Buchauszug Dorothea Assig und Dorothee Echter: „Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin!“ Wie Karrieremythen Ihren Erfolg blockieren und Sie dennoch weiterkommen

Buchauszug Dorothea Assig und Dorothee Echter: „Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin!“ Wie Karrieremythen Ihren Erfolg blockieren und Sie dennoch weiterkommen

 

Dorothee Echter und Dorothea Assig (Foto: Privat, Assig/Echter)

 

Mythos: Große Leistungen werden entdeckt und belohnt

Wie der Mythos sich zeigt: »Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin.«

Entdeckt zu werden, ist eine Allmachtsfantasie nach der Devise »Ich bin so großartig, das muss doch gesehen werden«. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Es sei denn, Sie wollen ins Modelbusiness, da gibt es Entdeckungen durch Scouts bei Spaziergängen oder im Café. Für alle anderen gilt: Entdeckt zu werden, ist ein äußerst komplexer sozialer Prozess.

In Unternehmen, in der Kunst, im Sport, überall werden viele Menschen, die Außergewöhnliches leisten, übersehen. Ihre Leistungen bleiben unbeachtet, auch wenn sie für das Unternehmen oder für die Gesellschaft äußerst gewinnbringend sind. Sie gehen im Alltagsgeschäft unter, die Menschen bleiben unsichtbar. So kann es geschehen, dass eine vielversprechende Karriere ins Stocken gerät. Personalverantwortliche und Vorgesetzte suchen mit großem Aufwand die besten Talente. Doch wer gefunden werden will, muss sich zeigen. Diejenigen, die an den Entdecktwerden-Mythos glauben, sind stattdessen mit Arbeiten und Hoffen beschäftigt. Iris Bohnet, Verhaltensökonomin und Professorin in Harvard, kommt zu dem Schluss: »Dass Leistung entscheidend für die Karriere ist, ist ein Mythos«. (Anmerkung 19)

 

Arbeiten, härter arbeiten, weiterhoffen

Let’s face it: Beste Ergebnisse allein führen nicht zum Erfolg. Da hilft kein Trotz, keine Beschuldigung anderer, keine noch größere Anstrengung. Denn herausragende Leistungen erbringen und Karriere machen sind zwei unterschiedliche Systeme.

Zu Beginn einer Karriere ist Leistung die Währung, um gefördert zu werden. Ab dem mittleren Management reicht das nicht mehr, allenfalls ist es ausreichend, um den Status zu erhalten. Leistungsbeweise werden zunehmend unwichtiger, weil mit mehr Verantwortung – und schließlich mit der Verortung im Topmanagement – Spitzenleistung vorausgesetzt wird. Entscheidend ist, ob die Ergebnisse mit Ihrem Namen verbunden sind. Täuschen Sie sich nicht, Arbeitsprozesse sind heute so komplex, dass dies keineswegs automatisch geschieht.

Viele Menschen tragen zum Erfolg eines Unternehmens bei und schmücken sich damit. Was Ihr besonderer Beitrag, Ihr spezifisches Können ist, müssen Sie selbst beschreiben und kundtun. Was Sie nicht selbst mit großartigen, treffenden Worten benennen, das gibt es nicht – nicht einmal für Ihre direkten Vorgesetzten.

Antonia Götsch, Editor in Chief beim Fachmagazin Harvard Business Manager, präsentierte in ihrem Newsletter vom Februar 2022 eine entscheidende Studie für alle, die an den Leistungsmythos glauben: »Die meisten Führungskräfte kennen nur einen Bruchteil der Aufgaben, die ihr Team regelmäßig bearbeitet. Im Schnitt waren es 40 Prozent, wie eine Studie der Harvard Business School und Wharton School zeigt. In einem extremen Fall konnte die Führungskraft sogar nur 4 Prozent der Aufgaben ihrer Mitarbeitenden beschreiben«.

Wenn Ihre Vorgesetzten nicht einmal wissen, was Sie machen, dann erkennen sie auch nicht Ihre Erfolge. Sie können von allen in Ihrer direkten Umgebung anerkannt werden, aber es sind Vorgesetzte, die Ihre Karriere beflügeln – oder auch nicht. Wer sich auf Leistungsbeweise für die weitere Karriere verlässt, verkennt auch, dass über Karrieren heutzutage von immer mehr Menschen entschieden wird. Je anspruchsvoller die Position ist, umso mehr Menschen sind an ihrer Besetzung beteiligt. Menschen, die Sie nicht einmal persönlich kennen. Allesamt mit höchst unterschiedlichen Interessen, Themen und Kenntnissen, sodass sie Ihre fachliche Leistung nicht einmal beurteilen können.

