Top-Anwalt Maximilian Schiessl: Champagner ist sein zweiter Vorname – ein Portrait (Langfassung)

Keiner betreut mehr Milliardendeals in Deutschland als Anwalt Maximilian Schiessl. Gerade mischt er bei Linde und Praxair mit. Was den unorthodoxen Juristen und Deutschlands erfolgreichsten Deal-Maker auszeichnet. (Langfassung des WirtschaftsWoche-Print-Stücks vom 12.5.2017)

 

Maximilian Schiessl, Anwalt bei Hengeler (Foto: wiwo)

 

 

Obwohl Maximilian Schiessl dem Wachmann an der Schranke seine Parkerlaubnis zeigte, verweigerte der dem Anwalt die Zufahrt zum Sonderparkplatz bei der Hauptversammlung von Krupp/Hösch. Wer mit einem älteren kleinen Golf ankomme, müsse unwichtig sein und gehört nicht zu den Limousinen der Vorstände, erzählt Schiessl, den unstandesgemäße Gefährte so gar nicht stören.

 

Der Düsseldorfer M&A-Anwalt von der Traditionskanzlei Hengeler Mueller, der der Vorstand für die anstehende Unternehmensfusion angeheuert hatte, grinst noch heute 24 Jahre später darüber: „Mein alter Golf war legendär.“ Und seine Auto-Marotte bewegt immer noch die Gemüter seiner Freunde, jeder erwähnt sie. Anwälte berichten, dass er doch tatsächlich monatelang mit abgebrochenem Rückspiegel herum fuhr, der nur mit Klebeband notdürftig befestigt war.
Den Golf schaffte Schiessl noch lange nicht ab, Autos sind ihm als Prestige-Objekt egal – anders als allen anderen Anwälten seiner Coleur. Und seit der Golf neun Jahre später ihren Geist aufgab, hat er einen Wagen, der auch schon wieder 16 Jahre alt ist: Ein schwarzes Jaguar-Cabrio, mit dem der 56-Jährige selbst im Winter mit offenem Verdeck mit Schal und Mütze fährt. Wen er vom Flughafen abholt, der muss damit rechnen, dass er seinen Kaffer auf den Schoss nehmen muss. Weil der Kofferraum bis oben hin proppevoll ist – mit Sportsachen.

 

Alte Auto auszutauschen gegen jüngere Modelle ist für ihn keine Option. Ebenso wenig wie der alten Lederkoffer seines Großvaters, mit dem er bei seinen Mandanten aufkreuzte und in dem er neben Akten auch gleich sein Nachtzeug verstaute.
Er hat es eben als Rainmaker bei Hengeler – so nennt man die Umsatzbringer in Kanzleien – ohnehin nicht nötig. Brancheninsider zählen ihn neben Ralph Wollburg von Linklaters und Schiessl Studienfreund und Partner Hans-Jörg Ziegenhain zu den Top-Drei- der deutschen M&A-Anwälte.

Bei den Übernahmen der börsennotierten Aktiengesellschaften über die vergangenen zehn Jahre steht Schiessl mit mehr als 100 Milliarden Euro Umsatzvolumen im Ranking des Analyseunternehmens MergerMarket an der Spitze. Und das mit viel Abstand zu den Nummern zwei und drei: Sein Kollege Hans-Jörg Ziegenhain mit knapp 70 Milliarden Euro und Carsten Berrar von Sullivan & Cromwell mit gut 46 Milliarden Euro.

 

Referenzmandanten sind  Oetker, KKR oder Linde

Die Liste der Industrienamen, die den Wahl-Rheinländer bei Firmen-Deals beauftragen, ist lang. Aktuell ist es Linde, die mit US-Konkurrenten Praxair fusionieren will, um Weltmarktführer der Industriegase zu werden. Auch Peugeot PSA hat jüngst beim Kauf von Opel, Schiessl angeheuert. Für Oetker dealt er gerade den Verkauf der Reedereien Hamburg Süd. Und für KKR ist er bei der Übernahme der GFK im Geschirr.
Große Besprechungen formen können, das ist sein Ding, erkennt ein Konkurrent an. Er habe People skills und könne schwierige Situationen einschätzen und entschärfen. Er liest Leute gut und zieht die richtigen Schlüsse daraus. Wenn sich zwei Platzhirsche nicht verstehen oder Abteilungen desselben Unternehmens bekämpfen und sich gegenüber ihrem Vorstand produzieren, wird´s kompliziert. Oder wenn ein Fehler passiert und die Investmentbank den Kaufpreis falsch berechnet hat, das aber niemand rechtzeitig bemerkt hat.

