HP-Aufsichtsratschef Menno Harms zur antiquierten Führungswirklichkeit: Leistungsbereite Menschen finden sich nicht mehr mit entmündigenden Arbeitsbedingungen ab

Führung – auf was es ankommen wird.  Gastbeitrag von Menno Harms, Vorsitzender des Aufsichtsrats und EX-CEO von Hewlett Packard sowie Gründer der Initiative Zukunftsfähige Führung IZF. http://www.zukunftsfaehigefuehrung.de/

 

Menno Harms (Foto: Presse)

 

 

Führung – auf was es ankommen wird

Ich bin ganz sicher kein ‚Regenmacher‘ oder ‚Spin-Doktor‘ des Managements. Doch über 40 Jahre Wirtschaftserfahrung und Beobachtungen ermutigen mich, einige Aussagen zum Thema zu machen. Erwarten Sie aber keine Jubelrede auf das Management, eher schon einige kritische Denkanstöße zu unserer Führungssituation.

Führung umfasst ja ein weites Feld: von Diktatoren über sogenannte harte Manager bis zu den führungslosen Ameisen sind alle Führungsarten vorhanden. Letztere schon seit über 140 Millionen Jahren. Aber soweit sind wir Menschen noch nicht….

Jede Organisation hat andere Arbeitskulturen, Werte und Rahmenbedingungen. Und diese bestimmen die Anforderungen an Führende und Geführte. Aber alle Organisationen sind auch den gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen unserer Zeit ausgesetzt. Dabei fragt sich so mancher: ändert sich nun die beobachtete Szene oder ändert sich der Beobachter, also ich?

Und die Veränderungen werden zunehmen, Stichworte sind die demographische Entwicklung, die nächste Generation, eine mitwirkende kritische Öffentlichkeit, die Vernetzung einer digitalisierten Wertschöpfung, die Internationale Arbeitsteilung undsoweiter.

 

Digitale Euphorie, hohe Ansprüche an Mitarbeiter und Führung

Wie sieht Führung unter den sich ändernden Bedingungen aus? Und welche Führungskultur passt zu den Entwicklungen? Berater, Magazine, Institutionen übertreffen sich ja heute mit Empfehlungen für ein verändertes Arbeits- und Führungsverhalten, um den Anforderungen eines digital vernetzten Zeitalters gerecht zu werden. Dabei wird viel digitale Euphorie verbreitet, aber auch viel Richtiges gesagt und es werden hohe Ansprüche an die Mitarbeitenden und die Führung formuliert, beispielsweise: Veränderungsfähigkeit, Offenheit, Bildung, Gestaltungsfreiheit, Kreativität, Ethisches Verhalten undsoweiter.

 

Die Führungswirklichkeit ist nicht vorangekommen

Alle diese Ansprüche kennen wir seit Jahrzehnten. Doch ein Blick auf die Führungswirklichkeit in Wirtschaft und Zivilgesellschaft zeigt, dass wir bei der Umsetzung dieser Ansprüche nicht besonders gut vorangekommen sind. Und jetzt stehen wir vor der Notwendigkeit, unsere Organisationen, Unternehmen und Mitarbeitende auf die Veränderungen einer digital vernetzten Arbeitswelt einzustellen.

Veränderungen kommen ja zumeist schleichend daher, großteils unbemerkt. Oft aber passieren sie auch über Nacht. Ehemals erfolgreich geführte Unternehmen oder Gesellschaften schaffen es in vielen Fällen nicht, sich rechtzeitig anzupassen. Peter Drucker hatte schon recht als er in den 70-er Jahren meinte: „Wen die Götter verderben wollen, dem gewähren sie 40 Jahre Erfolg“. Heute reichen vermutlich kaum vier Jahre. Beharrungskräfte sind ja durchaus sinnvoll. Nicht alles Neue bringt uns auch weiter. Aber Beharrung ist misslich, wie der Philosoph Mittelstraß treffend bemerkt, wenn wir nicht merken, was nachhaltig „auf dem Wege“ ist. Führung muss dann rechtzeitig Erneuerungen durch-führen und ein-führen, falls erforderlich auch gegen Widerstand!

