Interview – Arbeitsrechtler Jan-Tibor Lelley zum Betrug beim Kurzarbeitergeld: Führungskräfte riskieren Vorstrafen, wenn sie beim Kurzarbeitergeld mogeln – oder dazu auffordern

In der Finanzkrise wurden damals bundesweit hunderte von Fällen aufgedeckt, in denen Unternehmen zu Unrecht Kurzarbeitergeld beantragt hatten. Die Textilkette C&A ist durch die Bundesanstalt für Arbeit und die Bundeszollverwaltung laut Presseberichten schon im Mai geprüft worden, weil das Unternehmen Kurzarbeitsgeld bezogen, aber die Mitarbeiter aufgefordert habe soll, trotzdem die volle Arbeitszeit abzuleisten. Der Tipp kam wohl anonym, aber die Behörden kümmerten sich durchaus. Laut Nachrichtenagentur „afp“ war an den Vorwürfen gegen C&A nichts dran. Aber auch gegen den Möbeldiscounter Poco ermitteln laut „Business Insider“ der Zoll und die Bundesanstalt für Arbeit wegen   Kurzarbeitergeld-Betrug.

Arbeitsrechtler Jan-Tibor Lelley von Buse Heberer Fromm sagt im Interview, welche Aktionen von Arbeitgebern eindeutig zu weit gehen – und welche Konsequenzen die Führungskräfte höchstpersönlich riskieren. Sogar Vorstrafen und Berufsverbote. 

 

Jan Tibor Lelley (Foto: Buse Heberer)

Jan Tibor Lelley, Arbeitsrechtler bei Buse Heberer Fromm (Foto: PR)

 

Herr Lelley, schätzen Sie, dass Betrug beim Kurzarbeitergeld derzeit oft vorkommt?

Viele Experten und auch ich gehen davon aus, dass es wegen der massenhaft durchgeführten Kurzarbeit seit Beginn der Corona-Krise zu sehr viel Missbrauch kam. Und das gilt quer durch die Bank in allen Branchen, bei kleinen Unternehmen und bei großen. Zum Beispiel die pure Nachlässigkeit, wenn Falschangaben einfach nicht korrigiert werden. Und die Behörden das dann bei einer Routinenprüfung sehr einfach aufdecken können. Aber auch die Fälle, bei denen Unternehmen alles tun, um zu verschleiern, Polizei oder Staatsanwaltschaft aber einen Hinweis von Unternehmensangehörigen bekommen

 

Manchmal fordern Chefs nur dazu auf, gewisse Tätigkeiten einfach mal nicht als Arbeit und Arbeitszeit anzusehen und sie dann eben auch nicht in den Stundenzettel aufzuschreiben. Was riskieren sie?

Dann ist klar die Grenze zum strafrechtlich relevanten Verhalten überschritten. Das sind Täuschungen, die zu Betrugstatbeständen gehören. Die Führungskräfte riskieren, dann zum Beispiel als Anstifter angeklagt zu werden. Die Arbeitnehmer, die solche Aufforderungen befolgen, können Mittäter sein, wenn sie die Formulare wahrheitswidrig ausfüllen oder voll weiterarbeiten trotz Kurzarbeit. Da gibt es verschiedene Spielarten: Es gab schon Fälle, in denen Familienmitglieder zu überhöhten Gehältern eingestellt und dann mit dem – geringeren – Kurzarbeitergeld bezahlt wurden.

 

…und was riskieren die Führungskräfte persönlich?

Besonders heikel wird es, wenn Vorgesetzte Mitarbeitern dann auch noch offen oder indirekt mit Konsequenzen drohen, falls sie nicht mitmachen beim Betrug. Dann kommt schnell eine strafbare Nötigung dazu. Und diese Strafen sind höchstpersönlich, keine Geldbußen für die Unternehmenskasse. Schlimmstenfalls sind solche Chefs anschließend vorbestraft. Die Folge: Sie können nicht mehr als sogenannte Organe für Gesellschaften arbeiten, also als Geschäftsführer und Vorstand.Das kommt im Ergebnis einem Berufsverbot gleich.

