Wenn Googles Suchmaschine rattert, äußert sich nicht die Firma Google – Gastbeitrag von Thomas Thalhofer

IT-Experte Thomas Thalhofer von der internationalen Kanzlei Noerr zeigt, dass und welche Gedanken sich deutsche Richter schon längst zur Autocomplete-Funktionen bei der Google-Suchmaschine gemacht haben. Warum sie sie nicht verdammen – und welche Gerichte im Ausland Google zumindest zusätzliche Filter abverlangen.

 

Thomas Thalhofer, Kanzlei Noerr

 

Persönlichkeitsverletzung durch Autocomplete-Funktionen? – Zum Fall „Wulff (google.de autocomplete: bettina prostituierte)

Die sogenannte Autocomplete-Funktion von Google ergänzt den Suchbegriff „Wulff“ unter anderem mit bettina prostituierte. Hiergegen hat – so die Pressberichte – Frau Wulff Klage auf Unterlassung zum Landgericht Hamburg erhoben. Anders als teilweise kommentiert, handelt es sich hierbei keineswegs um einen Präzedenzfall. In den vergangenen Jahren gab es gleich mehrere Urteile zu diesem Thema. Interessant ist dabei, dass die deutschen Gerichte meistens einen Unterlassungsanspruch verneinten, wogegen beispielsweise italienische und französische Richter einen solchen bejahten. Grund genug, einen Überblick zum Status Quo und eine persönliche Einschätzung hierzu zu geben.

Deutsche Gerichte: Eine Maschine ist eine Maschine und äußert sich nicht – und Autocomplete schon gar nicht

Mehrere deutsche Gerichte beschäftigten sich in den vergangenen Jahren mit der Frage einer Rechtsverletzung durch Autocomplete-Funktionen (zuletzt etwa Landgericht Köln, Urteil vom 19.10.2011 – 28 O 116/11 und Oberlandesgericht München, Urteil vom 29.9.2011 – 29 U 1747/11): Unisono verneinten sie eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, da es bereits an einer relevanten Äußerung fehle und die Ergänzungsvorschläge gerade keine inhaltliche Aussage über die Kläger träfen. In einem vollständig automatisierten Verfahren würden lediglich fremde Inhalte im Internet auffindbar gemacht und diese fremden Inhalte wiederum vollständig automatisiert als Orientierungshilfe für den Nutzer verkürzt zusammengefasst.

Für den verständigen und angemessen aufmerksamen Durchschnittsnutzer der Suchmaschine sei bereits auf Grund des maschinellen Charakters des in Anspruch genommenen Dienstes klar, dass sich hier nicht der Suchmaschinenbetreiber – etwa in Form einer eigenen redaktionellen Bearbeitung fremder Inhalte – selbst äußert, sondern lediglich fremde Inhalte wiedergegeben werden. Die Richter vom Landgericht Köln betonten, dass die vorgeschlagenen Suchkriterien häufig in verschiedenen Kontexten verwandt werden, so dass ohne Berücksichtigung der Ergebnisliste und der in ihr hinterlegten Treffer keine Aussage zu den Suchbegriffen getroffen werden könne.

Aufgrund der dem Nutzer bekannten technischen Funktion des Autocompletes verböte es sich, die Suchergänzungsfunktion gedanklich unter Vorwegnahme der Ergebnisliste mit einem bestimmten Aussageinhalt zu verbinden.

Rechtsprechung in anderen Ländern: Italien zwingt Google zum Filtern

In anderen Länders sehen die Richter die Sache anders: So hat das Gericht in Mailand Google verpflichtet, bestimmte Wortkombinationen zu filtern (Beschluss vom 24.03.2011 (Aktenzeichen 10847/2011). Durch die Aufbereitung der gesammelten Daten zu den Suchanfragen seiner Nutzer mache sich der Dienst diese zu eigen. Es finde eine bewusste Aufbereitung der Suchanfragen statt, um die Suchmaschine für den Internetnutzer attraktiver zu gestalten.

Auch ein Japanisches Gericht hat Google am 19. März 2012 zur Unterlassung bestimmter Auto-Suggests verurteilt, da dem Kläger durch die Verknüpfung seines Namens im Rahmen der Autocomplete-Funktion mit strafrechtlichen Begriffen einzelne Jobangebote nicht gewährt wurden.

Mehrmals entschieden französische Gerichte gegen Google, da es Google zumutbar sei, eine „menschliche Kontrolle“ der Autocomplete-Funktion einzuführen.

Einzelfall: Anwaltsportal mit erfundenen Spezialisierungen

In Anbetracht der bisherigen deutschen Rechtsprechung überraschte vor einigen Monaten ein Urteil des Landgericht Frankfurt am Main wegen eines Anwaltsportals und seiner Autocomplete-Funktion (vom 8.3.2012,  Aktenzeichen 2-03 O 437/11  – jedoch: nicht rechtskräftig). Die Richter meinten: Die Portalbetreiber handeln unlauter, da du6rch die Verwendung der Autocomplete-Funktion auf dem von ihr betriebenen Anwaltsportal der Nutzer darüber getäuscht werde, dass er auf dem Portal der Beklagten einen Fachanwalt für bestimmte Rechtsgebiete finden könne, obwohl solche Fachanwaltsbezeichnungen wie beispielsweise Fachanwalt für Vertragsangelegenheiten oder Fachanwalt für Markenrecht nach dem Gesetz schlicht nicht existieren.

