Der feine Unterschied – ob Arbeitsunfall oder nicht – kann jeden Monat mehrere hundert Euro obendrauf ausmachen

Ob ein Unfall im Home office oder beim Mobilen Arbeiten als Arbeitsunfall gilt oder nicht, ist keine Formalie: Der Unterschied kann für Angestellte am Ende mehrere hundert Euro jeden Monat bedeuten. Die Feinheiten und Klippen bei BG-Unfällen erklärt Arbeitsrechtlerin Heike Kroll im Gastbeitrag. 

Heike Kroll auf Twitter: @RA_DrKroll
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Wegen der Corona-Pandemie sind viele Mitarbeiter seit Monaten im Homeoffice. Manche durchgehend seit März. Da die meisten Unfälle im Haushalt passieren, sind Stürze und ähnliches programmiert. Jedoch: Fast keinem ist bewusst, dass es einen Unterschied macht, ob ein Angestellter zuhause beim mobilen Arbeiten beziehungsweise im Home office in der Arbeitszeit oder im Büro einen Unfall hat. Und dass der Unterschied am Ende mehrere hundert Euro Rente jeden Monat oben drauf aufs Gehalt ausmachen kann und deutlich mehr therapeutische Maßnahmen zwecks Genesung.

Die Grundregel ist: Wer sich im Büro oder auf dem Weg dahin oder zurück verletzt, bekommt von der gesetzlichen Unfallversicherung zusätzliche Leistungen – bei einer Tätigkeit im Homeoffice sieht das im Normalfall ganz anders aus.

Gesetzlich unfallversichert ist automatisch jeder, der in einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Dienstverhältnis steht. Die Beiträge an die BG-Versicherung zahlt der Arbeitgeber. Versichert sind darüber Arbeits- und Wegeunfälle, aber auch Berufskrankheiten.

 

Heike Kroll (Foto: Privat)

 

Also: Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen sind deutlich großzügiger als die der normalen Krankenversicherung, denn der Patient soll ja schnell wieder auf die Beine kommen und wieder weiter arbeiten können.

Was gesetzliche Unfallversicherung womöglich bezahlt: Beispielsweise eine Verletztenrente bei dauerhafter Minderung der Erwerbsunfähigkeit, also auf das normale Gehalt obendrauf vielleicht ein paar hundert Euro jeden Monat. Oder ein „Übergangsgeld bei Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben“ sowie „Pflegegeld bei erheblichen Hilfebedarf“. Dann gibt es noch umfangreiche „Ansprüche auf Sach- oder Dienstleistungen, insbesondere ambulante und stationäre ärztliche Behandlungen, Psychotherapien, häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfen, sogenannte Teilhabeleistungen, Heil- und Hilfsmittel“ – alles umfangreich und (anders als bei der gesetzlichen Krankenversicherung) vor allem ohne Budgetierung der einzusetzenden Mittel.

 

Umso wichtiger ist, sich bewusst machen, was ein Arbeitsunfall oder ein Wegeunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung eigentlich ist:

  1. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die Angestellte bei der Arbeit und auf Dienstwegen zustoßen. Dazu gehört auch die Instandhaltung von Arbeitsgeräten, die Teilnahme am Betriebssport oder an Betriebsausflügen und -feiern.
  2. Wegeunfälle sind Unfälle, die sich auf dem direkten Weg zur Firma oder dem Rückweg ereignen. Was auch versichert ist: Notwendige Umwege, um Kinder in der Arbeitszeit unterzubringen oder bei Fahrgemeinschaften.

Ein Unfall ist übrigens immer ein „ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt“. Das bedeutet umgekehrt: Es liegt kein Arbeitsunfall vor, wenn Verletzungen oder Gesundheitsschäden ohne Einwirkung von außen nur zufällig während der versicherten Tätigkeit auftreten, wenn also zum Beispiel ein Mitarbeiter am Schreibtisch einen Herzinfarkt erleidet.

Wie sieht der Versicherungsschutz nun konkret im Home office im Gegensatz zur Bürotätigkeit aus:

 

1. Der normale Gang zur Toilette oder der Weg zur Küche/Kantine

Im Büro ist der Weg bis zur Toilettentür, zur Küche oder zur Kantine und zurück  versichert.

Im Home-Office sind Wege zur Toilette, ins Bad oder in die Küche und zurück nicht als unfallversichert. Anders kann es aussehen, wenn gerade der Job ein besonderes Durstgefühl verursacht oder der Angestellte wegen einer Erkrankung und der damit verbundenen gesetzlichen Nebenpflicht „zum genesungsfördernden Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet“ gewesen wäre, sich Wasser zu holen und deshalb in die Küche geht.

Und – jetzt wird es knifflig – wenn jemand aus der Küche stürzt, in der er Pause gemacht hat, weil das Diensthandy läutet oder eine Videokonferenz startet. Denn dann wäre der Rückweg „dienstlich motiviert und im direkten Zusammenhang“ mit der Arbeit zu sehen.

