Fehlerkultur: Mitarbeiter anzuprangern ist ebenso tödlich wie Mikromanagement – ein Gastbeitrag

Was Unternehmen bei ihrem Fehlermanagement so alles falsch machen – und wie sie besser vorgehen können. Ein Gastbeitrag von Sascha Lindner und Sascha Kolbuch von der Unternehmensberatung Horváth & Partners.

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Sascha Kolbuch

 

Fünf Tipps zum Fehlermanagement:

–  Dies ist der erste und schwierigste Schritt: Akzeptieren Sie, dass es auch Fehler gibt, die gut sind. Erst wenn dieser Schalter im Kopf umgelegt wird, kann ein Unternehmen die Fehler seiner Mitarbeiter insgesamt positiv sehen und für sich nutzen.

–  Passiert ein Fehler, entwickeln Sie einen Fragenkatalog: Was genau lief schief? Welche äußeren Faktoren haben den Fehler geschehen lassen? Wie hat der Fauxpas meine Herangehensweise verändert? Diese strukturierte Reflektion hilft dabei, sich konstruktiv mit dem Fehler zu beschäftigen und ihm etwas Positives abzugewinnen.

–  Die Verantwortlichen im Unternehmen müssen sehr offen mit ihren eigenen Schwächen und persönlichen Herausforderungen umgehen – von vornherein. Um der Belegschaft zu signalisieren: Fehler zu machen und um Hilfe zu fragen, ist  essenziell. Damit sich jeder individuell, aber auch die Organisation sich konstant weiterentwickeln und alle lernen können.

–  Einige Unternehmen küren die „Fehler der Woche“ und analysieren offen, was jeder Einzelne und die Gruppe gelernt hat. Sogenannte „Fuck Up“-Veranstaltungen fördern diese Kultur, bei der es nicht um Schuldzuweisungen geht, sondern um die Erfahrung und die Lernkurve. Das einzige, was zählt, ist die kontinuierliche Verbesserung.

–  Beim Einstellen neuer Mitarbeiter und in der Probezeit ist wichtig, gleich darauf zu achten, ob ein Kandidat zu Firmenkultur passt.

Sascha Lindner

 

 

Wie vier Unternehmen es angingen, ein Fehlermanagement aufzubauen und welche Praxiserfahrungen sie dabei machten:  

Methode: Mutig vorleben

Chefs benennen ihre eigenen Fehler – und zeigen sie allen 

Ein Pharma-Unternehmen aus Süddeutschland, das in der Branche als angestaubt galt, Marktanteile verlor und bereits als Übernahmekandidat gehandelt wurde, verlor intern wie extern an Ansehen. In der Belegschaft rumorte es und eine Mitarbeiterbefragung zeigte die Imageprobleme. Um diese Misere zu verbessern, gingen die Geschäftsführer in die Offensive: Eine gelebte Fehlerkultur war das Ziel. Insbesondere um den Mitarbeitern ein besseres Selbstwertgefühl zu vermitteln.

Jeden Fehler kommunizierten die Manager offen und belohnten ihn letztlich. Die Top-Entscheider lebten es selbst vor: Regelmäßig gaben sie der ganzen Belegschaft gegenüber per Mail und in Betriebsversammlungen offen zu, welche kleinen oder auch größeren Fehler ihm unterlaufen waren.

Alle Führungskräfte bekamen vom Top-Management die Hausaufgabe, Ihren Teams immer klar zu machen, dass man nur innovativ sein kann, wenn man ein gewisses Risiko eingeht und auch Fehler macht. Die Folge: Die Mitarbeiter wurden somit animiert, über einen möglichen Lapsus in ihren vertrauten Teamstrukturen – und somit auch nicht ganz öffentlich – zu sprechen. Die Kollegen waren voll Anerkennung für diejenigen, die sich zu ihrem Fauxpas bekannt haben und waren froh über den  gemeinschaftlichen Erkenntnisgewinn. Das Ziel wurde in wenigen Monaten erreicht, obwohl es sich um ein Traditionsunternehmen handelte mit einer festen Organisation. Und obwohl die Mitarbeiter  dem Projekt Fehlerkultur-Einführung zuerst sehr kritisch gegenüber standen.

 

Ideenschmiede auf Zeit

Mitarbeiter lernen lassen: Es gibt gute Fehler 

Ein Luftfahrtkonzern hatte sich im Rahmen einer strategischen Initiative zur Effizienzsteigerung die kontinuierliche Verbesserung ihrer Prozesse und Abläufe verordnet. Es war allen klar, dass manches komplett neu gedacht und neue Dinge mutiger ausprobiert werden mussten, um eine deutliche Verbesserung zu erreichen.

