Der Abgrund der Langeweile – des Top-Managers nach seinem Ausstieg – Gastbeitrag Dorothee Echter/Dorothea Assig

 

Dorothee Echter, Coach

Dorothee Echter, Coach

Wie der Ausstieg zum Einstieg wird –

Gastbeitrag der Top-Management-Coaches Dorothea Assig und Dorothee Echter

Wie können sich Topmanager und andere exponierte Personen darauf vorbereiten, dass sie auch nach ihrem offiziellen beruflichen Ausstieg gefragt sind und warum sollten sie das tun?

Und: Was haben Unternehmen davon?

 

Als 40-Jähriger fühlte sich die PC-Legende Michael Dell am Ziel seiner Wünsche angekommen, er verkaufte sein Unternehmen und wollte sich fortan seiner Familie und seinen gemeinnützigen Projekten widmen. Jetzt will der 48-jährigeMichael Dell nichts mehr, als sein Unternehmen zurück erkämpfen und wieder Unternehmer sein.

Wie ihm ergeht es vielen erfolgreichen Menschen, die sich vom Tagesgeschäft verabschiedet hatten, sie wollen zurück. Jüngere, ambitionierte und erfolgreiche Menschen träumen von viel und glücklicher Freizeit, aber tatsächlich wünschen sich nach einem Ausstieg alle nur noch eines: weitere berufliche Erfüllung, Renommee und Anerkennung, Bedeutsamkeit und das Eingebunden-Bleiben.
Der Abgrund der Langeweile

Dorothea Assig, Coach

Dorothea Assig, Coach

Die meisten Menschen sind in keinster Weise auf ihren offiziellen Ruhestand oder auf einen beruflichen Ausstieg vorbereitet. Sie täuschen sich über ihre Wünsche, die schon nach einer kurzen Erholungszeit nicht mehr lauten, „sich um den Schäferhund kümmern“, „den Garten pflegen“ oder was auch immer für Fantasien sie mit ihrem Ausstieg verbinden, sondern sie wollen weiterhin ihr Wissen in die Welt bringen. Heute sind die meisten über 60-Jährigen jung, psychisch stabil, tatkräftig, belastbar, voller Elan und höchst ambitioniert. Den nahen Ruhestand vor Augen, zählen sie entweder zur Endlich-kann-ich-meinen-Hobbies-nachgehen-Fraktion oder sie halten es für selbstverständlich, dass ihr Leben so anspruchsvoll und erfüllend weitergeht. Beide sind nicht auf den Abgrund an Langweile vorbereitet, der sie mit voller Wucht trifft. Beide wissen nicht, wie sie ihre Expertise präsentieren können und wie ihre Wünsche tatsächlich sein werden.

 

Bald, ja bald…widmet man sich der Familie

Dass mit 60 der Wunsch auftaucht, für ihr Lebenswerk gewürdigt zu werden, das Bundesverdienstkreuz zu erhalten, auf Wikipedia gerühmt zu werden, auch noch mit 80 Jahren als Redner zu seinem Thema gefragt zu sein, kommt für die meisten Menschen dann völlig überraschend. Der 50-jährige Unternehmer spricht davon, dass er bald seine Arbeit aufgibt und sich seiner Freizeit und Familie widmet. Dieses Bald verschiebt er von Jahr zu Jahr in die weitere Zukunft. Der gleiche nach wie vor erfolgreiche Unternehmer oder Berater spricht mit 76 Jahren davon wie erfüllend er diese Zeit erfährt und natürlich soll es für ihn so weitergehen. Das gilt für Fußballtrainer, für Topmanager genauso wie für Partner von großen Unternehmensberatungsgesellschaften.

