„Das Gießkannenprizip wäre brandgefährlich“ – Interview mit Pricing-Experte Gregor Buchwald über die Nöte der Firmen wegen explodierenden Rohstoffkosten

Die Kosten für Rohstoffe wie Holz, Stahl oder chemische Grundstoffe sind in den vergangenen Monaten explodiert. Preissteigerungen von mehr als 70 Prozent sind keine Seltenheit mehr. Das betrifft Baustoffhersteller wie Saint-Gobain, Knauf oder Xella ebenso wie Industrieunternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau wie MTU, Voith oder GEA, die auf Rohstoffe und vorgefertigtes Rohmaterial angewiesen sind. Gregor Buchwald, Gregor Buchwald, Partner der Unternehmensberatung Roll & Pastuch, die spezialisiert ist auf Preis- und Vertriebsmanagement – im Fachjargon Pricing – erklärt im Interview, was Unternehmen jetzt noch tun können. 

 

Gregor Buchwald von Roll & Pastuch (Foto: Privat)

 

Herr Buchwald, die hohen Materialpreise werden zum existenziellen Problem für Unternehmen. Die steigenden Herstellkosten können sie nicht kompensieren und auch ihre Margen nicht mehr erreichen. Als Pricing-Experte raten Sie denen zu Preiserhöhungen. Wie können Unternehmen sie bei ihren Kunden jetzt durchsetzen?

Buchwald: Die Unternehmen müssen Preisaufschläge systematisch vorbereiten, sie sind ihr einziger Ausweg. Die wenigsten von ihnen haben einen feststehenden Prozess, nach welchen Regeln sie ihre Preise im Markt anpassen wollen. Das rächt sich jetzt, wenn die Einkaufspreise unverhofft aus dem Ruder laufen. Nach dem massiven Preisanstieg der Rohstoffe in den vergangenen Monaten greift das Management panisch zur vermeintlichen Allzweckwaffe nach Gießkannenprinzip: X Prozent Preiserhöhung über alles, unabhängig vom Markt, dem Produkt und dem Kunden. So ein pauschales Vorgehen ist aber brandgefährlich, weil die Bereitschaft von Kunden, Preiserhöhungen zu akzeptieren, genau von diesen Dimensionen abhängt.

 

Also wie müssen Firmen jetzt bei welchen Kunden welche höhere Preise durchsetzen? Geht das überhaupt bei laufenden Verträgen mit fixen Summen?

Die Unternehmen müssen einzeln prüfen, welches Marktsegment müsste welche Preiserhöhung akzeptieren? Was bisher nach dem Prinzip Gießkanne nur wenige Stunden gedauert hat, erfordert jetzt Tage oder sogar Wochen. Es ist wichtig, bei der Preisentscheidungen den Vertrieb mit einzubeziehen, um die unterschiedliche Zahlungsbereitschaft verschiedener Kundengruppen auszuloten.

 

… um was zu erreichen?

Es macht einen Unterschied beim Durchsetzen höherer Preise, ob man der Lieblingslieferant des Kunden ist oder ob man am unteren Ende der Lieferantenliste steht. Genauso spielt auch das Produkt eine Rolle, welche Preiserhöhung man am Ende erreichen kann: Bietet ein Unternehmen nur ein Me-too-Produkt an und ist man als Lieferant zügig austauschbar? Oder ist sein Produkt eben nicht so einfach zu ersetzen und der Austausch des Lieferanten mit Risiken und hohen Kosten für den Kunden verbunden? Je nachdem, wie sich die Verhandlungsmacht zwischen Hersteller und Kunden verteilt, ist auch die Vorgehensweise der Unternehmen bei laufenden Verträgen verschieden. Sie reicht von „friss oder stirb“ – dann kündigt das Unternehmen alle bestehenden Verträge und diktiert eisenhart die neuen Konditionen – bis hin zu „lass uns mal zusammensetzen und über die Kostenexplosion sprechen“.