 

Altes Führungsverhalten in neuer Situation – ein großer Fehler

Ich habe – nach einigen Fehlern gelernt, dass es besser ist, die eigene Komfortzone zu verlassen, wenn sich Situationen nachhaltig ändern und eben nicht einfach abzuwarten. Wer in neuen Situationen altes Führungsverhalten zeigt, wird seiner Führungsaufgabe nicht gerecht: Er oder sie wird zum Verwalter. Ein Schicksal, das leider sehr viele, vor allem auch junge Führungskräfte erleiden. Sie zeigen zwar durch viel Verbal-Dynamik Verständnis für veränderte Situationen, verfallen aber in eine fatale Verhaltensstarre.

 

Entscheidend: Rechtzeitige und ehrliche Kommunikation

Gelernt habe ich übrigens auch dass eine rechtzeitige und ehrliche Kommunikation der Fakten und Sinnhaftigkeit zu den Führungstugenden gehört, die zu erfolgreichem Verändern führen. „Beautiful words are not true, true words are not beautiful“ so mein früherer Chef beim Kommunizieren von Veränderungs-Fakten. Erneuerung beginnt immer mit Wahrnehmung der Wirklichkeit und Vermittlung der facts. Darauf wird es weiterhin ankommen….

 

Den Mitarbeitern wurde und wird viel zugemutet

Viele Unternehmen und Institutionen der Zivilgesellschaft werden gleichwohl erfolgreich geführt. Die wirtschaftlichen Erfolge der letzten zwanzig Jahren wären ohne die teils schmerzlichen Restrukturierungen und Veränderungen in den Unternehmen nicht möglich gewesen. Und es geht weiter…Siemens, General Electric und andere …Den Mitarbeitenden wurde und wird viel zugemutet. Die Führung ist ihrer Verantwortung in den meisten Fällen gerecht geworden.

Doch alte Führungsmuster schwächeln angesichts der Veränderungen und komplexeren Beziehungen in einer vernetzten Welt. Den durch ihr Handeln getriebenen Führenden fehlt einfach die Zeit zur Reflexion ihrer persönlichen Führungssituation und Entscheidungen. (Hamsterrad) Und die Geführten fragen sich: Wohin geht die Reise? Wo will man hin, was ist der Sinn unserer Organisation oder eines Projektes, Was wird warum getan? Kann man der Führung vertrauen? Der Mensch will – im unübersichtlichen Umfeld – vertrauensvoll handeln können, auch wenn er nicht alles weiß oder versteht.

 

Immer weniger Vertrauen in die Führung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Seriöse Umfragen aber zeigen, dass das Vertrauen in die Führung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft weiter schwindet. Globalisierung und Digitalisierung haben zu einem deutlichen Vertrauensverlust in der Gesellschaft geführt. Wie kann Führung das Vertrauen wieder-gewinnen oder ausbauen, zumal wenn die Glaubwürdigkeit der Führenden leidet? Sie kennen die Beispiele von Zins- und Goldpreismanipulationen, von Preis- absprachen, Kartellamtsbußgeldern, von Insidergeschäften, von Bestechung, von vorsätzlicher Täuschung, korrupter und egoistischer Führung… in Wirtschaft und Politik gleichermaßen.

 

Wenn Dax-CEO´s die Compliance-Vorschriften missachten

Beim Steuerbetrug von Uli Höness haben dessen Aufsichtsräte an ihm festgehalten, zumeist Vorstandsvorsitzende deutscher DAX-Unternehmen, obwohl die Compliance-Vorschriften in ihren Firmen genau das Gegenteil fordern. Da werden anspruchsvolle Trainings über diese Themen abgehalten und in den Arbeitsverträgen wird mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht. Aber in Wirklichkeit verhalten sich die Kollegen genau andersherum. Vorbilder handeln anders! Glaubwürdigkeit gewinnt Führung so nicht!

