Welche Verhaltensweisen entwickelt ein Topmanager im Laufe der Zeit, um an der Spitze zu überleben? Die Härten und Machtkämpfe im Alltag zwingen manchen Topmanager zu drei Verhaltensweisen:
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Rücksichtslos handeln im Wettbewerb: Viele Firmenlenker sind aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur Wettbewerbstypen. Die ständige Bedrohung ihrer Position verstärkt eine in ihnen bereits angelegte Angriffslust und Aggressivität. Wettbewerbsdenken wird Trumpf. Sie handeln nach dem Motto »Ich gehe nach vorne, ich kämpfe und kontere Angriffe. Alles ist ein Spiel, das ich gewinnen will«.
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Ein Vorstand hatte das Wettbewerbsprinzip so stark verinnerlicht, dass es irgendwann alles bestimmte. Für ihn ging es immer um Sieg oder Niederlage, koste es, was es wolle. Bei einem Freundschaftsspiel – das Fußballturnier war als freundschaftliche Begegnung angelegt, um den Zusammenhalt im Führungskreis zu fördern – kämpfte der Manager mit derart hohem Einsatz, dass er einem Mitspieler einen Bänderriss zufügte und dieser ins Krankenhaus musste.
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Kollegen der Topetage wie er leben irgendwann nur noch nach dem Gesetz des Stärkeren. Sie handeln nach dem Motto »Wir gegen die anderen«. Die Ansage eines Vorstands im Vorfeld von Vertragsverhandlungen ist dafür exemplarisch. Er sitzt am Kopfende des Besprechungstischs. Seine Wortwahl ist dem Militär entlehnt, und dementsprechend knallen die Worte auch wie Gewehrsalven durch den Raum: »Wir müssen Munition aufbauen für den großen Krieg. Da machen wir jetzt gar nicht mehr rum, wir werden jetzt mal fies. Die werden schon merken, dass es uns ernst ist. Wir werden gewinnen.«
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Auch seine Körpersprache unterstreicht das Gesagte. Er gleicht einer maximal zusammengepressten Feder, drückt Spannung bis zum Anschlag aus. Der Vorstand wartet anscheinend nur auf den Startschuss, um zu attackieren – und die anderen zu besiegen. »Wir gegen die anderen«: Diese Haltung kann verbale Blüten bis ins Absurde treiben, wie das Zitat des Vertriebschefs eines Technologieunternehmens zeigt, der seine Mannschaft wortgewaltig auf den Kampf gegen die Konkurrenten einschwor: »Ihr müsst die wie Stiere an Nasenringen hinter euch herziehen.«
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Im Kampf gegen die Krise kann ausschließlich auf Wettbewerb ausgerichtetes Denken und Handeln – je nach Phase der Krisenbekämpfung – Vor- und Nachteile haben. In der Regel schmälert es die Erfolgsaussichten eines Topmanagers nicht wirklich, befördert sie aber auch nicht unbedingt. In Hinblick auf den Zusammenhalt eines Teams in der Krise kann es diesen sogar erhöhen, wenn es dem Manager gelingt, seine Mannschaft auf einen gemeinsamen Gegner einzuschwören, und er diesen zu vernichten gelobt.
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Entemotionalisiertes Handeln – privat sind sie ganz anders
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Handeln ohne innere Beteiligung: Manche Firmenlenker distanzieren sich innerlich von ihrer Rolle und klammern sich als Privatperson im beruflichen Alltag komplett aus. Innerlich sind sie unbeteiligt oder, um ein Wort aus der Psychologie zu bemühen: Sie entemotionalisieren sich.
