Daimler und Benz Stiftung: Warum Obduktionen lebensrettend für Lebende sind

Mortui vivos docent – Wie Leichenschau und Obduktion Leben retten

 

Marcel Verhoff (Foto: Daimler…

 

Marcel Verhoff, Professor für Rechtsmedizin an der Goethe-Universität in Frankfurt und Direktor des Insituts für Rechtsmedizin über die Bedeutung von Leichenschauen und Obduktionen für das Verständnis von Krankheitsverläufen und Todesursachen in einem Vortrag in der Reihe „Dialog im Museum“ der Daimler und Benz Stiftung. Aufgeschrieben von Miriam Weiss.

 

Des Münsteraner Professor Karl-Friedrich Boerne aus dem ARD-Tatort hat Rechtsmedizin populär gemacht. Dabei war noch im Jahr 2000 war fast die Hälfte der rechtsmedizinischen Institute in Deutschland von der Schließung bedroht  – ohne dass sich jemand dafür interessierte“, erinnert sich der Wissenschaftler Marcel Verhoff über die einst düstere seiner Zunft.

 

Das, obwohl Obduktionen der Verstorbenen so wichtig für die Lebenden sind: Die sorgfältige Durchführung der ärztlichen Leichenschau ist die Voraussetzung für das Erkennen von Gefahren für andere Menschen, resümiert Verhoff. „Nur mit einer  Obduktion und ergänzenden Untersuchungen inklusive molekularer Autopsie kann die genaue Todesursache festgestellt werden. So können Menschen davor bewahrt werden, dasselbe Schicksal zu erleiden.“

 

Einfache wie unerwartete Erkenntnisse bei Obduktionen

Zum Beispiel die Behandlung von Covid-19-Patienten: Nur durch die Obduktion konnte man das Ausmaß Schäden in der Lunge feststellen. Durch sie kamen auch  Entzündungen in den Gefäßen wie Thromben und Blutgerinnsel zum Vorschein, die letztlich tödlich waren. Deshalb setzte man zur Behandlung von COVID-19 auch Gerinnungshemmer ein, was sofort die Überlebensrate steigerte. „Diese einfachen Erkenntnisse, mit denen vorher keiner gerechnet hatte, waren nur durch die Obduktion möglich“, erklärt Marcel Verhoff.

 

Oder zum Beispiel der Verdacht eines plötzlichen Herztods: „Etwa die Hälfte aller plötzlichen Herztodesfälle treten bei scheinbar gesunden Personen auf“, weiß Verhoff.  Tritt ein plötzlicher Herztod bei jungen Menschen unter 40 Jahren ein, ist die Rechtsmedizin sehr oft involviert, denn bei einem plötzlichen Tod eines jungen Menschen steht immer der Verdacht der Tötung im Raum. Verhoff: Aus juristischer Sicht sei der Fall eines nicht-natürlichen oder ungeklärten Todes dann abgeschlossen, wenn kein sogenanntes Fremdverschulden bestehe. „Die Pflicht des Rechtsstaates ist es, zu prüfen, ob so ein Fall verfolgt werden muss. Denn die Frage ist, ob vielleicht jemand  bestraft werden muss“, so Verhoff. Wird bei der Obduktion eine Todesursache wie Schlaganfall, Herzinfarkt undsoweiter gefunden, die einen natürlichen Tod bescheinigt, sei der Fall für den Staatsanwalt abgeschlossen – mangels  Fremdverschulden.

 

Risiken für Angehörige abschätzen

Jedoch: „Damit sind die Fälle derjenigen jungen Menschen ungeklärt, bei denen die Todesursache womöglich auf etwas Erbliches zurückzuführen ist.“ Doch gerade das sei wichtig herauszufinden, um eventuelle Risiken für deren Angehörige abschätzen zu können.

 

Liegen also Fälle von plötzlichem Herztod mit ungeklärter Todesursache vor und traten auch in der Familiengeschichte der Verstorbenen solche plötzlichen Todesfälle auf, dann ist es wichtig, bei der Obduktion Gewebe zu sichern, mit dem genetische Untersuchungen – die sogenannte molekulare Autopsie – erfolgen können. Parallel dazu werden die Angehörigen untersucht und gezielt nach Risikogenen für plötzlichen Herztod gesucht.

 

Dabei gibt es verschiedenen Arten von Leichenschauen: Zuerst die ärztliche Leichenschau, die in der Bundesrepublik Deutschland jeder approbierte Arzt durchführen darf und die bei jedem Verstorbenen vor der Bestattung erfolgen muss.  Der untersucht die Leiche von außen.

 

Soll ein Leichnam zur Bestattung verbrannt werden, wird eine zweite Leichenschau beziehungsweise Feuerbestattungsleichenschau angeordnet, zu der nur spezialisierte Ärzte wie Rechtsmediziner bestellt werden dürfen.

 

Die gerichtliche Leichenschau dagegen, zu der ein Rechtsmediziner hinzugeholt werden kann, finde in Gegenwart eines Staatsanwalts statt. Verhoff: Das ist die gesetzliche Grundlage dafür, dass Rechtsmediziner an den Tatort gehen.

 

Die erste ärztliche Leichenschau hat Weichenstellerfunktion, erklärt Verhoff. Denn der Arzt stelle dabei fest, ob es sich um einen natürlichen oder nicht-natürlichen Tod handelt oder ob die Todesursache ungeklärt ist. In den beiden letzten Fällen müsse eine kriminalpolizeiliche Leichenschau erfolgen, die das sogenannte Todesermittlungsverfahren eröffnet. „Die erste ärztliche Leichenschau ist eine ganz wichtige Aufgabe – nicht nur als letzter Dienst für die Verstorbenen, sondern auch für die Lebenden“, betonte Verhoff.

 

„Das eigentliche Drama in Deutschland ist aber, dass es fast keine klinischen Sektionen mehr gibt“, sagt Verhoff. Also die gerichtliche Leichenöffnung mit zwei Ärzten, die sie  nach dem Vier-Augen-Prinzip durchführen. Sie ist als Teil des Todesermittlungsverfahrens ureigene Aufgabe der Rechtsmedizin. Diese Art der Obduktion, die klinische Sektion, sollte die häufigste sein. Bei ihr wird zur Qualitätssicherung und zur Aus- und Fortbildung für Ärzte eine Obduktion bei einem im Krankenhaus verstorbenen Patienten durchgeführt. Dabei soll die Todesursache herausgefunden, diese mit der klinischen Beurteilung der Todesursache abgeglichen und dann geprüft werden, ob man bestmöglich behandelt habe.

 

Heute jedoch werden Todesursachen – jedenfalls teilweise – in Mortalitätskonferenzen festgelegt, bei der sich die behandelnden Ärzte auf eine Todesursache einigen Verhoff: „Und dann ist der Fall abgeschlossen.“

 

 

 

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