Und der VW- beziehungsweise Diesel-Skandal wird wohl ein weiteres trauriges Beispiel ethischen Führungsversagens hervorbringen und die Grenzen tradierter Führungskultur aufzeigen. Zugegeben: es sind Wenige. Doch deren schlechtes Beispiel wirkt durch die immer größere Transparenz mit enormer Hebelwirkung auf die öffentliche Meinung. Es geht ja immer um das vorbildliche, persönliche Handeln, darauf wird es ankommen.

 

Aristoteles: Ohne Vorbilder steht es schlecht um eine Gesellschaft

Die Staatslehre des Aristoteles kennt den Begriff der Vorbildlichkeit (griech. arete), einen Begriff, der Tugend und Tüchtigkeit, Können und Vortrefflichkeit verbindet. Gehen die glaubwürdigen Vorbilder zugrunde, steht es schlecht um eine Gesellschaft vor allem, weil sie ihre Jugend verlieren wird. Papst Franziskus könnte auch dem Top-Management seinen Weckruf zu mehr Bescheidenheit, Charakter und Selbstkritik erteilen, den er seinen Kirchenfürsten Ende 2014 zukommen ließ!

Führung in Wirtschaft und Zivilgesellschaft steht vor großen Herausforderungen und muss zugleich Glaubwürdigkeit und Vertrauen erhalten beziehungsweise zurückgewinnen. Lassen Sie mich zwei Führungsthemen ansprechen, deren Umsetzung seit langem leidet, die aber bei der Transformation in die digitale Arbeitswelt entscheidend werden! Führende und Geführte…

 

Top-Manager haben Führungswissen, setzen es aber nicht um

Zunächst die Sicht der Führenden. Warum sollte mir jemand folgen? Ich denke deshalb: Ich tue was ich sage, bin glaubwürdig, kompetent, verlässlich und lege Rechenschaft ab und das nicht erst am jüngsten Tag. Ich entscheide zeitgerecht, delegiere richtig, und gebe sinnhafte Orientierung. Ich kann Mitarbeitende vertrauensvoll in einer offenen Arbeitsumgebung und Führungskultur integrieren sowie für Ziele begeistern.

Geeignetes Führungswissen wird an allen Hochschulen und Business Schools der Welt seit Jahrzehnten gelehrt und kann dem Anspruch zukunftsfähiger Führung durchaus genügen. Aber, meine Damen und Herren, dieses Wissen wird im Führungsalltag nur zögerlich oder gar nicht umgesetzt. Das ist auch meine persönliche Beobachtung in den letzten vier Jahrzehnten.

Warum ist mehr als die Hälfte aller Beschäftigten seit Jahren (!) innerlich gekündigt?4 Viele Beschäftigte gehen zwar täglich ihrer Arbeit nach, haben sich aber als selbständige Menschen am Arbeitsplatz abgemeldet, weil Ihnen dort keine Wahlmöglichkeiten geboten werden, die sie in ihrer Arbeit wirklich freier machen (Gallup Engagement Index Germany 2015).

Warum ist das Vertrauen in Führungskräfte so geschwächt? Die neueste Umfrage des Beamtenbundes zum Ansehen der Berufe zeigt, dass Führungskräfte in Wirtschaft und Politik weiter an Akzeptanz verlieren. Dienstleister wie Feuerwehr, Polizei und Müllmänner stehen dagegen hoch in der Gunst der Gesellschaft.

Warum erneuert sich der öffentliche Bereich so langsam?

Warum werden nicht mehr in unsere Zeit passende Gesetze nicht schneller geändert?

Das beklagte übrigens schon Goethe im Faust vor über 200 Jahren, ich zitiere: „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort, sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.“ Zitat Ende.

Nimmt die Führung die Themen wahr? Werden sie aktiv bearbeitet? Ich denke teilweise schon. Aber ist eine Führung, die ein Unternehmen oder eine Organisation der Zivilgesellschaft wirklich zukunftsfähig macht schon Realität? Für viele Organisationen mag das zutreffen, sicher auch für viele in diesem Raum, aber für die Mehrheit wohl nicht.