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Schauspieler und wie Teflon-Pfannen
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Im Grunde agieren sie wie Schauspieler, die wissen, was von ihnen erwartet wird, und daraufhin das gewünschte Verhalten zeigen. Damit wollen sie sich schützen. Der Grund ist Angst vor der Öffentlichkeit. Warum das so ist und wohin sie führen kann, fasst der Ex-Vorstand für das Ressort Personenverkehr bei der Deutschen Bahn, Christoph Franz, zusammen: Die Schwächen von Menschen an der Spitze werden heute aufs Silbertablett gehoben, und dann schalten die Medien ihre Scheinwerfer an. „Wir sind zu einer Gesellschaft der Entrüsteten geworden … Da muss man doch mal fragen: Wer will Führungsroboter und Teflon-Menschen, die keinerlei Ecken und Kanten mehr haben?«
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Sebastian R. ist Geschäftsführer einer Firma im Nahrungsmittelsektor. Er hat einmal offen bei einem gemeinsamen Abendessen in London seine Stimmungslage gespiegelt: »Ich weiß, ich muss zuversichtlich rüberkommen. Alle erwarten, dass ich der tolle Hecht bin und meiner Sache 100 Prozent sicher. Ob ich das wirklich fühle oder nicht, interessiert keinen. Es ist mir mittlerweile egal, ich gebe ihnen, was sie wollen. Manchmal komme ich mir dabei vor, als wäre ich eigentlich gar nicht mehr wirklich dabei.« Sebastian R. musste damals ein großes Restrukturierungsprogramm durchpeitschen, das mit harten Einschnitten für alle, Führungskreis und Mitarbeiter, verbunden war.
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„Widersprechen lohnt sich nicht“
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Hat sich der Chef, der ursprünglich einmal angetreten ist, um seine Vision in die Welt zu bringen, zum desillusionierten »Handtuchhalter« gewandelt? O-Ton eines Topmanagers aus der deutschen Niederlassung eines internationalen Konzerns: »Was glauben Sie denn? Wenn Sie wie ich in der Geschäftsführung sind und ein neuer Blueprint für die Organisation wird von der Zentrale im Ausland vorgegeben, dann führen Sie den ein, basta, auch wenn Sie wissen, dass Sie damit Kunden vor Ort verlieren werden.
Widersprechen lohnt sich nicht.«
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Konzernlenker, die nur den öffentlichen Pranger fürchten
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Auch diese Reaktion kann es also in einem Job geben, bei dem Machtfülle an und für sich zur Grundausstattung gehört: ein Kapitulieren vor den Zwängen der Position. Ich habe diese Reaktion allerdings weniger bei Topmanagern kleiner Firmen als in Konzernen erlebt, wo Topmanager irgendwann alles tun, um nicht an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden.
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Wettbewerbsnachteil: Fehlendes Herzblut
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Bei einer Krise kann diese Haltung zum entscheidenden Nachteil werden, denn der Firmenlenker ist nicht mehr mit Herzblut bei der Sache. Er mag für die Firma kämpfen, tut dies aber ohne innere Beteiligung. Gerade eine Ausnahmesituation, wie sie während einer Krisenbekämpfung herrscht, erfordert, Ecken und Kanten zu zeigen. Ein Manager muss Profil und Rückgrat beweisen und entsprechend agieren. Folglich sind Manager mit dieser Einstellung nicht gut aufgestellt, um der Krise ein Schnippchen zu schlagen.
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Manipulierer: Nur wer unmoralisch handelt, kommt an die Spitze
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Andere manipulieren: Genau gegensätzlich zu Typ zwei verhält sich ein kleiner Teil der Topmanager. Er spielt die Machtfülle seiner Position aus und handelt skrupellos. Bei diesen Führungskräften kommt die »dunkle Seite der Macht« zum Vorschein. Der emeritierte Professor für Soziologie, Eugen Buß, stellt mit Hinblick auf Vorstände fest: »Ein Drittel der Manager in meiner Studie sagt dezidiert: Wenn man stets nach moralischen Maximen handelt, kommt man nicht an die Spitze.«
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Dieser Typ Manager nutzt seinen Spielraum bis zum Äußersten aus. Er ist derjenige, der im Fußball auf der Linie spielt und Grenzen ausreizt, bis sein Verstoß entdeckt wird. Oft geht dieses Verhalten einher mit einer egoistischen Haltung, wobei der Manager die eigene Person in den Mittelpunkt stellt. Und unliebsame Konkurrenten beißt er gnadenlos weg.
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»Dann hätte ich eben eine Intrige gesponnen, um denjenigen loszuwerden«, sagte mir neulich ein Geschäftsführer aus der regionalen Gründerszene, als wir den Konflikt eines Firmenchefs mit einer Führungskraft diskutierten. Manager wie er genießen es geradezu, andere zu manipulieren.
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Einige machen sich einen Sport daraus, sie wie Figuren auf einem Spielfeld zu bewegen: »Man braucht nur an der richtigen Stelle ein Lob auszusprechen, und die Menschen laufen lustig los. Das kostet mich überhaupt nichts. Ich mache das ja im Interesse der Firma und schade auch niemandem. Da darf ich das.« Dieses Zitat stammt vom Vorstandsvorsitzenden der ehemaligen MAN-Tochter Ferrostaal, Matthias Mitscherlich. Er ist übrigens der Sohn der bekannten deutschen Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich.
