Ein ständiges Rennen: Die tägliche Überforderung

Mitarbeiter opfern ihre Gesundheit für den Beruf, weil alles zu viel ist. Ein Massenphänomen – über das die Unternehmen geflissentlich hinweggucken.

 

Gradezu fluchtartig verließ Monika Piel, 62, die Ex-Intendantin des WDR, im Januar 2013 ihr Büro im Kölner WDR. Ohne eine Erklärung hatte sie nur ihre persönliche Habe gepackt und war verschwunden. Erst neun Monate später rückte sie mit den Gründen raus. Sie hatte so ein hohes Arbeitspensum zu bewältigen, dass sie kurz vor einem Schlaganfall stand, wie es ihr damals der Arzt eröffnete. Den ganzen Tag unterwegs. Immer konzentriert. Immer Hunderte Themen. Abends noch Berge von Post lesen und beantworten. Arbeit bis tief in die Nacht. Nie habe sie eine richtige Mittagspause gemacht.

 

Der ganz normale Alltag war für Piel zu einem „ ständigen Rennen“ geworden. Fast 1000 Einladungen im Jahr, im Januar war der Kalender schon bis Dezember gefüllt plus sieben Aufsichtsratsposten und mehrerer Ehrenämter. Sie arbeitet wahnsinnig gerne, aber es war eben trotzdem alles anstrengend für sie. Schlafstörungen und Herzrasen waren die Folge. Ihr Arzt stellte sie vor die Wahl: Sie sei in Lebensgefahr, er könne sie an der Halsschlagader operieren oder sie müsse „aus dem Wahnsinnsjob“ aussteigen. Piel reagierte sofort und zog die Reißleine. Unverzüglich räumte sie ihren Schreibtisch im WDR.

 

Überforderte Mitarbeiter – und die Unternehmen spielen Susi Sorglos

 

Der Senderchefin erging es wie vielen: Sie war überfordert und ihr blieb am Ende nichts anderes übrig, als radikal den Schlussstrich unter ihre Karriere zu setzen. Bernhard Badura, Gesundheitsforscher und Emeritus an der Uni Bielefeld. macht bei vielen Unternehmen „eine Kultur der Sorglosigkeit“ aus, wenn es um die Arbeitsüberforderung ihrer Mitarbeiter geht. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent gestiegen und damit auch die Fehlzeiten bis 2011 wegen psychischer Erkrankungen – im Schnitt auf 22,5 Tage.

 

Heike Cohausz, Partnerin bei P4 Career Consultants

Heike Cohausz, Partnerin bei P4 Career Consultants

„Dabei sind die meisten Burn-outs keine echten Burn-outs, sondern tatsächlich Überforderungen mit zu viel Arbeit“, beobachtet Manager Coach Heike Cohausz von P4 Career Consultants in Düsseldorf. Work-Life-balance wird stillschweigend zur Privatsache erklärt. Jeder zweite Mitarbeiter fühlt sich von seinem Unternehmen im Stich gelassen, ermittelt eine Umfrage der Management-Beratung Hay Group.

 

Prominentes Wall-Street-Beispiel ist der Barclays-Manager Hector Sants, der als harter Sanierer gilt und bei der Londoner Großbank die Skandale wie die Libor-Manipulationen-Affäre aufarbeiten sollte. Der Chef der Compliance-Abteilung ließ sich im Oktober freistellen, um wegen Erschöpfung und Stress bis Januar eine Pause einzulegen. Doch dann überlegte er es sich anders und kündigte Mitte November, weil er nicht mehr zurück will.

 

Der Job als Höchststrafe wegen immer-zu-viel-Arbeit

 

Solche Erschöpfungszustände passieren allen: Top-Managern, Mittelmanagern und ganz normalen Angestellten. Überforderungs-Notrufe kommen aus den verschiedensten Branchen und Bundesländern: Sämtliche 80 Hamburger Staatsanwälte konfrontierten im Juni die Justizsenatorin Jana Schiedeks damit, dass sie 60-Stunden-Wochen schöben und ihren Job als Höchststrafe empfänden. Verdi kämpft für überlastete Mainzer Briefträger, deren Zustellbezirke immer größer werden. Ähnliche Hilfe-Rufe kamen diesen Herbst von sechs Polizeipräsidenten aus Großstädten in Nordrhein-Westfalen für ihre Polizisten, dass der Kollaps drohe.