Viele Verantwortliche in Wirtschaft und Zivilgesellschaft fragen sich heute, wie zukunftsfähige Führung aussehen muss. Es gibt viele Antworten, auch neue Führungsmodelle und – vorstellungen. An Erkenntnissen, wie Führung heute und morgen ausfallen sollte, mangelt es nicht.

 

Deutsche Manager wissen durchaus, welche Führungskultur angesagt wäre – aber trauen sich nicht

Doch allein schon die Umsetzung des bekannten Führungswissens fällt den Verantwortlichen in Wirtschaft und Zivilgesellschaft schwer genug. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit BMA in 2014, deren Ergebnisse Sie vielleicht in der „Zeit“ gelesen haben, wissen deutsche Führungskräfte durchaus, welche Führungskultur angesagt wäre. Allein Sie trauen sich mehrheitlich nicht, diese umzusetzen. Thomas Sattelberger – ehemaliger Personalvorstand der Telekom und Mitautor der Studie – spricht von „im System gefangenen Führungskräften“. Im System gefangen, welche Tragik!

Und das BMA mit 100.000 Beschäftigten hat selbst ein Führungsproblem. Eine kürzliche Umfrage unter 3.000 Führungskräften der oberen drei Ebenen des Bundesministeriums für Arbeit ergab eine vernichtende Einschätzung der Führungskultur und des Verhaltens seiner Führungkräfte.

Woran liegt es, dass trotz des weltweit verfügbaren Führungswissens dessen tägliche Umsetzung in Wirtschaft und Öffentlicher Verwaltung so selektiv und nur zögerlich erfolgt? Spricht man Führungskräfte auf die Defizite an, so gibt es zumeist Antworten wie diese: Besser geht’s nicht, die hiesigen Umstände erlauben es nicht anders…undsoweiter und dann fehlt der Mut, doch zu verändern. Oder man beklagt die wachsenden Anforderungen oder beruft sich auf Dienstvorschriften. Oder liegt es doch an den schlechten Führungs-„Vorbildern“, die immer noch zeigen, dass egoistisches, cholerisches oder Starverhalten usw belohnt werden? Sie kennen sicher alle entsprechende Beispiele. Ich bin überzeugt, ein mutiges und integres Vorstandsmitglied kann die Führungskultur in zwei Jahren positiv beeinflussen! Dasselbe verläßt eine schlecht geführte Organisation nach zwei Monaten.

Eine glaubwürdige Führung sollte sich zudem nach dem eigenen Wertbeitrag befragen lassen. Stellen wir uns doch einmal die „Säure-Fragen“, die Charles Hendricks schon 1993 frech formulierte, und – wie ich meine – nicht nur für das Management:

Do you like what you are doing?- die Frage nach der Leidenschaft bei der Arbeit

Do you understand why you are doing it? die Frage nach dem Sinn der Arbeit.

Are you active and creative in your work? – die Frage nach der eigenen Motivation.

Can you see the results of your efforts? – die Frage ob gemessen und belohnt wird.

Why does your organization exist? – die Frage nach dem Sinn der Organisation.

How is the organization better off because of your work?- die Frage nach dem eigenen Wertbeitrag.

 

Persönliche Konflikte der Mittel-Manager, die neue Konzepte erfordern

Und noch ein Wort zur Rolle des so wichtigen mittleren Managements. Es befindet sich zumeist in einer schwierigen Sandwich-Position: zwischen den Entscheidungen des Top-Managements und der Umsetzung an der Basis. Einschneidende Veränderungen und die hautnahe Erfahrung der oft schmerzlichen Umsetzungskonsequenzen bei den Betroffenen führen beim mittleren Management oft zu persönlichen Konflikten. Das erfordert mehr Verständnis im Top-Management, zielgenaue Ausbildung und neue Konzepte. Auch darauf wird es ankommen.

