Die Werberlegende Bernd M. Michael ist tot. Ein Zwiegespräch mit Frank Dopheide, seinem Ex-Nachfolger bei Grey, über den charismatischen Mann mit 173 roten Krawatten im Schrank

Frank Dopheide und Claudia Tödtmann erinnern sich im Gespräch an einen ganz Großen, an Bernd M. Michael, langjähriger Chef der Werbeagentur Grey, Markenverfechter und ehemaliger Präsident des Deutschen Marketing-Verbandes. Er ist jetzt mit 80 Jahren verstorben.

Frank Dopheide trat als Bernd M. Michaels selbst gewählter Kronprinz im Jahre 2005 in seine großen Fußstapfen. Michael kannte Dopheide aus seinen ersten Berufsjahren als Werbetexter bei Grey, um ihn 20 Jahre später als Chairman zurück zu holen. Der bekennende Düsseldorfer – typisch Rheinländer: kontaktfreudig und gesellig – hatte Sport studiert und wollte eigentlich Lehrer werden.

Doch Dopheide muss schon damals geahnt haben, dass sein Networking-Gen als Lehrer verloren gegangen wäre. Als Chairman von Grey war es seine Leistung, das Boot in schwierigen Zeiten acht Jahre lang dort zu halten, wo Michael es hingebracht hatte – und das war eine Menge: Auf  Platz zwei der Werbeagenturen in Deutschland. Unter Dopheide bekam Grey den ersten Bronzelöwen für Kreativität in der Agenturgeschichte und schaffte es unter die Top-Ten der kreativsten Agenturen. Keinem der späteren Nachfolger gelang das auch nur annähernd.

 

Bernd M. Michael (l.) und Frank Dopheide (Foto: Privat/Dopheide)

 

„Werbung ist eine kaufmännische Zweckveranstaltung“

Tödtmann: Bernd Michael lernte ich kennen, als ich für die „WirtschaftsWoche“ das Thema Marketing und die Branche Werbeagenturen betreute. Es war die Zeit der TV-Spots mit der unsäglichen Dr.Best -Tomate. Sie kamen dermaßen uncharmant und unkreativ daher, so dass man sich ihren Erfolg kaum vorstellen konnte. Doch Bernd M. Michael rechnete den Erfolg einfach vor, denn diese Art von Spots wirkte. Sie beeindruckte keine künstlerischen Naturen, aber das sollten sie auch nicht. Nicht in erster Linie. Denn was er immer wollte: Werbung werde nicht lá pour lá gemacht und eben nicht der Kreativität zuliebe. Werbung soll verkaufen helfen, sie sei schließlich eine kaufmännische Zweckveranstaltung, das war eine von Bernd M. Michaels stehenden Redewendungen.

Dabei beließ er es dann aber doch nicht: Damals lief der erste nackte Mann durchs vorabendliche Werbeprogramm und das war ein TV-Spot von Grey. Es war ein attraktiver Typ auf einem Bootssteg an einem Bergsee, über den er für den Weichspüler Lenor trabte. Das war in Bernd Michaels Ära, als er Chef von Grey war, damals die zweitgrößte deutsche Agentur nach BBDO und er Präsidenten des Deutschen Markenverbandes war.

 

Dopheide: …der Lenor-Mann wurde deshalb sogar zum Star in Frankreich und damit für uns so teuer, dass wir ihn uns nicht mehr leisten konnten. Grey war für BMM, das überlegene Modell zu McKinsey. Tiefes Kunden- und Marktverständnis plus kreative Umsetzungsabteilung – das war unser Wettbewerbsvorteil. Buy one – get two.

Marketing war die höchste Wertsteigerungsdisziplin. „Wir werden nicht dafür bezahlt, dem Kunden zu sagen, was er hören will, sondern was er verstehen muss“, schrieb er uns ins Pflichtenheft. Und das lebte er auch vor.

