„Klar wollen wir agil arbeiten“ – und dann tritt man ganz fest auf die Bremse, beschreibt Boris Gloger die Versuche in Deutschland, agiles Arbeiten einzuführen (Gastbeitrag)

Ein paar bunte Klebezettel an der Wand sind noch lange kein agiles Arbeiten. In Hauruck-Aktionen wollen Unternehmen zwar agiles Arbeiten einführen, moderieren es dann oft aber zügig ab. Weil die Führungskräfte selbst Angst davor haben oder erkennen, dass es mit dem Wandel gar nicht so schnell klappen kann. Oder aus Angst, selbst überflüssig zu werden. 

Gastbeitrag von Unternehmensberater Boris Gloger

Boris Gloger (Foto: Presse)

 

Wenn Führungskräfte Agilität mit mobilem Arbeiten  verwechseln

Es ist grotesk – da überlegen siebzehn unzufriedene Software-Entwickler mit dem Agilen Manifest Anfang des Jahrtausends, wie sie den Arbeitsalltag humaner und damit die Welt ein Stückchen besser machen können und anno 2019 dann das: Ein inflationär verwendeter Begriff von Agilität zusammen mit New Work. Startups, die sich mit Kicker und Bällebad als Traumarbeitgeber anpreisen und Führungskräfte, die Agilität mit mobilem Arbeiten verwechseln. Angestachelt von der Panik, keine Mitarbeiter mehr zu finden, beugen sie sich ohne Reflexion dem Druck der Masse: Werdet agil! tönt es aus allen Richtungen, als wäre das lose Einführen agiler Methoden das goldene Ticket zum sagenumwobenen Neuen Arbeiten, New Work genannt.

Wer gleich nach dem Start das Agile Arbeiten wieder abbläst

Was folgt, sind Hauruck-Aktionen, die mehr schaden als nützen. Von jetzt auf gleich soll Agilität hexen. So erlebe ich immer wieder Führungskräfte und Consultants, die agile Prinzipien zwar sinnvoll finden, diese aber paradoxerweise gleich nach dem Start wieder abbremsen und lieber zu den traditionellen Ansätzen zurückkehren. Meist aus Angst vor der Veränderung oder der Erkenntnis, dass der Wandel eben doch nicht von heute auf morgen gelingt.

 

Dabei: Ohne die Umsetzung in der Praxis und kontinuierliches Üben geht es nicht. Wer hat schon Fahrradfahren in der Theorie oder ein Musikinstrument durch  bloßes Notenlesen gelernt? Genau hier liegt der Hund begraben. Eine halbherzige Umsetzung ist immer zum Scheitern verurteilt. Es heißt dann: Agiles Arbeiten hat es nicht gebracht. Danach wird weitergemacht wie zuvor.

 

Wissen reicht nicht – man muss es auch anwenden

Also verkommt der Ursprungsgedanke von Agilität – der Zugang zu einer neuen Weltanschauung – zu einem seichten Tool- und halbherzigem Methoden-Allerlei. Denn heute meint jedes Unternehmen, das bunte Zettel an eine weiße Tafel klebt, es wäre jetzt voll agil. Welch ein Irrtum. Das ist in etwa so, als würde man sich nach den ersten Joggingläufen seines Lebens einen Marathon zutrauen.

 

Agiler Anstrich in den Farben der New Work ist nur teuer

Die Rahmenbedingungen – Training, die richtige Ernährung und ein eiserner Wille werden ausgeblendet. In der Konsequenz lesen wir in den Medien regelmäßig von Zusammenbrüchen während eines Laufs und auch mal von einem Totalkollaps. Ganz so dramatisch ist das lose Einführen agiler Prinzipien zwar nicht – doch ein einfacher agiler Anstrich getarnt in Farben der New Work sorgt für hohe Kosten und Zeitverlust.

 

Die Folge:Allzu hohe Erwartungen an Agilität und das falsche Grundverständnis kippen den Hype: Anti-Agilitäts-Bücher kommen auf den Markt und Medien berichten zu Überforderung durch Selbstorganisation.