»Hier wissen alle, wie gut ich bin«, reden sich viele Menschen ein. Doch im Alltag werden Erfolge vergessen und auch der renommier- teste Preis verliert nach einiger Zeit an Glanz. Vergangene Erfolge sind für die anderen eben nur eins: vergangen. Sie haben dazu beigetragen, dass Ihr Kollege befördert wurde? Vergessen. Sie haben die Verhandlungen für den größten Erfolg der Firmengeschichte geführt? Sie selbst wissen es, können sich aber nicht darauf verlassen, dass auch andere sich erinnern. Niemand weiß auf Anhieb, welche Ehrungen, Preise und Erfolge Teammitglieder erreicht haben. Das bedeutet, Sie müssen Ihre Erfolge im Alltag kommunizieren und in große Worte fassen. »Wir möchten auf diesem Erfolgslevel große Deals realisieren, deshalb bin ich dafür, dass …« Der Kontext, das Anliegen, um das es Ihnen geht – in diesem Fall, Big Deals zu erreichen –, muss in jedem Gespräch, in jeder E-Mail, in jedem Meeting mitgeliefert werden, direkt oder indirekt.

 

Treten Sie in Erscheinung

Claudia liebt alles an ihrem Job, vor allem den Kontakt zu den Auftraggebern vom ersten Telefonat bis hin zur Abschlussbewertung. Sie leitet ein Team in einem großen Catering-Unternehmen. Ganz besonders stolz ist sie darauf, dass aus jedem einzelnen Auftrag, den sie erledigt, neue Empfehlungen entstehen. Egal, ob alles perfekt geklappt hat oder es auch mal Beschwerden gab. Sie hat es genau mitverfolgt: Aus den letzten 22 Events, für die sie in diesem Jahr bisher verantwortlich war, konnten knapp 100 neue Leads (Kundenanfragen) und über 20 neue Aufträge generiert werden. Das sind im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen sensationelle Zahlen!

Claudia würde gern noch mehr mit noch größeren, wichtigeren Kunden zu tun haben und weniger mit der organisatorischen Abwicklung. Sie könnte sich vorstellen, eine neue regionale Niederlassung zu gründen und zu leiten. Da die bisherigen Erfolge nicht ihr zugerechnet werden, sondern ihrem Chef Gerd, hängt sie sich noch mehr rein. Sie will ihm beweisen, wie gut sie ist, und legt ihm ihre Zahlen vor. Ihr Chef freut sich: »Weiter so! Leute wie dich brauchen wir. Aber jetzt entschuldige mich, ich muss in ein wichtiges Kundengespräch. Stell dir vor, es ist Herr Meyer vom Meyer-Konzern.« Und weg ist er.

Herrn Meyer hat Claudia mit großer Expertise persönlich angeworben. »Unverschämtheit!«, denkt Claudia und schreibt auf der Stelle eine empörte E-Mail: »Lieber Gerd, mir geht es genau darum, dass du meine Leistung nicht würdigst. Weißt du überhaupt, dass ich es war, die den Kontakt zwischen dir und Herrn Meyer hergestellt hat? Und dass ich dir in diesem Jahr schon mehr als 90 Kundengespräche verschafft habe? Wie viele Kunden hast du eigentlich neu akquiriert? Ich arbeite 60 Stunden die Woche und bringe der Firma sattes Umsatzwachstum. Du willst mich da behalten, wo ich jetzt bin. Aber ich kann so viel mehr. Deshalb fordere ich eine Beförderung innerhalb von zwölf Monaten. Gruß, Claudia.«

Warum können andere, oft nicht einmal Vorgesetzte, Erfolge kaum zuordnen? Weil zu viele Menschen und Faktoren beteiligt sind und sich die Erfolgsdynamiken und Prozesse ständig ändern. Was haben die anderen Teammitglieder bewirkt? Was das neue CRM-System? Wie haben sich die Ideen dieses Social-Media-Marketers ausgewirkt? Welchen Einfluss hatte die Mikrokonjunktur? Was war Zufall und was die eigene Ausstrahlung? Zu behaupten, Claudia habe hier bewiesen, dass sie auf der Basis ihres exzellenten Könnens und ihrer besonderen Kommunikationsbegabung das Firmenergebnis innerhalb eines Jahres um fast ein Viertel nach oben gebracht habe, wird ohne Claudias explizite Erläuterung nicht gesehen. Was allerdings sehr wohl wahrgenommen und bewertet werden kann, ist Claudias Verhalten, wenn ihr Erfolg nicht gewürdigt wird: nörgeln, beschuldigen und Anerkennung einfordern. So jemand wird für größere Aufgaben sicher nicht entdeckt.