Wenn ein Punkt, der bei der Due Dilligence gesehen, aber falsch eingeordnet wurde, plötzlich ein richtiges Problem ist und eine Woche vor Vertragsunterzeichnung hochpoppt – dann sind juristisch brilliante Lösungen das eine. Dann geht der Suchscheinwerfer an und wir müssen gucken, dass wir zurück sind im Schützengraben, zitieren ihn frühere Mitstreiter. Und die Gemüter beruhigen kann und dafür sorgen, dass die Problem gelöst werden, das ist Schiessls Gabe.

 

Die Daimler/Chrysler-Fusion war sein Durchbruch

Sein Durchbruch waren Transaktionen wie die Daimler/Chysler-Fusion, die Schaeffler-Übernahme von Continental oder dem Börsengang der Telekom. Auf dem Regal in seinem Büro ist kein Platz mehr für noch mehr Thumb Stones, die Trophäen, die Unternehmen den Deal-Beteiligten zur Erinnerung schenken. Rund 60 dieser Land Marks stehen da, aber so gar nicht ordentlich in Reih´und Glied und mit dem in Form eines Spielzeugautos dürfen Besucher-Kinder spielen.

 

Sein Büro will Schiessls eigentlich lieber nicht zeigen. Passt es doch nicht ins Schema F moderner, entmenschlichter Büros. Stattdessen sieht es so richtig nach viel und kluger Arbeit aus. Nach jemandem, der sich nicht unterordnen und keinem gefallen muss: Auf dem Boden verteilt stehen -zig Aktenordner, sein Schreibtisch hat so gar nichts mit modischer Clean-Desk-Philosophie zu tun. Aber genau genommen muss ja auch er ein Kreativer sein und Lösungen für Fragen in internationalen Deals finden, die nie zuvor gestellt wurden und wo es keine Gesetzesantworten oder Blaupausen gibt.

 

Mit den „Bunten“ beim Italiener

Schiessl ist ein Typ: Kein anderer Anwalt würde sich trauen und vielleicht auch nicht die Zeit nehmen, sich Donnerstagsmittags beim Italiener mit der neuen Ausgabe der „Bunten“ hinsetzen und daneben einen Teller Nudeln essen. Soviel Lebensqualität muss sein. Doch vor allem: Er versteckt sich nicht hinter den üblichen Ausreden der Anzugträger, die im Flieger das Peoplemagazin angeblich nur für ihre Frau einstecken. Im Gegenteil, „meine Klienten kommen doch auch ab und zu da drin vor“, sagt er.
Zum Partner wurde Schiessl mit rekordverdächtigen 30 Jahren befördert, nachdem er für RWE in den USA 1990 die Übernahme von Vista Chemical durchzog. Der Vorstandschef hatte bei Hengeler angerufen, damit sofort Seniorpartner Klaus Böhlhoff in Essen antreten sollte. Denn die Amerikaner waren vor Ort und die Verhandlungen liefen schon. Aber weder Böhlhoff noch ein anderer Partner waren da. „Also marschierte ich hin und übernahm das Mandat über mehrere hundert Millionen Dollar“, erinnert sich Schiessl an die Übernahme des börsennotierten Unternehmens. Da konnte er seine Erfahrungen aus seiner Zeit als Anwalt in New York und seinem Studium an der Harvard Law School ausspielen. Das Wissen, das damals hierzulande rar war.

 

Das war die Zeit, als sich alles veränderte in der Anwälte-Welt: Als Kanzleien Standorte in mehreren Städte erlaubt wurden, als die erste angelsächsischen Law Firms und Investmentbanken auf den deutschen Markt kamen, als die plötzlich Private-Equity-Fonds auftauchten, Kanzleien erstmals Börsengänge berieten und sich viele neue Felder für Anwälte auftaten, „eine Traumsituation“, sagt der Schwabe, der sich mit Ende zwanzig erst mal hochdeutsch antrainieren musste. Als Schiessl von Gleiss in Stuttgart zu Hengeler ins Rheinland wechselte.

 

Tansparenz für Kanzleien? Vor 20 Jahren undenkbar

Damals wusste man nichts über einzelne Kanzleien. Transparenz durch Anwaltsrankings oder das Internet konnte man sich nicht mal vorstellen. Doch wenn eine Kanzlei dann doch in den 90-er Jahren Profil gewann, dann war es Hengeler. „Ein bisschen sektenähnlich seien die“ formuliert es ein Konkurrent. In keiner anderen Sozietät fallen sonst Worte wie Anstand, ist respektvoller Umgang miteinander ein Muss. Dazu passt selbst die Empfangsdame im Parterre der Benrather Strasse 18, die Besuchern sagt: „Fahren Sie bitte in den fünften Stock und sprechen Sie da wieder vor.“

 

Freunde in der Not: Huckepack ins Flugzeug

Nirgends sind so viele Partner auch privat Freunde. Um Hengeler als Kanzlei zu erfassen, dabei hilft auch dieses Bild: Als sich Schiessl sich beim Fußballspielen beim Kanzleitreffen in Lissabon einen Kreuzbandriss einhandelte und nicht mehr laufen konnte, trug ihn sein Partner Thomas Schmidt-Kötters huckepack vom Hotel ins Flugzeug. Weder dieser noch ein weiterer Kreuzbandriss können aber Schiessls Ehrgeiz bremsen, er muss weiter Tennis und Fußball spielen.