 

Tödtmann: Und so hielt er es auch bei seinen Pressekonferenzen. Den Journalisten führte er eine richtige Studie vor mit klugen Analysen. Wo andere Werbeagenturen nur mit dubiosen Schautafeln mit Pünktchen auf Achsen wichtighuberten, aus der niemand – jedenfalls kein Wirtschaftsjournalist – irgendeinen klaren Schluss ziehen konnte. Geschweige denn schlaue Neuigkeiten formulieren konnte.

 

„Die Hälfte von Ihnen wird morgen nicht mehr da sein“

Dopheide: BMM´s Lieblingseröffnung bei Vorträgen war übrigens: „Ich begrüße Sie herzlich, denn die Hälfte von Ihnen wird nächstes Jahr nicht mehr hier sein.“ Die berühmte kalte Dusche zu Beginn – innerhalb von Sekunden war ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Teilnehmer gewiss. Dann kam er auf das Thema Innovation und Geschwindigkeit zu sprechen und dass bei den schnell drehenden Konsumartikeln (FMCG) in fünf Jahren 50 Prozent der Umsätze von Produkten gemacht würden, die heute noch gar nicht erfunden seien.

 

Der Mann für Klartext

Tödtmann: Flexibel, zuverlässig und sturmerprobt war Michael jedenfalls selbst absolut. Ich erinnere mich an ein WirtschaftsWoche-Interview, mit dem ich Freitags gegen zwölf Uhr beauftragt wurde von Chefredakteur Stefan Baron – abzuliefern war es bis Montagnachmittag gegen 15 Uhr. Ein kompliziertes Unterfangen, weil es um eine geplante EU-Regelungen ging, von der ich noch nie gehört hatte. Das Archiv gab zum Einlesen fast nichts her. Was die Auswirkungen dieses geplanten Gesetzes sein würden, war jedoch der hohe Anspruch der Chefredaktion. Also fiel meine Wahl als Interviewpartner auf Michael, der ja angstfrei, klartextig und meinungsfreudig war – dumm nur, dass der übers Wochenende dienstlich in New York war.

 

Doch er sagte trotzdem zu – und rettete mich. Das Ganze lief nämlich nicht nur übers Wochenende, sondern in Zeiten ohne Internet, ohne E-Mails, nur mit Telefon und Fax in der Redaktion. Immerhin hatte Michael wenigstens schon eins der ersten Mobiltelefone. Die Interview-Fragen und -Antworten gingen hin und her per Fax ans Hotel. Alles erschwerte Bedingungen. Kaum dass er Montagvormittag aus dem Flieger aus New York stieg, wurde telefoniert. Locker eine dreiviertel Stunde ab dem Moment, in dem er aus dem Flieger ausstieg bis er zuhause zur Wohnungstür hereinkam und von seinem Hund laut bellend begrüßt wurde. Zwischendurch hörte ich immer zu, wie er seinem Fahrer Anweisungen gab, welche Koffer auf dem Rollband seine waren, wo er ihn hinfahren sollte undsoweiter.

 

Kiloweise Groschen auf Dienstreisen im Gepäck

Dopheide: Von seinen herausstechenden Eigenschaften ist die Schnelligkeit vermutlich seine legendärste. Bernd M. Michael war ein sehr sportlicher Charakter, je unmöglicher die Herausforderung, desto lieber. In Zeiten, in denen die Werbung laufen lernte, hat er ihr das Rennen beigebracht.

Lange bevor das Mobiltelefon erfunden war, stattete er die Grey Kundenberater mit Walkie-Talkies aus, damit sie auf Knopfdruck ansprechbar waren. Für seine Kundenfahrten durch die Republik, nahm er kiloweise Groschen mit auf die Reise, um an jeder zweiten Ausfahrt kurz per Münzfernsprecher sein Büro, den Laden und die Welt am Laufen zu halten. Bernd M. Michael war so schnell, dass er schon bald keine Zeit mehr für seinen Namen in gesamter Länge fand und zu BMM wurde.

 

Kein Geblubber, kein Geeiere

Tödtmann: Und trotzdem bewies er Stil. Eine Kollegin aus der Fachpresse bekam beim Essen nach der Pressekonferenz einen Blumenstrauß zu ihrer Hochzeit überreicht. Das machte kein anderer und erst recht nicht coram publico.

