WEF Davos 2020 – Exklusiv (2): CNN-Moderatorin Julia Chatterley über das falsche Gefühl der Sicherheit, dass die Rechte von LGBTI gesichert seien (Gastbeitrag)

Davos begrüßt uneingeschränkte Inklusion, wenn auch aus der Distanz

Gastbeitrag von CNN-Moderatorin Julia Chatterley

 

CNN-Moderatorin Julia Chatterley (Foto: CNN International)

 

Anfang dieser Woche nahm ich an einer bahnbrechenden Veranstaltung jenseits des Hauptkongresszentrums in Davos teil. Am 50. Jahrestag des Weltwirtschaftsforums, rund sieben Monate nach dem 50. Jahrestag der Stonewall-Unruhen, wurde die Partnerschaft für globale LGBTI-Gleichberechtigung (PGLE) in Davos formell begrüßt. Nun ja, fast zumindest.

 

Auf den ersten Blick mag ein Frühstücks-Event am Rande von Davos nach nichts Besonderem klingen, aber dieses hier war schon etwas Bedeutendes. Zwar wurden hier LGBTI-Fragen schon mal diskutiert, aber so noch nie. PGLE, eine Initiative, die im letzten Jahr von Accenture, Deutsche Bank, EY, Mastercard, Microsoft, Omnicom und Salesforce in Zusammenarbeit mit dem WEF und mit Unterstützung der UNO ins Leben gerufen wurde, ist etwas Neues. So nah ist man hier wahrscheinlich noch nie einem voll integrierten, aufgeladenen Dialog gekommen.

Egal wie man zu Davos steht – nirgendwo anders sind die verschiedenen Stränge des Aktivismus, der Wirtschaft und der Regierung auf eine solche Weise miteinander verbunden. Wenn man jemals einen Raum finden sollte, um diese Gruppen zusammenzubringen, dann sind es die Schweizer Alpen im Januar.

 

In meiner Wahlheimat New York wurde der Jahrestag von Stonewall letztes Jahr ausgiebig gefeiert. Ich gebe zu, dass auch ich ein paar regenbogenfarbene Cupcakes erstanden habe, und die selbstbewusste Zurschaustellung von Pride, die an jeder Straße und jeder Wand entlang zu fließen schien, fühlte sich wie eine buntes Feuerwerk der Liebe an. Das alles konnte aber auch schnell zu einem falschen Gefühl der Sicherheit führen. Weltweit sind die Rechte von LGBTI alles andere als gesichert.

 

Auch im Jahr 2020: Todesstrafe für gleichgeschlechtliche Beziehungen

Zu Beginn dieses neuen Jahrzehnts gibt es immer noch mehr als 68 Länder, in denen der bloße Akt sexueller Beziehungen mit einer einwilligenden erwachsenen Person desselben Geschlechts kriminalisiert wird. Auch gibt es mindestens neun nationale Gesetze, die auf Transgender und Nonkonformisten abzielen und damit einige Formen der geschlechtsspezifischen Äußerung illegal machen.

 

In manchen Ländern muss die LGBTI-Gemeinschaft alles riskieren, um einfach sie selbst zu sein. In einer Gruppe von Ländern, zu der auch Singapur gehört, drohen ihnen bis zu sechs Jahre Gefängnis für gleichgeschlechtliche Beziehungen. In Orten wie Kenia, Süd-Sudan, Malaysia, Brunei und Myanmar riskieren sie bis zu einem Jahrzehnt. In Saudi-Arabien, im Sudan, im Iran und in Pakistan droht ihnen, kaum zu glauben im Jahr 2020, die Todesstrafe.

 

Sogar im regenbogenflaggengesäumten Amerika gibt es keinen staatlichen Schutz für gleichgeschlechtliche Paare, und elf Bundesstaaten behalten Gesetze bei, wenngleich nicht durchsetzbar, die gleichgeschlechtliche Beziehungen verbieten – und das trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2003, in dem solche Gesetze für verfassungswidrig erklärt wurden. In diesem Fall also das Land der nicht wirklich uneingeschränkten Möglichkeiten.

 

Es ist nicht nur traurig, sondern auch aus Unternehmenssicht schlecht

Die Implikationen all dessen für Wirtschaftsunternehmen sind offensichtlich. Angesichts solcher Einschränkungen, ist es ihnen vielleicht einfach nicht den Ärger wert, sich mit dem Gesetzesgeber auseinanderzusetzen? Wie können sich Arbeitnehmer darauf verlassen, dass der bloße Schritt, ehrlich über ihr Privatleben zu sprechen, ihre Karriere nicht gefährdet? Was ist mit gleichgeschlechtlichen Paaren und Themen wie Elternurlaub? Wagen sie es, eine Familie zu gründen in dem Wissen, dass sie nicht die gleiche Unterstützung wie ihre heterosexuellen Kollegen erhalten werden?

 

In einer Zeit, in der Vielfalt, Integration und „Unconscious Bias“-Trainings gefördert werden, ist dies nicht nur traurig, sondern auch schlecht für Produktivität und Innovation. Eine glückliche, vielfältige Belegschaft ist nachweislich von Vorteil, um ein starkes, wettbewerbsfähiges und innovatives Unternehmen zu schaffen.