 

„Die schönsten Mandate bekomme ich von denen, die vorher auf der Gegenseite standen“, erzählt Schiessl. Schaut er auf die Liste seiner Heldentaten, die mit „Curriculum Vitae“ überschrieben und korrekt unterteilt sind nach der Kategorie der Deals, wird der Rheinländer versonnen. Und dann zeigt er, der sonst so uneitel daherkommt, plötzlich Stolz. Ist es doch auch sein Leben, das er den wirtschaftlichen Interessen seiner Mandanten oft genug untergeordnet, Nächte durcharbeitet und auf viel Freizeit verzichtet, erzählt sein Schmidt-Kötters. Er stellte Schiessl die Ex-Referendarin Barbara vor und wurde sein Trauzeuge, als Schiessl erst mit 43 Jahren heiratete. Dabei war er in allem anderen schneller: Er machte mit 17 Abi, hatte eine Klasse übersprungen, in Rekordzeit in München Jura und nebenbei Alte Geschichte studiert, die Harvard Law School in den USA absolviert und sich nach einem Jahr bei McKinsey doch lieber für die Anwaltskarriere entschieden. Weil er da mehr Freiheiten hat, sagt er.

 

Für seine Freunde ist ihm kein Weg zu weit

Der Typ Streber, mit dem keiner spielen will, war Schiessl nicht. Er hatte immer viele Freunde und denen ist er besonders treu. Nie ist ihm der Weg zu einem Treffen mit seiner alten Freundesclique zu weit. „Mäxchens Geburtstagsparties in seinem Elternhaus waren legendär, selbst der Weinkeller seines Vaters musste dran glauben“, erzählt seine Studienfreundin Ingeborg Neumann, BDI-Vize und Inhaberin der Textilgruppe Peppermint. „Er ist ein sehr konservativer Geist“, beschreibt sie ihn. Und dass er auch austeilen kann, dass er immer die Nummer eins sein will.

 

Den Spitznamen Champagner-Schiessl hat er sich redlich verdient, weil er so feierfreudig und gesellig ist. „Bei Partys gluckt er nicht bei seinen Hengeler-Kollegen hängen, sondern arbeitet sich regelrecht durch den Raum“, erzählt ein Düsseldorfer Anwalt. Seine Studienfreunde sprechen unisono von Max´ Leidenschaft für gutes Essen, nennen ihn einen immensen Weinkenner. Diese Vorliebe lebt er am liebsten im Skiurlaub im Hospiz am Arlberg aus, das berühmt ist für seinen Weinkeller.
Schiessls Markenzeichen ist schon ewig der Strickpulli, den er sich über die Schultern knotet, oft auch im Büro, erzählt Neumann. Überhaupt trüge er heute wie damals denselben Mantel, dieselben Schuhe, denselben Schal, dieselbe Jeans – vermutlich kaufe er immer dieselben Teile einfach nach.

 

Wenn gute Croissants verbinden

Für gutes Essen hat er mehr Sinn und lernet deshalb auch Hans-Jörg Ziegenhain kennen, weil sie beide dasselbe Cafe´ in München mit den guten Croissants mochten. Oder sein Kommilitone Christoph Walther, der Ex-Daimler-Kommunikationschef, der Schiessl als „blitzschnell, immer lösungsorientiert“ charakterisiert. Als „Brainy und feinen Menschen, der zuhört, niemand benutzt und sich auf Menschen wie Fälle einlässt – aber nie verzettelt“ und vor allem mit einer „reichhaltigen juristischen Instrumentenbox“.

 

Kennengelernt hatten sich die zwei 1977 im Audimax der Münchner Uni, bei der Daimler-Chrysler-Fusion sassen sie plötzlich am selben Verhandlungstisch.
Mandanten brauchen Einfühlungsvermögen. Besonders Familienunternehmer treffen auch mal irrationale Entscheidungen. Überrollt ein Amerikaner einen verkaufswilligen Mittelständler mit einem harten Vertrag – ohne jede Empathie und Gespräche über seine Bedenken – kann das ruckzuck schief gehen. Wenn der Unternehmer das Vertrauen verliert, sich um sein Lebenswerk sorgt und die Verhandlungen abbricht. Dann hat der Berater auf der anderen Seite keinen guten Job gemacht, sagt Schiessl. Dann lässt ein Unternehmer auch einen Käufer abblitzen, der perfekt gewesen wäre. Schiessls Job ist es dann, beizustehen und zu raten. Weniger juristisch als taktisch: Eigentlich müsse man nur ruhig bleiben, so einen Vertrag einfach nur abändern und zurückgeben.
„Man muss sich auf jeden Mandanten und auf jeden Gegner einstellen“, sagt Schiessl. Jeder Jeck sei schließlich anders. „Ich passe auch nicht zu jedem.“ Wer einen sehr harten, aggressiven Verhandler will, sei bei ihm an der falschen Adresse. Bei Transaktionen will er ein faires Ende, sagt er. Schließlich müssen die Parteien ja auch danach zusammen arbeiten.