Star-Trainer, Top-Coaches, Vorstände, sie alle haben eine große Expertise gewonnen, ein Können erworben, das herausragend ist, singulär, mit Bedeutung aufgeladen. Dass diese spezifische Expertise jedoch auch weiterhin nachgefragt werden kann, muss jeder selbst steuern. Es ist nicht so, dass eine erfolgreiche Person in Rente geht, und dann, mit ihrem Ausscheiden aus der bisherigen beruflichen Tätigkeit, entdeckt das Umfeld plötzlich wie wertvoll ihr gesellschaftlicher oder beruflicher Beitrag war und wie sehr sie vermisst wird, und dann kommen die Anfragen nach Aufsichtsratspositionen, nach Vorträgen, nach Beratung und die Ehrungen. Dies ist zwar die Hoffnung von vielen fleißigen und großartigen Menschen, aber das wird nicht geschehen. Dies ist für sie enttäuschend, bitter und sie fragen sich verzagt: „Das kann doch nicht alles gewesen sein?“

 

Was machen die Menschen, deren Expertise weiterhin nachgefragt und anerkannt ist?

Sie besitzen Substanz und sie formulieren diese: Es muss ein Werk, eine Methode, ein Sieg, ein Ergebnis, eine Leistung, ein Dienst, ein Wert, eine Erkenntnis, eine Entdeckung sein, die für die Welt eine Bereicherung ist. Und sie können diese benennen. Aus guter Arbeit allein entsteht kein Lebenswerk. Gute Arbeit ist die Basis. Aber es muss etwas Größeres geben, das über den Alltag hinausweist, etwas, das größer ist als die eigene Persönlichkeit. Das ist der empfundene, gelebte, von anderen gesehene Sinn. Die Substanz ist jedoch immer konkret, nie allgemein – immer individuell und einzigartig, nie kollektiv.

Das Lebenswerk zeigt sich in der Persönlichkeit. Ein Lebenswerk braucht eine Persönlichkeit. Die disziplinierte und positive Resonanz erzeugende Lebensgestaltung ist entscheidend. Durch Geheimnisse, Lügen, Verschweigen, Großtuerei, falsche Bescheidenheit, zu große Anpassung, Lebenslügen oder disziplinlose Emotionen wird das Lebenswerk allmählich zerstört. Werk und Person, öffentliche und private Person sind eins. Manchen Menschen ist ihre Lebenslüge, ihre Selbst-Banalisierung oder Angeberei so selbstverständlich geworden, dass sie selbst vergessen, wer sie eigentlich sind. Sie können über lange Zeit den äußeren Schein aufrecht erhalten, aber dann nicht mehr, wenn es um die Realisierung des Lebenswerkes geht. Menschen wollen einer Person mit einem großen Werk applaudieren, sie ehren. Sie wenden sich dann aber irritiert und enttäuscht ab, wenn die Persönlichkeit nicht in Übereinstimmung mit dem Werk gebracht werden kann. Das Wort Lebenswerk trifft es exakt. Es ist die Verknüpfung von Werk und Leben. Menschen mit einem Lebenswerk sind im Einklang mit sich und der Welt, wie die Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, wie der Bildungspapst Jürgen Baumert, sie ziehen Menschen an. Sie sind in der Reflexion, im Lernprozess, im Dialog, sie gewinnen an Weisheit. Sie müssen nicht ihre Erfahrungen von vor 30 Jahren wieder und wieder erzählen – sie machen täglich neue, größere Erfahrungen. Ihr Erkenntnisgewinn ist unermesslich und wer sich ihnen nähert, ist beeindruckt und profitiert davon. Deshalb war die Enttäuschung um Strauss-Kahn so groß. Vor den Augen einer fassungslosen Weltöffentlichkeit zerfiel sein Leben. Und deshalb ist die Hochachtung vor Bill Clinton umso größer, dass er sich entschieden daran machte, sein Leben in Ordnung zu bringen. Genau aus diesem Grunde ist ihm dieser fulminante Aufstieg so geglückt.