 

Restrukturierung ist Ertragsmaximierung: Mehr Arbeit mit weniger Leuten

 

Der Grund: Der einzelne Mitarbeiter muss nach Jahren von Restrukturierungen und immer neuen Kündigungswellen immer mehr Arbeit schaffen. Damit einher geht die Tendenz zu immer weniger Respekt vor dem Einzelnen. Fehlendes Lob am Arbeitsplatz verursacht nach dem wissenschaftliche Institut der AOK (Wido) in seinem Fehlzeiten-Report 2013 steigende Krankenzahlen: 54 Prozent der Beschäftigten würden selten oder nie von ihrem Vorgesetzten gelobt, moniert Wido-Chef Helmut Schröder.

 

Vor allem aber gibt es keinen Kredit mehr für langjährige Mitarbeiter. Wer jahrelang viel gegeben hat, verliert diesen Kredit spätestens mit dem Wechsel des Chefs, denn den Neuen interessieren keine aufopfernden Leistungen aus der Vergangenheit. Ansonsten löst sich der Kredit auch in Luft auf, wenn die Zeiten für alle härter werden.Und jeder um sein eigenes Überleben im Job kämpfen muss.

 

Unbezahlte Überstunden schon einkalkuliert vom Arbeitgeber

 

Auch Christian Fischeln * (Name der Redaktion bekannt), Facharzt an einer Klinik „fuhr am Limit“: In Zeiten mit knappem Personal wurden seine Kollegen und er überfordert – planmäßig. Die Klinik hatte tägliche, unbezahlte Überstunden der Ärzte schon bei ihrer Planung miteinkalkuliert, eine sachgerechte Behandlung der hohen Zahl der Patienten schon wegen des Dienstplans unmöglich. 17 Tage in folge Elf-Stunden-Dienste waren die Regel. Dass ausgerechnet Ärzte durch den immer stärkeren wirtschaftlichen Druck nicht nach der Qualität ihrer Arbeit gemessen wurden, sondern nur nach Fallzahlen setzte Fischeln besonders zu: „Wie in einer Schraubenfabrik“, fühlte er sich. Und der Druck werde in einer Abteilung durchgereicht über die Pfleger, Krankenschwestern bis zur Putzfrau.“

 

… mit schleichenden Folgen fürs Privatleben oder dessen Rest

 

Die Folgen für den Mediziner machten sich nur schleichend bemerkbar. Immer öfter sagte er Verabredungen in seiner Freizeit ab, um weiter zu arbeiten: „Zuerst sterben die Sozialbeziehungen ab. Sieht man seine Freunde nur noch einmal im Jahr, bleiben aus dem ehemaligen Freundeskreis nach dem Studium bald nur noch zwei, drei Kontakte übrig, die es aushalten sich viele Monate gar nicht zu sehen“, so Fischeln. Er hatte einfach nicht mehr den Nerv, nach dem anstrengenden Klinikalltag noch Leute zu treffen, wollte nichts mehr unternehmen und keine Anreise auf sich nehmen.

 

Konzerte? Lieber kein Ticket kaufen, wenn´s allzu unsicher ist, ob man auch hingehen kann. Urlaub? Nur noch um das abzuarbeiten, was liegen geblieben ist und das Treffen mit Freunden nachzuholen. Und weil auch in anderen Berufsgruppen Überforderung zum Massenphänomen wird, haben etwa Mitarbeiter von Airlines, IT- oder Transportunternehmen, Flugsicherung oder auch Lehrer, die dem Job zuliebe „Totalverzicht auf Privatleben leisten“ bald nur noch Freunde aus ihrer Branche, schildert Fischeln. Jeder weiß dann, wovon der andere redet.

