Mehr als jede zweite Top-50-Wirtschaftskanzlei in Deutschland wird aus USA oder Großbritannien gesteuert. Wer die 24 deutschen Großkanzleien sind.

Mehr als jede zweite Top-50-Kanzlei wird aus USA oder Großbritannien gesteuert, zeigt das Ranking unten

 

Von den Top-50-Wirtschaftskanzleien in Deutschland lenken 26 Briten und Amerikaner

Rank nach „Juve“  Name  Nationalität 
1 Freshfields Bruckhaus Deringer UK
2 CMS Hasche Sigle DE
3 Hengeler Müller DE
4 Hogan Lovells US / UK
5 Noerr DE
6 Linklaters UK
7 Gleiss Lutz DE
8 Heuking Kühn Lüer Wojtek DE
9 Clifford Chance UK
10 Taylor Wessing UK
11 Luther DE
12 White & Case US
13 Flick Gocke Schaumburg DE
14 Latham & Watkins US
15 Görg DE
16 Allen & Overy UK
17 Baker McKenzie US
18 Rödl & Partner DE
19 Beiten Burkardt DE
20 KPMG Law US / UK (international gesteuert)
21 DLA Piper US
22 PricewaterhouseCoopers Legal US / UK (international gesteuert)
23 Bird & Bird UK
24 Ebner Stolz Mönning Bachem DE
25 P + P Pöllath + Partners DE
26 Baker Tilly UK
27 Dentons US
28 Weil, Gotshal & Manges US
29 GSK Stockmann DE
30 Schultze & Braun DE
31 Jones Day US
32 EY Law US / UK (international gesteuert)
33 Eversheds Sutherland US / UK (international gesteuert)
34 McDermott Will & Emery US
35 GvW Graf von Westphalen DE
36 FPS Fritze Wicke Seelig DE
37 Becker Büttner Held DE
38 Kapellmann und Partner DE
39 Norton Rose Fulbright UK
40 BLD Bach Langheid Dallmayr DE
41 SKW Schwarz DE
42 Redeker Sellner Dahs DE
43 Osborne Clarke UK
44 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton US
45 Deloitte Legal US / UK (international gesteuert)
46 Pinsent Masons UK
47 SZA Schilling Zutt & Anschütz DE
48 Pluta DE
49 Heussen DE
50 Milbank US
Quelle: Juve 10/2020; Mitarbeit Luther Rechtsanwaltsgesellschaft

 

Amerikanische Verhältnisse als Totschlagsargument

Wir wollen doch keine amerikanischen Verhältnisse!“, lautet der Schlachtruf, bei dem sich meist alle einig sind. Egal, ob er von einem Politiker auf dem Podium einer Talkshow oder von irgendeiner Lobby gegen einen missliebigen Gesetzentwurf als Schreckgespenst hochgehalten wird.
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Amerikanische Verhältnisse sind das Totschlagargument, das hierzulande Angst macht – egal, ob es Millionen-Schadenersatzzahlungen für Unternehmen, Sammelklagen von Tausenden geschädigter Konsumenten, Geschworenenprozesse mit unberechenbarem Ausgang oder Anwälte sind, die auf Erfolgsbasis arbeiten. Die Folgen scheinen stets gruselig: Unternehmenspleiten, Haftung für abstruse Vorkommnisse wie nasse Pudel in der Mikrowelle oder Anwälte, die Unfallopfer in der Notfallambulanz abfangen.
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Dabei ist die Amerikanisierung des deutschen Rechtsmarkts tatsächlich längst in vollem Gange. Eine Spurensuche zeigt zumindest für die großen Wirtschaftskanzleien: Kaum ein anderes Berufsbild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so drastisch verändert. Mehr als jede zweite der umsatzstärksten Kanzleien hierzulande ist fest in angelsächsischer Hand: Von den Top-50 werden 26 der Law Firms aus ihren Headquarters in London oder New York gesteuert. Ihre Namen unter den ersten zehn sind Freshfields, Linklaters, Hogan Lovells, TaylorWessing oder Clifford Chance. Auch die Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, KPMG, PwC oder EY haben es mit ihren Kanzleizweigen in den vergangenen Jahren zügig unter die Top-50 geschafft.
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Die standhaften 24 deutschen Großkanzleien