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Ein Lebenswerk braucht andere Menschen, eine starke Community, echte Schwergewichte, die über Einfluss verfügen, die aus eigenem Antrieb handeln, und die das Bedürfnis verspüren, dieser Person mit dieser Botschaft weiterhin verbunden zu bleiben und neue Türen für sie zu öffnen. Das ist der Unterschied zu einer Entourage oder zu den Vorständen in Unternehmen und Beratungsgesellschaften, in denen nur nach innen kommuniziert wird. Eines der wichtigsten und unbemerkten Hindernisse für die Entstehung eines Lebenswerks ist es, wenn sich Menschen mit abhängigen Claqueuren umgeben, wie Angestellte, Berater, Schülern, Lieferanten oder Seminarteilnehmerinnen. Oder auch nur mit Kollegen. Das reicht nicht. Reputation ist nicht käuflich. Sie wird freiwillig geschenkt von anderen erfolgreichen, von ihnen unabhängigen Menschen, die zu ihrem Leben selbstverständlich dazu gehören. Unternehmen profitieren sehr davon, wenn die Lebensleistung ihres Top-Personals weiterhin nachgefragt wird.

 

Verheerend: Wenn Ex-Vorstände mit Widersachern abrechnen

Persönlichkeiten wie Carl H. Hahn sind die überzeugendsten Markenbotschafter. Die Liste der Ehrungen, Mitgliedschaften in Kuratorien und Beiräten des früheren VW-Vorstandsvorsitzenden ist lang und beeindruckend. So sieht ein erfülltes Leben aus, wenn das eigene berufliche Wirken sich in den Dienst des Gemeinwohls stellt. Diese Wirkung strahlt nach innen in den Konzern und nach außen aus. Die Botschaft nach innen ist vertrauensbildend, glaubwürdig und identitätsstärkend. Die Botschaft nach außen ist ebenso vertrauensbildend, glaubwürdig, ansteckend und begeisternd. Wer immer Carl H. Hahn irgendwo auf der Welt begegnet, sein Buch liest, denkt Volkswagen automatisch gleich mit. Die persönliche Substanz und Wertschätzung wird dem Unternehmen gleich mit zugeschrieben. Ganz anders, verheerend ist die Wirkung, wenn frühere Vorstände nicht enden wollende Prozesse gegen das frühere Unternehmen führen, Bücher veröffentlichen, in denen sie mit früheren Widersachern abrechnen, Interviews geben, in denen sie voller Bitterkeit über ihr früheres Unternehmen herziehen.

Fazit: Auch Unternehmen sind gut beraten, wenn es seine Top-Leute schon lange vor ihrem Ausscheiden darin bestärkt, den eigenen guten Ruf in die Welt zu tragen. 

 

Ratgeber Führung von Dorothee Echter/Dorothea Assig: http://www.campus.de/ratgeber/fuehrung/Ambition.99388.html

Wer Karriere machen will, muss immer weiter lächeln: http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/manager-beraterinnen-erklaeren-regeln-fuer-die-karriere-a-821718.html

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Alle Kommentare [2]

  1. Das schlimmste bei den Managern scheint mir die Entlassung im Alter zwischen 50-60. Diese Menschen haben dann niedrige Chancen auf einen neuen Job. Sie sind auf die Langeweile „verurteilt“.

  2. ….sehr treffend. Ich denke jedoch die Langeweile beginnt nicht erst beim Ausstieg des Managers sondern bereits mitten drin. Ab dem Zeitpunkt nämlich, wo man Zeit und Energie für Eitelkeiten und Machtdemonstrationen einsetzt, hier setzt nämlich die Langeweile ein. Und das tragische ist, dass sich diese klammheimlich schleichend und weitgehend unbemerkt infiltriert; -beim Geschäftswagen, Büroausstattung, noch einen nutzlosen Titel, Tischreservation… (man will sich ja endlich was gönnen, (oder vielleicht eben doch differenzieren?)…). Und dies um all dies nachzuholen (oder noch schlimmer anderen bzw. den Angestellten, den Kellnern etc. zu verweigern), was man selbst verpasst hat und dies dann nachträglich als Opfergabe für die Karriere oder das Unternehmen darstellt. Man kann es kaum fassen, dass Müller von nebenan eine glückliche Aura ausstrahlt und seine Familie und sein Karma auch ohne Karriere entwickelt hat….
    Sobald sich dies einschleicht, ist es Zeit für Langeweile…. Und Langeweile bedeutet, dass sich die Kreativität wieder meldet und neue Herausforderungen sucht und man sich somit von der beruflichen Routine verabschiedet…..