 

Geheimhaltung ist oberste Pflicht

Dann wird lange überlegt, wo man sich trifft, meist außerhalb Deutschlands, oft in der Schweiz oder den Niederlanden. „Wenn Vorstandschefs mit je 25 Leuten mit allen möglichen Beratern in einem Konferenzraum verschwinden, braucht man ja nur eins und eins zusammenzählen.“ Ab dann finden alle entscheidenden Verhandlungen wie die Anlagenbestimmung und viel Detailarbeit von Wirtschaftsprüfern, Anwälten und den Stabsabteilungen im kleineren Rahmen – oft bis tief in die Nacht – statt. Auf keinen Fall dürfen zu frühe Gerüchte aufkeimen und Stakeholder, Mitarbeiter wie Kunden beunruhigen oder den Aktienkurs treiben. Geheimhaltung ist oberste Pflicht. Wird ein Deal bekannt, der gar nicht spruchreif ist, gefährdet das die ganze Transaktion.

 

Internationale Fusionen haben oft ein Jahr Vorlauf, so lang führt man Vorgespräche, die zwischendurch mal ruhen und dann wieder aufgenommen werden. Zuerst geht es um die Annäherung der Management-Teams. Man prüft, ob die Kulturen und Strategien passen, damit aus eins und eins eine 2,8 wird“, sagt Schiessl. Bei Daimler und Chrysler waren die Unterschiede zu groß. „Schade, es war eine Vision“ findet Schiessl. Aber es hätte ja auch trotzdem funktionieren können. Jedenfalls war der Deal ein weiterer Meilenstein seiner Karriere.
Ist etwa ein Scheich aus den Emiraten oder der CEO eines hierarchisch organisiertem, japanischen Unternehmen beteiligt ist, geht es nicht nur um juristische Klauseln, sondern um Verhandlungsgeschick, damit keine atmosphärischen Fehler die Transaktion platzen lassen. Schiessls Erfahrung ist nötig, um taktische Spielchen lesen zu können: Wenn ein Verkäufer ein Team eine geschlagene Woche auf den Datenraum warten lässt – weil er tatsächlich zuerst den Preis verhandeln will.

 

„2016 war ein unfassbar einträgliches Jahr für Schiessl“

„2016 war ein unfassbar einträgliches Jahr für Schiessl“, sagt ein Brancheninsider. Denn im vergangenen Jahr ging es im M&A-Geschäft nach acht Jahren erstmals wieder hoch her. „Viele Ausländer kaufen deutsche Unternehmen, vor allem Amerikaner, Chinesen und Japaner“, sagt Schiessl.

 

Seit der Flut der M&A-Deals – ihr Volumen stieg um 27 Prozent – arbeitet Schiessl jeden Abend zu Hause weiter, sobald die Familie schläft. Aber nur bis Mitternacht, betont er. Nicht zu schlafen ist weder schick noch cool, so sein Wahlspruch.

 

Aber durchgetaktet ist jemand wie er natürlich – auch wenn er seinem Gegenüber nicht das Gefühl vermittelt. „Zur Schulaufführung meiner Tochter kam ich in allerletzter Sekunde, ihr Auftritt ging grade los“, erzählt er. Seine Familie hat für Schiessl erste Priorität. Society-Events sehen ihn nicht, abends und am Wochenende spielen sein Frau Barbara und seine Kinder, Fabian (9) und Lara (10) für ihn die erste Geige. Die zweite ist dann schon sein Tennis in der Seniorenmannschaft. Nicht umsonst wohnt er nur einen Steinwurf entfernt von seinem Club am Grafenberger Wald. Besucht ihn Studienfreundin Neumann, nutzt er sofort die Gelegenheit, zum Tennis abzuhauen und ihr als Patentante die Kinder zu überlassen. Wo sie doch eigentlich mit „Mäxchen“ reden wolle.

 

 

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  1. Vielen Dank für dieses Portrait. Da sieht man den Rechtsanwalt einmal von einer anderen Seite. Interessant auch so einen Lebensweg zu sehen.