 

Typologie Überforderter

 

Das Muster ist bei Überforderungen immer dasselbe, sagt Gesundheitswissenschaftler Badura, Emeritus von der Universität Bielefeld: „Ohne Aufforderung übernehmen Beschäftigte Verhaltensweisen, von denen sie wissen, dass sich diese auf Dauer negativ auf sie selbst auswirken.“ Sie verzichten nach und nach auf Essenzielles wie Arztbesuche, sportliche oder kulturelle Aktivitäten, Treffen mit Freunden und Erholungspausen. Auch wenn dies sogar positive gesundheitsfördernde Wirkung wiederum auf ihrer Arbeit hätte, zählt Badura auf.

 

Irgendwann braucht nur noch ein Faktor dazukommen

 

Das Hamsterrad dreht dann solange, bis nur ein Faktor hinzu kommt, dann wird der Betroffene aus der Bahn geworfen: eine eigene Krankheit, Schwierigkeiten in der Familie, kranke Eltern, Probleme bei der Kindererziehung oder – betreuung. Der Belastungsfaktor steigt, die Ausgleichsfaktoren werden immer weniger und es stellen sich die typischen Symptome wie Bauchweh, Magenbrennen oder Magenschleimhautentzündung ein.

 

Ein Drittel geht, ein Drittel verharrt, ein Drittel geht kaputt und wird ausgetauscht 

 

Bis die Umgebung den Beruf des Betroffenen nicht mehr akzeptiert und die Ehefrau auszieht. Dann flüchten sich etliche in den Alkohol oder Tabletten. Laut OECD-Report 2013 ist in Deutschland der der Gebrauch von Antidepressiva zwischen 2007 und 2011 um 46 Prozent gestiegen. Am Ende steht dann der Zusammenbruch. Die Faustregel unter jungen Ärzten geht laut Fischeln so: Ein Drittel sucht einen neuen Job, ein Drittel verharrt, ein Drittel gehe daran kaputt und wird ausgetauscht.

 

In die Schlagzeilen geraten dann Fälle wie der Ärztin aus Krefeld, die nach 26 Stunden Dienst in der Klinik auf der Heimfahrt starb. Sie war so erschöpft, dass sie von der Fahrbahn abkam und vor einen Baum fuhr. Selbst Verbraucherschützer warnten schon Patienten vor übernächtigten Ärzten, denen mehr Fehler im OP unterlaufen.

 

Wer schon unter zuviel Arbeit zusammenbricht, hat keine Kraft, sich zu wehren

 

Fischeln hatte Glück, dass sein Klinikchef ihn – anders als die meisten Chefärzte – unterstützte. Er zog die Notbremse indem er die Klinikgeschäftsführung verklagte, weil er seine Überstunden ausbezahlt haben wollte. Am Ende gab es einen Vergleich und Fischeln bekam den Löwenanteil. Als danach auch der Druck der anderen Ärzte stieg, musste die Klink schließlich Betten sperren, weniger Patienten annehmen und ein System für Freizeitausgleich organisieren. Ohne Fischelns mutigen wie seltenen Vorstoß, liefe es dort heute noch so wie in den meisten Krankenhäusern. Denn: „Wer ohnehin viel Arbeitsdruck hat, schafft es kaum gleichzeitig, sich zu wehren“, sagt der Mediziner.

 

Suizid als Folge von Überforderung

 

Manche zerbrechen auch daran. Immer öfter wird die Frage gestellt, ob Überforderung an Suiziden schuld ist: etwa bei zwei Bonner Polizisten, die sich kurz nach einander in den vergangenen drei Monaten das Leben nahmen. Oder bei dem Schweizer Zurich-Insurance-Finanzchef Pierre Wauthier, der in seinem Abschiedsbrief Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und dessen Druck ausdrücklich die Schuld zugewiesen hat.

 

Autorin Jennifer Bentz

Autorin Jennifer Bentz

 

Jung-sein schützt nicht vor Überforderung

 

Auffällig ist, dass die Opfer von Überforderung immer jünger werden. Die Buchautorin Jennifer Bentz beispielsweise hatte direkt nach ihrem Examen an der Uni mit 29 Jahren ein Praktikum bei einem mittelständischen Medienunternehmen in Rheinhessen begonnen. In ihren angestammten Studienfächern Publizistik und Filmwissenschaften waren die Chancen auf eine feste Stelle gleich Null gewesen. Alle ihre Bewerbungen verliefen samt und sonders erfolglos. Aus Not, um erst mal den Einstieg ins Berufsleben zu bekommen, so erzählt sie, hatte sie dieses Praktikum begonnen – und mit ihr vier andere junge Leute. Ihr Ziel war, einen in Aussicht gestellten Trainee-Platz zu ergattern. Es war eine Rattenrennen, sagt sie im Nachhinein. Denn klar war: Nur zwei der fünf Kandidaten sollten anschließend in das Ausbildungsprogramm übernommen werden.