Wenn die wichtigen Entscheider*innen nicht sehen, wie herausragend der eigene Beitrag ist, ist das schmerzhaft. Manchmal braucht es viel Zeit, sich einzugestehen: »Von Vorgesetzten und Personalverantwortlichen werde ich unterschätzt.« Die eigenen Mitarbeiter, Klient*innen und Kolleg*innen sind längst zu Fans geworden, die Arbeit selbst ist befriedigend, die Ergebnisse sind spektakulär. Die Erkenntnis, trotz tatsächlicher Erfolge von denen übersehen zu werden, die sie entdecken sollten, wird von den Betroffenen lange verdrängt. Schließlich resignieren sie, beklagen sich, fordern Anerkennung ein und suchen nach Erklärungen, warum sie keine Wertschätzung erfahren. Chefs, die Unternehmen – oder gleich die ganze Welt – scheinen ein Irrenhaus zu sein. »Mindestens die Hälfte ist leicht irre, es gibt aber auch schwere Fälle.« Diese Schlussfolgerung ist ebenso populär wie tückisch. Sie wird durch Veröffentlichungen verstärkt und bringt Menschen dazu, den Grund für ihre Frustration bei anderen zu suchen, statt selbst für ihre Sichtbarkeit und Anerkennung zu sorgen.

 

 

Dorothea AssigDorothee Echter: „Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin!“ Wie Karrieremythen Ihren Erfolg blockieren und Sie dennoch weiterkommen

 

Der Prozess des Sichtbarwerdens

Der Entdecktwerden-Mythos ist eine Erfolgsbremse, die von der Vorstellung lebt, andere Menschen seien für Ihre Karriere verantwortlich, in der Lage, willens oder gar verpflichtet, Ihre Leistung zu erkennen, korrekt zu benennen und Sie als Führungskraft zu entdecken. Hier schließt sich nahtlos Mythos 5 »Karriereplanung ist Sache des Unternehmens« an. Wodurch sollten Sie anderen auffallen? Warum sollten sich andere die Mühe machen, Ihre Erfolge zu erkennen, zu benennen, anderen davon zu berichten und Sie zu fördern? Um entdeckt zu werden, müssen Sie selbst den komplexen Prozess des Sichtbarwerdens gestalten. Dafür brauchen Sie ein entsprechendes Verhaltensrepertoire.

Das Feld, in dem eine Leistung erbracht wird, ist ein anderes als das, von dem Anerkennung ausgeht. Doch was ist überhaupt ein »Feld«? Ein Feld ist ein Personenkreis mit einer speziellen Agenda. Wenn die Beraterin von ihren Seminarteilnehmer*innen hochgelobt wird, aber die Entscheider*innen und Auftraggeber*innen das nicht interessiert, weil es als selbstverständlich gilt. Wenn der Ingenieur seinen Projektvorschlag, mit dem Millionen eingespart werden können, dem Vorstand schickt, aber dieser ihn dennoch nicht zu seiner samstäglichen Golfrunde einlädt. Wenn das interne Konzernberatungsteam bei einer äußerst schwierigen Zielgruppe unbestrittene Erfolge erzielt und beim Topmanagement selbst als »schwierig« gilt, dann kann die Hoffnung auf Anerkennung nicht erfüllt werden. Diese beiden Felder können so unterschiedlich sein, dass es nicht einmal eine gemeinsame Sprache gibt.

In diesem Feld wird die Leistung erbracht:
»Er hat das neue Unternehmen integriert.«
»Sie konnte 30 Prozent Wachstum erreichen.«
»Er hat seinen Bonus wirklich verdient.«
»Sie ist ein Vorbild an Disziplin.«
»Er macht jedes Projekt erfolgreich.«
»Deshalb hat sie diese hervor- ragende Jahresbewertung bekommen.«

In diesem Feld entsteht Anerkennung:
»Er versteht es, Menschen zu verbinden.«
»Sie hat mich neulich eingeladen.«
»Er hat mir gratuliert.«
»Sie bringt die interessantesten Personen zusammen.«
»Er ist ein sehr aufmerksamer Zuhörer.«
»Sie weiß unsere Anstrengung zu würdigen.«

Das Feld, auf dem Ihre Leistung gilt, ist nicht das Feld, auf dem Ihre Karriere gemacht wird. Im Alltag ist es manchmal schwer zu erkennen, denn es kann in beiden Feldern positiv über Sie gesprochen werden. Sie werden beide Male gesehen. Beides motiviert. Beides verheißt Anerkennung. Erkennen Sie, wie Sie gesehen werden? Ob als Erfolgsversprechen oder als Leistungsversprechen?

