Christian Rolf ist Partner und Arbeitsrechtler, Jochen Riechwald ist Rechtsanwalt bei Willkie Farr & Gallagher in Frankfurt. Die Juristen warnen: Ein Hammerurteil des Bundessozialgerichts zur Rentenversicherungspflicht von Syndikus-Anwälten kann Auswirkungen haben für hunderttausende angestellte
Anwälte, Ärzte, Apotheker, Steuerberater, Ingenieure und viele andere.

Christian Rolf, Arbeitsrechtler und Partner bei Willkie Fahrr & Gallagher
Vor wenigen Tagen kam vom Bundessozialgericht (BSG) die Nachricht, dass sich angestellte Anwälte in den Unternehmen – sogenannte Inhouse Councel – nicht mehr in den berufsständischen Versorgungswerken versichern und von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen können (Aktenzeichen: B 5 RE 13/14 R) -auch wenn sie neben ihrem Hauptberufs als Anwalt zugelassen sind. Dieses Urteil bedeutet im schlimmsten Fall auch für viele anderen Angestellte, dass sie nicht mehr in die – profitableren – Versorgungswerke hinein können.
Ungemach droht auch denen, die bereits in einem Versorgzungswerk sind: Wer jetzt eine Befreiung hat, darf sich zwar noch darauf berufen, aber beim nächsten Jobwechsel könnte sie einkassiert werden.
Was hat das Gericht entschieden?
Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen (Versorgungswerke) sind von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Anwälte sind automatisch Mitglieder im Versorgungswerk durch ihre Zulassung als Rechtsanwalt. Attraktiv sind die Versorgungswerke deshalb, weil sie deutlich höhere Renten als die gesetzliche Rentenversicherung zahlen.
Unternehmen können damit bisher ihren Syndikus-Anwälten eine gute Altersversorgung anbieten, indem sie ihnen erlaubten, sich als Anwalt nebenbei zuzulassen.
Unter welchen Voraussetzungen ein Syndikus-Anwalt im Versorgungswerk statt in der Rentenversicherung versichert ist, wurde seit einiger Zeit zwar hinterfragt, war aber grundsätzlich möglich, wenn die Tätigkeit bestimmte Kriterien erfüllte. Das BSG hat dem jetzt einen Riegel vorgeschoben und entschieden, dass ein Syndikus-Anwalt trotz Anwaltszulassung Angestellter ist und kein Anwalt.
Damit kann er keine Befreiung mehr von der Rentenversicherungspflicht beanspruchen. Das Tätigkeitsbild eines Rechtsanwalts ist, so das BSG, mit einem Angestelltenverhältnis grundsätzlich unvereinbar.
Betroffen sind womöglich auch Steuerberater, Apotheker und Ärzte
Direkt betroffen sind nach Angabe des Bundesverbands der Unternehmensjuristen die rund 40.000 Syndikus-Anwälte in Deutschland. Das Urteil kann aber auch für anwaltlichen Compliance- oder Datenschutzbeauftragte im Unternehmen gelten oder, mit anderen Worten, für alle Unternehmensangestellten, die in einem Versorgungswerk versichert sind. Auch Steuerberater einer Bank oder Apotheker oder Ärzte im Pharmaunternehmen können von der Entscheidung betroffen sein.

Arbeitsrechtler Jochen Riechwald, Willkie Fahrr & Gallagher
Sind nur angestellte Anwälte betroffen?
Unklar ist jetzt vor allem, ob das Urteil auch angestellte Anwälte in Anwaltskanzleien oder Ärzte im Krankenhaus betrifft.
Ob sich angestellte Anwälte und Ärzte künftig ebenfalls nicht mehr im Versorgungswerk versichern können? Damit wären alle Mitglieder in etwa 80 verschiedenen Versorgungswerken in Deutschland betroffen, die zugleich als Anstelle ihre Brötchen verdienen. Das sind neben den bereits Erwähnten unter anderem auch Wirtschaftsprüfer, Zahnärzte Psychologische Psychotherapeuten oder Ingenieure. Eine Liste aller Versorgungswerke findet sich auf der homepage der Arbeitsgemeinschaften berufsständischer Versorgungseinrichtungen http://www.abv.de/nach-berufsstaenden.html.
Vertrauen in eine bestehende Befreiung – aber …
Was gilt jetzt Befreite? Die sind vom BSG-Urteil zunächst nicht betroffen. Wer jetzt eine Befreiung hat, soll, so das BSG, darauf vertrauen dürfen, im Versorgungswerk bleiben zu können.
Allerdings ist nun unklar, ob der Vertrauensschutz auch dann noch bleibt, wenn jemand den Arbeitgeber wechselt oder seine Tätigkeit sich wesentlich ändert.
Goldene Fussfesseln an den Arbeitgeber
Das Urteil könnte eine goldene Fussfessel bedeuten: Nach dem neuen Maßstab des BSG dürften Jobwechsler keine Befreiung mehr bekommen. Denn eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gilt nämlich immer nur für eine bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Unternehmen. Ein berufsständisch Versicherter muss sich bei jedem Arbeitgeberwechsel aufs Neue von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen und wenn sich seine Tätigkeit wesentlich ändert (Bundessozialgericht im Jahre 2012, Aktenzeichen.: B 12 R 3/11 R).