Apropos Pressekonferenz, die von Grey war mal legendär. Zuverlässig fand sie jedes Jahr am Dienstag vor Nikolaus statt. Jedes Jahr gab es bei Bernd M. Michael neue Markt- und Marken-Zahlen, neue Analysen, kein Geblubbere, sondern Fakten. Und mutige Meinungen, kein Geeiere. Dazu flackerte immer an einem großen Bildschirm ein virtuelles Kaminfeuer. Gegessen wurde immer in der Agentur, ein schlichtes Menü an einem langen Tisch mit Tannen in der Mitte und Lindt-Weihnachtsmännern als Deko, die die Gäste danach mitnehmen sollten für ihre Kinder. Er schreckte auch nicht davor zurück. das Essen auch schon mal auf die Schreibtischen zwischen PC’s zu verlagern. Die Journalisten verziehen ihm fast alles.

 

Der die Schlagzeilen bestimmte

Dopheide: Und er hatte den ganzen Raum voller Journalisten. keine andere Werbeagenturen hatten das. Er bestimmte nicht nur die Schlagzeilen des Tages, sondern gab sich auch gleich die Themen für das nächste Jahr vor. Er wurde darüber zum Sprachrohr einer ganzen Branche. Der Platzhirsch BBDO hat das damals gehasst. Nie hat jemand das Thema Marke konsequenter gedacht, gemacht, vorangetrieben und personifiziert als Bernd M. Michael. Er hat sich für seine Kunden wirklich in jede Schlacht geworfen. Seine Kunden waren sein Stolz und davon hatte er eine ganze große Tüte voll. Aus Grey der Werbeagentur wurde die Markenagentur. Das gesamte Denkmodell begann bei der Marke und ihren Markenzeichen. Und darüber wurde BMM selbst zu einer. Die rote Krawatte zu seinem Markenzeichen – 173 hatte er in seinem Kleiderschrank.

 

Tödtmann: Die Grey-Tüte war beliebt. Darin waren Streuartikel für Messen, Pfennigartikel. Alle mit dem Markennamen der Grey-Werbekunden bedruckt. Plastikkugelschreiber, Werbeblöckchen mit den Logos seiner Kunden, Schlüsselanhänger, Becher mit dem unaussprechlichen Unternehmensnamen Syzygy oder einfach ein paar Produktproben. Eine Flasche Lenor oder ein Putzmittel von Procter & Gamble. Als immer voll berufstätige Mutter konnte ich mit dieser Grey-Nikolaus-Tüte – die sicher absolut unter jeder Bestechungsgrenze lag – zuhause ein paar Wiedergutmachungspunkte sammeln. Denn pünktlichen Büroschluss kannten meine Kinder bei mir nie und das Auspacken dieser Tüte war für sie ein Fest. Das Ganze war clever angelegt von Michael. So wussten die Journalisten wirklich, welche Kunden Grey betreute und für wen man Grey ansprechen konnte.

 

Professor in China

Dopheide: Er konnte die Zeichen der Zeit früher lesen als jeder andere. Als die amerikanischen Unternehmen – angeführt von Procter & Gamble mit ihren Werbemillionen nach Deutschland drängten, sah er die Chance einer eigenen Mediaagentur. Gegen den tiefen Widerwillen von Ed Meyer, dem Grey-Inhaber, Global CEO und Werber von altem Schrot und Korn, versetzte er Alexander Schmidt-Vogel in den Hinterhof und schraubte das Schild Mediacom an die Tür. So erfand er ganz nebenbei eine Gelddruckmaschine. Und als er mit seinem Hinterhof-Büro weniger Alltagsthemen und mehr  Zeit für Neues hatte, entdeckte Michael China als Markt und wurde dort Professor einer Hochschule.