 

(Foto: CNN International)

 

Während der Podiumsdiskussion wurde etwas angesprochen, von dem ich aus meiner eigenen Erfahrung mit Kollegen weiß, dass es wahr ist. Der enorm beeindruckende Alphonso David, Präsident der Menschenrechtskampagne Human Rights Campaign, erzählte die Geschichte einer Person, die er am Arbeitsplatz „erschaffen“ hat, weil er das Risiko fürchtete, sich zu outen. Ich begann meine Karriere bei einer großen amerikanischen Investmentbank, wo ich anscheinend überhaupt keine LGBTI-Kollegen hatte. Zwar ist das statistisch unwahrscheinlich, ich habe es aber zu meiner Schande nicht in Frage gestellt. Entweder hatten die Menschen Angst vor den Folgen, die sich aus der Wahrheit ergeben würden, oder schlimmer noch, sie haben sich gar nicht erst um einen Job beworben. Die Zeiten haben sich eindeutig geändert, aber es reicht noch nicht aus.

 

Unternehmen können Fortschritte herbeiführen

Die Diskussion am Dienstag hat mir nicht nur die Augen geöffnet, sondern auch neue Impulse gegeben. Wie in derzeit vielen Bereichen scheinen Unternehmen bei diesem Thema tatsächlich besser in der Lage zu sein, etwas zu bewegen, als die Regierungen. Multinationale Unternehmen, die in Ländern tätig sind, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal sind, können als sicherer Hafen für LGBTI-Menschen dienen. Und die Auswirkungen, die diese Unternehmen auf das wirtschaftliche Ergebnis haben, werden jede Regierung dazu veranlassen, eine Gesetzgebung gegen ihre Mitarbeiter nochmal zu überdenken. Das bedeutet, dass sie auch die politische Landschaft verändern können.

 

Aus dem Panel ging auch hervor, dass es verschiedene Ansätze gibt, um Fortschritt herbeizuführen. Sarah-Kate Ellis von GLAAD sprach von der Notwendigkeit, Verständnis für Organisationen zu zeigen, die Fehler gemacht haben – und vor allem mit Unternehmen, die Fehler machen, zusammenzuarbeiten, anstatt sie zu verurteilen. Auch das ist wichtig – die Vorstellung einer Gemeinschaft, die vernünftig, vergebend, einladend und warmherzig ist, ist attraktiv, auch wenn sie in Ländern wie den Vereinigten Staaten vielleicht leichter zu erreichen ist. Ebenso riskiert man möglicherweise Rückschläge in der LGBTI-Sache, wie Ken Roth von Human Rights Watch betonte, wenn man in ein Land geht mit der Absicht, alte Barrieren niederzureißen. Die Anzeichen deuten darauf hin, dass Unternehmen, die sich in diese Länder begeben und stattdessen wirtschaftliche Argumente für Inklusion liefern, effektiver sein könnten.

 

(Foto: CNN International)

 

Die Wirtschaft als eine Kraft des Guten

Dies ist jedoch keine Rechtfertigung für Unternehmen, Lippenbekenntnisse abzugeben, auf den Regenbogenzug aufzuspringen, oder davon auszugehen, dass sie das Problem schon geknackt haben, indem sie sich als Verbündete der Sache erklären.

Die Wirtschaft als eine Kraft des Guten ist in diesem Zusammenhang ein reizvoller Gedanke. Unternehmen können Grenzen überschreiten, sie unterliegen keinen Amtszeitbeschränkungen, sie können zunehmend darauf vertrauen, dass die LGBTI-Gemeinschaft und, was vielleicht noch wichtiger ist, ihre immer lautstarker werdenden Verbündeten, ihnen zu Hilfe eilen, wenn sie für ihre Haltung bestraft werden. Die Ökonomie der Inklusion, so scheint es, kann für alle ein Gewinn sein. Es war ein kluger und willkommener Schritt, diese Debatte formeller auf die Tagesordnung von Davos zu setzen. Wie PGLE-Geschäftsführer Dan Bross bemerkte, könnte diese Debatte vielleicht im nächsten Jahr im Kongresszentrum selbst fortgesetzt werden.

 

 

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Alle Kommentare [1]

  1. 50. WEF-Davos von Hr. Prof. DDr. Schwab mustergültig geführt hat gezeigt das es mehr egoistische Populisten gibt als wir brauchen und Aktivisten die populistische Themen für sich mißbrauchen !
    das es in vielen Ländern Probleme mit Gleichgeschlechtlichen gibt ist normal und deren Gesetze sind halt so, das hat nichts mit 2020. zu tun !
    das die Wirtschaft sich enorm nach Technik 4.0, Roboter e.t.c. entwickelt hat für alle Normalbürger eher große Nachteile und die Wirtschaft wird das auch sehr bald zu spüren bekommen, zuviel Technik-Überwachung sät Mißtrauen und kann nur von wenigen konsumiert werden !
    die Umwelt ist ein sofort zu behandelndes Thema, aber nicht wie Fr. VDL sagt mit Strafsteuern oder CO2 Steuern sondern mit PLAN – wie Autobauer müssen sofort die Abgaswerte erreichen die angegeben sind, sonst wird die Produktion eingestellt !
    die Wirtschaft muss sich mehr um die Bürger und deren Einkommen kümmern, denn ohne echtes Grundeinkommen von dem Familien wirklich Leben können wird die Armut steigen und das Wachstum sinken !