Steht in Ihrem Vertrag eine Verschwiegenheitsklausel über Ihren Lohn? Vergessens Sie´s. Es ist ein Bluff.

 

Das Schweigen der Mitarbeiter

Jedes zweite Unternehmen versucht, seine Mitarbeiter zum Schweigen über ihr Gehalt zu verpflichten – obwohl es unzulässig ist. Die EU schmiedet schon Pläne, um ihnen die Tour zu vermasseln und sie zu Lohnfairness zu zwingen. (Langfassung, zuerst erschienen in der WirtschaftsWoche Print und online)

 

Im schlimmsten Fall zerstören ungerechte Löhne eine ganze Abteilung, die erfolgreich ist und harmonisch zusammenarbeitet. So beobachtete es Arbeitsrechtler Michael Kliemt bei einem Handelsunternehmen im Rheinland mit einem 20köpfigen IT-Team. Der Auslöser: Ein Mitarbeiter, der mehrere Jahre keine Gehaltserhöhung bekam, hatte seinen Kummer einem befreundeten Kollegen offenbart. Dabei erfuhr er zu seiner Überraschung, „ganz im Vertrauen“, dass der andere für dieselbe Tätigkeit gut 50 Prozent mehr Lohn erhielt. „Diese Ungerechtigkeit ging in der Abteilung rund und im Ergebnis schuf die schlechte Behandlung des Einzelnen so eine Unruhe, das die meisten aus dem Team das Unternehmen verließen“, erzählt der Düsseldorfer. Die wenigen, die an Bord blieben, identifizierten sich nicht mehr mit der Firma, das einst so gute Betriebsklima war perdu.

 

Michael Kliemt (Foto: PR)

 

Die Situation ist ein Horrorszenario für Arbeitgeber: Dass Mitarbeiter Lohnvergleiche anstellen, dann verärgert sind über echte oder vermeintliche Ungerechtigkeit und mehr Geld fordern oder gleich gekränkt kündigen. Deshalb probieren es viele Unternehmen selbst im Zeitalter von zunehmender Transparenz mit einem Bluff. Sie verpassen Mitarbeitern schon im Arbeitsvertrag einen Maulkorb über die Höhe ihres Lohns. Die Verschwiegenheitsklauseln lesen sich so: „Über die Höhe und Zusammensetzung des Gehaltes bewahren Sie Stillschweigen.“ Oder so: „Die Inhalte dieses Vertrages, auch die Gehaltshöhe, sind geheim zu halten.“

 

Lohndifferenzen feststellen geht nur im Gespräch mit Arbeitskollegen

Ob diese Schweigepflichten zulässig sind? Nein, urteilte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern schon im Jahr 2009: Verschwiegenheitsklauseln sind unzulässig, weil sie Arbeitnehmer daran hindern, Verstöße gegen Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der Lohngestaltung geltend zu machen. Arbeitgeber sind, so die Richter, auch bei der Lohngestaltung dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet: „Die einzige Möglichkeit für Arbeitnehmer festzustellen, ob er Ansprüche aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich seiner Lohnhöhe hat, ist das Gespräch mit Arbeitskollegen.“

 

Compliance-Verstoß Lohn-Schweigeklausel

Sebastian Frahm (Foto: Frahm Kuckuk)

Allein das sollte Unternehmenslenker davon abhalten, solche Klauseln in ihren Arbeitsverträgen aufzunehmen, warnt Arbeitsrechtler Sebastian Frahm von Frahm Kuckuk: „Schon das Verwenden von Schweigeklauseln ist ein Compliance-Verstoß.“

Wie verbreitet diese Praxis ist, hat der DFK Berufsverband für Fach- und Führungskräfte für die WirtschaftsWoche untersucht und 200 Arbeitsverträge von Konzernen, aber auch kleineren Unternehmen untersucht, die ihm Mitglieder derzeit aktuell zur Prüfung vorlegten. Das Ergebnis: In mehr als jedem zweiten Vertrag, 53 Prozent, stehen Lohn-Schweigeklauseln. „Dabei wissen die Konzerne mit Rechtsabteilungen durchaus um die Unwirksamkeit der Klauseln, nur bei kleineren Unternehmen kann es Unwissenheit über die heutige Rechtslage sein“, urteilt DFK-Geschäftsführer Sebastian Müller.

 

Arbeitgeber bluffen ihre eigenen Mitarbeiter

Sein Fazit: „Unternehmen bluffen und verwenden die unwirksame Klausel immer weiter, denn vielleicht befolgt der Angestellte sie ja trotzdem.“ Weil er sich nicht vorstellen kann, dass der Arbeitsvertrag gegen das Recht verstößt und er sowieso keine Abmahnung riskieren will. 90 Prozent der Mitarbeiter halten sich daran, schätzt Frahm. „Allein schon wegen der psychologischen Wirkung raten Arbeitgeberanwälte deshalb oft weiterhin zu Lohnschweigeklauseln“, sagt Arbeitsrechtler Stefan Röhrborn von Vangard. Es sei wie beim Banküberfall mit einer Plastikpistole: Wer am Schalter sitzt, gibt das Geld lieber raus, die Pistole könnte ja echt sein.

