Die sich verraten fühlen, sollen auch noch begeistert sein und sich auf einen Aufbruch freuen – Interview mit Coach Sabine Votteler über eine selten beleuchtete Situation

Die einen krempeln hoffnungsfroh die Ärmel hoch, die anderen sind desillusioniert und ächzen unter noch mehr Belastung als vorher. Die einen sind die Führungskräfte nach einer Restrukturierung, die anderen sind diejenigen, die den Umschwung für sie wuppen sollen. Interview mit Führungskräfte-Coach Sabine Votteler über eine komplexe Situation in Unternehmen.

 

Sabine Votteler (Foto: PR/Votteler)

 

Das Missverständnis könnte krasser nicht sein: Nach Restrukturierungen haben Manager den Eindruck „Jetzt geht´s los..“ Die Mitarbeiter dagegen haben Vertrauen ins Unternehmen verloren, Sie mussten mit ansehen, wie Kollegen, womöglich auch sehr Verdiente, entlassen oder rausgedrängt wurden. Sie leben ab jetzt mit dem Gefühl, ich kann der Nächste sein. Obendrein dämmert ihnen, dass sie für die Gefeuerten nun mitarbeiten müssen. Warum also sollen sie so etwas wie Dankbarkeit und Vorfreude auf einen Neuanfang entwickeln? Übersehen die Manager das tatsächlich?

Votteler: Ja, Führungskräfte übersehen oder unterschätzen die emotionale Belastung und Bedürfnisse der verbleibenden Belegschaft oft. Statt aktiv auf die Mitarbeiter zuzugehen, ziehen sie sich zurück und verstecken sich hinter den Unternehmensentscheidungen. Sie ducken sich weg. Sie sind sich der tatsächlichen Herausforderungen und Sorgen der Verbliebenen nicht bewusst. Und sie verdrängen sie auch – was nicht gerade für viel Führungskompetenz spricht.

 

Verbliebene werden meist noch abgestraft für ihr Bleiben-dürfen. Sie müssen zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit oft noch obendrein Aufgaben der Gekündigten mit übernehmen und Überstunden leisten, womöglich unbezahlte obendrein. Gleichzeitig erwarten Chefs von ihnen, dass sie deren Aufbruchstimmung begeistert teilen. Geht das gut?

Die Mitarbeiter kämpfen nicht nur mit den Veränderungen im Arbeitsumfeld, sondern auch mit dem psychischen Druck, unerwartet allein gelassen zu werden. Sie fühlen sich verraten und im Stich gelassen, wütend sind sie auch. Manche haben ein schlechtes Gewissen, weil es sie nicht ‚erwischt‘ hat. Das alles hat Auswirkungen auf die Arbeitsmoral und die Leistung.

 

…. und zwar welche genau?

Größere Eingriffe in die Belegschaft wie bei Restrukturierungen bringen oft das Wertegerüst der Leute ins Wanken. Gerade langjährige Mitarbeiter sind einem Unternehmen treu, weil sie sich gut aufgehoben fühlen, weil das Umfeld passt und die grundsätzliche Ausrichtung der Firma so ist, wie sie es richtig finden. Doch wenn sie etwa Personalentscheidungen nicht nachvollziehen können oder die Schuldigen gar in der Geschäftsführung sehen, schadet das der Loyalität dem Unternehmen gegenüber.

 

Wie wirkt sich das aus?

Dann werfen Leute auch schon mal Werte über Bord, nach dem Motto: Wieso soll ich mich an Vereinbarungen halten, wenn die es doch auch nicht tun? Wieso soll ich mich abmühen, wenn die so leichtfertig mit ganzen menschlichen Existenzen umgehen?

 

Wie reagieren sie als übrig geblieben Mitarbeiter?

Sie hören auf, die Extrameile zu gehen. Wer regelmäßig Überstunden gemacht hat, wird sich das künftig zwei Mal überlegen. Denn: Man hat ja gesehen, was der Dank dafür ist.

Aber auch weniger offensichtliche Dinge passieren im Unterbewusstsein: Der Job bekommt einen geringeren Stellenwert, die Mitarbeiter hören auf, sich mental mit den Themen auch außerhalb der Arbeitszeit zu beschäftigen. Sie versuchen eher, ihre Benefits bis ans Limit auszureizen. Sie verteidigen das Unternehmen nicht mehr nach außen, stehen nicht mehr hinter ihm. Sie haken es so ein bisschen ab. Ich glaube, diese subtilen Dinge haben letzten Endes gravierendere wirtschaftliche Auswirkungen als die vielleicht verringerte Arbeitszeit. als die offensichtlichen Konsequenzen wie  geringere Bereitschaft zu Überstunden.

 

So weit, so schlecht fürs Unternehmen. Bewirken solche Restrukturierungen nicht Kündigungswellen von denen, die die Firma eigentlich halten wollte, um mit ihnen neu durchzustarten? Fällt das dem Management überhaupt auf?

Ja, sie lösen Kündigungen aus. Aber vor allem Resignation. Wie mir gerade erst neulich jemand klagte (O-Ton): „Die Firma ist nur noch leere Hülle, weil die motivierten Leute schon lang weg sind und der Rest es aussitzt.“ Die Guten sind die ersten, die gehen, – was die Situation fürs Unternehmen verschärft. Manchen Unternehmenslenkern fällt das auf, aber nicht allen.

 

Lässt sich die Situation auflösen?

Schwer. Die Führungskräfte stehen in einer Situation unter so hohen Kostendruck, dass sie zusehen  müssen, wie sie selbst klarkommen. Und ich habe es auch schon erlebt, dass das ´freiwillige´ Ausscheiden eines teuren Mitarbeiters sie es als Erleichterung sahen – obwohl er eine wichtige Rolle hatte: Nochmal gespart – ohne dass er kündigen musste.

 

…. also was kann die einzelne Führungskraft tun?

Die Situation ist komplex. Die Beteiligten haben alle berechtigte Interessen, und sie alle stehen unter Druck. Was jedoch jeder Führungskraft möglich ist und auch großen Einfluss hat, ist Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz den Mitarbeitenden gegenüber. Das, was sowieso Grundvoraussetzungen für die Qualifikation als Führungskraft sind.

 

 

 

 

 

 

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