Die Mär vom Leitenden Angestellten – Exklusiv-Interview mit Arbeitsrechtler Boris Dzida von Freshfields

Herr Dzida, bei einem süddeutschen Automobilproduzenten wird der Betriebsrat nun neu gewählt, nachdem das Landesarbeitsgericht Stuttgart den ersten Wahldurchgang für rechtswidrig erklärt hatte. Wieso?
                      
Dzida: Weil 800 Führungskräfte nicht an der Wahl teilnehmen durften, obwohl nur 300 von ihnen „leitende Angestellte“ waren. Von den Betriebsratswahlen ausgeschlossen sind aber nur echte leitende Angestellte.
                      

 

 

 

 

 

 

Woran erkennt man die?                                                                                     
                      
Dzida:  Da gibt es unterschiedliche Kriterien. Zum Beispiel die Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis. Führungskräfte, die zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, zählen in aller Regel zu den leitenden Angestellten, wenn diese Befugnis einen gewichtigen Teil ihrer Aufgaben ausmacht. Prokuristen sind ebenfalls leitende Angestellte, es sei denn, es handelt sich um sogenannte Titularprokuristen. Die sind nur „ehrenhalber“ Prokurist, dürfen aber tatsächlich von ihren Befugnissen aber keinen Gebrauch machen.

Schließlich sind aber auch diejenigen „leitende Angestellte“, die für ihr Unternehmen entscheidende Weichenstellungen treffen oder maßgeblich vorbereiten. Beispiele hierfür sind etwa der Leiter der Internen Revision, des zentralen Einkaufs oder der Forschung und Entwicklung, Chefärzte oder der Trainer einer Profi-Mannschaft.
                      
                      
Muss es bei der leitenden Führungskraft im Arbeitsvertrag stehen, dass sie leitend ist oder reicht es, wenn jemand tatsächlich laufend Mitarbeiter einstellt und kündigt. Ohne dass der Arbeitsvertrag von jemand anderem unterschrieben werden muss?
       
Dzida: Ob ein Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag ausdrücklich als „leitender Angestellter“ bezeichnet wird, ist gar nicht maßgeblich. Eine Führungskraft kann leitender Angestellter sein, auch wenn dies so nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag steht. Umgekehrt kann jemand nicht-leitender Arbeitnehmer sein, obwohl er im Arbeitsvertrag als leitender Angestellter bezeichnet wird. Entscheidend ist allein, welche Aufgaben er nach dem Arbeitsvertrag tatsächlich wahrnimmt.

Wenn ein Abteilungsleiter regelmäßig selbst über Einstellungen und Entlassungen entscheiden darf, ohne die Geschäftsführung fragen zu müssen, dann ist er leitender Angestellter.

Mehr noch: Es ist sogar egal, ob er wegen des im Betrieb geltenden Vier-Augen-Prinzips eine zweite Unterschrift für die Arbeitsverträge braucht, wenn er faktisch doch selbst entscheidet. Und der zweite Unterzeichnende ihm gar nicht widersprechen darf. Anders ist es, wenn er sich mit dem Kollegen über die Einstellung beziehungsweise Entlassung abstimmen muß, weil er dann nicht „selbstständig“ und allein entscheiden darf.
       
                      
Und wie erkennt man es von außen, ob jemand Leitende Führungskraft ist oder nicht?
       
Dzida: Wenn jemand als Prokurist im Handelsregister eingetragen ist, spricht sehr viel dafür, daß er tatsächlich leitender Angestellter ist, weil „Titularprokuristen“ eher selten sind. Ansonsten kann man es von außen schwer erkennen. Und selbst wer mit den betrieblichen Verhältnissen gut vertraut ist, liegt in der Einordnung zuweilen falsch. Deshalb gibt es bei Betriebsratswahlen auch oft Streit darüber, wer als leitender Angestellter von der Wahl ausgeschlossen ist.
       
Kämpfen denn tatsächlich welche um ihr Wahlrecht?
                       
Dzida: Führungskräfte kämpfen normalerweise nicht darum, bei den Betriebsratswahlen mitwählen zu dürfen. Ganz im Gegenteil: Viele Führungskräfte haben mit Betriebsräten „nicht viel am Hut“, selbst wenn sie die Kriterien eines „leitenden Angestellten“ im Sinne des Gesetzes nicht erfüllen.

 

Aber die Betriebsräte haben ein Interesse daran, daß möglichst viele mitwählen. Denn von der Zahl der Wahlberechtigten hängt zum Beispiel die Größe des Betriebsrats ab. Das gleiche gilt für die Zahl der „hauptamtlichen“ Betriebsratsmitglieder, die vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt sind: Sind in einem Betrieb 890 Arbeitnehmer wahlberechtigt, sind zwei Betriebsratsmitglieder vollständig freigestellt, dürfen 905 mitwählen, sind es schon drei.
                       
Welche Kriterien gibt es noch, an denen man Führungskräfte erkennt – außer der Einstellungs- und Entlassungsbefugnis?

Dzida:  Es gibt noch ein paar Hilfskriterien, die allerdings nicht allein ausschlaggebend sind: Leitender Angestellter ist im Zweifel, wer mehr als 92.000 Euro (alte Bundesländer) beziehungswweise 78.000 Euro (neue Bundesländer) verdient. Oder wer auf einer Hierarchieebene tätig ist, auf der überwiegend leitende Angestellte vertreten sind. Oder wer bei den letzten Wahlen nicht den Betriebsrat, sondern den Sprecherausschuss mitgewählt hat.

Kann ein leitender Angestellter vom Arbeitgeber leichter gekündigt werden, als nicht-leitende Angestellte?

Dzida: Nein, auch leitende Angestellte genießen im Prinzip vollen Kündigungsschutz. Eine Ausnahme gilt für diejenigen, die selbständig einstellen oder entlassen können: Hier kann der Arbeitgeber bei einer unwirksamen Kündigung einen Auflösungsantrag stellen. Das heißt, er beantragt im Kündigungsschutzprozeß, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Diese Ausnahme gilt nicht für leitende Angestellte, die „nur“ Prokuristen sind oder „nur“ besonders wichtige Entscheidungen treffen dürfen, hier kommt es allein auf die Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis an. 

Die Arbeitsgerichte sind hier sehr streng. In vielen Unternehmen gibt es so gut wie keinen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis mit einem solchen Auflösungsantrag beendet werden könnte.

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Alle Kommentare [1]

  1. Nun bei uns ist das sehr schwierig zu sehen jeder Abteilungsleiter hat den Status Leitender Angestellter und somit nicht Wahlberechtig wir werden weder informiert wenn man einen Leitenden Einstellt noch wenn man Sie entlässt.
    Aus meiner Sicht ist es nach dem Gesetz für Betriebsräte nicht möglich zu kontrollieren ob Leitende auch wirklich Leitende sind da uns die Gehälter der angeblich Leitenden auch nicht bekannt sind.
    Wie will man das hier entscheiden wenn bei uns kurz vor 200 Mitarbeiter immer mehr zu Leitenden gemacht werden um die Freistellung nicht zu geben bzw. das Recht ab 201 Mitarbeiter die Neuwahlen durch zu führen um den auf 9 Betriebsräte auf zu stocken.