 

Globale Konzerne: Lokale Manager ohne Luft zum gestalterischen Arbeiten

Auch das Principal-Agent-Management-Modell der global handelnden Konzerne ist seit längerem problembehaftet. Dieses Modell hat in den letzten 30 Jahren einen Führungsstil erzeugt, der den zentral arbeitenden Führungskräften, den Principals, Macht und Gestaltung zuordnet und dem lokalen Management, den Agenten, kaum Luft zum gestalterischen Arbeiten läßt. Hier besteht die Gefahr, dass sich das lokale Management in Richtung technokratischer Führungskräfte bewegt. Mit einem Verhalten frei nach Schiller: „Ich hab hier bloß ein Amt und keine Meinung“

 

Die einseitige Interpretation der allseits bekannten Losung „Think global act local“ hat meines Erachtens zu dieser Fehlentwicklung beigetragen. Denken und Handeln in einer vernetzten Weltwirtschaft muss lokal und global erfolgen! Die eingetretene Entwicklung ist bedenklich und erfordert Nacharbeit im Führungskonzept und bei der Managementausbildung. Auch darauf wird es ankommen.

 

Wie Navigation auf Treibsand

In diesem Zusammenhang will ich auch auf Folgendes hinweisen. Zunehmend muss das global aktive Management extern stimulierte Krisen beherrschen, seien sie durch schnell veränderliche Technologien, durch Einflüsse einer aufgeklärten Gesellschaft oder durch lokale kulturelle Unterschiede verursacht. Die Situation erfordert andere Zeitmaßstäbe, richtige Kommunikation und intelligentes Entscheiden in unsicheren Situationen. Und dabei dennoch für eine zielgerechte Ausrichtung zu sorgen, wechselseitig ausgerichtet an sich verändernden Bedingungen. Das ist wie Navigation auf Treibsand.

 

Mich erinnert das an die Weisheit unseres Navigators an Bord: „Wenn Du weißt, wo Du bist, kannst Du sein wo Du willst…“ Erfahrene Kapitäne können das, die fahren zur Not auch nach Sicht. Aber es wird Führungsfähigkeiten und -konzepte erfordern, die zu entwickeln sind. Auch darauf wird es ankommen!

Die Tätigkeit der Führungskräfte wandelt sich unter dem Einfluss digital vernetzender Kräfte. Stets haben sie sich auf ihre jahrelange Erfahrung verlassen können. Natürlich wird diese Erfahrung wichtig bleiben. Aber sie müssen ebenso neue Ideen annehmen und den Mut haben, neues Terrain zu betreten.

 

Bringt Industry 4.0 Führungskräfte ins Abseits?

Und auch auf Folgendes wird es ankommen: Verantwortlichen Führungskräften obliegt es, die Balance von radikaler Technologie- Orientierung und einer menschlichen Arbeitsumgebung zu bewahren und dabei sicherzustellen, dass wir die Akzeptanz der Gesellschaft nicht verlieren, dass die Menschen den Sinn und Nutzen der Veränderungen erkennen und beteiligt werden. Japanische Kollegen sprechen in diesem Kontext von Society 5.0 und nicht von Industry 4.0. Und Führungskräfte müssen aufpassen, dass sie durch die Entwicklung nicht selbst ins Abseits geraten. Führung muss also öfter innehalten und rechtzeitig das eigene Verhalten überprüfen.

 

Das professionelle Erscheinungsbild am Ende der Karriere der Manager

Menschen werden aber ihr gelerntes Verhalten nur bedingt ändern. Sie wollen ihrem Erfahrungswissen treu bleiben. Das ist verständlich. Was kann man also tun? Vielleicht sollten erfahrene Führungskräfte mehr auf ihr professionelles Erscheinungsbild achten, dass sie am Ende ihrer beruflichen Karriere der Öffentlichkeit und ihren Familien bieten. Läßt sich dann – von dort zurückgeblickt – eine persönliche Änderung des eigenen Führungsverhalten im aktuellen Geschehen leichter erreichen?