 

Ist das immer rechtlich zulässig?

Das hängt vom jeweiligen Vertrag ab, pauschale Antworten gibt es nicht. Das juristische Durchsetzen der eigenen Forderung ist aber nicht das bestimmende Thema in der Industrie. Wer will schon in Zeiten knapper Rohstoffe, Halbzeug, Teilen und Komponenten seinen Lieferanten mit juristischem Kleingedruckten vergraulen? Was die Unternehmen wollen, ist nur eins – produzieren, und zwar viel. Und nicht zu vergessen, sie haben meist noch eine tiefe Corona-Kerbe im Umsatz wettzumachen.

 

 

Also braucht man sehr guten Rechtsrat – und das eben schon bei Vetragsschluß.

Glück haben jetzt Unternehmen, die beim Unterzeichnen ihrer Lieferantenverträge gut beraten waren. Also wenn sie beispielsweise mit ihren Herstellkosten stark von den Rohstoffpreisen abhängen, so wie die Verpackungs-Hersteller vom Polyethylen: Wenn sie ihre Verträge so gestalten, dass sie die Möglichkeiten haben, den Vertrag anzupassen, wenn der Preisindex eines Rohstoffs einen klar definierten Preiskorridor verlässt. Oder wenn Preisgleitklauseln im Vertrag stehen und Preisanpassungen automatisch erfolgen und sich an bestimmten Rohstoffindizes wie dem MEPS-Stahl-Index orientieren. Nur: Die Preisanpassung kann in beide Richtungen gehen, es kann auch teurer werden als vorher.

 

Was ist mit den Kunden, manche sind zahlungskräftiger als andere?

Die Zahlungsbereitschaft kann sich nicht nur nach Produkt, sondern auch nach der Branche des Kunde unterscheiden. Nehmen wir ein normales 120 Liter Spundfass, das sind diese blauen Plastikfässer, die man oft als Regentonne in Gärten findet. Deren Verwendungszwecke sind so unterschiedlich, wie die Güter, die darin transportiert werden. Das reicht von einfachen Schmierstoffen der Petrochemie bis hin zu teuren Produkten der Pharmaindustrie. Der Kostenanteil der Verpackung am Füllgut unterscheidet sich eklatant. So wird ein Pharmahersteller einen höheren Preisaufschlag akzeptieren als der Hersteller von Industriefetten. Und genau diesen Unterschied in der Zahlungsbereitschaft gilt es durch eine smarte Preiserhöhung zu berücksichtigen.

 

Das funktioniert nur nicht umgekehrt, wenn die Materialien, die ein Unternehmen braucht, gar nicht mehr zu haben sind. Chips zum Beispiel, wegen denen Autohersteller schon ganze Produktionen lahmlegen müssen.

Dann stößt selbst die intelligenteste Preisanpassung an ihre Grenzen, wenn die Lieferketten platzen und Materialien wie Produkte schlichtweg nicht mehr verfügbar sind. Der weltweite Chipmangel trifft die Automobilhersteller mit voller Härte, ihre Bänder bleiben stehen und die Umsatzeinbußen steigen. Gerade diese Woche hat Daimler verkündet, dass wegen fehlender Komponenten die Produktion in Teilbereichen des Bremer Mercedes-Werks gestoppt ist und Tausende Mitarbeiter nach Hause geschickt werden. Klar ist aber auch: Die Hersteller besonders beliebter Automarken werden es sich einfach machen und die gestiegenen Kosten an die Kunden durchreichen. Experten rechnen mit vier bis zehn Prozent höheren Preisen. Das nennt man am Ende Inflation.

 

Fragebogen „Nahaufnahme“ mit Pricing-Experte Gregor Buchwald: „Die Stehen-Bleiber auf der Rolltreppe nerven.“

 

Wie Unternehmen mit cleveren Preis- und Vertriebstaktiken die Coronakrise überleben. Gastbeitrag Pricing-Experte Gregor Buchwald

 

 

 

 

 

 

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