Wenn alle tolle Noten im Arbeitszeugnis haben – Gastbeitrag Arbeitsrechtler Pirpamer

Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts ändert Beweisregel beim Arbeitszeugnis: Beweisen Sie mal, dass Sie überdurchschnittlich waren

 

Bernd Pirpamer, Arbeitsrechtler bei Heisse Kursawe Eversheds

Bernd Pirpamer, Arbeitsrechtler bei Heisse Kursawe Eversheds

 

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat über die Frage der Darlegungs- und Beweislast von Arbeitsleistungen entschieden –  mit weitreichender Wirkung, wie Bernd Pirpamer von Heisse Kursawe Eversheds erläutert.

 

Hat ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichen Leistungen heute einen Anspruch auf Zeugnis mit der Note „gut“? Das Bundesarbeitsgericht hat dem heute eine Absage erteilt (Aktenzeichen 9 AZR 584/13). Enthält das Zeugnis die Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“, werden die Arbeitsleistungen mit der Note „befriedigend“ bewertet. Verlangt der Arbeitnehmer eine bessere Note, muss er seine vermeintlich besseren Leistungen vortragen und beweisen.

Und zwar auch dann, so das BAG, wenn in der Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden.

 

In dem Fall hatte eine Zahnarzthelferin gegen ihren Arbeitgeber geklagt. Der hatte ihr im Zeugnis bescheinigt, sie habe ihre Aufgaben „zu unserer vollen Zufriedenheit“ erledigt – in der „Zeugnissprache“ eine glatte drei. Diese Note reichte der Arzthelferin nicht. Sie verlangte die Note zwei mit der Formulierung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“. Der Arzt blieb dabei, dass die Leistungen der Frau wegen zahlreicher Fehlleistungen allenfalls durchschnittlich gewesen seien und lehnte es ab, das Wörtchen „stets“ zu ergänzen.

 

Wenn 90 Prozent „gut“ oder „sehr gut“ bekommen

Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht bekam die Frau Recht: Die Richter gestanden ihr die Note zwei zu und verwiesen auf eine Studie, nach denen fast 90 Prozent der Arbeitszeugnisse heute eine „gute“ oder „sehr gute“ Bewertung enthalten. Daraus folgerten die Gerichte, ein Zeugnis mit der Note 3 sei heute eben keine durchschnittliche Beurteilung mehr.

 

Gefälligkeitszeugnisse ohne Wahrheitsgehalt

Das BAG hob das Urteil der Vorinstanz auf. Für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast spielten Studienergebnisse keine Rolle. Es komme nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an, sondern auf die „mittlere Note der Zufriedenheitsskala“, allgemeinhin „befriedigend“. Ein Arbeitnehmer, der eine Note im oberen Bereich der Skala verlangt, so das BAG, müsse darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist.

Ausdrücklich sagt das BAG, dass bei den zitierten Studien nicht ausgeschlossen werden könne, „dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen“.

 

Der 9. Senat wies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück, das nun klären muss, ob die Zahnarzthelferin tatsächlich aufgrund ihrer Leistungen eine bessere Beurteilung verlangen kann.

 

Einerseits…..Zeugnis muss wahr sein

Nach dem Gesetz muss der Arbeitgeber einem ausscheidenden Mitarbeiter ein leistungsgerechtes Zeugnis erstellen. Dabei muss er zum einen darauf achten, dass das Zeugnis inhaltlich der Wahrheit entspricht. Zum anderen muss das Zeugnis wohlwollend sein.

Beide Kriterien zu erfüllen, verlangt Arbeitgebern oft einen Spagat ab: Tatsächlich schlechte Leistungen dürfen sie im Zeugnis nicht anklingen lassen, zugleich sollen sie den Mitarbeiter wahrheitsgemäß benoten. Als Folge einer umfangreichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, die „Geheimcodes“ im Arbeitszeugnis verbietet und negative Urteile über den scheidenden Mitarbeiter ohnehin nicht erlaubt, fällt die Mehrzahl der Zeugnisse heute gut oder sehr gut aus. Personaler wissen, dass der Inhalt des Zeugnisses in vielen Fällen nicht mehr den tatsächlichen Leistungen entspricht und verlassen sich längst nur noch zu einem geringeren Teil darauf.

Unternehmen freuen sich deshalb über dieses Urteil. Im Streitfall trägt nun der Arbeitnehmer grundsätzlich und unverändert die Beweis- und Darlegungslast für Zeugnisse im oberen Bereich (sehr gut/gut).

 

Einschätzungsspielraum für Unternehmen

Mit seinem Urteil sorgt das BAG auch dafür, dass das Zeugnis nicht vollends entwertet wird, indem sich eine durchschnittliche Bewertung an dem empirischen Mittel von Umfrageergebnissen statt der individuellen Leistungen orientieren muss. Bei der Beurteilung der Leistungen nach dem Schulnotensystem muss sich die Frage, was durchschnittlich ist, zwingend auch nach den Erfahrungen des Arbeitgebers mit seinen Mitarbeitern richten. Die „durchschnittliche Bewertung der Leistung“ ist daher ein dynamischer Vorgang beim konkreten Arbeitgeber und kann von Arbeitgeber zu Arbeitgeber sowie in jedem Einzelfall schwanken. Das BAG bestätigt insofern den Einschätzungsspielraum der Unternehmen.

 

Der Streit um die konkrete Leistungsbeurteilung wird damit weiterhin vor den Gerichten ausgetragen werden. Auch künftig wird ein (sehr) gutes Zeugnis bisweilen als Spielball in einem Kündigungsstreitverfahren eingesetzt werden. Will ein Arbeitnehmer die Verbesserung seines Zeugnisses durchsetzen, ist dies kein „Wunschkonzert“, sondern muss vom Arbeitnehmer mit Tatsachen und Beweisen untermauert werden. Letztendlich wurde das Recht des Arbeitgebers, befriedigende Leistungen im Zeugnis auszustellen, nicht mit neuen Beweislastregelungen durch das BAG erschwert.

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