Wie sich der Mythos mit Ihren inneren Widerständen verbündet und Ihrer Karriere schadet: »Wenn niemand meine Erfolge sieht, bettle ich nicht um Anerkennung.«

Manche Menschen schämen sich, sie fühlen sich wie Bittsteller oder Angeber*innen, weil sie ihren Erfolg selbst benennen müssen. Sie gehen davon aus, zum Erfolg gehöre es, dass andere ihre Leistung sehen und feiern. Es kommt fast einem gesellschaftlichen Tabu gleich, dass die eigene Großartigkeit selbst herausgestellt werden muss.
Ihrem inneren Widerstand folgend, argumentieren sie: »Ich habe es nun wirklich nicht nötig, mich zu präsentieren. Das sollen andere für mich tun.« Und: »Qualität sollte für sich selbst sprechen.«

Solange es keine Gewohnheit ist, auf eigene Erfolge hinzuweisen, ist es kränkend, exzellente Leistungen zu erbringen und sich dennoch erklären zu müssen. »Ich arbeite hart und gut, meine Leistung wird aber nicht wertgeschätzt – und dann soll ich auch noch Wohlwollen auslösen?« Stimmt genau. Was ist so schwer daran, selbst dafür zu sorgen? Wie kommt es zu diesem lähmenden Widerwillen, die eigene Größe zu kommunizieren und ein Repertoire zu entwickeln, mit dem Sie in Erscheinung treten können? Hier ein paar mögliche Ursachen:
• Sie fürchten, Ihre soziale Zugehörigkeit zu verlieren, wenn Sie »abheben«.
• Bescheidenheit gehört zu Ihren Werten. Sie möchten sich nicht über andere erheben.
• Sie zweifeln insgeheim an Ihren Fähigkeiten. Wenn Sie endlich entdeckt würden, wäre das eine Zertifizierung durch die Anerkennung von außen.
• Sie träumen, wenn der Erfolg endlich – von außen – zu Ihnen gekommen sei, wäre automatisch auch das Können da, damit um- gehen zu können.
• Sie sehen es als ein Zeichen von Erfolg, dass Sie es nicht nötig haben, sich zu präsentieren, weil es in Ihrer Karriere bisher immer von allein aufwärts gegangen ist.
• Sie sind gekränkt, weil Sie so erfolgreich sind, aber dennoch für die Anerkennung selbst sorgen müssen.

Wenn Ihnen der eine oder andere dieser Gedanken bekannt vor- kommt, kennen Sie Ihre inneren Widerstände. Das kollektive Mantra lautet: »Ich bin kein*e Selbstvermarkter*in. Ich warte lieber.« Sie wollen nicht werden wie jene, die ständig über sich selbst sprechen, Erfolge nur für sich verbuchen, sich nur den Mächtigen gegenüber großzügig und sympathisch zeigen, sich untereinander vergleichen, ohne sich dabei wirklich für andere zu interessieren. Doch das eine geht nicht zwangsläufig mit dem anderen einher: Menschen können sich karrierebewusst verhalten und trotzdem empathisch sein. Der egozentrische Selbstvermarkter ist ein Geistwesen, er wandert in der kollektiven Widerstandsfantasie herum und sobald sich jemand nur ansatzweise so verhält, ist sofort klar: »Ich gehöre zu den Guten und würde so etwas nie tun! Dieses Verhalten lehne ich komplett ab.«

Wenn Sie mit Ihrem Können die Welt besser machen wollen, brauchen Sie Einfluss und Renommee. Sie finden, es braucht eine schnelle Entwicklung von Wasserstoffantrieben für Schiffsmotoren, und arbeiten daran als Softwareentwicklerin erfolgreich und führend mit? Dann müssen Sie das genau so sagen. Nur mit präzisen Worten bieten Sie anderen eine sichere Orientierung, wofür Sie stehen und wohin Sie gehören. Sie können nicht wollen, dass jemand über Sie sagt: »Ich kenne da eine IT-Frau, die hat irgendwie mit Schiffen zu tun und die ist gar nicht so schlecht.« Um Ihr Anliegen in die Welt zu bringen, brauchen Sie klare und große Worte, die ein- flussreiche Menschen exakt so weitergeben können.

