Gallup-Experte Marco Nink über Mitarbeiterumfragen: „Die Kuh wird nicht vom Wiegen schwerer – man muss sie auch füttern“

Mitarbeiterumfragen schön und gut – nur: „Es reicht eben nicht, die Kuh zu wiegen, man muss sie auch füttern“, sagt Marco Nink von Gallup. Er ist der Verantwortliche für die alljährlich erscheinende Gallup-Studie, die den Unternehmen den Spiegel vorhält, wie viel mehr Umsatz sie mit mehr motivierteren Mitarbeitern machen könnten. Nink erklärt, warum die Unternehmen soviel  Fehler-Beharrlichkeit an den Tag legen.

 

Managementexperte Marco Nink (Foto: Gallup)

 

Herr Nink, 66 Prozent der Mitarbeiter ist es ein Dorn im Auge, wie ihr Arbeitgeber seine eigenen Kunden behandelt. Mehr noch, sie halten ihr eigenes Unternehmen nicht für integer und 75 Prozent der Angestellten glauben, ihr Unternehmen habe nur den eigenen Profit im Sinn. Das haben Sie herausgefunden – und es ist  beunruhigend. Was konkret sollten die Unternehmen daraus lernen, was sollten sie dagegen tun? 

Compliance-Trainings durchzuführen oder Wertetafeln aufzuhängen, reicht eben nicht. Man braucht einen moralischen Kompass und den müssen die Führungskräfte vorleben. Mitarbeiter, die Compliance-Schulungen hinter sich haben, sollten ja eigentlich daraus mitnehmen, dass ihre Firma sich gesetzeskonform und anständig verhält. Das ist aber nicht der Fall, Teilnehmer wie Nicht-Teilnehmer denken dasselbe Schlechte von Ihrem Unternehmen.

 

…und daraus folgt was?

… auch die Führungskräfte brauchen ihrerseits Orientierung. Die Chefetage muss sie einnorden. Es muss eindeutig gesagt werden, was toleriert wird und was nicht. Die Geschäftsführung muss dies formell und informell kommunizieren und durchsetzen. Null Toleranz beginnt an der Unternehmensspitze, weil das Verhalten der Topmanager bestimmt, was der Rest des Unternehmens als ´ìn Ordnung` wahrnimmt. Anstand lässt sich nicht erzwingen, es muss oben vorgelebt werden. Nur dann kommt es bei den Führungskräften an und sie werden entsprechend handeln.

Lassen sie es, gehen ihnen die Mitarbeiter schneller von der Fahne, als es ihnen in Zeiten des Facharbeitermangels lieb sein kann. Sie empfehlen das Unternehmen dann auch nicht mehr ihren Freunden, Bekannten und Kindern als gute Adresse.

 

Schuld sind also die Führungskräfte? Zu dumm, dass gerade die direkten Vorgesetzten von ihren Leuten tagtäglich scharf beobachtet werden – sie sind quasi Leuchttürme – und wenn die sich nicht an die Werte halten, hat das eben die stärkere Auswirkung als jede Wertetafel am Eingang.   

Genau. Die Führungskräfte sind es, die bei ihren Mitarbeitern das Risikobewußtsein für Fehlverhalten schaffen. Gerade da, wo man sie zur Eigenverantwortung erziehen will. Vorgesetzte sollten Mitarbeiter zu kritischem Denken erziehen und sie ermuntern, angstfrei Dinge zu hinterfragen. Mit der Folge, dass sich am Ende  jeder für den Ruf seines Unternehmens verantwortlich fühlen soll – vom Sachbearbeiter bis zum Empfangspersonal. Sie müssen verstehen, dass das jahrelang aufgebaute Image in wenigen Tagen zerstört werden kann. Denken Sie nur an den „Spiegel“ und dessen Glaubwürdigkeit, die jetzt erschüttert ist. Viele Jahre haben viele Mitarbeiter hart gearbeitet für das Image – und über Weihnachten bekam es einen ganz dicken Kratzer.

 

Machen Vorgesetzte in Deutschland etwas grundlegend falsch?

Die Führungskräfte haben keine böse Absicht, sie wollen ihr Bestes geben und sie sind auch davon überzeugt, dass sie das tun. 97 Prozent halten sich für gute Chefs. Das ist also ganz anders als die Mitarbeiter sie sehen. Denn 69 Prozent der Arbeitnehmer sagten, dass sie in ihrer beruflichen Laufbahn schon mal eine schlechte Führungskraft hatten. Das ist ein klassisches Auseinanderklaffen von Fremd- und Selbstbild.