 

Dabei: Menschen wollen durchaus selbstbestimmt Entscheidungen treffen. Gleichzeitig ist ihnen wichtig, mit ihrer sozialen Gruppe zusammenzuarbeiten. Gelingt es nun noch, diese Selbstbestimmtheit der Einzelnen auf ein gemeinsames Ziel auszurichten, arbeiten sie produktiv und wirksam zusammen. Diese Wirksamkeit nennt sich Erfolg und sich erfolgreich fühlen macht glücklich.

 

Im Grunde ist die Erklärung von Agilität also recht simpel: Sie erfüllt relevante menschliche Bedürfnisse – nämlich die nach Autonomie und Verbundenheit.

Führungskräfte eher wie Gastgeber auf Partys

Trotzdem muss klar sein: Selbstorganisation ist kein Selbstläufer und erfordert manchmal harte Disziplin. Auch wenn oft ein anderer Eindruck vermittelt wird: Selbstorganisation schafft Führungskräfte nicht ab, sondern definiert ihre Rolle neu. Sie agieren nun eher wie Gastgeber einer Party, indem sie Vision und Rahmenbedingungen vorgeben und die Mitarbeiter einladen, freiwillig mitzumachen. Gleichzeitig müssen sie dafür sorgen, dass einige wenige Regeln eingehalten werden.

 

Transparenz als Schlüssel für eigenverantwortliches Arbeiten

Andererseits ist der Mitarbeiter eben nicht mehr auf das Ausführen weniger Prozessschritte oder Entscheidungen reduziert. Im Gegenteil wird von ihm erwartet, dass er sich ein Stück weit selbst führt und an seinen Aufgaben wächst. Vielleicht überfordert das am Anfang manche, weil sie so nicht kennen.

 

Auch in meinem eigenen Beratungsunternehmen habe ich das gelernt, manchmal schmerzlich. Dennoch arbeiten wir heute komplett agil – mit wenigen Grundsätzen. Konkret funktioniert es so: Die Kollegen organisieren sich eigenständig in ihren Teams und entscheiden, welche Projekte sie betreuen. Mittlerweile übernehmen die Teams selbst das Rekrutieren neuer Kollegen. Ja, sogar die Gehaltsfragen, denn sie können die einzelnen Leistungen meist sehr viel besser beurteilen. Der transparente Einblick in die Geschäftszahlen strukturiert unseren Unternehmensalltag, jeder Mitarbeiter kann die Auslastung aller Kollegen einsehen. Wir sehen ständig: Sind wir noch auf Kurs? Obendrein sorgt kontinuierliches, gegenseitiges Feedback dafür, dass als lernende Organisation, Arbeitsschritte permanent hinterfragen und damit zu besseren Ergebnissen kommen.

 

Menschen sind gerne gefragt und respektiert

Im Unternehmensalltag sind Mitarbeiter durch agiles Management immer nur dann überfordert, wenn sie sich selbst überlassen werden. Denn das ist keine Selbstorganisation, sondern ein Verwahrlosen-Lassen. Selbst organisierte Prozesse brauchen einen festen Rahmen. Agile Methoden unterstützen dabei.

 

In der Regel mögen Menschen agiles Arbeiten, weil es bedeutet, gefragt und respektiert zu werden. Mitglieder agil arbeitender Teams sind meist zufriedener mit ihrer Arbeit,  sind motivierter und gehen mit Stress anders um. Voraussetzung ist allerdings, dass Agilität nicht als Tool, sondern als Haltung gelebt wird.

 

Lese-Tipp zu Agilität im Unternehmen: https://www.haufe.de/personal/hr-management/dach-30-stellt-standards-fuer-agilitaet-im-unternehmen-vor_80_496144.html?ecmId=28263&ecmUid=-745&chorid=00511427&newsletter=news%2FPortal-Newsletter%2FPersonal%2F50%2F00511427%2F2019-08-06%2F&ecmId=28263&ecmUid=3185901&chorid=00511427&newsletter=news%2FPortal-Newsletter%2FPersonal%2F50%2F00511427%2F2019-08-06%2F

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Leider verkommt Agilität zum Modebegriff, der sich auf die Schauseite der Unternehmen bezieht. Manager pilgern ins Silicon Valley und denken, ihre Firma wird hipp, wenn die Büros zu Spielplätzen für Erwachsene werden… Bezeichnend.