere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten betrifft, darf das Unternehmen den Whistleblower nicht abstrafen oder bedrohen mit Kündigung, Versetzung, Verweigerung einer Beförderung, einer Bonus-Zahlung oder Fortbildung – und auch nicht anders benachteiligen.

Allerdings muss der Arbeitgeber – wenn es vor Gericht geht – selbst beweisen, dass er den Whistlelblower nicht deshalb mit Kündigung oder anders abstraft, gerade weil der einen Hinweis gegeben hat. Stichwort: Beweislastumkehr.


• Unbegründet ist die Angst der Unternehmen vor missbräuchlichen, bewussten Falschmeldungen. Erfahrungsgemäß gehen keine fünf Prozent solcher missbräuchlicher Hinweise oder falsch verstandener Hinweise ein wie Beschwerden über das Kantinenessen  – und die sind meist schon auf Anhieb erkennbar. Im Ernstfall drohen den Tätern auch Schadensersatzansprüchen.



• Umgekehrt können auch Hinweisgeber bei – verbotenen – Repressalien Schadensersatz von Unternehmen fordern. Und das sogar für sogenannte immaterielle Schäden wie Reputationsschäden.


• Die Angst der Unternehmen vor einer Meldungslawine in Deutschland dürfte ebenfalls unbegründet sein: In Europa bekommen Unternehmen im Schnitt fünf Meldungen pro Jahr pro 1.000 Mitarbeiter. Im internationalen Vergleich ist Europa damit absolutes Schlusslicht. Was aber 2022 gestiegen ist: Die Zahl von Meldungen zu sexualisierter Gewalt in Unternehmen  wie unangemessener Wortwahl, anzüglichen Bemerkungen bis hin zu schweren Sexualstraftaten.


• Wer wegen eines Fehlverhaltens beschuldigt wird, hat einen Datenauskunftsanspruch und kann so den Namen des Whistleblowers heraus bekommen. Das wird die Zahl der anonymen Meldungen steigern.

• Richten Unternehmen Meldestellen zu spät oder nicht richtig ein und schützen Hinweisgeber nicht, drohen ihnen Bußgelder bis zu einhunderttausend Euro.



 

 

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