Führungsqualitäten sind wichtig, keine Frage. Aber sie sind nicht alles! Um es auf den Punkt zu bringen, zitiere ich den CEO von Apple, der mit folgendem Statement seinen Führungskader aufmunterte: „Leadership“ so der Vorsitzende „ it’s all about them not about us!“ Auch wenn man die teils naive Unternehmenskultur von Google, Apple, Facebook etc nicht so prickelnd findet, so trifft seine Aussage doch ins Schwarze. Ich fragte 1993 bei Antritt meiner deutschen Vorstandsposition beide HP-Gründer, was Sie mir raten würden.

 

„Take good care of your people“

Bill Hewlett wie aus der Pistole geschossen: „Be Creative!“ Dave Packard, nach langem Nachdenken: „Take good care of your people!“

Und darum geht es: um Mitarbeitende, ihre Ideen und eine kreative Umsetzung!

Und wie sieht die Sichtweise der „Them“, der Geführten aus? Sie wollen der Führung vertrauen, wollen verantwortungsvoll mitarbeiten, mitgestalten! Nicht immer alle, aber die meisten. Doch die Berichte von Mitarbeitenden aus privaten und öffentlichen Organisationen erzeugen allerdings Zweifel an der Qualität täglicher Mitarbeiterführung! Bestätigt werden diese Berichte leider durch die Umfrageergebnisse bekannter Forschungsinstitute wie Gallup, Edelmann Report undsoweiter.

 

Das Management muss deutlich mehr Vertrauen und Offenheit praktizieren, Menschlichkeit wagen

Die sich ändernde globale Wirtschaftsstruktur, Stichworte: Projektarbeit, Cloud Dienste, Share Economy, Soziale Netze, Mobilität… aber auch die Wertvorstellungen der nächsten Generation erfordern endlich andere Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Das Management muss deutlich mehr Vertrauen und Offenheit praktizieren, ja mehr Menschlichkeit wagen.

Zugleich will sich ein immer größerer Teil der nächsten Generation von Führungs-verantwortung freihalten. Das Manager Magazin spricht abschätzig von einer Kuschel- Kohorte. Zur Generation Y und Z gibt es ja unterschiedliche Einschätzungen. Fest steht wohl, dass die Themen work-family balance, Sinn der Arbeit und die persönliche Arbeitsumgebung für die junge Generation wichtiger sind als Geld, Macht und Position. Andererseits gehören Technikaffinität, kulturelle Gewandheit und das Netzwerken zu ihren Stärken.

Im Herbst 2015 beauftragte die „Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF)“ das Institut für Demoskopie Allensbach, eine Befragung von etwa 600 Führungs-und Nachwuchskräften zu ihrem Führungsverhalten durchzuführen. Die Ergebnisse zeigen beträchtliche Unterschiede im Führungsverhalten der Generationen. Das erfahrene ältere Management (die baby boomer) hat beispielsweise ein Selbstbildnis seiner Führungsqualität, das vom Nachwuchs nur sehr begrenzt akzeptiert wird.

 

Die Verführung fürs Management, die Zügel straff zu halten – das funktioniert heute nicht mehr

 

Das war auch bei früheren Generationen so. Doch diese Generation verstärkt einen latenten Trend: In Zeiten großer Verunsicherung ist die Versuchung für das Management groß, die Zügel straff zu halten, die Fäden der Macht zu zentralisieren und Entscheidungen auf oberster Führungsebene zu treffen. Das funktioniert so heute aber nicht mehr. Leistungsbereite Menschen werden sich nicht mehr mit entmündigenden Arbeitsbedingungen abfinden, mit überzogenen Hierarchien und autoritärem und feudalem Management Verhalten. Sie werden die ihnen zusagenden Organisationen und Führungskräfte aktiv suchen beziehungsweise verlassen, wenn die Bedingungen nicht stimmen.

 

Menschliche, produktive Arbeitsumgebung entsteht nicht von selbst

Eine menschliche und produktive Arbeitsumgebung ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist aber ein Erfolgsfaktor auf dem Wege in eine digital vernetzte Arbeitswelt. Und sie entsteht nicht von selbst. Sie entsteht nach meiner Erfahrung durch eine an Werten orientierte Führungskultur. Werte, die aber durch das Management auch vorbildlich umgesetzt werden, im Sinne von walk the talk. Hier zeigt sich schnell, ob die gewünschte Führungskultur Bestand hat oder ein ’Papiertiger’ bleibt.