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Die diebische Freude am Strippenziehen, Erfolgsaussicht: Tendenz gegen Null
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Manipulation von anderen zugunsten einer großen Sache auf der einen und diebische Freude am Strippenziehen auf der anderen Seite: Der Grat zu einem Verhalten, das die denkbar schlechteste Ausgangssituation für eine erfolgreiche Krisenbekämpfung darstellt, kann schmal sein. »No chance at all«, die Aussicht, bei der Krisenbewältigung langfristig erfolgreich zu sein, tendiert gegen null, wenn ein Manager vorher als »Menschenfresser« unterwegs gewesen ist – diese Bezeichnung hat sich mir während meiner Begegnungen mit diesem Typ Manager geradezu aufgedrängt.
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Kein Manager mit dem Anspruch, eine Krise erfolgreich zu bekämpfen, kann es sich leisten, auf Moral zu verzichten. Wir haben es hier mit nicht weniger als dem K.-o.-Kriterium zu tun.
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Fallbeispiel: Behandeln Sie andere mit Respekt?
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Ein Beraterkollege, ganz am Anfang seiner Laufbahn, hatte folgende Aufgabe: Für einen Vorstandschef sollte er eine internationale Führungskräftetagung moderieren. Nobler Rahmen, ein exklusives Hotel auf Mallorca Anfang November, Blick auf das blaue Mittelmeer. Die Veranstaltung ist bis dato gut gelaufen, die Stimmung ist gelöst. Der Vorstandschef hat seinen Auftritt bereits gehabt und sitzt in der Pause entspannt plaudernd im Kreise seiner Mitvorstände am runden Tisch direkt vor der Bühne.
Als Moderator ist mein Kollege verantwortlich für den Ablauf der Veranstaltung. Sein Handy klingelt, die Sekretärin eines der geplanten Vortragenden meldet sich, ihr Chef könne leider nicht kommen, weil sein Flug wegen Schneesturms in der österreichischen Heimat deutlich verspätet sei.
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Mein Kollege hat speziell für solche Fälle einen Plan B entwickelt. Es gibt einen weiteren Vertragsredner, der sich auf der Tagung aufhält und sofort einspringen kann. Mit dieser Botschaft im Gepäck geht mein Kollege also zum Tisch des Vorstandsvorsitzenden, um die Änderung in der Agenda mit ihm abzusprechen. Der ist offensichtlich tief ins Gespräch mit seinem Mitvorstandskollegen versunken. Aber: Er hat meinen Kollegen gesehen, als dieser auf ihn zugetreten ist – ihre Blicke haben sich gekreuzt.
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Egal was ich tue oder berede, es kann nur wichtiger sein als andere
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Mein Kollege stellt sich also vor ihn hin, wartend, um seine Botschaft anzubringen. Und: nichts. Der Vorstand unterbricht sein Gespräch – das übrigens um seine kürzlich begonnene private Flugausbildung geht – nicht, auch nicht nach einigen endlos lang erscheinenden Minuten. Mein Kollege ist für ihn wie Luft, nicht existent. Nach einigen Minuten, in denen die Peinlichkeit für die Übrigen am Tisch steigt, erbarmt sich einer der Mitvorstände aus der Runde. Er fragt, was denn das Anliegen des jungen Mannes sei – obwohl es gar nicht seine Sache ist. Der Vorstandsvorsitzende, dessen Veranstaltung mein Kollege eigentlich für ihn als Dienstleister durchführt, schaut nicht einmal auf.
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Die Vorstufe des Menschenfressers: Der Arroganzling
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Ich habe mich schon damals gefragt, als ich diese Geschichte hörte, was den Vorstand bewogen hat, den Kollegen so – verächtlich, missachtend und herabsetzend – zu behandeln? Es ist kein Geheimnis und auch kein neues Phänomen, dass Menschen in der Position eines Topmanagers sich verändern. Man denke an die vielen (vermeintlichen) Privilegien, die mit der wachsenden Verantwortung einhergehen. Werden sie zwangsläufig zu »Arroganzlingen« in Nadelstreifen, der Vorstufe des Menschenfressers?