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Ganze 24 Sozietäten blieben standhaft gegenüber Übernahmeangeboten und ließen sich nicht von Angelsachsen vereinnahmen. Die nämlich drängen seit gut 20 Jahren auf den lukrativen deutschen Anwaltsmarkt. Der größte Zusammenschluss war der von Freshfields im Jahre 2000, die heute mit 550 Anwälten 441 Millionen Umsatz machen – nur noch 93 Anwälte schafften es in die Partnerschaft. Insgesamt stieg der Umsatz des deutschen Rechtsberatungsmarkts laut Statistischem Bundesamt aus dem Jahr 2021 allein bis 2017 um fast 30 Prozent auf 26 Milliarden Euro (2007: gut 17 Milliarden Euro). Und das war noch vor dem Umsatzplus durch Tausende von Diesel-Prozessen, die rund 20 Großkanzleien alleine von VW für ihre Schadenersatzabwehr in Stellung gebracht wurden. 80 Prozent vom Umsatz am Rechtsberatungsmarkt vereinen die großen Wirtschaftskanzleien auf sich.
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Hohe angelsächsische Honorare
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Durch den Einzug der Briten und Amerikaner zogen die Honorare der Wirtschaftsanwälte deutlich an. Schließlich sind die Stundensätze für Anwälte in den USA und Großbritannien deutlich höher als in Deutschland – und entsprechend forderten die Mutterhäuser, auch hierzulande höhere Stundensätze bei den Industriekunden durchzusetzen. Eine Partnerstunde kostet heute schnell 400 Euro, die der angestellten Anwälte 300 – je nach Rechtsgebiet steigen sie. Am teuersten sind Kartellrechtler, Strafverteidiger und Complianceanwälte.
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In Deutschland schießen die amerikanischen Law Firms, die nicht mit lokalen Kanzleien fusioniert hatten, mit ihren Honoraren den Vogel ab. Im Umsatzranking pro Anwalt sicherten sich US-Kanzleien zuletzt die ersten zehn Plätze, angeführt von Sullivan & Cromwell mit gut 1,2 Millionen Euro, gefolgt von Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan 1,15 Millionen Euro und Weil Gotshal & Manges mit 1,07 Millionen Euro. Die erste deutsche Sozietat ist auf Rang elf mit Hengeler Mueller und 896.000 Euro je Anwalt.
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Titel-Vielfalt statt Beförderung zu Partnern

Die Amerikanisierung hat – zumindest teilweise – auch deutsche Großkanzleien angesteckt. Zum Beispiel bei der Titelhuberei. Der Doktor zählt immer noch, um sich weiter aufzuwerten und höhere Stundensätze durchzusetzen, erarbeiten sich zudem immer mehr Topanwälte Professorentitel.
Weil aber immer weniger von den Jüngeren Chancen auf den Partnerstatus haben – im vergangenen Jahr beförderte CMS nur zwei Prozent seiner angestellten Anwälte zu Partnern und Freshfields nur ein Prozent – schieben immer von ihnen mehr Frust. Auch um das zu verschleiern, verteilen die Kanzleien englische Titel wie Salary Partner, First-year-Associate, Senior Associate, Managing Associate, Counsel, Principal Counsel oder Salary Partner. So, wie es die Werbeagenturen schon länger vormachen.
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Raues Klima in Kanzleien – fragile Partnerschaften
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Die Amerikanisierung führte auch dazu, dass die Partnerschaften fragil wurden. Früher hielt eine Anwältepartnerschaft lebenslang, oft länger als die eigene Ehe. Doch durch den ständigen Profitdruck ist das Klima in den Kanzleien rau geworden.
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Hinzukommt: Auch die Rechtsabteilungen der Unternehmen reichen ihren eigenen Budgetdruck durch, erzählt Frederick Iwans, Geschäftsführer beim Prozessfinanzierer Foris. In den Honorarverhandlungen sitzen heute oft die Einkäufer ihrer Unternehmensmandanten mit am Tisch und drücken ihre Preise. Zum Entsetzen der Anwälte. Da bekommen die Top-Juristien haarklein vorgeschrieben, wie viele Partner und weitere, angestellte Anwälte sie zu welchem Preis einspannen und was sie in Rechnung stellen dürfen. Manche Unternehmen geben auch Kappungsgrenzen vor. Konzerne wie Lufthansa haben ein ganzes Handbuch, das alle Details wie Besprechung- bis Reisezeiten und Verkehrsmittel vorschreibt und das ihre Kanzleien als Dienstleister befolgen müssen.
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Auf Erfolgsbasis trauen sich deutsche Anwälte nicht zu arbeiten

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Auf keinen Fall ins Risiko gehen will aber die Masse der deutschen Anwälte. Für Erfolgshonorare arbeiten, so wie Amerikaner? Auf keinen Fall, signalisierte gerade erst der Deutsche Anwaltverein. Offenbar scheuen die Anwälte eigenes Risiko ausgerechnet hierzulande, wo die Gerichtsbarkeit vorhersehbarer ist als in den Vereinigte Staaten. Denn in USA, wo Laiengerichte ohne juristische Fachkenntnisse urteilen, können die Ergebnisse durchaus abstrus ausfallen und gerade Unternehmen oft schlechte Karten haben, sagt Iwans, der selbst etliche Jahre als Jurist in Philadelphia arbeitete.
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Erst recht nicht diejenigen, die nicht in Großkanzleien arbeiten. Klar, dass ihnen zum Beispiel Fluggastportale Anwälten ein Dorn im Auge sind: die genau das tun, für Fluggäste Schadenersatzzahlungen von Airlines einfordern und dafür – bei Erfolg – ein Drittel der Summe selbst behalten. Nur: Selbst wollen die Anwälte es dieses Massengeschäft dann doch nicht haben.
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