Das Landgericht war sich der Diskrepanz zur ständigen Rechtsprechung durchaus bewusst und begründet die Abweichung durch die Besonderheiten des Einzelfalls. Der Benutzer erwarte hier, aufgrund der Tatsache, dass er es gerade nicht mit einer allgemeinen Suchmaschine zu tun habe, tatsächlich mehr als nur eine lose Aneinanderreihung von Worten. Vielmehr erwarte er – selbst in der Auto-Suggest-Box – die Empfehlung von existenten Fachanwälten. Hierfür spreche zudem, dass die vorgeschlagene Begriffskombination stets in Verbindung mit „Fachanwalt für“ verwendet wurde.

Google filtert vorab Pornographisches, Gewalt, Hassreden und Urheberrechtsverletzungen raus

Die Funktionsweise der Autovervollständigung wird in der Websuche-Hilfe von Google ausführlich erläutert. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Google bereits auf freiwilliger Basis solche Ergänzungen filtert, die in engem Zusammenhang mit Pornografie, Gewalt, Hassreden und Urheberrechtsverletzungen stehen. Im Übrigen wehrt sich Google jedoch – wie die vielen Verfahren zeigen – vehement gegen Beschränkungen seiner Autocomplete-Funktion.

 

Risiko: Manipulationen

Ist die Ansicht der ständigen Rechtsprechung in Deutschland schlüssig? Wieso wurde im Ausland mehrfach gegen Google entschieden? Verbietet sich gar eine pauschale Lösung und ist –  wie es das Landgericht Frankfurt machte – darauf abzustellen, auf welcher Internetseite und in welchem Kontext eine Autocomplete-Funktion verwendet wird? Vor allem: Kann gegen Google selbst dann nicht vorgegangen werden, wenn ein Dritter die Autocomplete-Funktion zu einer vorsätzlichen Rufschädigung des Betroffenen ausnutzt, indem er immer wieder bestimmte Suchbegriffe eingibt?

 

Begeht Google eine unerlaubte Handlung? Ist Google ein Störer?

Bleibt die Frage: Ist die Ansicht der Gerichte in Deutschland schlüssig?* Jegliches gerichtliches Vorgehen gegen einen Suchmaschinenbetreiber wegen vermeintlicher Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedarf einer Anspruchsgrundlage. Insoweit kommen die Paragraphen 823 Abs. 1 und 1004 Abs. 1 BGB in analoger Anwendung, jeweils in Verbindung mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes, in Betracht. Fraglich ist dabei, ob dem Betreiber durch die Schaltung und Programmierung der Autovervollständigung eine schuldhafte unerlaubte Handlung zur Last gelegt werden kann, oder er zumindest als Störer hinsichtlich einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen ist.

 

Nicht Google äußert sich, sondern eine Maschine rattert

Der verständige und aufmerksame Durchschnittsbenutzer einer Suchmaschine erkennt, dass die Vervollständigungsfunktion lediglich automatisiert das Ergebnis fremden Suchverhaltens weitergibt. Eine eigene Äußerung  von Google als Betreiber liegt daher erkennbar nicht vor.

Sicherlich kann für eine Verletzungshandlung auch das bloße Verbreiten von Äußerungen Dritter oder eine sonstige mittelbare Beeinträchtigung im Einzelfall genügen. Überzeugt insoweit die Annahme, dass keine inhaltliche Aussage vorliegt? Geht der Durchschnittsnutzer bei Eingabe des Namen „Wulff“ und der Vervollständigung mit „bettina“ „prostituierte“ von einer belanglosen Aneinanderreihung von Suchvariabeln aus?

Hierfür sprechen gewichtige Argumente. Denn immerhin könnten diese Suchschnipsel genauso gut in einem zulässigen äußerungsrechtlichen Kontext stehen. Denkbar wäre es. Etwa wegen eines altruistischen Einsatzes der ehemaligen First Lady für die Rechte Prostituierter.

Wer möchte ernsthaft vertreten, dass in folgender Autovervollständigung eine inhaltliche Aussage vorliegt?

 

*Meine Ausführungen erfolgen unter der Prämisse, dass die Suchvorschläge allein mit Algorithmen in einem vollständig automatisierten Verfahren auf Grund des statistisch als relevant ermittelten Nutzungsverhaltens ermittelt werden und keine auch nur irgendwie geartete Editierung erfolgt.

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Ein exzellenter Beitrag, den man in der aufgeregten Debatte zunächst vermisst hat. Man fragt sich, wie die Überschrift „Die Rufmord-Maschine“ (Handelsblatt, 11.09.2012) oder die Forderung von Heribert Prantl nach einem neuen „Internetrecht“ (Süddeutsche Zeitung, 15.09.2012) zustande kommen. Mal davon abgesehen, dass der vermeintliche Rufmord erst durch die breit angelegte PR-Kampagne der ehemaligen First Lady zum Thema wurde.

    Zwei Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang, auf die der Autor (noch) nicht eingeht: Wer sollte denn bitte, wenn es nach Prantl et. al. geht, darüber entscheiden, was Google auszufiltern hat? Wäre dies nicht eine wunderbare Einladung zum grenzenlosen Missbrauch? Müsste die neue Schnüffelbehörde dann auch Bibliographien und Lexika auf vermeintlich rufmordverdächtige Verknüpfungen durchforschen? Oder wollen wir die Arbeit Google überlassen – einem anonymen amerikanischen Konzern, dessen Wertkodex sicherlich kein kontinentaleuropäischer ist? Und was, wenn sich ein Gerücht als Tatsache entpuppt? Filter auf „0“ setzen? Hat Google dann etwa Schadenersatzansprüche gegen den vermeintlich Rufmordgeschädigten?

    Fakt ist: Gegen Gerüchte und andere Formen der Persönlichkeitsrechtsverletzung auf rechtlichem Wege vorzugehen, indem man die Transportmedien – ob im Internet oder in den Printmedien – verklagt, wird in aller Regel zum Scheitern verurteilt sein. Diesbzgl. hat nicht nur Bettina Wulff noch einen schweren Weg vor sich.