 

Vertrauenskultur beschwören, aber überzogene Kontrollen leben

Denn was nutzt beispielsweise eine Aussage zur Vertrauenskultur, wenn Stechuhren und überzogene Kontrollen die Anwesenheit kontrollieren?

Was nutzt eine Wertaussage zu Teamgeist, wenn das Management feudale Privilegien pflegt, das eigene Kasino, Titelsucht, eigene Fahrstühle, Vorzimmer mit Stechpalmen, Standby Chauffeure, die belle etage undsoweiter?

Was nutzt eine Wertaussage zur Leistungsorientierung, wenn die persönliche Beurteilung ausbleibt oder nur ausgewählte Mitarbeiter des Managements gut verdienen?

Was nutzt der Appell an das integere Verhalten zum Beispiel der Vertriebsmitarbeiter, wenn der Vorstand das Bestechen von Auftraggebern stillschweigend duldet?

 

Kontroll- und Ordre-de-Mufti-Organisation erzeugt angepasste Belegschaften und Absicherungskultur ohne Risikofreude

Was für eine gute Führungskultur getan werden muss, ist eigentlich seit Jahrzehnten bekannt. Erfreulich sind viele positive Praxisbeispiele, über die berichtet wird. Und Greatplacetowork.de zeigt vernünftige Beispiele…

Dennoch ist es erschreckend, wie langsam die Umsetzung beispielsweise in vielen der 3.5 Mio deutschen Unternehmen sowie in den Organisationen des öffentlichen Dienstes erfolgt. Vielerorts wird noch geführt wie vor 70 Jahren. Der vorherrschende Führungstil in Wirtschaft und Verwaltung ist immer noch ausgesprochen hierachiebetont und eher an Macht und Kontrollen als an Vertrauen und Überzeugung orientiert. Eine Kontroll- und Ordre-de-Mufti-Organisation wird nur eine angepasste Belegschaft erzeugen, die kein Risiko eingeht und keine Fehler machen will und darf!

Dazu noch ein Statement von Eric Schmidt, dem CEO von Google: „The problem is“ so Schmidt, „most companies today are run to minimize risk, not maximize freedom and speed. Company design today is a rest of an era when failure was expensive and deliberation was a virtue“. Risiko und Arbeitsfreiheit ermöglicht Kreativität, Erneuerung und Wachstum! Darauf wird es besonders ankommen!

 

Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Inzwischen hat es sich wohl herumgesprochen, dass die räumlich und zeitlich festgelegte Vollzeitarbeit einer flexiblen und projekt-bezogenen Arbeit weicht, einer Arbeitsform, die hohe Ansprüche an die Bereitschaft, Initiative und Mobilität der Mitarbeiter sowie an deren Führung stellt.

Ich bin überzeugt, dass sich der sogenannte ‚Abhängig Beschäftigte’ zum ’Teilhabe- Mitarbeiter’ wandeln muss. Mit Interesse an Verantwortungsübernahme, eigener Weiterbildung sowie an flexibler Mitwirkung (inklusive der Zeitarbeiter), aber eben auch mitbeteiligt an Gewinn und Kapital des Unternehmens. Diese Teilhabe-Mitarbeiter sollten wir – und unsere Gewerkschaften – durch eine vernünftige Führung eher selbst entwickeln als die Unternehmen beispielsweise mit einem veralteten Arbeitsrecht an das Verhalten alter Zeiten zu fesseln. Auch darauf wird es ankommen…

Ich habe die Hoffnung, dass Führungsverantwortliche die heute eher ernüchternde Führungs-Wirklichkeit durch ein bewußtes und mutiges Umsetzen ihres Führungswissens schneller voranbringen und so dem Anspruch zukunftsfähiger Führung entsprechen. Darauf wird es ankommen!