 

Was ist schuld daran, was könnte die Lösung sein?

Man sollte nur Menschen mit Führungstalent zu Chefs machen, denn das lässt sich messen. Man sollte mehr Karrieren als Experte zulassen, bei denen gute Leute auch weiterkommen können, ohne andere führen zu müssen. Ganz oft befördern Unternehmen zum Beispiel den besten Vertriebler in eine Führungsposition – mit fatalen Folgen. Denn der fehlt dann draußen beim Kunden, die Umsätze gehen zurück. Im neuen Job ist er aber kein guter Vorgesetzter mangels Talent, der obendrein die Mitarbeiter demotiviert. In dieser Abteilung sinkt die Leistung dann ebenso. Die Lösung wäre, den guten Vertriebsmann mit dem Vertriebsleiter nur in puncto Gehalt gleichzustellen und an der Front zu belassen.

 

Chefetagen wie Unternehmenseigner steuern nur das erste Ziel an – mehr Gewinn? Weil sie die emotionale Bindung der Mitarbeiter nicht als wichtigen Schritt zum Erreichen des Unternehmensziels erkennen, sondern verspotten sie mit Schlagworten wie „Unternehmen sind keine Wohlfühloasen“?

Es ist belegbar, dass Mitarbeiter, die mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit sind, kundenfokussierter, innovativer, gesünder, produktiver, treuer und empfehlungsbereiter sind als innere Kündiger. Wer innerlich gekündigt hat – das sind nach unserer letzten Untersuchung 14 Prozent der Beschäftigten, also 5,1 Millionen Leute -, die nicht nur mit angezogener Handbremse arbeiten, sondern auch destruktiv sind und auf ihre Arbeitsumgebung wie ein Energiestaubsauger wirken und auch böswillig sabotieren. Nehmen wir das Ergebnis des aktuellen Engagement Index. Das ist, als wenn 15 Leute einen Karren ziehen, 71 drauf sitzen und 14 Leute hinten bremsen.

 

Die Gallup-Untersuchung schafft es in Deutschland inzwischen bis in die Fernsehnachrichten und ist zum Synonym geworden. Warum ändert sich seit Jahren trotzdem fast nichts?

Die große Masse der Unternehmen unternimmt anscheinend nichts oder nur Halbherziges – oder gar das Falsche. Die Befragten sind der repräsentative Querschnitt deutscher Beschäftigter von Mittelständlern bis zu Dax-Konzernen. Richtige Mitarbeiterführung und das richtige Arbeitsumfeld sind offenbar selten Teil der langfristigen Unternehmensstrategie. Auch hier und heute gilt: Fragt eine Firma nur via Mitarbeiterbefragung nach, ändert sich davon nichts. Die Kuh wird nicht vom Wiegen schwerer, man muss sie füttern.

 

Was empfehlen Sie Unternehmen?

Sie müssen ihre Mitarbeiterumfragen ernst nehmen, reagieren und die richtigen Hebel stellen. Und nicht nur Top-down, sondern die Verantwortung muss in die Teams gegeben werden. Nach dem Gießkannenprinzip unternehmensweite Lösungen auf den Weg bringen wollen, hilft nur begrenzt. In jedem Team gibt es auf der lokalen Ebene unterschiedliche Herausforderungen, es gibt so viele Kulturen innerhalb einer Firma wie es Führungskräfte an Bord gibt. Hier muss man ansetzen. Geprägt und gestaltet wird das Arbeitsumfeld von der direkten Führungskraft – und zwar durch ihr Führungsverhalten.

 

Sie sagen, Unternehmen tun das Falsche. Was genau?

Sie belohnen zu selten gute Führung. Führungsqualität kommt als Unternehmenskennzahl bisher kaum vor, nur finanzielle und operative Kennzahlen. Wenn Führungsqualität wenigstens ein Beförderungskriterium wäre. Aber bei vielen Firmen muss nur der Team- oder Abteilungserfolg stimmen, egal wie er zustande kommt.

Entgangener Gewinn wird gar nicht bemerkt. Würde nämlich Führungsqualität belohnt und würden Mitarbeiter noch die Extra-Meile gehen, würde der Unternehmenserfolg steigen. Die Studie sagt ja nicht, dass den Beschäftigten die Arbeitsmoral fehlt. Rund 80 Prozent der Beschäftigten beteuern ja, sie würden weiterarbeiten, auch wenn sie eine Riesenerbschaft bekämen und auf kein Einkommen mehr angewiesen wären.