 

2. Die Mittagspause

Angestellte sind überall in ihrer Mittagspause versichert, sofern sie ausschließlich Aktivitäten zur Nahrungsaufnahme unternehmen, so wie einen Gang zum Bäcker oder Supermarkt, um sich einen Mittagsnack zu kaufen oder bis zur Haustür des Restaurants, in dem er sein Mittagessen einnimmt.

Fest steht: Verlässt der Home-Office-Mitarbeiter das Haus, um auswärts zu essen, ist er nicht unfallversichert.

 

3. Der Treppensturz

Fällt ein Angestellter im Firmengebäude die Treppe herunter, ist er ganz klar unfallversichert. Anders ist es im Home-Office: Diese Risiken innerhalb der privaten Wohnung hat der Arbeitgeber nicht zu verantworten, sagen die Sozialgerichte.

Wann kann der Sturz auf der Treppe zuhause dennoch versichert sein? Nur in Ausnahmefällen kann er ein Arbeitsunfall sein (BSG, B 2 U 28/17 R). Zum Beispiel: Geht ein  Mitarbeiter in sein Arbeitszimmer im Keller, um einer dienstlichen Weisung nachzukommen (hier dienstliches Telefonat außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit), nimmt man eine Aufgabe im Interesse des Unternehmens wahr und ist versichert.

Werden mehrere Räume innerhalb der Wohnung betrieblich genutzt  – der Drucker befindet sich in einem anderen Raum – und ereignet sich der Unfall auf dem Weg zwischen diesen Räumen, kann ebenfalls ein Betriebsweg und damit Versicherungsschutz der BG-Versicherung vorliegen.

 

4. Wenn der Postbote klingelt

Im Büro gehört grundsätzlich jeder Gang zur Tür zu einer versicherten Handlung.

Im Homeoffice muss differenziert werden: Es besteht keine Unfallversicherung, wenn man für private Belange seine Arbeit unterbricht, etwa wenn der Paketbote ein privates Paket bringt. Nimmt man vom Briefträger geschäftliche Post entgegen, ist man sehr wohl unfallversichert.

 

5. Wegbringen von Kindern zur Kita/Tagesmutter

Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung besteht durchaus Versicherungsschutz, wenn man sein Kind auf dem Weg ins Büro bei der Kita oder Tagesmutter absetzt und im Anschluss an die Bürotätigkeit wieder abholt.

Bei Personen, die im Homeoffice arbeiten, sind dagegen Unfälle beim Wegbringen oder Abholen der Kinder keine Arbeitsunfälle, sondern Privatsache. Das Bundessozialgericht hat das erst kürzlich ausdrücklich bestätigt (BSG, Urteil vom 30.01.2020, B 2 19/18 R).

 

6. Fahrten ins Büro

Bei durchgehender Bürotätigkeit fallen Unfälle auf dem Weg ins Büro unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Jedoch ist – außer bei Fahrgemeinschaften oder dem Wegbringen von Kindern – immer nur der direkte Weg versichert. Wer anhält, um Post einzuwerfen, zu Tanken oder sich etwas zu Essen zu kaufen, ist nicht mehr unfallversichert.

Fahrten eines Mitarbeiters im Home office sind unfallversichert, wenn ein unmittelbarer Bezug zur Tätigkeit besteht: Wenn ein Meeting in der Firma angeordnet ist oder der  Mitarbeiter aufgefordert wird, betriebliche Unterlagen oder Arbeitsergebnisse in den Betrieb zu bringen. Oder er bei alternierender Telearbeit an den Home-office-freien Tagen zu seinem Schreibtisch in der Firma fährt, um dort zu arbeiten.

 

7. Die Raucherpause

Zumindest beim Rauchen werden Wohnung und Firma gleichgestellt. Weil Rauchen nicht der Erhaltung der Arbeitskraft dient, ist der Weg in die Rauchpause Privatsache, so urteilte das Berliner Sozialgericht (Urteil vom 23.01.2013, S 68 U 577/12).

 

Was ist nun bei einem Arbeitsunfall zu tun:

1. Erstbehandeln dürfen nur zugelassene Durchgangsärzte. Sie sind auf Arbeitsunfälle spezialisiert, haben gegenüber der Berufsgenossenschaft ihre besondere Qualifikation für die Behandlung von Unfällen nachgewiesen und sind im Internet aufgelistet.

2. Achten Sie darauf, dass der Unfallhergang (genauer Zeitpunkt, von woher kam man, wo wollte man hin und zu welchem Zweck geschah die Handlung, bei der der Unfall passierte) vollständig und korrekt aufgenommen wird.

3. Informieren Sie Ihren Arbeitgeber, damit er seinen Verpflichtungen gegenüber der Berufsgenossenschaft nachkommen kann.

4. Da es immer auf den konkreten Einzelfall ankommt, sollte man eine Ablehnung des Unfallversicherungsschutzes nicht einfach akzeptieren, sondern im Zweifel einem Anwalt zeigen.

 

 

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