Wie Menschen sich selbst beschränken oder die eigenen Karrierewünsche sabotieren, ist äußerst trickreich.

Karriereambitionen lösen starke Gefühle aus. Bei Ihnen selbst und bei den Menschen in Ihrer Umgebung. Ständig ändern sich Menschen, aber bei großen Veränderungen, wie dem nächsten Karriereschritt, werden gleichzeitig Zuversicht und Ängste mobilisiert.
Menschen brauchen innere Widerstände, damit sie sich nicht zu viel zumuten. Sie bewahren Sie vor dem Scheitern und vor zu großen Herausforderungen. Manchmal erweisen sich innere Wider- stände aber auch als selbstschädigend – und zwar, wenn sie sich mit den Karrieremythen verbinden. Dann können Menschen mit großen Talenten sich von ihren Karrierewünschen abbringen lassen.

Zwischen mir und meiner Karriere stehe(n) …

… ich. Die eigene Karriere wird mehr von der eigenen Person behindert oder forciert, als Menschen sich vorstellen können. Manchmal erscheint es so, als ob sich Menschen mit aller Kraft gegen ihre Karrierewünsche stemmten. Sie haben das Können, eine Ambition, und dann wollen sie keine Kontakte pflegen, stellen keine Nähe her, halten ihre Vorgesetzten für miese Typen und ihre Unternehmen für rücksichtslos, Veränderungen für verwerflich et cetera. Und dennoch wünschen sie sich nichts mehr, als dass eines Tages erkannt wird, wie gut sie sind und sie endlich befördert und gefeiert werden.

… vertraute Menschen. Manchmal gibt es ein regelrechtes Gerangel, um jemanden von seinen Karriereambitionen abzuhalten: »Du willst wegen deiner Karriere nach New York ziehen? Hast du dir gut überlegt, was passiert, wenn du scheiterst?«, fragen Sie besorgte enge Freundinnen und Freunde. Ihre Familie ist in Alarmbereitschaft:
»Willst du uns etwa zurücklassen?« »Zurücklassen« ist hier das entscheidende Wort. Es muss als Narrativ aus der Herkunftsfamilie verstanden werden und wirkt wie eine Trance, die Wünsche verschwimmen lässt und Ängste vor dem eigenen Mut mobilisiert. Menschen bleiben ihren Narrativen treu, wenn sie sie nicht erkennen, weil sie ihnen vertraut sind und Sicherheit bieten. Sich daraus zu erheben, ist auch ein Abschied aus der Macht familiärer Dynamik.

Jo Nesbø, der norwegische Krimischriftsteller, hat über Familien- und andere Narrative geschrieben: »Es heißt, dass die Geschichten, die wir uns wieder und wieder erzählen, die mehr oder weniger wahren Berichte über das, was uns und anderen widerfahren ist, der Kitt einer jeden Familie, jedes Freundeskreises, jeder Gesellschaft ist. (Anm. d. Autorinnen: und auch jedes Unternehmens!) Dass diese Geschichten bestätigen, wer wir sind, oder präziser: wer wir sein wollen. Aber wenn das so ist, warum spricht man dann mit viel größerem Enthusiasmus und viel mehr Herzblut über die Niederlagen als über die Siege, in denen wir uns sonnen könnten? Ist es damit zu erklären, dass Niederlagen und Demütigungen stärkere gemeinsame Gefühle wecken? Bindet uns die Tragödie – als eine Art evolutionäre Überlebensstrategie – enger zusammen als der Triumph und erfüllt damit die Kriterien einer guten Geschichte?«

… untaugliche Karriereaktivitäten. Manchmal wird die Lösung für einen Karrierestillstand dort gesucht, wo die Karriere erst recht verhindert wird. Wenn eine junge Ingenieurin auf LinkedIn mit viel Mühe Weisheitslehren großer Meister verkündet, hat sie zwar Follower, aber ihre berufliche Ambition wird auf diese Weise nicht gesehen. Auch der freigestellte 40-jährige Vertriebler, der pompös verkündet, dass er jetzt Zeit für sich braucht und er deshalb eine lange Coaching-Ausbildung im Ausland machen wird, findet so keine neue Position. Erkennen Sie die Karrieremythen, denen Sie anhängen und die Sie von weiteren Karriereschritten abhalten!