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Der Top-Job verführt zur Missachtung
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»Als Menschenfresser unterwegs sein« – zugegebenermaßen eine krasse Beschreibung ihres Schaltens und Waltens. Aber zutreffend für diesen Teil der Spitzenmanager, der andere Menschen missachtet und manipuliert. Aus meiner eigenen Erfahrung »verführt« die Machtfülle, die ihrer Position innewohnt, tatsächlich einen bestimmten Prozentsatz.
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Konservativ geschätzt, verhält sich mindestens ein gutes Drittel der mir bekannten Manager, wie es ein Geschäftsführer trocken auf den Punkt gebracht hat: »Im Job bin ich ein Arschloch. Ich weiß das. Dazu stehe ich. Privat bin ich ganz anders.« Seine Worte beschreiben die Haltung eines Menschenfressers ziemlich gut – die Beschreibung seines privaten Verhaltens habe ich ihm allerdings nicht abnehmen können.
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Launisch und wechselhaft
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Der Menschenfresser verhält sich vor allem wechselhaft. Er ist launisch und unberechenbar. Sein Verhalten ähnelt dem von zwei anderen Typen von Managern, die in den vergangenen Jahren für Aufsehen sorgten: der Narzisst und der Psychopath. Beim Narzissten dominiert das Ego alles andere. Der Psychopath genießt es, andere gegeneinander auszuspielen.
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Bei diesen beiden liegt übrigens eine »echte«, nämlich eine zu diagnostizierende Persönlichkeitsstörung vor. So sind etwa beim Psychopathen jene Bereiche im Gehirn weniger aktiv, die mit Angst zu tun haben.
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Psychologen schätzen, dass der Anteil von Psychopathen und Narzissten unter den Chefs etwa sechs Prozent beträgt. Das klingt erst einmal nach wenig. Sie sind aber im Topmanagement im Vergleich zur Gesellschaft überproportional zahlreich vertreten, denn in der Bevölkerung gibt es nur etwa vier Prozent Narzissten und um die ein bis zwei Prozent Psychopathen.
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Manfred Kets de Vries, Psychoanalytiker und Direktor der Insead Business School, ist sogar der Ansicht, dass eine Managementposition überhaupt nicht ohne einen gewissen Narzissmus erreicht werden kann.
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Wolf im Schafspelz
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Der Menschenfresser im Topmanagement ist deswegen so gefährlich, weil er für sein Umfeld wie der typische Wolf im Schafspelz daherkommt. Er verhält sich nicht durchgehend narzisstisch oder psychopathisch, sondern wirkt über weite Strecken wie jeder andere Chef auch. Aber wehe, es wird brenzlig, er sieht seine eigenen Pfründe bedroht oder ist auch nur unbeobachtet. Dann offenbart er seine dunkle Seite. Er zeigt folgende Merkmale:
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Ich, ich, ich – statt wir oder Sie
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Er dominiert: Die deutsche Geschäftsführerin eines amerikanischen Technologiekonzerns hält eine Rede vor ihren Mitarbeitern. Hinterher kommentiert ein Teilnehmer: »Bei ihr kam nur eines vor – ich, ich, ich. Dabei soll es doch um uns gehen.«
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Ich bin der Größte, die anderen sind hirnlos
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Der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns für Hydraulikpumpen und ehemalige Strategieberater hat einmal den Stoßseufzer getan: »Ich wünschte, es würde in diesem Unternehmen einmal gute Gehirne vom Himmel regnen.« Er bezog sich damit auf die Eignung der Mitarbeiter seines Unternehmens, die er seiner eigenen Kompetenz weit unterlegen empfand.
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Vor lauter Ego selbst den wichtigsten Kunden schlecht machen
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In die gleiche Kerbe stieß ein Geschäftsführer: »Bei den Mitarbeitern musst du Spoon-Feeding machen, sonst klappt das nicht.« Er wollte damit sagen, dass er ihnen jeden Sachverhalt mundgerecht zubereiten und vorkauen muss, damit sie etwas verstehen. Manchmal zielen Bemerkungen wie diese sogar auf die oberste Führungsebene eines Unternehmens. Zitat eines anderen Geschäftsführers: »Der ist ja so blöd, der findet ja nicht mal in seine Unterhose hinein.« Er bezog sich auf niemand Geringeren als seinen wichtigsten Kunden.
