„Vergessen Sie die Hauruck-Studien“ – Gastbeitrag PR-Profi Michael Siemer von Westend Medien

Stolperfallen und falsche Erwartungen – PR-Experte Michael Siemer, Chef von Westend Medien in Düsseldorf analysiert: Warum Studien immer seltener den Weg in den redaktionellen Teil der Blätter finden. Fünf Tipps für die Umsetzung.

 

Michael Siemer, Chef von Westendmedien (Fotograf:Achim Multhaupt)

Michael Siemer, Chef von Westend Medien (Fotograf:Achim Multhaupt)

 

Mogelpackung: PR mit Studien 

Seit zehn Jahren gelten Studien als Star unter den PR-Vehikeln: Landauf landab nutzen Unternehmen eigene Umfragen oder selbst-in-Auftrag-gegebene-Studien für die eigene Öffentlichkeitsarbeit – vor allem Dienstleister. Besonders diejenigen, die nichts von sich selbst preisgeben, aber dennoch ihren Namen in der Presse lesen wollen. Mal mit einer aufwändigen, teuren Umfrage von gängigen Instituten wie Forsa & Co., mal mit einer Hauruck-Online-Umfrage mit mehr oder weniger homogenen Antwortgebern – die dann eher dürftige Ergebnisse liefern, ohne viel Analyse und Hintergrund. Samt und sonders sollen die Ergebnisse Bedeutung und Relevanz suggerieren, aber vor allem auf Seriosität des Absenders verweisen. So zumindest die landläufige Meinung in der Kommunikationsbranche – bei PR-Agenturen wie Unternehmen.

 

Unternehmensberater setzten auf Studien als PR-Vehikel – um nichts über sich selbst rauslassen zu müssen

Die bei weitem professionellste Nutzung von Studien betreiben seit den 90-er Jahren die Unternehmensberater. Sie untersuchen, analysieren und publizieren, was das Zeug hält – mit oftmals dürren und oftmals skurrilen inhaltlichen wie medialen Ergebnissen: Entweder das Befragungssample ist zu klein und daher nicht repräsentativ. Oder die Fragestellung ist äußerst spezialisiert – beispielsweise Managementansätze wie Lean – und daher für die meisten Leser nicht relevant.

 

Exklusiv – aber leider irrelevant

 

Doch längst haben auch Journalisten Lunte gerochen und trauen dem Braten – sprich dem Angebot der „Exklusivveröffentlichung“ – nicht mehr. Und Sie haben gute Gründe dafür, denn zu vieles, was da bedeutungsschwanger ankommt, ist inhaltlich nicht mehr tageslichttauglich – zu viel Wortgeklingel, zu wenig Substanz. In England gibt es bereits zwei geflügelte, sardonische Worte dafür: „experts now say“ oder „recent survey has found“ verballhornen hier heute Pseudorelevanz.

 

Schaumgebremstes Interesse der Redaktionen

Auch Agenturen stoßen bei Journalisten häufig auf taube Ohren beziehungsweise schaumgebremstes Interesse. Denn offenbar verliert – was ursprünglich den Lesern fundierte Informationen lieferte und den Unternehmen die begehrte Aufmerksamkeit einbrachte – für die mediale Berichterstattung immer stärker an Relevanz.

 

Knapper Platz und wenig Personalkapazitäten stehen fehlender Analyse gegenüber 

Zumal: Wegen der Medienkrise sind die redaktionellen Plätze knapper geworden, ganze Zeitungen wie die „FTD“ verschwunden und die personellen Kapazitäten in den Redaktionen deutlich gesunken. Oft kommen Studien, Umfragen und sonstige Erhebungen komplett ohne einen Analyseteil daher und sparen sich denn auch gleich Beispiele aus dem wirklichen Leben. Nicht mal Beispiele, die schon in der Presse standen, werden bemüht – so viel unbemühte Recherche war selten.

 

Wir sparen Geld – und Sie sollen gefälligst Zeit fürs Übersetzen opfern 

Der allergrößte Schrecken: Studien in Fremdsprachen. Das Gefühl bei den so beglückten Journalisten ist, dass sich das Unternehmen eigene Arbeit und Geld fürs Übersetzen ersparen und sie – im Gegenteil – auf Redaktionen abwälzen will; aber dennoch als Urheber natürlich genannt sein möchte. Die Kunden und wohl auch viele PR-Kollegen verstehen sie offenbar selbst nicht – was bei den Fachbegriffen auch kein Wunder ist.

 

Power-Point-Präsentationen ohne Verben 

Auch ganz prima: Power-Point-Präsentationen – mit Dutzenden von Folien und Schaubildern. Nur leider ohne Verben und somit ohne Aussagen und mit Grafiken, die keinem Leser zumutbar sind. Und dadurch wertlos – so frei von Thesen.

