Angela Merkels Rückzug ist ein Vorbild – auch für Manager, meint Ulrich Goldschmidt, CEO vom Berufsverband DFK – Die Führungskräfte.

Ulrich Goldschmidt
Die Rücktritts-Allergie
Ob in der Politik, in der Wirtschaft oder im Sport: Menschen, die lange an der Spitze gestanden haben, schaffen es nicht los zu lassen und verpassen den Zeitpunkt, rechtzeitig zurück zu treten. Bei einigen entwickelt sich eine regelrechte Rücktritts-Allergie. Ist aber der richtige Moment erstmal vorbei, beginnt oft ein quälender Prozess mit einem am Ende schmerzhaften Abschied. Und der vernichtet schlimmstenfalls die über viele Jahre aufgebaute Reputation. Selbst langjährige Vertraute und Wegbegleiter durchleben dann Phasen des Unverständnisses, des Mitleids und des Zorns. Eine Mischung, die oft genug dazu führt, dass der Rücktrittsallergiker am Ende mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wird.
Theoretisch kennt jeder das Problem…
Ja, jeder kennt diese Fälle. Jeder weiß, was passieren kann – und trotzdem tun sich die Menschen so schwer damit, für sich selbst die richtigen Entscheidungen daraus abzuleiten.
Woran liegt das? Warum erkennt der Tennis-Profi nicht, dass er nicht mehr Center-Court-Qualität hat, sondern bestenfalls noch zu Provinzturnieren über die Dörfer tingeln kann. Warum haben Politiker wie Helmut Kohl oder Maggie Thatcher nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt? Warum mussten diese quälend langen Abschiede von Wirtschaftsgrößen wie Josef Ackermann oder Ferdinand Piëch sein?
Die Ironie: Was einst erfolgreich machte, steht später im Weg
Nun, zum einen hat es schon eine gewisse Ironie, dass erfolgreichen Menschen in solchen Situationen oft genug genau das auf die Füße fällt, was sie erfolgreich gemacht hat. Der Aufstieg in Spitzenpositionen erfordert nämlich ein hohes Maß an Resilienz und die Fähigkeit, Ziele mit großer Durchsetzungsstärke auch gegen interne und externe Widerstände zu erreichen. Und genau für diese Durchsetzungsstärke werden diese Spitzenkräfte ja auch geschätzt – von Sportfans, von Investoren, Aufsichtsräten, Mitarbeitern oder Wählern.
Wandelt sich diese Resilienz aber irgendwann in eine schädliche Kritik-Immunität und Beratungsresistenz, stehen die Eigenschaften, die die Menschen groß und erfolgreich gemacht haben, ihnen in Krisensituationen im Weg. Insbesondere wenn es darum geht, den richtigen Weg und richtigen Zeitpunkt für den Abschied von der Macht zu erkennen.
Das Ende vom Lied: Sturheit und pathologisches Beharrungsvermörgen
Mehr noch: Resilienz führt nicht nur zu Kritik-Immunität, sondern dann auch zu Sturheit und pathologischem Beharrungsvermögen. Statt sich in die Notwendigkeit des Abschieds zu fügen, entfachen sie nochmal besonderen Aktionismus, angefeuert durch das Gefühl der eigenen Unfehlbarkeit und Unangreifbarkeit. Denn die Kritiker können ja nicht recht haben. Denn wenn sie so klug wären, säßen sie ja auf dem Spitzenplatz und an den Schalthebeln der Macht und wären nicht nur anmaßende Kritiker.
Die eigene Reputation im Nachhinein beschädigen
Man rennt immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand in der Erwartung, die Wand werde schon irgendwann ihre intellektuelle Unterlegenheit erkennen und freiwillig zur Seite treten. Ein Erkenntnisprozess, der bei Wänden eher selten zu beobachten ist. Am Ende steht dort jemand, der nicht nur eine blutige Nase und Kopfschmerzen hat, sondern der auch seine Reputation durch seine eigene Uneinsichtigkeit nachhaltig ruiniert hat. Und genau dieses Bild bleibt den Menschen im Gedächtnis und überlagert alle Erfolge der Vergangenheit.