 

Um in der Organisation früh die Grundlage für den Erfolg zu legen, musste im Denken der Mitarbeiter verankert werden, dass es auch gute Fehler gibt. In einjährigen Führungslaboren mit unterschiedlichen Lerneinheiten setzten sich die Mitarbeiter zum einen mit dem Fehlerverständnis, aber auch mit dem Fehlerverhalten auseinander. Klassische Präsenzseminare zur Fehlerkultur wurden flankiert mit digitalen Formaten wie virtuellem Training, aber auch Coachings und Feedback-Treffen.

 

Zwischen den Einheiten setzten die Angestellten die neu gelernten Inhalte und Erkenntnisse in der täglichen Arbeit ein und testeten sie. In horizontalen Netzwerk-Treffen tauschten sie sich über das neue Wissen aus. Insgesamt erarbeiteten die Mitarbeiter so in zwei Jahren mehr als 100 Verbesserungsvorschläge, von denen mehr als 50 erfolgreich umgesetzt wurden.

 

Am Pranger stehen

Der Kardinalfehler, der tödlich ist: Mitarbeiter öffentlich bloßstellen

Ein mittelständisches Unternehmen aus NRW hatte eine Initiative gestartet, um die Fehlersensibilität zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Bis dahin war es üblich, dass jeder Mitarbeiter öffentlich in Besprechungen für seine Fehlentscheidung gerügt wurde.

Das Management hat dann eine empirische Erhebung über verschiedene Arbeitsgruppen und -bereiche durchgeführt und verschiedene Dimensionen erhoben: Fehlerart, Kritikverhalten und die Verhaltensveränderung nach dem Erkennen des Fehlers.

Das Ergebnis: Der Fehler kam nach der öffentlichen Rüge nicht mehr allzu häufig vor. Was die Erhebung hat allerdings nicht berücksichtigte, war, dass nach dem Erkennen von Fehlern immer eine Verbesserung eintritt. Ganz unabhängig davon, ob Mitarbeiter öffentlich gerügt werden oder ob der Mitarbeiter selbst den Fehler erkennt und abstellt. Der Angestellte lernt ja schließlich etwas dazu und passt in Zukunft an diesem Punkt besser auf.

Leider erlag der Mittelständler deshalb dem Trugschluss, dass sein ursprüngliches Verhalten – das Outen und Bloßstellen der Mitarbeiter – richtig gewesen war. Die Folge: Diese schlechte Fehlerkultur blieb erhalten.

 

 

Zu Tode kontrollieren

Mikromanagement erhöht die Fehlerzahl

Eine überregionale Bank aus Hessen wollte gezielt Fehler in den Abläufen reduzieren, um zum einen die Qualität zu erhöhen, zum anderen aber auch die Durchlaufzeit zu verringern. So weit, so löblich der Vorsatz

 

Um dies zu erreichen, konzipierten die Hessen über ein Jahr lang ein ausgeklügeltes Fehlermanagement-System mit detailliert ausgearbeitetem Regelwerk, Standards sowie Qualitätskontrollen und startete das Projekt. Die Einführung geschah auf einen Schlag und flächendeckend im ganzen Unternehmen, doch die Ergebnisanalyse ein Jahr später war blamabel: Die Verantwortlichen waren enttäuscht, denn sowohl die Qualität als auch die Geschwindigkeit waren eher noch schlechter als besser geworden.

 

Die nötige Einsicht: Fehler helfen – um draus zu lernen

Was war passiert? Die Top-Manager hatten nur auf die harte Seite einer Fehlerkultur geschaut und geglaubt, dass Kontrollen Fauxpas dauerhaft verhindern. Eine vernünftige Fehlerkultur funktioniert aber nur mit der richtigen Einstellung von Führungskräften und Mitarbeitern: Wenn alle Beteiligten einsehen, dass Fehler grundsätzlich hilfreich sind.

Hätten die Bank-Manager erst mal eine detaillierte Analyse gemacht, um festzustellen, was die Organisation überhaupt als Fehler ansieht, hätte sie wahrscheinlich schnell festgestellt: Noch mehr Regeln waren kontraproduktiv, tatsächlich müsste sich der Umgang mit Fehlern ändern. Die Bilanz der Fehleinschätzung der Manager: Gravierende Mehrkosten ohne Erfolg.

 

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Zu einem nachhaltigen Fehlermanagement gehört eine Führungs- und Arbeitskultur in der psychologische Sicherheit gewährleistet ist. Dieser Zustand ist sehr labil, daher reicht nicht das Wissen darum aus. Diese Führungs-Fertigkeiten müssen ständig trainiert und reflektiert werden.
    Das Crew-Resource-Management in der Luftfahrt hat diese, übrigens wissenschaftlich immer wieder verifizierte, Prämisse als Leitbild und so ein bisher einzigartig fehlerarmes und effizientes Führungs- und Arbeitsmodell geschaffen.
    Mit Fehlermanagement fängt man nicht an, es ist die Krönung eines Veränderungsprozesses in Kommunikation, Führen, Entscheiden und Stressmanagement.