Ein Teller Würstchen mit Kartoffelsalat mit Strafverteidiger Heiko Ahlbrecht, für den jeder Gerichtstermin eine Schlacht ist

Ob im Kartoffelsalat Speck sei, fragt Heiko Ahlbrecht erst mal die Kellnerin, bevor er sich die Würstchen bestellt. Denn da wo er her kommt – aus Gifhorn bei Braunschweig – da ist im Kartoffelsalat nie Speck, erzählt er. Das Thema ist schnell durch, natürlich sei der Kartoffelsalat ohne Speck, entgegnet die Kellnerin fast empört.

 

Auf die Idee, dass hier am Tisch einer der Top-Strafverteidiger Deutschlands sitzen könnte, kommt vor dem Cafe‘ Hüftgold mitten im Düsseldorfer Szene-Viertel Flingern gleich an einer großen Strassenkreuzung sicher keiner. Dafür sorgt schon Ahlbrechts Outfit: Der Wirtschaftsstrafverteidiger von Wessing & Partner trägt eine derbe, dicke Lederjacke und dazu ein schwarzes T-Shirt. Die ist nämlich seine Lieblingsjacke, die trägt er immer wenn er Punk-Konzerte von EA80, Bad Religion oder Die Nerven besucht, wo es öfter zur Sache geht. Wenn die ganz harten Fans Pogo tanzen, alle Umstehenden umrempeln, umwerfen und dabei schon mal andere verletzen. Oder wenn das Publikum in Wallung gerät und Einzelne, die hinfallen, in Gefahr geraten, niedergetrampelt zu werden. Mit wem Ahlbrecht dahin geht? Mit einem befreundeten Strafverteidiger, was sonst.

 

Heiko Ahlbrecht im Cafe Hüftgold in Düsseldorf (Foto: C.Tödtmann)

 

Doch weiter geht´s mit dem Verblüffen. Können Sie Pferdesprache? fragt mich Ahlbrecht. Nein, eher nicht, selbst wenn ich als Kind immer auf Dülmener Wildpferde geritten bin. Aber er kann das jetzt, triumphiert er. Seine beiden Töchter haben sie ihm beigebracht: Wenn sich ein Pferd an seiner Schulter reibt, dachte er früher immer, das sei Zuneigung. Jetzt weiß er, der Gaul benutzt ihn nur wie einen Baum zum Schubbern. So wie Balu, der Bär im Dschungelbuch. Und Ahlbrecht hat gelernt, dass er sich das von dem Pferd nicht gefallen lassen darf.

 

Nach einer Nacht in U-Haft gebrochen

So wie seine Klienten sich auch nicht alles gefallen lassen sollen. Aber in ihrer verzwickten Lage professionelle Hilfe von jemand wie Ahlbrecht brauchen. Oft genug verlieren Straftäter – oder diejenigen, die einer Straftat verdächtigt werden – alles: ihren Ehepartner, ihre Familie, ihren Job, ihr Vermögen und ihre gesellschaftliche Stellung. Schon nach der ersten Nacht in U-Haft sind manche gebrochene Menschen – für immer Die brechen in sich zusammen, komplett, erzählt Ahlbrecht. Sie sagten dann zu allem, was ihnen die Ermittler vorwerfen, „ja“, weil sie einen Prozess gar nicht überleben würden.

 

Dabei sind ihre Taten auch oft nicht eindeutig. Da kann es um Zahlungen gehen, die höher als üblich sind und deshalb den Tatbestand der Bestechung erfüllen können oder den der Untreue. Oft genug geht es um Beihilfe, wo Menschen sich bis dahin als überhaupt nicht involviert ansahen. Von denen sie aber gewusst haben oder haben sollen. Dabei war der Betroffene vielleicht tatsächlich in Wirtschaftsdingen eher unbedarft, sondern eher der Typ Künstler oder Mediziner und Wissenschaftler. Das Tragische daran ist aber: Manche von ihnen sind in dieser Zwangslage dann hoch suizidgefährdet, erzählt Ahlbrecht.

 

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Für 70 Kilometer sechs Stunden bei Hitze im Polizeiwagen

Es kann auch vorkommen, dass sich Polizeibeamte nicht regelgerecht benehmen. Wie Übergriffe von Polizisten aussehen können, will ich wissen. Ob er ein Beispiel gibt. Ahlbrecht zögert, denn am allerliebsten hält er seine Mandanten von vornherein aus der Öffentlichkeit heraus. Um ihnen so viel wie möglich zu retten für Danach, etwa ihre Anstellung, sagt er. Weil derjenige am Ende, nach dem Prozess, vielleicht nichts mehr hat außer seinem Job, seiner Berufung. Wenigstens die. So war es auch bei dem Star-Architekt, dessen Fahrt im Polizeiwagen über 70 Kilometer plötzlich ungewöhnlich lange sechs Stunden dauerte. Bei Höchsttemperaturen und ohne Klimatisierung. Die Polizeibeamten quetschten den Mann aus, sie wollten unbedingt um ein Geständnis. Das war alles unzulässig, sagt Ahlbrecht. Es war eine Zwangssituation, die am Ende leider schwer beweisbar sei. Dann sei auch er als Verteidiger verloren und habe keine Chance, anzugreifen.