Das gute Beispiel: Angela Merkel
Wesentlich eleganter hat da in diesen Tagen Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Abschied von Ämtern und Macht eingeleitet. Angenehm unaufgeregt ist es ihr gelungen, den Eindruck einer klaren strategischen Planung zu erwecken. Der Zeitpunkt war klug gewählt, weil keine Kollision mit anstehenden Wahlkämpfen ausgelöst wurde. Sie hat einen nachvollziehbaren Zeitplan mit definierten Zwischenschritten kommuniziert. Am Anfang steht der Rückzug vom Parteivorsitz und der weitere Weg zum geplanten Ende der Kanzlerschaft ist erkennbar und mit einem Endpunkt terminiert. Sie machte nicht den Eindruck einer Getriebenen, sondern einer politischen Führungskraft, die die Dinge noch selbst und aus eigenem Antrieb bestimmt. Das hatte Stil und gibt die Chance, das Ganze entsprechend würdevoll zu Ende zu bringen.
Was kann man also daraus lernen? Was man für einen Rückzug ohne Ansehensverlust braucht:
Führungskräfte brauchen die Fähigkeit zur Selbstkritik, die Fähigkeit sich immer wieder selbst zu hinterfragen und die Erkenntnisbereitschaft, dass die Sache, der man dient, größer ist als man selbst.
Führungskräfte brauchen ein Umfeld, von dem sie nötigenfalls auch unbequeme Wahrheiten zu hören bekommen und die Bereitschaft, Ratschläge auch anzunehmen.
Führungskräfte sollten für sich rechtzeitig eine Exit-Strategie entwickelt haben. Ein Rücktritt sollte möglichst nicht aus der Not heraus geboren sein, sondern das Ergebnis klarer Planung und Überlegung sein. Hat man einen Plan A als die Ideallösung für sich definiert, sollten idealerweise Plan B, C und D als Alternativen hinzutreten, auf die man eventuell sogar in Kombination zurückgreifen, wenn Plan A nicht funktionieren sollte.
Man sollte zudem Indikatoren definieren, die einem selbst die regelmäßige Kontrollmöglichkeit geben, ob man noch auf dem richtigen Platz sitzt oder es Zeit ist zu gehen, wenn die Kontrollleuchte auf rot springt.
Führungskräfte sollten alles daran setzen, die Deutungshoheit zu behalten. Unverzichtbarer Teil der Exit-Strategie ist deshalb die Kommunikation. Storytelling ist auch hier mitentscheidend für den Erfolg, wenn man die Fäden in der Hand behalten, Chaos bei der Amtsübergabe vermeiden und die Reputation schützen will.
Führungskräfte sind auch nur Menschen und haben durchaus dieselben Ängste. Die durchaus menschliche Furcht vor Bedeutungsverlust muss daher durch neue Ziele und Aufgaben kompensiert werden. Das können durchaus auch ehrenamtliche Funktionen sein, mit der man der Gesellschaft etwas zurückgibt und die persönlich bereichernd sind.
Führungskräfte sollten mit Stil und Würde abtreten. Bitte kein Nachtreten, kein Begleichen alter Rechnungen, keine Revanche-Fouls, keine „Nacht der langen Messer“ zum Abschied. Es hilft die schlichte Frage: Wie möchte ich den Menschen in Erinnerung bleiben? Soll meine Person mit den Begriffen Erfolg, Stil und Würde verbunden bleiben oder für kleinkarierte Rachsucht stehen, für schmutzige Wäsche, die in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird und Besserwissereien, die vom Tribünenplatz aufs Spielfeld gerufen werden?
Führungskräfte sollten erkennen, dass kein Amt auf dieser Welt so wichtig ist, dass es täglich quälende Verteidigungskämpfe rechtfertigen würde. Und keine Führungskraft ist so wichtig, dass nur sie selbst in der Lage wäre, dieses Amt auszuüben. Vielleicht der wichtigste Rat: Etwas mehr Demut und sich selbst nicht so wichtig nehmen.
„Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen“, lautet ein Aphorismus des spanischen Schriftstellers und Philosophen Balthasar Gracián. Dass er diesen Satz schon im 17. Jahrhundert aufgeschrieben hat, zeigt uns auch dass es sich um kein Problem der Neuzeit handelt, sondern sich wohl eher durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Umso wichtiger ist es, sich dies als ständige Mahnung und Erinnerung vor Augen zu halten.

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