 

Lasagne in der Mittagspause auf dem Carlsplatz

Tödtmann: Dann machte Michael Dich und mich schon früh miteinander bekannt. „Den müssen sie kennen lernen“, sagte er zu mir. Und das setzte er freundlichst durch. Noch am Tag vor Dopheides Amtsantritt als Chairman sassen wir uns auf dem Carlsplatz alleine gegenüber, ohne Michael, bei einer Mittagspausen-Lasagne. So recht wussten wir beide in den ersten Minuten nicht, warum, aber wir beide vertrauten Bernd M. Michael.  Michael hatte auch dafür Gespür, wen er zusammen brachte.

 

Etwas kräftig gegen die Wand fahren

Dopheide: „Trauen Sie sich. Fahren Sie ruhig mal was kräftig gegen die Wand. Die Agentur ist stark, die hält das aus. Aber Sie müssen was verändern“, war seine Antwort, als ich ihn fragte, was er mir rät, wenn nun erstmals ein Kreativer in sein Büro zieht, an die Seite von Uli Veigel, dem designierten Grey Deutschlandchef. Die Lichtgestalt zog in den Hinterhof, betrachtete unser Treiben wohlwollend und brachte die Kraft auf, sein Lebenswerk in andere Hände zu geben und einfach los zu lassen. Was für eine Leistung. Er hat mir den Einstieg leicht gemacht.

 

Tödtmann: Dabei hattest Du es garantiert nicht leicht. Michaels Schuhe waren groß, seinen Erfolg über die nächsten Jahre zu halten, war Deine enorme Leistung. Und Du warst klug genug, um Bewährtes nur für den eigenen Fußabdruck zu kappen. Nur um eine eigene Duftmarke zu setzen, das ist ein sehr häufiger Managementfehler.

Die meisten sind nämlich zu eitel, um Traditionen des Vorgängers zu bewahren. Unvergessen bis heute die Grey-Pressekonferenz viele Jahre nach Bernd M. Michael Weggang, die in der Tiefgarage neben parkenden Autos stattfand, die zwischendurch auch mal lautstark weg fuhren. Ein Tiefstpunkt – nicht nur der Gastfreundschaft. Wurde man dann auch noch als Journalist konfrontativ angegangen für etwas, was man nicht mal geschrieben hatte nach der Pressekonferenz im Vorjahr, wurde einem spätestens klar: Von Michaels souveränem Geist war nichts mehr übrig geblieben an der neuen Agenturadresse von Grey an der Roßstrasse.

 

Dopheide: Michael war nicht empfindlich. Fehler passieren, war seine Devise. Allerdings war in seiner DNA das Wettbewerbs-Gen schon sehr ausgeprägt. Oder, wie es Jimmy Rembiszewski, BAT- Marketingchef in seiner Laudatio formulierte, mit der BMM in die „Hall of Fame“ der Werbung aufgenommen wurde: „Bernd kann selbst Golf zum Kampfsport machen“.

 

Tödtmann: Da bin ich sicher. Aber gleichzeitig hatte er etwas Seltenes an sich, er konnte Respekt zollen. Bernd M. Michael begegnete ich einmal morgens früh um neun in einem der Nebengebäude von Grey, das man über eine Art Hintereingang erreichte. Ich war verabredet mit zwei Experten von Sponsorcom und er inspizierte gerade die Toiletten im Zuge des Umbaus der damaligen Zentrale in der City.

An ihm vorbei zu huschen, war keine Option. Michael wusste sofort, wer ich war und sprach mich mit meinem Namen an. Ich war völlig perplex. Chapeau, denn das bereitete dem Junior eines großen Kölner Verlagshauses schon im verabredeten Recherchetermin Schwierigkeiten – der titulierte mich mich gegenüber seiner Assistentin als „die Frau da“.

Solche Momente lassen ahnen, dass Bernd M. Michael auch in allem anderen so umsichtig war und so den Erfolg von Grey manifestierte.

 

Lese-Tipp: Werbeikone Benrd M. Michael: „Deutschland, ewig Nörglerland“ | Management-Blog (wiwo.de)

Lese-Tipp: Bei Grey am Kaminfeuer | Management-Blog (wiwo.de)

 

 

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