Die Flut der Meldungen, die als Studie daherkommen – aber oft die Bezeichnung nicht verdienen – führt zu dem Eindruck, dass mit pseudowissenschaftlichen Methoden der eigenen Argumentation Nachdruck verliehen werden soll. Der wissenschaftliche Nimbus, den Studien einmal hatten, ist abgeschmolzen. Zumal die wenigsten noch zusammen mit Universitäten und Wissenschaftlern zustande kommen.

 

PR-Agenturen als Märchenerzähler

Unverdrossen verbreiten die PR-Agenturen immer noch die Mär, Umfrage-Ergebnisse und Studien würden in Redaktionen gern genommen – lieferten sie doch einen eigenen aktuellen Anlass für eine Berichterstattung. Dabei ist doch gerade für die Agenturen die Frage wichtig, ob eine Studie auf einer Thematik aufsattelt, die derzeit ein Thema in den Medien ist.

Schließlich läuft auch der Kunde, der sich an dieser Stelle auf die Expertise der Agentur verlässt, womöglich ins Messer: Studien kosten neben Geld viel Zeit und Ressourcen – umso ärgerlicher, wenn sich keiner dafür interessiert. Die Erfahrung zeigt, dass es auch keinen Unterschied macht, wer der Absender der Studie ist. So erinnere ich mich an eine Studie zum Thema „Change in Phasen der Rezession“, die von der englischen Economist Intelligence Unit im auf Auftrag eines englischen Kunden durchgeführt wurde und in Deutschland den Medien angeboten werden sollte.

 

Studien ohne Relevanz

Leider wiesen die Ergebnisse keinerlei verwertbares Ergebnis für die Medienarbeit hierzulande vor – die Befragtenbasis war zu klein, die Unternehmen aus Deutschland durften nicht zitiert werden und insbesondere den Aussagen fehlte klare Relevanz: Weil es niemanden sonderlich überraschte, dass Unternehmen in Zeiten der Krise ihre Ausgaben kürzen oder Mitarbeiter entlassen. Zudem war nicht ein einziges DAX-Unternehmen befragt worden – doch gerade diese sind für die Wirtschaftsmedien sehr wichtig. Zusammengefasst. Der Kunde hätte Sinnvolleres mit den rund 100.000 Euro Kosten für die Studie anstellen können.

Häufig ging es dem Herausgeber mehr um die Aufmerksamkeit als die Beantwortung einer real existenten Fragestellung, deren Beantwortung signifikanten Erkenntniswert liefern würde. Das ist schade, weil es sowohl die Zeit der Autoren wie die der Leser verschwendet.

 

Das sind die fünf zentralen Punkte für den Erfolg von Studien:

  1. Fragestellung exakt definieren: Legen Sie vorab haarklein den Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen und die Fragestellung fest – definieren Sie zugleich auch, zu welchen Aussagen Sie überhaupt kommen wollen. Ohne Grundthese als Ausgangspunkt werden Sie keine interessanten Ergebnisse erzielen.
  2. Mediale Relevanz kritisch hinterfragen: Befragungen ohne Bezug zu tagesaktuellen Nachrichten oder wichtigen Branchenfragen sind meist Langweiler. Das Ergebnis müssen griffige Aussagen sein oder gar ein Knüller. Wie in Punkt 1 bereits erwähnt, ist eine handfeste Grundannahme die Voraussetzung dafür, überhaupt brisante Ergebnisse zu erzielen.
  3. Pointiertes Befragungsthema: Eine qualitative Studie mit bemerkenswerten Aussagen interessanter Gesprächsteilnehmer kann interessanter sein als eine quantitative Studie mit Larifari-Ergebnissen. In jedem Fall sollten für den medialen Erfolg in Deutschland Aussagen auch Vertreter wichtiger Unternehmen wie DAX-Konzerne oder große Mittelständler enthalten sein.
  4. Bezug zu den Kernthemen des Unternehmens: Shell produziert regelmäßig seine Jugendstudie als Teil des gesellschaftlichen Engagements des Ölriesen. Doch diese Studie kommuniziert nichts über das Können des Unternehmens, dafür umso mehr über dessen Wünsche nach gesellschaftlicher Anerkennung. Wäre es nicht besser für Shell, ein Thema aufzugreifen, das näher am Markenkern ansetzt?
  5. Medien frühzeitig ansprechen: Man sucht nach Kontakt mit dem Medien, aber erst, wenn die Studie fertig ist. Das ist ein Fehler. Erfolgversprechender ist es, die relevanten Medien bereits in die Entwicklung der Studie einzubeziehen. Redakteure verstehen, wie man Themen aufbereitet und bringen eine neue und kritische Perspektive auf die Fragestellung mit ein, wodurch die Fragen zielgerichteter werden.

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