 

Die Nacht durcharbeiten – und nur die Putzfrau merkt´s

 

„Es wurde viel verlangt und viel gearbeitet, auch an den Wochenenden und auch mal die ganze Nacht durch, erinnert sich Bentz. Niemand in der Firma bemerkte, dass sie öfter die ganze Nacht durcharbeitete. Nur die Putzfrau sah sie und warf sie raus, um abschließen zu können.

 

Es war nicht allein die Arbeit, die Bentz so zusetzte: „Es gab kaum Geld, nicht mal 300 Euro, keine Anerkennung und keine Gespräche“ sagt Bentz. „Ich konnte überhaupt nicht absehen, wie gut ich für die Firma war,“ beschreibt sie ihre Einsamkeit.

 

Unsichere Lebenssituationen zermürben – auch junge Menschen

 

Schon nach zwei bis drei Wochen litt sie unter Schlafproblemen und Herzstichen – was sie aber ignorierte. „Ich hatte große Angst, wieder umziehen und von Neuem beginnen zu müssen“, erinnert sie sich.“Die unsichere Lebenssituation belastete mich, also wollte ich weiter machen, egal wie.“ Bis sie dann zusammenklappte, weil sie drei Nächte nicht geschlafen hatte. Mitten im Meeting während ihrer eigenen Power-Point-Präsentation bekam sie keine Luft mehr, die Beine sackten ihr weg, sie musste rauslaufen und sich übergeben. Selbst dann täuschte Jennifer Bentz erst noch eine Lebensmittelvergiftung vor, um „weiter zu funktionieren“.

 

Nach einem Ärztemarathon stand die Diagnose fest, ein: Burn-out. Bentz: „Erst in der Klinik lernte ich, dass es an mir gelegen hatte und dass ich meine Einstellung ändern musste.“ Was ihr auch gelang: Als die Firma ihr sogar noch die begehrte Traineeausbildung anbot, nahm sie stattdessen lieber eine Teilzeitstelle als Sekretariatsvertretung an – und schrieb ein Buch über ihre Erfahrungen: „Einfach mal klarkommen“.

Heute hat sie ihre Balance gefunden, ist freie Mitarbeiterin bei einem anderes Unternehmen, arbeitet an einem zweiten Buch – und hat einen kleinen Sohn.

 

Zwölf-Stunden-Arbeitstage als Londoner Normalität

 

So gut wie für Bentz ging es für den 21-jährigen Bankpraktikant Moritz aus Baden-Württemberg bei seinem Einsatz bei der Bank of America nicht aus: Der junge Mann, der sich selbst auf Facebook als „sehr wettbewerbsorientiert und ehrgeizig“ beschrieb, hatte drei Tage und Nächte durchgearbeitet – so wie andere auch. Zwölf-Stunden-Tage und mehr sind gerade in der Londoner Finanzwelt Normalität. Die britische Praktikantenvertretung Intern Aware sagt, dass sogar für Praktikanten 100-Stunden-Wochen in der britischen Bankenindustrie an der Tagesordnung sind. Tragisch war nur, dass Moritz verschwiegen hatte, dass er an Epilepsie litt und starb unter der Dusche bei einem epileptischen Anfall. Denn was für Gesunde noch angehen mag, dürfen sich Epileptiker ganz sicher nicht zumuten: Schlafentzug ist für sie lebensgefährlich. Nachtdienste etwa kommen für sie gar nicht infrage. Nun untersucht ein Londoner Gericht den Fall, um festzustellen, ob die langen Arbeitszeiten und die Übermüdung zum Tod führten oder ihn mitverursachten.