 

Was sind die Kriterien für Führungstalent?

Ein talentierter Vorgesetzter baut Beziehungen zu seinen Teammitgliedern auf, er kann sie emotional mitnehmen, er entscheidet ergebnisorientiert, schafft klare Verantwortlichkeiten, verträgt Kritik und kann breite Schultern machen und sich auch vor seine Leute stellen. Training und Coaching kann helfen, die Führungsqualität zu steigern, aber mehr als ein „Ist-ok-Manager“ kann man damit nie werden.

 

Gab es ihrer letzten Umfrage eine Besonderheit?

Wem die emotionalen Bindung fehlt, der ist auch eher bereit, sein Unternehmen zu verlassen. Besonders wechselbereit waren die emotional ungebundenen Mitarbeiter, zeigt der Engagement Index 2018. Zwar ist Fluktuation nicht per se schlecht. Bis zu einem gewissen Grad ist sie fruchtbar und bietet Raum für neue Talente. Aber grundsätzlich verursacht Fluktuation enorm hohe Kosten und den Verlust von Wissen und Expertise. Emotionale Mitarbeiterbindung wirkt wie eine Schutzimpfung vor Abwanderung und bietet Planungssicherheit – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies wichtig.

 

Sollten Unternehmen die Frustrierten nicht lieber ziehen lassen?

Nein, auf keinen Fall – das wäre ein Trugschluss. Aktuell sind 19 Prozent der Beschäftigten ohne emotionale Bindung aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Unter den emotional hoch gebundenen Mitarbeitern war hingegen kein einziger aktiv auf Arbeitsplatzsuche. Nun könnte der Eindruck entstehen, Unternehmen sollten froh sein, dass Arbeitnehmer, die innerlich gekündigt haben, das Unternehmen verlassen. Das ist falsch: Denn oft sind unter diesen Mitarbeitern Talente, Leistungsträger und Experten, die ein Unternehmen nicht verlieren will und schon gar nicht an die Konkurrenz, die so gestärkt würde. Der Schein trügt da.

 

Ein anderes Ergebnis war: Über fünf Millionen Arbeitnehmer haben bereits innerlich gekündigt und spüren keine emotionale Bindung an ihre Unternehmen. Wie berechnen Sie das?

Die Zahl errechnet sich aus den Antworten auf die zwölf Fragen, die wir im Rahmen der Untersuchung benutzen. Bei denen, die innerlich gekündigt haben, werden deren emotionalen Bedürfnisse am Arbeitsplatz nicht erfüllt. Diese Menschen fühlen sich weitgehend ignoriert und übergangen. Im Gegensatz dazu sind bei denen, die mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit sind, die meisten emotionalen Bedürfnisse am Arbeitsplatz erfüllt. Beide sind das Ergebnis der erlebten Führung. Die inneren Kündiger sind ja nicht mit dieser Haltung ins Unternehmen eingestiegen, sondern durch einen Prozess gegangen.

 

Also gute Chefs liefern bessere Zahlen mit motivierten Mitarbeitern?

Genau, und schlechte Chefs ernten eben keine guten Zahlen. Aus unseren Beratungsprojekten wissen wir, dass Teams mit guten Chefs 41 Prozent geringere Fehlzeiten haben, zehn Prozent bessere Kundenbewertungen, 20 Prozent mehr Produktivität und 40 Prozent weniger Fehler.

 

Sie kommen auf einen jährlichen, volkswirtschaftlichen Schaden von bis zu 103 Milliarden Euro. Wie errechnen Sie diese Zahl?

Die Grundlage sind außer unseren Befragungsergebnissen Daten des Statistischen Bundesamts zum Bruttoinlandsprodukt und dem Durchschnittsgehalt aller Beschäftigten. Dieses Jahr kam mit unserer Berechnungsformel die Bandbreite von 77 Milliarden bis 103 Milliarden Euro heraus. Die genaue Formel ist aber unser Betriebsgeheimnis – so wie das Rezept für Coca-Cola.

 

„Engagement Index – Die neuesten Ergebnisse der Gallup-Studie“ von Marco Nink, 30 Euro, 160 Seiten, Redline Verlag, https://www.m-vg.de/redline/shop/article/14080-engagement-index/

 

 

 

Blogger-Relevanz-Index 2018

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