… Ehrgeiz. Menschen aus der zweiten Reihe, in exponierten Positionen oder mit einer erfüllenden Fachaufgabe, die glücklich und anerkannt sind, kommen leicht auf die Idee, auch die nächsthöhere Position meistern zu können. Sie könnten das bestimmt, nur – ist es wirklich der richtige Platz für sie? Es braucht nicht immer den Aufstieg, auch eine horizontale Veränderung kann erfüllend sein.

… Entertainment. Wer nicht den Kern des Karrierestillstands erkennt, sondern stattdessen zum Beispiel eine Coaching-Ausbildung bei einem Esoterik-Guru macht, fühlt sich zwar bestens unterhalten, schadet aber seiner Karriere, weil das Renommee fehlt. Diese Beschäftigungen besänftigen das Unterbewusstsein, das einerseits nach Veränderung strebt und gleichzeitig die Komfortzone nicht verlassen will.

 

Abbildung 1: Wie Menschen sich selbst beschränken oder in ihren Karrierewünschen sabotieren, ist äußerst trickreich

 

Die Ausbildungsfalle

Mit einer zusätzlichen Ausbildung bessere Karrierechancen zu haben – dieser Glaube rankt sich bis hinauf in die Geschäftsführungsebene. Die kaufmännische Leiterin macht lieber eine Weiterbildung zur zertifizierten Aufsichtsrätin, weil sie nicht weiß, dass für diese Position ihre Kompetenz längst als erwiesen gilt und die Erfolgswährung dafür eine andere ist: ihre Reputation und viele hochkarätige Kontakte.

Die IT-Spezialistin denkt, sie würde in ihrem Unternehmen nicht befördert, weil sie nur einen Masterabschluss gemacht hat. Hätte sie auch den Doktortitel, wäre sie bestimmt schon längst weiter. Sie wurde neulich von ihrem Personalmanager gefragt, warum sie eigentlich nicht promoviert habe. Außerdem ist sie von promovierten Mathematikern umzingelt, die alle eine höhere Position innehaben als sie. Sie strebt deswegen neben ihrem Job ebenfalls eine Promotion an. Angefeuert wird die Ausbildungsfalle durch Bemerkungen wie diese:

• »Nur noch diese eine Ausbildung, dann kommt die Karriere sofort in Schwung.«
• »Am besten sind die teuren Ausbildungen. Und das Geld dafür holst du im Nu wieder rein, wenn du erst einmal aufgestiegen bist.«
• »Je aufwendiger, desto besser: Was sind schon diese fünf Jahre für die Promotion angesichts deiner Traumkarriere?«
• »Ein Aufsichtsratsmandat bekommen Sie eher, wenn Sie eine Aufsichtsratsausbildung gemacht haben.«

Dass Sie auf der Höhe der Zeit sind, an ihrer Qualität ständig arbeiten, gehört zu Ihrer Ambition. Wenn Sie Ihr Können vervollkommnen möchten, suchen Sie sich eine zu Ihrer Ambition passende Möglichkeit. Das ist sehr oft gar keine Weiterbildungsmaßnahme, sondern eine neue zusätzliche Aufgabe, ein Onlinekurs oder ein Jobwechsel.

 

Die Anstrengungsfalle

Es ist eine Gewohnheitsschleife: Arbeit verlangt nach mehr Arbeit und alles wird dem Arbeitsmodus untergeordnet. Das Anstrengungsgehirn fragt nicht: »Wozu sollte das gut sein?« Im Gegenteil, sich Zeit zu nehmen für einen Museumsbesuch oder ein ausführliches Freund*innen-Telefonat, erscheint vor diesem Hintergrund geradezu lächerlich, wenn doch große Themen, Vorträge oder wichtige Entscheidungen warten.
Arbeit beruhigt. Wenn es schwierig wird, sind Sie mit Ihrem Leistungsethos zur Stelle. Weil Sie Sicherheit, Kontrolle und Routine über alles lieben, setzen Sie sich gern Ziele. Diese Anstrengung beruhigt Sie, weil alles in Bewegung ist. Nur Ihre Karriere nicht, dafür bleibt keine Zeit …
Erst wenn die Anstrengungen zu Lernschritten werden, die der eigenen Ambition dienen, führen sie zu Erfolgen.
Wer die eigene Ambition spürt, wenn auch noch so vage, kennt die Sehnsucht danach, sie ausdrücken zu können und dafür gefeiert zu werden. Wer wollen Sie sein? Wie wollen Sie leben? Was wollen Sie in die Welt bringen? Wohin möchte Ihre Ambition Sie führen?