Bei jedem Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber oder der Tätigkeit müsste er fürchten, in die Rentenversicherung mit geringeren Rentenzuwächsen zurückzukehren. Ob das Urteil so weit geht, ist ungewiss. Das BSG betont immerhin, dass die Betroffenen Lebensentscheidungen über die Altersvorsorge getroffen haben, in die nicht ohne Weiteres eingegriffen werden darf.
Wie geht es weiter und was ist zu beachten?
Die Begründung des Urteils wird noch herauskommen. Verbände kündigen bereits Verfassungsbeschwerden an. Denn das Vertrauen in bestehende Befreiungen von der Rentenversicherung stellt eine durch die Verfassung geschützte Rechtsposition dar.
Hier bleibt zu hoffen, dass das BSG das Vertrauen in die Befreiung auch bei einem Arbeitgeberwechsel oder einer Änderung der Tätigkeit schützt. Dies könnte etwa dadurch erfolgen, dass der bisherige, alte Maßstab für Inhaber bestehender Befreiungen weiterhin angewandt werden muss.
Versorgungsunternehmen verlieren Mitglieder
Und schließlich sind auch die Versorgungswerke betroffen, denen die Entscheidung künftig Mitglieder entzieht.
Bis der Fall vors Bundesverfassungsgericht kommt oder der Gesetzgeber reagiert, kann die Empfehlung für Syndikus-Anwälte und alle anderen Angestellten mit einer Versorgungswerk-Mitgliedschaft nur lauten: Wer seinen Arbeitgeber oder seine Tätigkeit wechselt, riskiert seine Befreiung von der Rentenversicherung.
Ich bin selbst seit 1998 Syndikusanwalt; dennoch muss ich sagen, „das haben wir immer schon so gemacht“ ist ein relativ schwaches Argument, wenn die Frage eigentlich lautet, ob „das alles so seine Richtigkeit hat“.
Denn das eigentliche Problem ist eine Inkompatibilität der Denkansätze:
– Befreiung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erlangt man „aufgrund seiner Tätigkeit“, aber
– Pflichtmitglied im Versorgungswerk wird man nicht aufgrund (s)einer Tätigkeit, sondern wegen seines Status als zugelassener Anwalt.
Damit ist streng grammatisch ausgelegt der Tatbestand des § 6 I Nr.1 SGB VI per definitionem nie erfüllt; denn dieser fordert eben, dass die Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung aus der Tätigkeit folgen muss.
Dem BSG kann nicht widersprochen werden: alles, was Rechtsanwälte können, können auch nicht zur Anwaltschaft zugelassene Volljuristen – außer vor Gerichten mit Anwaltszwang auftreten; und genau das können Syndici für ihre Arbeitgeber auch nicht. Das heißt: dieselbe Logik, die den in Unternehmen tätigen Assessoren den Zugang zum Versorgungswerk versperrt, schließt auch die Syndikusanwälte aus demselben aus. Das hat nur bisher keiner aussprechen wollen.
Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit, nicht nur den Status des Syndikusanwaltes neu zu bestimmen, sondern auch den des Rechtsanwaltes allgemein. Wie viel Realität steckt noch im standesrechtlichen Bild des Alleswissers und Alleskönners, wie viel rechtspflegendes Organ in der Realität des radikal aufs Parteiinteresse verpflichteten Vertreters? Was heißt Unabhängigkeit genau? Denn das BSG deutet in seinem Terminsbericht ja an, dass JEDE Art von ökonomischer Abhängigkeit der Mitgliedschaft im Versorgungswerk schädlich ist: fängt das vielleicht schon bei 25% des Kanzleiumsatzes während der letzten beiden Jahre an?
Also, meine Bitte an alle: setzt bloß nicht wieder noch einen Epizykel aufs alte System; es ist Zeit für eine grundlegende Revision.
Interessant ist es doch, Alternativen zu suchen. Wenn ABS wie in Großbritannien zulässig werden (oder: das Verbot der Beteiligung nicht-sozietätsfähiger Berufe an Kanzleien als europarechtswidrig fällt), gründen die Unternehmen eigene Rechtsanwaltsgesellschaften, in der „ihre“ Justiziare angestellt sind. Die dürften dann sogar das Unternehmen vor Gericht vertreten. Zumindest für reine Rechtsabteilungen wäre das eine Möglichkeit. Über „White Label“ Anbieter ist das heute bereits in Deutschland möglich. BVerfG Klage und Verbandsgezeter bringen überhaupt nichts. Die ganze Diskussion wird in Deutschland derzeit rein rückwärtsgewandt geführt – Erhalt des Status Quo und Besitzstands. Welche Chancen und neuen Möglichkeiten bietet die BSG Entscheidung? Der Rechtsmarkt und das Anwaltsbild verändern sich in der Tat. Die in den USA und UK sehr erfolgreichen neuen juristischen Arbeitsmodelle wie Lawyer on Demand, Virtuelle Kanzleien und sonstige flexiblen Arrangements kommen langsam auch nach Deutschland. Angesichts der Megatrends im Bereich IT und Flexibilisierung der Arbeitswelt, gekoppelt mit dem neuen Deal und Arbeitsverständnis der Generation 2.0 ergeben sich in Zukunft für Juristen vollkommen neue Möglichkeiten. Dinosaurier werden aussterben, mit Versorgungswerksansprüchen oder ohne.