 

Manchmal hat Ahlbrecht in seinen 20 Jahren Berufserfahrung auch miterlebt, dass Polizisten unbedingt ein Geständnis hören wollten. Oder Hinweise auf Mittäter. In drei Fällen in seiner Karriere waren sie auch erfolgreich, erinnert er sich. Und übergriffig. In den Akten stand dann, dass sich der Festgenommene selbst unbedingt äußern wollte, Mitteilungsbedürfnis gehabt habe und trotz Rechtsbelehrung auf seine Rechte und seinen Anwalt verzichtet habe – nichts von alledem stimmte, sagt er.

 

Die Grundhaltung: Ich stelle alles in Frage

Der Strafverteidiger erzählt: Meine Grundhaltung ist, ich stelle alles in Frage. Und er habe eine permanente innere Kampfbereitschaft, denn er sei ein schlechter Verlierer. Jeder Gerichtstermin sei eine Schlacht, ein Kampf. In dem Strafverteidiger von Anfang an zeigen müssten, dass sie stark sind. Dass sie die Strafprozessordnung beherrschen und immer ein paar Anträge in der Hinterhand haben, egal ob auf Nichtverlesung der Anklage oder Terminverlegung, um Zeit zu gewinnen. Das einzige, was ein Angeklagter vor Gericht sagen müsse, seine Adresse, sein Alter, sein Geburtsort, sein Geburtsname, sein Beruf und sein Familienstand. Mehr nicht.

 

Zum Beispiel seinen Verdienst braucht der Angeklagte nicht angeben. Warum das manchmal sinnvoll ist? Weil ein stattliches Gehalt immer Sozialneid auslöse und der störe die Objektivität, ist Ahlbrechts Erfahrung. Zumal Strafrichter zusätzlich zu Gefängnisstrafen auch Geldstrafen verhängen können.

 

Frieren im Gerichtssaal bei offenen Fenstern im Winter

Körperlichen Einsatz verlangt Ahlbrechts Job übrigens manchmal auch. Im vergangenen Winter etwa, als er für einen Unternehmensklienten zum Gericht nach Süddeutschland fahren und wegen Corona mit Maske auftreten musste. Die Fenster dort waren sperrangelweit geöffnet und es wurde bitterkalt. Ich trug nur Anzug und Robe und musste mir  zwischendurch meinen Mantel überziehen, erzählt er. Der Staatsanwalt selbst dagegen trug vorsorglich eine Steppweste – hatte aber niemand anderen vorgewarnt. Worum es ging? Ahlbrecht vertrat in dem Fall ein Pharmaunternehmen, dessen Vertriebler Kundenbestellungen fingiert hatte, um mehr Provision zu bekommen.

 

Kurz bevor wir aufbrechen, macht Ahlbrecht  mir noch ein Geständnis: Dass er vor 21 Jahren, damals nach seiner Referendarausbildung, fast ein Journalist geworden wäre – und kein Strafverteidiger. Über seinen Doktorvater Thomas Vormbaum bekam er von einer renommierten Tageszeitung ein Stellenangebot als Redakteur. Doch schon mit der Buchrezension, die er während des Bewerbungsprozesses schreiben musste, tat er sich schwer und ich bekam erhebliche Zweifel, ob er das überhaupt kann, erinnert er sich.

Als Junganwalt ein viermal so hohes Gehalt wie bei einer renommierten Redaktion

Doch der Schock war dann das endgültige Vertragsangebot, das ihm eine renommierte Tageszeitung machte: Gerade mal knapp 2.000 Euro sollte das Gehalt betragen. Als Ahlbrecht in dem Moment schon als Referendar  mehr bekam und das Versprechen, als Junganwalt in einer anderen Großkanzlei rund 8.000 Mark m Monat zu verdienen. Trotzdem ist der Düsseldorfer bis heute stolz, dass die Zeitung ihm diese Chance geben wollte, sagt er. Und dass er dann mit schlechtem Gewissen der Zeitung ab- und der ersten deutschen Großkanzlei, Haarmann & Hemmelrath, zugesagt habe.

 

Kartoffelsalat mit Bockwürstchen im „Cafe Hüftgold“

 

 

 

 

 

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