 

Ein Arbeitspensum, das nicht menschenmöglich ist – und wenn´s schiefgeht, kommt der Staatsanwalt

 

Auch hierzulande kommen immer häufiger bei Gerichten und Staatsanwälten kommen die Folgen von überforderten Angestellten auf den Tisch. Ein Gärtner vom städtischen Grünflächenamt der Stadt Trier muss sich wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung verantworten. In einem Park in der Innenstadt war ein 18 Meter hohe Kastanie umgestürzt, hatte eine 70-jährige Frau erschlagen und einen damals 58-jährigen Passanten schwer verletzt, eine komplette Schülergruppe wurde nur knapp verfehlt. Zwei Jahre vorher hatte der Gärtnermeister den Baum noch kontrolliert, aber keine zweite Kontrolle mehr vorgenommen. Zur Zeit des Unglücks habe er rund 100 Bäume auf seiner Liste gehabt, die er eingehender untersuchen sollte und für weitere 24 000 Bäume war er ohnehin zuständig. „Seit Jahren sagen wir, dass die Menge der Aufgaben mit dem Personal nicht zu leisten ist“, verteidigte sich der 53-Jährige vor Gericht.

 

Ein viel zu hohes Arbeitspensum: Wer´s nicht schafft wird gekündigt wegen vorsätzlicher Schädigung 

 

Auch über das Arbeitspensum einer Bankangestellten staunten die Richter – in dem Fall vom Hessischen Landesarbeitsgericht – nicht schlecht: Und zwar wie viele Beleg sie an dem Tag in wie wenig Zeit zu kontrollieren hatte: 603 Belege jeweils in weniger als 1,4 Sekunden, 105 Belege in 1,5 bis 3 Sekunden und 104 Belege in mehr als 3 Sekunden. Denn als der Frau der Zahlungsbeleg durchging, der durch einen Arbeitskollegen von 62,40 Euro auf 222.222.222,22 Euro korrigiert worden war, kündigte ihr Arbeitgeber sie fristlos. Wie sich herausstellte, war der betreffende Arbeitskollege, der aber nicht für die Prüfung des Betrags des Belegs zuständig war, bei einem Sekundenschlaf auf die Taste „2“ der PC-Tastatur geraten und hatte sie länger gedrückt gehalten. Nur durch die systeminternen Prüfungsroutine fiel die Sache dann auf, so dass kein Schaden entstand. Doch angesichts der hohen Arbeitsbelastung ließen die Arbeitsrichter eine Kündigung der Frau – sogar wegen „vorsätzlicher Schädigung der Bank“ nicht durchgehen. Zumal gar kein Schaden entstanden war.

 

Wenn einzelne Mitarbeiter für die Unternehmenskennzahlen verantwortlich sein sollen

 

Zu deutlich höherem Druck auf den einzelnen Mitarbeiter führt auch die Transparenz der Unternehmenszahlen, wenn sie denn eingesetzt werden als Druckmittel. Wenn im Unternehmen die Leistung über quantifizierbare Ziele, Ertragsorientierung oder Benchmarking ihnen ständig vorgerechnet wird. „Dann rechnen die Mitarbeiter mit, ob sich ihre Arbeit für das Unternehmen rentiert oder vergleichen ihre Arbeitsergebnisse mit Kennzahlen“, schildert Gesundheitsmanagement-Profi Badura.

 

In den Unternehmen werden den Mitarbeitern nur noch die Ergebnisse vorgegeben, wie die einzelnen und die Teams sie erreichen, wird ihnen überlassen. So werden sie zum Unternehmer im Unternehmen. Sie „übernehmen mehr Selbstverantwortung die zum Selbstausbeuten, individueller aber auch kollektiver Energien führen“.

 

Daumenschraube: Unerreichbare Zielvorgaben

 

Roman Eberle von Verdi kritisiert deshalb auch die Führungsmethode, die besonders in Banken herrscht. Die Banker bekommen Zielvorgaben, die fürs ganze Team gelten und womöglich gar nicht vom einzelnen beeinflussbar sind. Der einzelne wird dann unter Druck gesetzt, dass „er es nicht schafft und deshalb das ganze Team im bankinternen Ranking abrutscht“. Die Angst um den Arbeitsplatz ist so hoch, sagt Eberle, dass sich keiner traut – auch nicht mal anonym – der Presse das zu berichten.