 

Wer sind die Tippgeber für Behörden wie die Bundesanstalt für Arbeit? Bei C&A soll es ebenso anonyme Hinweise gegeben haben wie bei Poco.

Oft melden die eigenen Mitarbeiter Verstöße – manchmal eben aber auch solche, die keine Verstöße sind. Mitarbeiter, die ihrem Unternehmen sowieso schon nicht trauen oder enttäuscht wurden, dürften anfälliger sein als treue, loyale Angestellte. Aber auch anonyme Tippgeber kommen vor.

 

Können Unternehmen, wenn manche Abteilungen oder Schwesterfirmen besonders stark betroffen sind, die weniger Betroffenen ebenfalls zur Kurzarbeit anmelden, um die anderen Kollegen solidarisch zu unterstützen mit dem Bezug von mehr Kurzarbeitergeld? Und vielleicht sogar darauf ausdrücklich hinweisen, um so Psychodruck auszulösen?

Auch das geht schnell mindestens in eine rechtliche Grauzone: wenn die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen von Kurzarbeit nicht vorliegen aber vorgetäuscht werden. Das sind, wie gesagt, Tatbestandsmerkmale von Betrugsdelikten. Wer in diesem Zusammenhang Druck auf Mitarbeiter ausübt, kann sich auch strafbar machen. Schlagworte wie „Solidarität“ oder „Kollegenhilfe“  – die hört man auch oft – sind völlig deplatziert. Damit soll oft nur ein rechtswidriger Sachverhalt unter den Teppich gekehrt werden. Nämlich dass gemauschelt wird. Bei Kurzarbeit muss alles einzeln und sehr kleinschrittig betrachtet werden. Und gerade nicht nur das ganze Unternehmen, geschweige denn rechtlich eigenständige Schwestergesellschaften. Der Gesetzgeber will das Gegenteil: Man kann sogar nur einzelne Mitarbeiter zur Kurzarbeit anmelden, es müssen nicht mal ganze Abteilungen sein.

 

Und was ist, wenn ein Unternehmen Kurzarbeit eingeführt hat, das aber gleichzeitig als Salamitaktik anwendet und als psychologische Vorbereitung für die Kündigungen nutzt? Sprich: Es geht ihm gar nicht um den Erhalt der Arbeitsplätze, sondern es ist eine von langer Hand eingeleitete Kündigungsrunde?

Der Grundsatz ist: Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen schließen sich nicht notwendigerweise aus. Das hat schon das Bundesarbeitsgericht entschieden.

Eine ganz andere Sache ist es, wie das moralisch, vom Standpunkt der Business-Ethik zu sehen ist. Kurzarbeit soll ja eigentlich der Weg sein, Kündigungen zu verhindern. Dafür nehmen die Mitarbeiter auch schmerzhafte Einschnitte beim Verdienst in Kauf. Wenn es aber den Unternehmenslenkern gar nicht um den Erhalt, sondern den Abbau von Arbeitsplätzen geht, ist das nicht im Sinne von Kurzarbeit als Mittel zur Krisenbewältigung.

Ein Unterschied ist es natürlich, wenn Unternehmen erst Kurzarbeit versuchen, aber damit die Krise nicht bewältigen können. Und dann zu Entlassungen übergehen. Das ist auch nicht schön. Aber konsequent, ehrlich und legal.

 

 

Lesehinweise:

Interne Mail des Möbeldiscounters: Poco-Manager droht kritischen Mitarbeitern mit Kurzarbeit

 

https://www.merkur.de/wirtschaft/coronavirus-kurzarbeit-c-a-duesseldorf-hannover-betrug-geld-ueberstunden-mitarbeiter-razzia-zr-13796767.html

 

 

 

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