 

http://www.zukunftsfaehigefuehrung.de/

 

 

 

 

 

 

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Alle Kommentare [2]

  1. Danke für den super Beitrag, der noch dazu so schön ausführlich war. Ich sehe das halt auch immer wieder, dass die falschen Leute im falschen Job sind, völlig überfordert oft, während andere unterfordert sind. Ein Leadership Training o. Ä. hat kaum eine Führungskraft mal absolviert … Da muss auf jeden Fall etwas geändert werden.

  2. Vieles wunderbar formuliert Herr Harms,
    das kann ich aus meiner über 30jährigen Beratungs- und Trainings-Arbeit nur bestätigen. Leider werden viele Ihrer Punkte durch die immer wieder neu durch die Literatur getriebenen Führungskonzepte gar nicht erreicht – weil es vorwiegend nicht darum geht, ein neueres (wie z.B. das servant leadership-Konzept) oder ein altes, etwas verändertes Konzept (wie z.B. das situational leadership-Konzept von Hershey/Blanchard) zu diskutieren oder zu lernen, sondern ein derartiges Konzept mal wirklich konsequent umzusetzen und dann konkret zu erleben, wo das Handeln positive Wirkung erzeugt und sich „Geführte“ verstanden und gut eingesetzt oder unterstützt fühlen oder das Gefühl haben, den Freiraum zu bekommen, den sie für die kreative Aufgaben-Erledigung inkl. der nötigen Entscheidungen brauchen. oder eben zu erleben, wie man mit einem bestimmten Konzept scheitert, wie es eben nicht die Wirkung erzielt, die man vermutet oder aus Routine erwartet hatte – und dann die damit zusammenhängende VErunsicherung auszuhalten und nach neuen Wegen zu suchen (ggf mit einem Coach oder im Gespräch mit dem eigenen Chef).
    Viele Punkte, die Sie angesprochen haben, sind ja eben nicht auf der Konzept – oder Kognitionsebene angesiedelt, sondern auf der emotionalen, der konkreten Verhaltensebene: es geht um „sich nicht trauen“, „lieber noch abwarten, bevor man das falsche tut“, „nicht genau wissen, wie ggf bekannte neue Wege gegangen werden sollen/können“ (viele reden z.B. über die Notwendigkeit Beschäftigte einzubeziehen und vergreifen sich schon beim ersten Gespräch im Ton bzw. reden so lange, bis der Einzubeziehende Angst davor bekommt, was nun alles von ihm verlangt wird) oder auch um die oft unterentwickelt Fähigkeit wahrzunehmen, was grade los ist und welcher Schritt nun gegangen werden müsste, um z.B. eine Veränderung voranzubringen. Und leider werden viele falsche, nicht nachvollziehbare, verkürzte Veränderungs-Stories erzählt, die kaum eine Perspektive für die Mitarbeiter beinhalten – wie soll da Vertrauen entstehen?
    Wenn diese Beobachtungen also mit Ihren mehr oder weniger übereinstimmen, dann geht es in den nächsten Jahren nicht so sehr darum, schnell ein neues Seminar zu „Digital-leadership“ oder „agile leadership“ oder wie auch immer das neue Modewort heisst, aufzusetzen, sondern eher darum, dafür zu kämpfen, dass in den Unternehmen mehr Raum zur Reflexion, zur kritischen Hinterfragung des eigenen Führungsverhaltens geschaffen wird – um so diese Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen austauschen (nicht nur über anonyme Mitarbeiterbefragungen mit konkreten „Anregungen von oben“ zur Veränderung des Führungs-Verhaltens an die Führungskräfte) und anhand von Beispielen in der konkreten Praxis neues, den Herausforderungen angemessenes Führungshandeln erproben zu können. ich wünsche mir sehr, dass Sie mit Ihrer Initiative izf auch an diesem Weg weiterarbeiten, wie ich das tue.
    Mir herzlichen und kollegialen Grüßen aus der Südpfalz von Klaus Wagenhals (wenn Sie Näheres über mich wissen wollen: http://www.metisleadership.com )