 

 


Abbildung 2: Wie Anstrengungen zu Karriereerfolgen führen

 

Ihre Karrierestrategie: Sprechen Sie großartig über sich selbst. Sprechen Sie noch großartiger über andere Menschen.

In dieser ersten Phase ihrer Karriere können viele Menschen ihre Ambition noch nicht genau oder gar nicht benennen. Sie haben kein persönliches Branding und ihr Können ist noch nicht zu einer einzigartigen Größe geworden. Menschen, die bereits mit 18 oder 25 Jahren große Erfolge erzielen, gibt es natürlich, sie sind jedoch Ausnahmen. Es ist nicht möglich, berufliche Entwicklungsschritte zu überspringen. Es geht zunächst um Lernen, harte Arbeit, Anpassung und die Identifizierung der eigenen Talente.

Erkennen Sie Ihre Größe

Ihr Können ist so einzigartig, dass andere nicht einmal wissen, dass es diese Fähigkeit

überhaupt gibt, geschweige denn, warum sie so herausragend ist. Deshalb brauchen Ihre Mitmenschen ein Erfolgsnarrativ statt Schilderungen von Tätigkeiten. Für dieses Konzeptualisieren und Priorisieren gelten diese Grundregeln:

• Beschreiben Sie Ihr Wirken im Kontext und aus Ihrer Rolle her- aus. Kompetenzen wie Team- oder Führungsfähigkeit sind wertvoll für die erste Führungsfunktion, danach nicht mehr.
• Beschreiben Sie Ihr Können ausschließlich positiv, nicht vergleichend, und ohne zu lügen.
• Priorisieren Sie und lassen Sie alle Details weg.
• Wählen Sie ein hohes Abstraktionsniveau.

So zählt Jenni nicht einfach alle Banalitäten und Aktivitäten auf: »Dann bin ich nach Rom gefahren und habe dieses Expertengespräch geführt, und dann habe ich die Konstruktionszeichnung mit Prof. Neumann von der TU durchgesprochen und bin auch noch mal mit den Materialleuten zusammengekommen.« Stattdessen sollte sie lieber sagen: »Unsere Brückenkonstruktion soll nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch vollkommen sicher sein und Jahrhunderte überdauern. Ich habe jedes Wissen genutzt, um alles zu evaluieren. Jetzt entspricht die Konstruktion meinen Qualitätsmaßstäben.«
Ihr Branding lautet dann: »Brückenkonstruktionen von höchster Ästhetik und sicherster Bauqualität.« Das ist ihr persönlicher Erfolgscode.
Sie schreiben auch nicht kurz: »Hier ist der Vertragsabschluss, den der Aufsichtsrat nur noch unterschreiben muss«, denn dann heißt es nur: »Ja, danke« – und das war’s. Wie es richtig geht, hat Dr. Doris Märtin in ihrem wegweisenden Buch Habitus (Anmerkung 23) beschrieben: welche Bedeutung Sprache als entscheidendes Kapital für den Erfolgshabitus hat – sich sprachlich Raum zu nehmen, ohne überbordende Redelust.

Was Sie sagen oder schreiben, ist Folgendes: »Dieser Vertragsabschluss ist in einem äußerst schwierigen politischen Umfeld zustande gekommen. Drei andere hochkarätige Mitbewerber wollten auch diesen Auftrag in Venezuela gewinnen. Mir ist es gelungen, weil ich von Anfang an glaubwürdig in meinen Aussagen war, keinen Druck aufgebaut habe und immer diskret geblieben bin. Ich habe Ruhe bewahrt, weil ich in schwierigen Verhandungssituationen immer zur diplomatischen Hochform auflaufe. Damit komme ich zu Verhandlungsabschlüssen. Die drei Verhandlungsjahre haben sich für diesen 100-Millionen-Auftrag gelohnt.«

Ihr Branding lautet dann: »reibungslose Verhandlungen für großartige Ergebnisse« oder auf Englisch »smooth negotiations for great results«. Das ist Ihr persönlicher Erfolgscode. Wenn Sie für ein deutsches Unternehmen mit deutschen Kunden arbeiten, etwa im regionalen Mittelstand, muss Ihr Branding zum Beispiel auf LinkedIn oder in Ihrem Lebenslauf deutsch formuliert sein; sind Sie in einer international tätigen Company tätig, ist eine Formulierung auf Englisch oder auch auf Englisch und Deutsch wichtig.