 

Zwei arbeiten da, wo früher sechs weniger Pensum erledigten

 

Auch in Banken erledigen viele Angestellte alleine oder zu zweit die Arbeit, die früher – vor den Kündigungswellen, Restrukturierungen und Optimierungsversuchen – zwei- oder gar dreimal so viele Menschen wegschafften. Wer über 40 Jahre ist, Familie hat und andere Verpflichtungen, hat oft gar nicht die Freiheit und Möglichkeit, anders zu entscheiden und zu kündigen, urteilt Sabine Hansen, Personalberaterin und Partnerin bei Amrop Delta.

 

Headhunterin Sabine Hansen bei Amrop Delta

Headhunterin Sabine Hansen, Geschäftsführerin und Partnerin  bei Amrop Delta

Nicht der Beruf überfordert Menschen, sondern auch die Komplexität des Alltags. Bei Ellen Hoffmann * (Name der Redaktion bekannt) war es die Qual der Wahl: Als 18-jährige Abiturientin war sie gelähmt von der Fülle der Möglichkeiten vom kulturellen Jahr bei einem ostdeutschen Theater bis hin zu 17 000 verschiedenen Studiengängen – und die teils schon mit rätselhaften Namen wie Business Integration oder Technikpädagogik. „Nach einem Jahr Tatenlosigkeit, konnte ich mich noch weniger entscheiden als vorher“, schildert Hoffmann. Zu groß war ihre Angst vor einer Fehlentscheidung. Nachdem sie ein Cultural-Engineering-Studium begonnen hatte, kamen die Zweifel im dritten Semester wieder. „Ich hatte keine Ahnung, was ich später damit anfangen sollte.“ Erst die psychotherapeutische Studentenberatung der Uni stärkte ihr den Rücken, so dass sie es schaffte, für sich zu entscheiden – und dabei zubleiben. Die Situation ist typisch für Abiturienten, beobachtet Tim Hagemann, Professor für Arbeitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld: „Dass sie ganz alleine verantwortlich sind für ihre Entscheidung, verunsichert und überfordert viele.“

 

Komplizierter Berufsalltag plus ebenso komplizierte Alltagsaufgaben

 

Für Überforderung sorgt nicht nur das Berufsleben, sondern auch die Komplexität im Alltag etwa durch Steuererklärungen oder der Umgang mit Versicherungen und Banken – wo selbst Nicht-Handeln juristische Folgen hat: Zu spät etwas zu melden, nicht dem Kontoauszug oder neuen AGB´s widersprechen, hat gravierende Folgen. Das seitenlange Kleingedruckte versteht kaum einer – und trotzdem gilt es.

 

„Selbst wer früher nur sein Telefon an bei der Post anmelden musste, steht heute einem Wirrwarr von Anbietern und Tarifen gegenüber,“ vergleicht Wissenschaftler Hagemann. Unterzeichnet ist der falsche Vertrag schnell, ihn aber rückgängig zu machen kann eine Odyssee werden. Insbesondere wenn der Anbieter sich dann nicht an die Regeln hält oder wegen komplizierter technischer interner Abläufe munter Monat für Monat das Geld auch trotz Kündigung vom Konto abbucht. Dann helfen auch -zig Telefonate mit den Call-Centern oft nicht weiter. Es kann sogar passieren, dass der Kunde am Ende vom Gericht – so geschehen in Düsseldorf – nur noch die Hälfte seines Geldes wieder zugesprochen bekommt, weil er die Abbuchungen nicht früh genug bemerkt und widersprochen hat. Wenn man überhaupt die Kraft, die Nerven und das Geld hat, sich mit einem Gerichtsprozess zu wehren. Und seine wertvolle Freizeit dafür auch noch aufwendet.

 

Lesehinweis: Über Meinhard Miegels Buch „Hybris“ Wir sind doch keine rosa Plüschhasen

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/meinhard-miegels-buch-hybris-wir-sind-doch-keine-rosa-plueschhasen-12838984.html?printPagedArticle=true#Drucken

 

Der Stress der Top-Manager, der sie um den Schlaf bringt:

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/umfrage-unter-entscheidern-steigender-druck-raubt-managern-den-schlaf/10070290.html

 

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