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Übergroße Egos an der Spitze sorgen für Mittelmaß und Scheitern der Firma
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Wenn das eigene Ego alles dominiert, hat das unmittelbare negative Konsequenzen für den Unternehmenserfolg, wie eine bekannte Untersuchung aus dem Jahr 2002 von Jim Collins, Exprofessor für Entrepreneurship an der Stanford University, belegt. Collins untersuchte den Einfluss des Verhaltens von Unternehmenslenkern auf die Entwicklung der Aktienkurse US-amerikanischer Unternehmen von Anfang der Siebziger- bis Ende der Neunzigerjahre. Er fand heraus, dass Manager mit überzogenem Ego an der Unternehmensspitze verantwortlich für Mittelmäßigkeit oder sogar für das Scheitern ihres Unternehmens sind.
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Bescheidenheit sorgt für Erfolg
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Erfolgreich sind dagegen die Vergleichsunternehmen, in denen Topmanager ihre eigenen Interessen und ihr Ego zugunsten des Unternehmenserfolgs zurückstellen. Ein überzogenes Ego kann bei einem Topmanager so weit gehen, dass er andere öffentlich bloßstellt.
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Fallbeispiel: Applaus für Sie?
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Großveranstaltung eines internationalen Technologieunternehmens in den USA. Mehrere Tausend Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern füllen die große Halle. Der Event ist der Startschuss für das nächste Fiskaljahr, die Mitarbeiter sollen auf die neuen Sales-Ziele eingeschworen werden. Es ist die perfekte Show – gute Bühnenbeleuchtung, drei überdimensionale Projektionsflächen sind für Power-Point-Schlachten vorgesehen, die Sprecher können ihre Vorträge bei Bedarf von einem leinen Teleprompter vor ihnen am Bühnenrand ablesen. Nach amerikanischem Muster begleitet emotional stark aufgeladene Musik den Auftritt der Führungsriege. Es ist nahezu unmöglich, emotional unbeteiligt zu bleiben. Die Lichtkegel auf der Bühne wechseln von Rot in angenehmes Blau, als der CEO auf die Bühne kommt – nein, auf die Bühne stürmt. Sein Vortrag dauert eine halbe Stunde und ist schnell zusammengefasst. Er ist perfekt inszeniert, genau richtig im Timing und mitreißend. Großer Applaus.
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Mitarbeiter der Lächerlichkeit preisgeben – zur Einschüchterung für alle anderen
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Der Moderator tritt zum CEO auf die Bühne und wendet sich dann ans Publikum: »Noch Fragen an den CEO?« Ein Mitarbeiter offensichtlich asiatischer Herkunft mit starkem Akzent stellt eine unbequeme Frage zur Zukunft einer umstrittenen Produktreihe. Der CEO runzelt, auf den drei Projektionsflächen gut erkennbar, sichtlich irritiert die Stirn. Seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen und ist nicht freundlich. Mehr noch: Er macht sich lustig und gibt den Fragenden zehn quälend lange Minuten der Lächerlichkeit preis – vor ein paar Tausend Leuten.
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Er sagt: »Lernen Sie erst mal richtig Englisch, bevor Sie mit mir sprechen. Das kann man sich ja gar nicht anhören. Und Ihre Frage meinen Sie nicht wirklich ernst. Jedes Kindergartenkind weiß mehr als Sie darüber. Vielleicht sollten Sie erst mal mit denen sprechen?«
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Wenn Top-Manager in „Blut waten“ oder „Blut spritzen“ lassen wollen
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Er kennt keine Empathie. »Du musst FiFo mit den Mitarbeitern machen – fit in or fuck off.« Damit wollte ein Manager seine Mitarbeiter »gefügig« machen. Es würde sie zwar einschüchtern, aber sie würden in dem Wissen darum alle spuren. Andere Topmanager dieses Formats sprechen davon, dass man »in Blut waten« oder dass »Blut spritzen« müsse, wenn Personalmaßnahmen durchzusetzen sind.
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Im Kampf um die Spitzenpositionen innerhalb einer Firma setzen sich in der Regel die Manager durch, die am ehrgeizigsten und am skrupellosesten sind. »Entscheider mit aggressivem Führungsstil werden rasch befördert. Auch Kreative steigen schnell auf. Nur mangelt es diesen Cheftypen oft an Empathie«, so heißt es in einem Artikel in der Wirtschaftswoche aus dem Jahr 2011.
