So nah und doch so fremd: Sehr direkt, unperfektionistisch, urdemokratisch und persönlich sind die Niederländer

Amsterdam (Foto: JMBKPhotography)
Weil die Niederland so nah sind, scheint vieles vertraut. Dabei: Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden lassen etliche gemeinsamen Projekt scheitern. Janet Antonissen, interkulturelle Trainerin bei den gemeinnützigen Carl Duisberg Centren* gibt Tipps, wo die Tretminen bei Verhandlungen mit dem viertwichtigsten Abnehmerland Deutschlands liegen.
Business-Sprache … Englisch
Es fängt an mit der Sprache: Dass die meisten Niederländer Deutsch sprechen, ist ein Irrglaube. Als Deutscher sollte man mit ihnen lieber Englisch reden. Deutsch ist kein Pflichtfach mehr in niederländischen Schulen; deutsches Fernsehen längst nicht mehr angesagt. Auch wenn sich beide Sprachen ähneln, bevorzugt die niederländische Geschäftswelt Englisch. Und wenn ein Geschäftspartner Deutsch spricht: Selbstverständlich ist das nicht und das schnelle „Du“ ist zwar in den meisten Branchen üblich. Die Distanz bleibt trotzdem bestehen, denn das niederländische „je“ entspricht dem englischen „you“. Tipp: Lieber auf einem gemeinsamen Nenner beginnen und das Gespräch auf Englisch starten. Es kann als neutralere Verhandlungsbasis nützlich sein.

Janet Antonissen (Foto: Carl Duisberg Centren)
Gleich, gleicher, Niederlande
Ministerpräsident Mark Rutte kommt mit dem Fahrrad zur Arbeit und die Königskinder besuchen staatliche Schulen. Denn in der niederländischen Mentalität dreht sich alles um Gleichheit – auch im Geschäftsleben. Es herrschen flache Hierarchien, Titel sind eher zweitrangig, Bescheidenheit siegt. Oft trifft niederländische Ungezwungenheit auf deutsche Formalität. Niederländer halten es gerade bei schwierigen Gesprächen oder auch in Vorträgen eher wie die Briten: Humor ist Trumpf.
Wichtig: Man sollte seinen Gesprächspartner aus dem Nachbarland trotzdem ernst nehmen. Im Gegensatz zu Deutschland trennen die Niederländer nicht so streng zwischen privat und geschäftlich. Unter dem Motto „so lässt es sich besser arbeiten“ ziehen diese einen persönlichen Umgang dem sachlichen Miteinander vor. Punkten Sie also mit einem lockeren Auftreten, verstehen Sie Spaß und lassen Sie den Besserwisser zuhause.
Sehr direkt – und auf Rabatte aus
Es klingt unglaublich, aber tatsächlich übertreffen die Niederländer die Deutschen in Sachen Direktheit. Ohne Umschweife sprechen die andere auch auf unangenehme Details an und das sollte man nicht persönlich nehmen. Das bedeutet keinesfalls fehlende Sympathie. Niederländer bevorzugen Direktheit und vermeiden Höflichkeitsfloskeln. Diese scheinbar fehlende Diplomatie steht einem informellen Austausch untereinander nicht im Weg. Im Gegenteil: Die Niederländer tauschen sich mehr über ihr Privatleben aus als man es in Deutschland gewohnt ist.
Mein Tipp: Auch in Verhandlungen kommt diese Mischung aus Direktheit und Ungezwungenheit gut an. Stellen Sie sich zudem auf ein reges Verhandeln ein. Die Niederländer sind ein Handelsvolk und lieben Rabatte, „Extras“ oder selbstgemachte „Spezials“.
Warum 100 Prozent geben, wenn 80 auch ausreichen
Während für den deutschen Perfektionismus eher 110 als 100 Prozent ausreichend scheinen, gehen es unsere niederländischen Nachbarn pragmatisch an. Für das gewünschte Optimum tun es dort auch schon 80 Prozent. So ist beim ersten Geschäftstreffen noch keine perfekte Vorbereitung eines Projekts gefragt. Kennenlernen und Austauschen ist das Ziel. Man kann sich drauf einrichten, dass man nach dem ersten Meeting nur mit einem groben Konzept nach Hause fährt. Details stehen später auf der Agenda.
Meetings: Gleiches Rede-Recht für alle – und das Sagen hat oft nicht der Chef
Besprechungen mit Holländern brauchen viel Zeit. Denn jeder darf mitdiskutieren und alle sitzen im selben Boot. So geht kein Beitrag verloren und der Teamgeist wächst. Der Nachteil: Für deutsche Verhältnisse dauern Entscheidungsprozesse zu lang. Man sollte sich in Geduld üben und mehr Zeit ein als üblich einplanen. Auch späte Rückmeldungen können diesen Grund haben, das ist nicht zwangsläufig als Desinteresse zu werten. Schwierig ist es für Deutsche, bei solchen Besprechungen herauszufinden, wer das Sagen hat. Dies ist in den Niederlanden nicht zwangsläufig der Chef – denn dieser ist, im Gegensatz zu Deutschland, eher Generalist als Spezialist. Assistenten des Chefs sind unter Umständen genauso wichtig wie ihr Vorgesetzter, wenn es um Entscheidungen geht.
Vrijdagmiddagborrel: Der Freitagnachmittag gilt den Kollegen
In niederländischen Firmen findet Freitagnachmittags das „vrijdagmiddagborrel“, kurz „vrijmibo“, statt. Ein informeller Umtrunk mit Kollegen, sei es in einer Kneipe mit ein paar Drinks oder im Büro mit Häppchen wie Bitterballen. Man freut sich zusammen aufs Wochenende und pflegt persönliche Beziehungen im informellen Umgangston. Mein Tipp: Sogar die „vrijmibos“ anderer Geschäftspartner sind die Anreise wert.
*Die Carl Duisberg Centren sind ein Dienstleistungsunternehmen für internationale Bildung und Qualifizierung.

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Als Sprachtrainerin Deutsch für niederländische Geschäftsleute kann ich nur sagen, dass Englisch als Kommunikationssprache so seine Tücken hat. Niederländer und Deutsche sprechen nämlich nicht unbedingt „das gleiche“ Englisch.
Des Weiteren gebe ich regelmäßig auch am Freitagnachmittag in Firmen Unterricht – es ist also nicht so, dass ALLE Firmen einen Vrijmibo haben 😉
Super interessant und bestätigt, was ich schon persönlich erlebt habe!
Ein äußerst interessanter Artikel. Jetzt weiß ich, warum ich manchmal das Gefühl habe, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein.
@Katja Zaich
Das ist doch immer so mit Fremsprachen. Was wollen Sie denn damit sagen? Selbst Amis und Engländer sprechen ein anderes Englisch. Generell würde ich vermuten, dass die Niederländer besser Englisch als die Deutschen sprechen. Ist jedenfalls meine Erfahrung. Danke, dass Sie auch noch mal klar gestellt haben, dass nicht ALLE Firmen vrijmibo haben. Wie hieß nochmal diese typische, deutsche Eigenschaft?