 

Stefan Röhrborn (Foto: C.Tödtmann)

 

Tabu-Thema Geld

Zugute kommt den Unternehmen, dass Gehälter ein Tabuthema sind. Nach einer  Analyse des Jobportals Stepstone wissen 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland nicht mal, wie viel ihr Ehepartner verdient. 80 Prozent haben keine Ahnung, welche Summe auf dem Gehaltszettel der Kollegen steht. Marco Nink vom Beratungsunternehmen Gallup berichtet: „Selbst wenn wir bei Studien Einkommensgruppen abfragen, verweigern ganz viele die Antwort, obwohl es anonym ist und wir nur Spannen wissen wollen.“

 

Das, obwohl ein Entgelttransparenzgesetz gilt, das auch die Lohnungleichheit etwa zwischen Männern und Frauen beseitigen soll. „Doch das ist in der Praxis völlig bedeutungslos und ein reines Bürokratiemonster“, urteilt Thomas Müller, Arbeitsrechtler bei Lutz Abel.

 

Genau Zahlenangaben bei der Job-Plattform Stepstone

Doch wie lange die Geheimnistuerei noch anhält, ist ohnehin fraglich. Das Karriereportal Stepstone etwa geht in die Offensive und liefert dank seiner gesammelten Daten Stellensuchenden nicht nur die Lohnspannen für die Position in ihrer Branche. Obendrauf nennt die Plattform die konkrete Zahl, die das Wunschunternehmen dafür bislang so zahlt.

 

Wer fair ist, braucht keinen Bluff

Auch die EU wartete im März mit einer Richtlinie auf, die Unterschiede der Bezahlung zwischen Männern und Frauen beheben und dieses Jahr beschlossen werden soll. Danach soll künftig der Arbeitgeber in der Pflicht sein, selbst beweisen zu müssen, dass er Lohngerechtigkeit hergestellt hat. Hat er es nicht, drohen ihm Nachzahlungen. Mehr noch: Schon vor dem ersten Gespräch sollen Unternehmen in der Stellenausschreibung eine Verdienstspanne angeben. Für viele ein Novum, denn „nicht mal 30 Prozent der Unternehmen sind tarifgebunden“, sagt Arbeitsrechtler Müller von Lutz Abel. Er warnt seine Mandanten lieber vor Lohn-Schweigeklauseln, „die wecken nur schlafende Hunde und wer fair ist, braucht keinen Bluff.“

 

Arbeitsrechtler Stephan Pötters von der Kölner Kanzlei Seitz kann sich nur eine Ausnahme vorstellen: „Wenn der Arbeitgeber ein besondere Geheimhaltungsinteresse hat, etwa weil die Gehälter eine sehr wichtige Information für Wettbewerber darstellen.“ Doch dann dürfte er die Klausel auch nicht pauschal fassen, sondern müsste genau aufzählen, gegenüber wem die Geheimhaltungspflicht gelten soll.

 

Ablenken von der Ungleichbehandlung

Misslich ist für Unternehmen, dass das Thema ausgerechnet jetzt hoch ploppt, wo neue Mitarbeiter Mangelware und oft deutlich teurer sind. Dennoch müssen die Eigengewächse, die über Jahre treu beim Unternehmen geblieben sind, trotzdem gehalten werden müssen. So entstehen Ungerechtigkeiten, denn man könne nicht jedem in der Abteilung 30 000 Euro mehr zahlen, sagt Röhrborn. „Dann werden Arbeitgeberanwälte kreativ und denken sich Antrittsprämien, spätere Sonderleistungen oder Altersversorgungen für die Verträge der Neuen aus.“ Damit die Ungleichbehandlung nicht so auffällt.

 

Dabei geht der Trend ohnehin zur Transparenz: Manche Unternehmen schreiben – gerade in Anbetracht des Facharbeitermangels – in ihre Stellenanzeigen sowieso schon, wieviel sie den Kandidaten zahlen wollen, beobachtet Anwalt Frahm.

Die ganze Sache hat nur einen entscheidenden Haken, den noch kaum ein Vorstand oder Geschäftsführer erkannt hat, warnt Frahm. Dulden sie Ungleichbehandlungen bei der Bezahlung in ihrem Unternehmen für dieselbe Arbeit, machen sie selbst sich wegen Compliance-Verstößen schuldig, so der Stuttgarter Jurist.  „Ein Unternehmenslenker, solche Missstände nicht au dem Weg räumt, hat am Ende selbst ein Compliance-Thema. Denn er hat das Entgelttransparenzgesetz, seinen Sinn und Zweck, nicht befolgt. Denn danach muss er Lohngleichheit sicher stellen – und wenn nötig Gegenmaßnahmen ergreifen.

 

 

 

 

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