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Trend: Menschliche Belange immer weniger beachtet
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Letzteres ist keine Seltenheit in unseren heutigen Chefetagen. Mit Sorge entnehme ich der Entwicklung der letzten Jahre, dass sich der Stil an der Spitze von Unternehmen ändert. Menschliche Belange finden immer weniger Beachtung, während die Zahlen überbetont werden. In den Topetagen sind mittlerweile viele ehemalige Berater vertreten. Diese neue Managergeneration ist sehr gut ausgebildet. Es handelt sich um promovierte Naturwissenschaftler, Informatiker oder Techniker. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich vor allem jene, die jünger als 44 Jahre sind, an Zahlen orientieren.
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KPI statt Emotionen
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Key-Performance-Indikatoren (KPI), wie Kennzahlen im Vorstandsjargon heißen, und die Messbarkeit von Erfolg sind ihre Handlungsmaxime. Emotionen und Empathie klammern sie bewusst aus, weswegen sie in Studien schon mal als »harte Hunde« bezeichnet werden. »Wir reden nicht über Sentimentalitäten, wir reden übers Geschäft. Dafür haben wir keine Zeit«, hörte ich von vielen Chefs dieses Typs, die ich beraten habe. Die persönlichen Befindlichkeiten der Belegschaft betrachten sie als nachgelagertes Problem. Auch stimmen sie häufiger als alle Vertreter höherer Altersgruppen der Aussage zu, dass »die Diskussion um ethische Richtlinien im globalen Wettbewerb unrealistisch« sei.
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Fallbeispiel: Sind Sie ein harter Hund?
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Carsten H. ist Mitte 30, ein erfolgreicher Unternehmer in der boomenden ITBranche. Seine Firma ist in zwei Jahren von zwei auf 35 Festangestellte gewachsen. Das ist nichts Ungewöhnliches, und es ist davon auszugehen, dass die Firma expandieren und weitere Mitarbeiter einstellen wird. Ihr Erfolg liegt in der Persönlichkeit von Carsten H. begründet.
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Besessen vom Erfolg und dem Ziel jeden Anstand unterordnen
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Er ist davon besessen, sein Unternehmen erfolgreich zu machen. Dafür holt er sich die besten auf dem Markt verfügbaren Köpfe. Er schreckt dabei auch nicht vor unkonventionellen Methoden zurück. Mitarbeiter der Wettbewerber abwerben? Kein Problem. Konkurrenten im Rennen um lukrative Aufträge mit unlauteren Mitteln ausschalten? Es geht schließlich darum, die Firma nach vorne zu bringen. Diesem Ziel hat Carsten H. alles untergeordnet und zieht im Verborgenen seine Fäden, um sich gegen Widersacher durchzusetzen.
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Keine Zeit für Persönliches – wer Fehler macht, wird zum Aufgeben gebracht
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Carsten H. überlässt nichts dem Zufall. Dafür hat er stets nicht nur einen Plan B parat, sondern auch einen Plan C und einen Plan D. Er arbeitet extrem viel und handelt effizient. Im Umgang mit anderen scheint er stets freundlich, er netzwerkt auch. Aber er wirkt meist distanziert. Für Persönliches hat er keine Zeit. Begeht jemand einen Fehler, verzeiht er den nur schwer. »Da finde ich schon einen Grund dafür, dass diese Person weggeht.« Natürlich meint er damit, dass er denjenigen schon dazu bringen wird, aufzugeben und zu kündigen.
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…und wer zu starkt wird, rausgebissen
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Die, die ihm gefährlich werden können, beißt er weg. Andere wiederum, die ähnlich dominant sind wie er, duldet er nicht neben sich. »Die kann ich ja nicht steuern.« Verständlich, dass er damit so manchen vor den Kopf stößt. Er nimmt es in Kauf – um des Erfolgs der Firma willen.
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Ein Einzelfall? Eher nicht, wenn man einem im Februar 2015 im „Spiegel“ erschienen Artikel über die neue Elite im amerikanischen Silicon Valley Glauben schenkt: »Nach allem, was man hört, ist Travis Kalanick, Gründer und Chef von Uber, ein Arschlosch. Er beschimpft seine Konkurrenten öffentlich und macht sich auf Twitter über seine Kunden lustig… Proteste seiner Fahrer über schlechte Bezahlung beantwortet er mit der Prognose, dass sie in Zukunft ohnehin durch Computer ersetzt würden.«
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Auszug aus dem Buch von Paula Brandt, „Mayday aus der Chefetage – Warum Manager in Krisen scheitern“ (Ariston, 9.11.15). Textabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.