„Wisst Ihr, dass Ihr fürs Denken bezahlt werdet?“

Manche Recherchegespräche nehmen ja plötzliche Wendungen und man landet gemeinsam in unerwarteten Tiefen. Da erzählt mir kürzlich ein Grandsigneur einer Großkanzlei, dass das Denken bei den jungen Kollegen irgendwie unpopulär sei. Und zwar so sehr, dass sie sich scheuen, die Zeit in der sie über einen Fall nachdenken, auch als Arbeitszeit aufzuschreiben. Als abrechenbare Minuten für Mandanten. Ganz zweifelsfrei produktiv erscheine den Youngsters dagegen die Zeit, in der sie auf ihrem PC herumtippen. Der Senior hat sie dann ins Grübeln gebracht und gefragt: „Wisst Ihr, dass Ihr fürs Denken bezahlt werdet – nicht fürs Schreiben?“

 

Wenn nur noch Vorgesetzte denken sollen

Anders als die Großraumbüro-Verfechter, die unbeirrbar davon ausgehen, dass Mitarbeiter ausschließlich eher etwas Handwerkliches tun, sich darüber fröhlich den ganzen Tag mit allen rundherum austauschen wollen und müssen – sich aber keinesfalls konzentrieren und – ablenkungsfrei effizienzhalber – eine fehlerfreie Arbeit verrichten müssen.

Dass Angestellte fürs Denken bezahlt werden, ist nur für die Riege der Vorgesetzten vorgesehen – die selbst immer ihre eigenen vier Bürowände behalten, wenn der Rest dagradiert wird zur Massen-Mensch-Haltung.

 

Denken braucht auch schon mal Zeit 

Doch zurück zum Denken. In Gesprächen bewährt sich dieser Satz, wenn man erst mal überlegen und dafür Zeit haben will: „Jaaaaa, da muss man mal drüber nachdenken.“ Das sieht das Gegenüber ein.

Meine Freundin, die als Produktionsleiterin beim Film arbeitet, erzählte schon vor Jahren mit tiefer Bewunderung von einer Kollegin, die sich erklärtermassen Zeit nahm zum Nachdenken. „Dafür brauche ich erst mal eine Auszeit“ sagte die immer, wenn sie auf Anhieb noch keine Lösung hatte. Und die dauerte durchaus auch tagelang.

 

Gemeinsam nachdenken

Oder Sie verblüffen Ihren Gesprächspartner mit einem fröhlichen „da müssen wir mal eben gemeinsam drüber nachdenken“. Und beginne, den Gedankengang laut zu entwickeln und den anderen miteinzubeziehen. Meist wird es dann ganz interessant. Wenn der andere seinen ersten Schreck überwunden hat.

 

Selbstgespräch auf dem Bewirtungsbeleg

Von Johannes Gross, dem renommierte Publizist und früheren Herausgeber der Wirtschaftsmagazine „Capital“ und „impulse“, ist diese Story aus den 80er Jahren überliefert: Gross reichte eine Bewirtungsquittung in der Spesentüte bei seinem Verlag, Gruner+Jahr, ein, bei der er als „Teilnehmenden Personen“ nur das eine Wort „Selbstgespräch“ eingesetzt hatte. Man soll es ihm ersetzt haben.

Ich frage mich, ob so etwas heute noch passieren könnte, ich fürchte: beides nicht.

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Alle Kommentare [1]

  1. In der new Economy um das Jahr 2000 habe ich bei einem Unternehmen gearbeitet, dass in seiner Zeiterfassung die Tätigkeit „thinking“ als Option hatte. Ich erinnere mich, dass es damals für Mitarbeiter nicht populär war dies auszuwählen. Das Unternehmen gibt es nicht mehr. Ob es am mangelnden Denken lag ist schwer zu sagen.