Achim erläutert seinen Erfolg so: »Bereits nach zwei Jahren waren wir wieder in der Gewinnzone – geplant hatten wir dafür jedoch mehr als drei Jahre. Die internen Voraussetzungen und das externe Umfeld für den Turnaround waren äußerst schwierig, aber welches Umfeld ist heute schon leicht? Wir haben äußerst wirksame neue Geschäftsideen entwickelt, die unser Kerngeschäft ergänzen und extrem gut eingeschlagen haben. So hat sich auch unser Kerngeschäft in kurzer Zeit wieder erholt. Mir war es wichtig, auf das Können der Menschen zu setzen, und das hat sich direkt ausgezahlt.«
Sein Branding lautet: »Ressourcen mobilisieren, die Wende gestalten« oder »Multiple resource turnaround«. Das ist sein persönlicher Erfolgscode.

 

Sprechen Sie großartig über sich selbst

Decodieren Sie Ihren Erfolg und setzen Sie damit die Anerkennung-für-Erfolge-bekommen-Dynamik in Gang: Die innere Veränderung führt zur äußeren Verhaltensänderung, damit viele Menschen positiv und treffend über Sie sprechen können. Von diesen Gesprächen über Sie in Small Talks, Präsentationen, Telefonaten erfahren Sie nichts. Sie können nicht kontrollieren, wie andere über Sie sprechen. Beeinflussen können Sie es schon. Ihr persönliches Branding ist für Sie selbst eine sichere Verortung und für andere eine Regieanweisung, wie Ihre Arbeit zu verstehen ist.

 

Sprechen Sie großartig über andere

Sie wollen empfohlen werden? Dann entdecken Sie Ihrerseits das Können anderer und empfehlen Sie sie. Nutzen Sie die größten Worte, die Ihnen einfallen, sodass Sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese entdeckt werden, denn so bauen Sie um sich herum ein Erfolgsumfeld auf:
• Bewundern Sie andere in deren Gegenwart oder wenn sie nicht dabei sind.
• Schreiben Sie Bravo-E-Mails und Gratulationskarten. Machen Sie Komplimente.
• Feiern Sie die Erfolge anderer.
• Stellen Sie Menschen einander mit großen Zuschreibungen vor. Verbinden Sie Menschen, die sich kennen sollten.

Eine wirksame Möglichkeit, Gemeinsamkeit herzustellen und gleichzeitig positiv über andere und über sich selbst zu sprechen, ist es, Ihr eigenes Branding auch anderen Menschen zuzuschreiben – es wirkt dann umso stärker als Aussage einer Autorität. Es bedeutet, dass Sie diese Qualität bei anderen beurteilen können. Die Währung für Wertschätzung ist Wertschätzung.

 

Denken Sie langfristig

Ist es richtig, ins Ausland zu wechseln? Einen MBA anzustreben oder sich selbstständig zu machen? Ein Buch zu schreiben? Von der Beratung in die Operative oder umgekehrt zu wechseln? Ant- worten auf diese Fragen gibt nicht losgelöst von Ihrer Karriereambition. An eine amerikanische Universität zu wechseln, ist eine gute Idee, falls – und nur falls! – es dort die wichtigsten Forscher*innen in Ihrem Feld gibt. Als Beraterin zusätzlich zur vorhandenen Qualifikation ein MBA-Studium abzuschließen, scheint dagegen eher in den Bereich »Hobbys« zu fallen.

Der entscheidende Punkt ist, ob eine Veränderung Sie näher mit den wichtigen Persönlichkeiten und Ihren Karrierewünschen zusammenbringt.
In wenigen speziellen Bereichen kann und muss die Karriereentwicklung schnell gehen, etwa im Sport. Hier ist das Leistungsniveau sofort eindeutig zu erkennen und eine Karriere oft mit 35 Jahren bereits beendet. Eine feste Regel gibt es aber nicht. Ambitionierte Menschen halten sich nicht mit Fünfjahresplänen auf, sie nehmen den Prozess an und entwickeln ihr Talent. (Fußnoten im Buch)

 

 

 

 

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Was für eine wunderbar knackige und begeisternde Darstellung dieses Themas.
    Herzlichen Glückwunsch. Jetzt geht es nur noch noch darum die richtigen Personen um sich zu versammeln.