Beim Zehn-Jahres-Empfang der Kanzlei Arqis auf der Dachterrasse im Düsseldorf Hafen fragte ich mich im ersten Moment, ob ich mich in der Adresse vertan hätte. So viele Japaner standen dort mit ihren Weingläsern in der Hand. Aber nein, ich war ganz richtig. Das war vor vier Jahren und ich erfuhr dann, dass Arqis viele japanische Unternehmen als Mandanten hat, für die sie viele M&A-Deals abwickelt und überhaupt oft deren ausgelagerte Rechtsabteilung ist. Zu ihnen zählen etwa Kyocera, Uniqlo oder Toto, der Hersteller der japanischen Toiletten mit der Wasserfontäne.
Die Schlüsselfigur dafür ist Shigeo Yamaguchi, der zwar in Japan geboren ist, aber schon mit 19 Jahren nach Freiburg, später München zum Jura-Studium kam und in Deutschland geblieben ist. So gut gefällt es ihm in Deutschland. So unähnlich seien sich Japaner und Deutsche ja auch nicht, erzählt er mir im Kytaro in Düsseldorf, wo er sich eine Dorade bestellt hat. Disziplin, Pünktlichkeit und Fleiß lägen beiden Nationen und beide hätten nach dem zweiten Weltkrieg komplett neu aufbauen müssen.
Mitverantwortlich war dafür sicher aber auch, dass Yamaguchi schon in Tokio sein Abitur an der deutschen Schule dort gemacht hat. Sein Vater war Unternehmer und er ein neugieriges Kind, das durchaus fremde Sprachen kennen lernen wollte, erzählt er. Nach dem Abitur hatte er die Wahl zwischen dem Kings College in London und der Universitätsstadt Freiburg – die ihm dann als Kontrast zu Tokio attraktiver erschien.
Nicht mal die Wohnungsnot dort schreckte ihn ab, denn kein Studentenheim hatte Platz und auch Suchanzeigen halfen nicht weiter. Doch Yamaguchi machte, was sonst niemand tut: Im Stadtteil Littenweiler klingelte er einfach bei drei Häusern an jedem Klingelschild und fragte die erstaunten Leute, ob jemand ein Zimmer für ihn wüsste. Im dritten Haus schon wurde er fündig: Im Souterrain öffnete ihm ein Student, der ein 13-Quadratmeter Zimmer hatte, für das er aber in wenigen Wochen ohnehin einen Nachmieter gesucht hätte. Zwar gab es nur Toilettenmitbenutzung auf dem Gang und es ziemlich verranzt, aber immerhin. Yamaguchi zog ein und erinnert sich bis heute: Wenn er am 24. Dezember Geburtstag feierte, kamen zur Party nur ausländische Kommilitonen, die – wie er – nicht mal eben über Weihnachten nach Hause fuhren.
Weil wir im Corona-Zeitalter sind, kommt das Thema unweigerlich darauf. Masken-Tragen ist für Japaner tatsächlich gar kein Thema und zwar genau aus dem Grund, weswegen Masken hierzulande in den Talk-Shows und von den Medien auch sonst anfangs genau nicht ernst genommen wurden: die Masken schützen ja „nur den anderen“ (und nicht einen selbst), so die Logik der Virologen, die flugs aufgegriffen wurde und so schnell auch nicht mehr aus den Köpfen kam. Nicht mal der erfolgreiche Feldversuch der Stadt Jena – eine Woche Maskenpflicht für alle – schaffte es, diese Abwertung so schnell wieder auszurotten.
Japaner jedenfalls zücken Masken, sobald ein Schnupfen oder Husten im Winter aufzieht, um eben die Mitmenschen zu schützen. Das gehöre sich eben so. Alles andere sei unhöflich und rücksichtslos. Dann kommen die Menschen in Tokio zwar ins Büro, aber: mit Masken.
Japanische Kollegen hielten es auch hierzulande mit dieser Tradition und trug immer mal wieder in der Kanzlei ganz selbstverständlich Masken – schon weit vor Corona. Die Kollegen hatten sich schon daran gewöhnt. Nur der Taxifahrer, der es mit der Angst zu tun bekam, als er sich auf dem Rücksitz plötzlich eine Maske aufzog, den musste er beruhigen. Und überhaupt: Umarmungen und Hände geben sei in Japan nicht üblich, nicht mal mit den Eltern, erzählt er.
Und einen weiteren Unterschied zu seiner Heimat erklärt er mir. Japanische Manager verdienen nur selten eine Millionen Euro, eher 300.000 bis 400.000 Euro. Dass der Vorstand 60 mal so viel wie sein Facharbeiter mit nach Hause nimmt, sei undenkbar. Laufen die Geschäfte mal schlechter, verzichten viele Manager sogar freiwillig auf Lohn.
Spontan denke ich an den Airline-Vorstand, der mitten in der dicksten Coronakrise mit Weggang drohte, weil seine Boni ausbleiben sollten. Der Manager ging auch tatsächlich.
Das sei in Japan undenkbar, im Gegenteil: So schnell wie hierzulande verlören japanische Mitarbeiter auch nicht postwendend ihre Jobs bei ausbleibenden Aufträgen oder Krisen. Auch wenn die lebenslange Treue zum Unternehmen nicht mehr so ganz die Regel ist wie früher, sagt er. Zwar haben die ein oder anderen seiner Unternehmensmandaten in Deutschland auch Kurzarbeitergeld beantragt, aber niemanden entlassen.
Da dächten die japanischen Firmenlenker immer noch langfristiger und mit mehr Geduld. Das bedeute, dass japanische Investoren – in NRW hätten sie immerhin 600 Unternehmen – erst jetzt langsam auch mal ein Tochterunternehmen verkaufen, nachdem sie jahrelang nur aufgekauft hatten. Das könnten nach Corona noch mehr werden, schätzt er. Yamaguchi: „Das überlegen sich die Geschäftsführer aber erst sehr lange.“